Die EU plant, das Abholzen von Wäldern zu stoppen, doch die neue Entwaldungsrichtlinie könnte die ärmsten Länder hart treffen. Experten erläutern die Unterschiede zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik in der Politik. Besonders kleine Kaffeeproduzenten in Äthiopien stehen vor großen Herausforderungen durch bürokratische Hürden und neue Regulierungen. Die Beziehung zwischen der EU und Afrika wird als komplex beschrieben, wobei eine echte Zusammenarbeit für faire Handelsbedingungen gefordert wird.
Die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik ist entscheidend, um die Folgen politischer Entscheidungen angemessen zu bewerten.
Die EU-Entwaldungsrichtlinie könnte Kleinbauern in Äthiopien überfordern, was ihre Existenz und die lokale Wirtschaft gefährdet.
Politische Maßnahmen, die idealisierte Ziele verfolgen, ignorieren oft die realen Bedingungen und Herausforderungen in den betroffenen Regionen.
Deep dives
Die Bedeutung von Ethik in der Politik
Die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik ist zentral für die politische Diskussion. Gesinnungsethiker handeln nach festen Werten, ohne die Konsequenzen ihres Handelns zu bedenken, während Verantwortungsethiker die Auswirkungen ihrer Entscheidungen berücksichtigen. Ein Beispiel für Letztere ist ein Arzt, der aus Rücksicht auf die Gefühle eines Patienten nicht die volle Wahrheit über dessen Gesundheitszustand sagt. Diese ethischen Überlegungen kritisieren die aktuelle EU-Politik und deren Neigung, ideale Ziele zu verfolgen, ohne die praktischen Folgen zu analysieren.
Die EU-Entwaldungsrichtlinie
Die EU hat eine Richtlinie erlassen, die sicherstellen soll, dass bestimmte Rohstoffe wie Soja und Kaffee nur dann auf den Markt gelangen, wenn sie nicht mit Entwaldung in Verbindung stehen. Diese Regelung bezieht sich auf bestimmte Daten, die von Unternehmen nachgewiesen werden müssen, um sicherzustellen, dass die Produkte entwaldungsfrei sind. Allerdings wird kritisiert, dass diese Vorschrift kleinere Unternehmen überfordert, während große Unternehmen profitieren. Der bürokratische Aufwand für die Einhaltung dieser Vorschrift könnte insbesondere Kleinbauern in ärmeren Ländern ausschließen, was die angestrebten Umweltziele untergräbt.
Die Auswirkungen auf Kleinbauern in Äthiopien
Die neue EU-Verordnung zur Entwaldung könnte gravierende Folgen für äthiopische Kleinbauern haben, die nicht über die notwendigen Mittel und Technologien verfügen, um die geforderten Nachweise zu erbringen. Viele dieser Bauern sind Analphabeten und können keine Geodaten für ihre Anbauflächen bereitstellen, was sie vom europäischen Markt ausschließen könnte. Es besteht die Besorgnis, dass die Richtlinie nicht nur die Importeure, sondern auch die Lebensgrundlage der Kleinbauern in Äthiopien gefährdet. Unzureichende Daten und bürokratische Hürden könnten dazu führen, dass die Bauern auf alternative, möglicherweise umweltschädlichere Anbauformen umsteigen müssen.
Kritik an der politischen Perspektive
Die EU-Politik wird als nicht ausreichend praxisorientiert kritisiert, da sie die realen Bedingungen und Herausforderungen der Herkunftsländer nicht berücksichtigt. Experten und Aktivisten argumentieren, dass die Verordnung in ihrer aktuellen Form mehr schadet als nützt und oft die kleineren Produzenten benachteiligt. Die Komplexität der Dokumentationsanforderungen und die fehlende Unterstützung für die Bauern vor Ort tragen zu einem gescheiterten Ansatz zur Bekämpfung der Entwaldung bei. Politische Entscheidungen, die sich auf eine idealisierte Sichtweise stützen, ignorieren die realen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in den betroffenen Regionen.
Langfristige Folgen der EU-Politik
Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen der EU-Entwaldungsrichtlinie könnten sich negativ auf die Entwicklung der Länder auswirken, die auf Exporte angewiesen sind. Die Bedrohung für die Existenz der Kleinbauern führt zu einem Rückgang der kaffeebasierenden Wirtschaft und könnte das Armutsproblem in Äthiopien verschärfen. Während europäische Akteure die Politik als Fortschritt feiern, befürchten lokale Experten, dass die Richtlinie mehr zur Abholzung führen könnte, da Bauern aus wirtschaftlicher Not alternative, weniger nachhaltige Anbaumethoden wählen. Eine umfassende Betrachtung der verschiedenen Ziele der nachhaltigen Entwicklung ist notwendig, um sicherzustellen, dass Maßnahmen gegen Klimawandel nicht andere wichtige soziale und wirtschaftliche Ziele gefährden.
bto#254 – Mit einem „innovativen Ansatz“, maßgeblich getrieben aus Deutschland, will die EU das Abholzen von Wäldern in der Welt begrenzen. Bei genauerer Betrachtung muss man leider feststellen, dass die „Entwaldungsrichtlinie” der EU zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht ist. Der Soziologe und Nationalökonom Max Weber bezeichnete diese Art des Vorgehens als „Gesinnungsethik“: Mit festem Blick auf das als richtig erkannte Ziel werden die negativen Folgen der daraus abgeleiteten Politik ignoriert. Im Ergebnis ist das besonders bitter für die oft armen Länder, aus denen wir Waren beziehen und hat konkrete Auswirkungen für Millionen Kleinbauern, deren Existenz so gefährdet wird.
Am Beispiel Äthiopien erklärt Dr. Sebastian Brandis, Vorstandssprecher der Stiftung Menschen für Menschen, welchen Schaden die gut gemeinte EU-Regulierung anrichtet.
Hörerservice
Die Erklärung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft finden Sie hier.
Den zitierten Text aus der Zeitschrift Stern finden Sie hier.
Mehr Informationen zur Stiftung Menschen für Menschen und Möglichkeiten, diese zu unterstützen finden Sie hier.
Neue Analysen, Kommentare und Einschätzungen zur Wirtschafts- und Finanzlage finden Sie unter www.think-bto.com.
Den monatlichen bto-Newsletter abonnieren Sie hier.
Sie erreichen die Redaktion unter podcast@think-bto.com. Wir freuen uns über Ihre Meinungen, Anregungen und Kritik.
Shownotes
Nur vom 1. bis zum 11. August 2024:
Handelsblatt – Für alle „bto – beyond the obvious – featured by Handelsblatt”-Hörer*innen, die nicht nur ein paar Wochen, sondern ein ganzes Jahr lang vollen Zugriff auf unsere kompletten Handelsblatt-Inhalte genießen möchten, ist die Zeit günstig: Nur jetzt erhalten Sie das Handelsblatt gedruckt oder digital 12 Monate mit 50% Rabatt. Wer also alles wissen, aber nur die Hälfte zahlen will, sollte sich schnell unter www.handelsblatt.com/rabatt50 sein Vorteilsabo sichern.
Werbepartner – Informationen zu den Angeboten unserer aktuellen Werbepartner finden Sie hier.