
she drives mobility Warum lassen wir uns das Auto Milliarden kosten - während Rad und ÖPNV sogar Nutzen bringen?
Verkehrsforscher Carsten Sommer über die verschleierte Wahrheit der Mobilitätskosten.
Diese Folge liefert das Zahlenmaterial und die Argumente für eine längst überfällige Debatte. Wenn wir ehrlich über Mobilitätskosten sprechen, sieht die Welt plötzlich ganz anders aus. Der ÖPNV ist nicht das teure Problem, sondern der Autoverkehr ist der unterschätzte Kostenträger.
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In dieser Folge spreche ich mit Prof. Carsten Sommer, dem Leiter des Fachgebiets Verkehrsplanung und Verkehrssysteme an der Universität Kassel, über die tatsächlichen Kosten unserer Mobilität.
Die zentrale Frage: Warum haben wir keine Kostentransparenz?
„Leider haben wir keine Kostentransparenz, weil das ist der springende Punkt. Wenn man mal wissen würde, was der Spaß kostet und das vergleichen würde, wäre das viel einfacher“, erklärt Carsten Sommer. Während es für den ÖPNV regelmäßig Berichte zur „Kostenunterdeckung“ gibt – allein der Begriff suggeriert ein Defizit –, fehlt eine vergleichbare Transparenz für den Auto- und Lkw-Verkehr vollständig.
Das Cost-Tool: Endlich echte Zahlen!
Carsten Sommer und sein Team haben über zwei Forschungsprojekte ein revolutionäres Verfahren entwickelt: ein Excel-basiertes Tool, mit dem Kommunen erstmals verursachergerecht die Kosten aller Verkehrsmittel berechnen können – betriebswirtschaftlich und unter Einbeziehung der sogenannten externen Kosten (Umwelt, Gesundheit, Unfälle, Flächenverbrauch).
Die Ergebnisse sind eindeutig und wurden bereits für Kassel, Heidelberg, Kiel und Bremen angewendet. Carsten Sommer sagt: „Schon beim betriebswirtschaftlichen Vergleich fließt das meiste Geld in den Kfz-Verkehr auf Ebene einer Kommune. Das überrascht uns als Wissenschaftler nicht, ist aber vielleicht gar nicht so bekannt.“
Noch drastischer wird es bei den externen Kosten: „Wenn man diese mit hinzunimmt, wird deutlich, dass 90 % der externen Kosten letztendlich auf den Kfz-Verkehr entfallen.“
Und der vielzitierte Kostendeckungsgrad? „Dann liegt der ÖPNV bei etwa 50 bis 60 Prozent, je nach Kommune, während der Pkw-Verkehr deutlich darunter liegt.“
Der vergessene Nutzen: Bewegung = Gesundheit = Wirtschaftskraft.
Ein besonders faszinierender Aspekt des Gesprächs: Die positiven externen Effekte von Fuß- und Radverkehr werden systematisch unterschätzt. „Fuß- und Radverkehr verursachen externen Nutzen. Durch unsere Bewegung leben wir viel gesünder, sind ökonomisch viel arbeitsfähiger und können natürlich auch viel mehr Wertschöpfung leisten“, erklärt Carsten. „Und das hat mich selbst überrascht: Die Größenordnung dieses Themas, der Bewegung im Fuß- und Radverkehr, ist immens. Davon profitiert auch der ÖPNV.“
Von der Kostendeckung zur Wertedebatte
Deutschland braucht eine grundlegend andere Diskussion über Mobilität. „Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen: Was ist uns so etwas wie Daseinsvorsorge wert? Ich sage einfach lieber: Was ist uns soziale Teilhabe wert?“, fordert Carsten Sommer. „Ich glaube, wenn man über den Wert und den Nutzen spricht, ist das eine viel bessere Diskussion, als immer nur zu sagen, das kostet nur etwas. Das ist auch falsch.“
Die untersuchten Modellstädte Bremen, Kassel und Kiel haben deutlich aufgezeigt, dass die Zuschüsse für den Radverkehr im Vergleich zu den anderen Verkehrssystemen gering ausfallen. Der Kostendeckungsgrad des ÖPNV liegt aus der Perspektive der Kommune höher als der des PKW-Verkehrs. Der Kostendeckungsgrad des LKW-Verkehrs ist aus der Sicht der Kommune am geringsten. Im Vergleich der Personenverkehrssysteme erzeugt der PKW-Verkehr die höchsten externen Kosten (60 bis 79 Prozent) und der Fußgängerverkehr die geringsten. Der größte Anteil an den gesamten externen Kosten (44 bis 57 Prozent) entfällt auf Unfallkosten und der geringste auf Kosten durch Lärmbelastung (4 bis 9 Prozent).
Strukturelle Blockaden und kleine Hoffnungsschimmer
Das Gespräch beleuchtet auch die strukturellen Probleme: 16 Bundesländer mit 15 verschiedenen ÖPNV-Gesetzen, mangelnde Kooperation zwischen Verkehrsverbünden und fehlende verkehrswirtschaftliche Forschung an deutschen Universitäten. Carsten ergänzt: „Ich glaube, ein Punkt, an dem Deutschland krankt, ist, dass wir vielleicht noch einmal überlegen müssen, ob der Föderalismus in seiner jetzigen Form zukunftsgerecht ist.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Dazu zählen das Deutschlandticket als Innovation, die verstärkte Kooperation zwischen Verbünden in manchen Bundesländern und natürlich der Verkehrsverbund selbst – eine deutsche Erfindung. Das gibt es im Ausland kaum.“
Das Cost-Tool zum Selbermachen
Das von Carstens Team entwickelte Cost-Tool kann von Kommunen kostenfrei genutzt werden – es genügt eine E-Mail an die Universität Kassel. „Wir wollen nicht nur Elfenbeinturm-Forschung machen, sondern auch etwas, das der Branche, dem Verkehr und der Gesellschaft weiterhilft.“ Der ÖPNV wird bisher vor allem als Kostenfaktor wahrgenommen. Mit dem Tool wird transparent, dass andere Verkehrsträger wie der PKW und der LKW für die Kommunen viel mehr Kosten verursachen als der ÖPNV. Oder andersherum gesagt: Der Kostendeckungsgrad von PKW und LKW ist viel geringer als jener des ÖPNV. Viele sogar aus der Branche hat dieses Ergebnis in seiner Klarheit überrascht. Endlich gibt es hier eine faktenbasierte Diskussionsgrundlage.
Weitere Informationen zum Einstieg in das Thema:
