
SWR Kultur lesenswert - Literatur Anthony Bale – Reisen im Mittelalter
Jul 1, 2024
04:09
Im Mittelalter gab es die Kreuzritter, die unter erheblichen Strapazen ins Heilige Land und nach Jerusalem aufbrachen. Aber das war es dann schon – oder? Anthony Bale hat in öffentlichen Bibliotheken, Archiven und hinter Klostermauern recherchiert, um eines zu zeigen: Im Spätmittelalter – das meint in etwa von 1300 bis 1500 – ermöglichten die technischen Fortschritte, aber auch der kulturelle Austausch weitverzweigte Reiseaktivitäten.
Weitverzweigte Reiseaktivitäten im Spätmittelalter
Reisende im Spätmittelalter konnten sich auf gut organisierte Häfen und auf Schiffstypen wie die „Caravelle“ mit vier Segelmasten verlassen. Doch wer waren die Reisenden? Ritter, Diplomaten und Handelstreibende wie Marco Polo, aber auch einfache Pilger und Mönche. Selten Frauen wie die britische Adelige Beatrice Luttrell, die 1350 nach Rom pilgerte. Der Mailänder Staatsmann und Pilger Santo Brasca, der 1480 ins Heilige Land aufgebrochen war, gab in seinem Reisebericht folgenden Rat:Dass ein Reisender immer zwei Taschen brauche: eine voller Geld und die andere voller Geduld. Andere Reisende meinten, es brauche noch eine dritte – die des Glaubens.Quelle: Anthony Bale – Reisen im Mittelalter, Seite 52
Der Glaube stand im Mittelpunkt des Reisens
Der Glaube spielte beim Reisen im Spätmittelalter eine große Rolle. Pilgerfahrten zu Wallfahrtsstätten standen hoch im Kurs, denn sie waren mit der Vergebung von Sünden verbunden. Rom, die Heilige Stadt, war natürlich deren Zentrum. Noch wichtiger als Rom galt frommen Pilgern eine andere Stadt: Jerusalem mit ihrer Grabeskirche Jesu Christi. Als wichtigster Abreisehafen hatte sich Venedig etabliert. Im Lesen von Bales Buch ist man erstaunt, welch ausgeklügeltes System die Venezianer etabliert hatten: Man benötigte zur Schiffsbeförderung einen Geleitbrief und ein Gesundheitszeugnis. Alle Waren, die man in der Lagunenstadt kaufen konnte, hatten feste Preise, ebenso die Gaststätten und Privatquartiere. Hatte man es dann endlich auf sein Schiff nach Jerusalem geschafft, begannen die eigentlichen Tortouren: Schlechtes Essen, Stürme und räumliche Enge. Der französische Edelmann Nicole Louve hat die Bedingungen des Quartiers unter Deck in drastische Verse gefasst:Wo es nach Fürzen und Blähungen stinkt / und manches von den menschlichen Eingeweiden sinkt / und niemand sich vorsieht vor menschlichen Winden. / Der Ekel bringt dir die Sinne zum Schwinden!Auch wenn europäische Pilgerstätten, Jerusalem und der Orient einen Gutteil von Bales Buch ausmachen, waren sie bei weitem nicht die einzigen Destinationen im Spätmittelalter. Auf der „Seidenstraße“ gelangten europäische Händler, Diplomaten und Mönche nach Persien, Indien und China. Der Venezianer Marco Polo avancierte zum Vertrauten des mongolischen Herrschers Kublai Khan und der russische Handelsreisende Afanassi Nikitin diente auf seinen Expeditionen Herrschern in Indien und Persien. Nach Anthony Bale gilt für diese beiden Abenteurer eines.Quelle: Anthony Bale – Reisen im Mittelalter, Seite 163
Er ist der unabhängige Reisende, der in der Fremde „heimisch” wird oder für den das Reisen Elemente der Assimilation und eigenen Veränderung beinhaltet.Quelle: Anthony Bale – Reisen im Mittelalter, Seite 323
