
SWR Kultur lesenswert - Literatur Das Evangelium nach Burgess
Dec 19, 2025
07:08
In der Literatur gibt es viele Bearbeitungen der Geschichte von Jesus Christus. Mit der Bibel in erzählende Konkurrenz zu treten, war aber immer mit dem Risiko verbunden, hinter ihrer epischen Wucht zurückzubleiben.
Die gelungenen Adaptionen verlegen das Geschehen deshalb gern in andere Kontexte und erzeugen gerade dadurch Wirkung – man denke an die Dialoge zwischen Jesus und Pilatus in Bulgakows phantastischem Roman „Der Meister und Margarita“, der den offiziellen Sowjet-Atheismus verspottete.
Oder an „Der Narr in Christo Emanuel Quint“, Gerhart Hauptmanns sozial-religiösen Roman einer Christus-Imitatio im Arme-Leute-Schlesien des 19. Jahrhunderts.
Anthony Burgess schreibt das fünfte Evangelium
Solchen Ehrgeiz hat Anthony Burgess nicht. Sein Jesus-Roman liest sich eher wie ein fünftes Evangelium, so ausführlich wie die vier kanonischen zusammen. Als Medium der Geschichte dient ein Mann namens Asok, von Beruf Übersetzer, Rechnungsprüfer und Geschichtenschreiber. Religiöses Sendungsbewusstsein ist eher nicht sein Antrieb:Es ist nicht meine Absicht, mich über Gut und Böse und Richtig und Falsch auszulassen, denn in dieser Art des Denkens besitze ich wenig Geschick. Aber vielleicht darf ich unwidersprochen behaupten, dass die Welt eine zwiespältige Schöpfung ist.Die Mission dieses merkwürdigen Evangelisten besteht darin, eine der größten Geschichten der Welt noch einmal zu erzählen – so unterhaltsam, dass auch bibelresistente Leser Zugang finden, mit der Treue zu den alten Texten und der Liebe zu neuen, aber plausiblen Details. Das beginnt mit der äußeren Gestalt von Jesus. Er war ein großer, charismatischer Redner auf öffentlichen Plätzen. Also – schlussfolgert Burgess – war er kein hagerer Asket, sondern muss eine mächtige Stimme gehabt haben und einen kräftigen, Resonanz gebenden Körper. Sein Jesus ist eine Art „Tiger“, ein Mann wie ein Baum, der seine Stärke zugunsten der Nächstenliebe zähmt.Quelle: Anthony Burgess – Der Mann aus Nazareth
Jesus als Ehemann
Als junger Mann genießt er, anders als in der Bibel, eine Weile die Freuden der Ehe; allerdings stirbt seine Frau früh. Die berühmte Hochzeit von Kana ist bei Burgess jedenfalls Jesus‘ eigene. Dabei vollbringt er sein erstes Wunder, als er von den Durstigen gedrängt wird, Wasser in Wein zu verwandeln:„Ah, dieser Geschmack. Kommt. Alle. Trinkt. Aber“ – er hielt einen strengen Finger in die Höhe – „zuerst eine Warnung. Es liegt im Wesen dieser Verwandlung, dass der Wein für Sünder – Männer, die Geld schulden, Frauen, die über ihre Nachbarn tratschen, Unzüchtige, Ehebrecher und Gotteslästerer, aussieht wie Wasser, wie Wasser schmeckt und zu Kopfe steigt wie Wasser. (…) Wer will als erster probieren?“Ein cleverer Trick – und eine humoristische Lösung des Unwahrscheinlichkeitsproblems. Denn mit seinen Wundertaten konnte Jesus in der wundersüchtigen Zeit der Antike seine göttliche Abkunft beglaubigen; in der aufgeklärten Gegenwart machen die Wundererzählungen den biblischen Bericht für viele Leser dagegen fragwürdig. Man bemüht sich dann um „symbolische“ Lesarten. Das ist Burgess‘ Sache aber nicht. Auch wenn er mit der Kirche haderte, war er doch wie Heinrich Böll ein gläubiger Katholik. Sein Jesus treibt böse Geister aus und heilt Blinde und Lahme fast im Akkord. Den toten Lazarus ins Leben zurückrufen? Kein Problem.Quelle: Anthony Burgess – Der Mann aus Nazareth
Darstellung der Jünger
Um die zur Mission gehörende Verfolgung und Kreuzigung in Gang zu bringen, muss Jesus provozieren, sich mit dem religiösen Establishment anlegen, richtig Ärger machen. Mit seinen Jüngern bildet er – um eine kleine Parallele zu „A Clockwork Orange“ zu ziehen – sozusagen eine schlagkräftige Gang, allerdings eine des Guten. So werden aus manchen eher statischen Motiven der Bibel lebendige, fast filmische Szenen.Während die Jünger die Tische umwarfen und Gold und Silber klimpern und klirren ließen, peitschte Jesus auf die Wechsler und Verleiher ein und brüllte: ‚Mein Haus soll heißen ein Bethaus allen Völkern. Ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht.‘Zu den Reizen des Romans gehört es, wie Burgess den Jüngern Profil verleiht. Judas etwa zeichnet er als jungen Intellektuellen. In den Evangelien von Lukas und Johannes verrät er Jesus aus eigener Initiative, weil der Teufel von ihm Besitz ergriffen hat. Burgess dagegen schildert psychologisch hintergründig, wie der Hohe Jüdische Rat Judas in eine perfide Falle lockt. Gerade weil seine Liebe zu Jesus so groß ist und er sich nicht mit dessen Tod abfinden will, kann er zum Opfer einer teuflischen Intrige werden. Auch die jüdischen Schriftgelehrten und Pharisäer bekommen im Roman eigene Kapitel, allen voran der Hohepriester Kaiphas, an dessen biblischer Darstellung sich der christliche Antisemitismus entzündete. Man kann nicht sagen, dass Burgess seine Ehrenrettung vornehmen würde. Fern liegt Burgess auch die sadomasochistische Feier von Schmerz und Blut bei der Kreuzigung, wie sie Mel Gibson im Film „Die Passion Christi“ zelebriert. Lieber reflektiert er über technische Details der Kreuzaufrichtung. Sogar Jesus selbst – der Überlieferung gemäß ein gelernter Zimmermann – blickt in der Werkstatt des Kreuzschreiners fachmännisch auf das Gebälk, an dem er sterben wird:
Das Hinauswerfen der fluchenden Geldleute überließ Jesus den Jüngern, besonders Jakobus, der seine rohe Kraft eines Jahrmarktsringers zum Einsatz brachte. (…)
Judas sagte: ‚Ich glaube, Meister, mit größtem Respekt, dass wir die Obrigkeit nicht zu sehr gegen uns aufbringen sollten.‘Quelle: Anthony Burgess – Der Mann aus Nazareth
‚Zedernholz‘, sagte Jesus, während er über das Holz strich und daran roch. (…) ‚Ich war auch Schreiner. Ein guter Schreiner müsste die Verbindung nicht so nageln. Die Zapfenverbindungen sind sehr nachlässig.‘
‚Nun“, und der Alte rieb sich das Kinn. ‚Fällt nicht vielen auf.‘
‚Gott fällt es auf. Gott lobt die gute Arbeit und verachtet die schlechte.‘Quelle: Anthony Burgess – Der Mann aus Nazareth
