Rainer Schäfer, Professor an der Universität Bonn und Experte für Kants Philosophie, diskutiert die zwingende Notwendigkeit eines ewigen Friedens. Er erklärt, wie Kants Ideen über die Rolle des Individuums und moralische Entscheidungen uns helfen können, Konflikte zu verstehen. Zudem beleuchtet er die Herausforderungen zwischen idealistischen Konzepten und der harschen Realität autoritärer Staaten. Der spannende Dialog über die Verbindung von Wirtschaft, Kultur und Frieden zeigt, dass Kants Schriften auch heute noch wertvolle Erkenntnisse bieten.
Kants Konzept des ewigen Friedens beschreibt einen dynamischen Prozess zwischen Staaten, der nicht nur passiven Frieden, sondern aktivem Konsens erfordert.
Die Herausforderungen für den Frieden entstehen durch autoritäre Staatsstrukturen und wirtschaftliche Konkurrenz, die Spannungen und Konflikte vergrößern können.
Deep dives
Der ewige Frieden und Kants Ironie
Kants Konzept des ewigen Friedens, das er 1795 entwickelte, enthält sowohl ernsthafte als auch ironische Elemente. Der Friedensbegriff wird als Pleonasmus betrachtet, da wahrer Frieden seiner Auffassung nach unabänderlich und dauerhaft sein muss, sobald er etabliert ist. Gleichzeitig weist die Herkunft des Begriffs auf eine Schenke neben einem Friedhof in Königsberg hin, was Kants Idee eines lebendigen, sich entwickelnden Friedens symbolisiert. Diese Dialektik zwischen ernsthafter Philosophie und ironischem Unterton macht deutlich, dass Kant nicht nur einen stillen, passiven Frieden im Sinne von Friedhofsruhe meint, sondern einen dynamischen Prozess des Einvernehmens zwischen Staaten und Völkern.
Herausforderungen der zwischenstaatlichen Politik
Kant argumentiert, dass Frieden das ultimative Ziel jeder vernünftigen politischen Ordnung sein sollte, es jedoch verschiedene Herausforderungen gibt. Diese entstehen durch souveräne Staaten, die autoritäre Strukturen aufweisen und nicht bereit sind, die Freiheit ihrer Bürger zu schützen. In den gegenwärtigen geopolitischen Spannungen, wie etwa im Kontext Russlands und der Ukraine, wird Kants Annahme von Friedensverträgen und der Zusammenarbeit zwischen freien Republiken auf die Probe gestellt. Solche interstaatlichen Beziehungen sind kompliziert, insbesondere wenn einige Länder nicht die gleichen moralischen und rechtlichen Standards einhalten.
Der Gedanke der wirtschaftlichen Konkurrenz und des Friedens
Die Diskussion dreht sich um den Einfluss wirtschaftlicher Konkurrenz auf zwischenstaatliche Beziehungen und deren mögliche Rolle als Auslöser für Konflikte. Konkurrenz wird oft als notwendige Triebfeder für Innovation und Fortschritt angesehen, birgt jedoch auch die Gefahr, Spannungen und Unfriedlichkeit zwischen Nationen zu erzeugen. Ein Hörer hebt hervor, dass diese Konkurrenz zudem die globale Infrastrukturentwicklung behindert, was zu weiteren Ungleichheiten und Konflikten führen kann. Es wird argumentiert, dass Staaten zusammenarbeiten sollten, statt sich gegenseitig im Wettbewerb zu belasten, um einen dauerhaften Frieden zu fördern.
Kants bleibende Relevanz in der modernen Politik
In Anbetracht aktueller Konflikte zeigt sich, dass Kants Ideen zu Frieden und Vernunft noch immer Bedeutung haben. Trotz der dystopischen realpolitischen Lage werden Kants Theorien als ein Kompass angesehen, der uns leitet, auch wenn die Realität oft nicht seinem Ideal entspricht. Die Notwendigkeit, klare Regeln und Transparenz in zwischenstaatlichen Verhandlungen zu schaffen, wird als zentrales Thema betont. Kant lehrt uns, dass auch angesichts unvernünftiger Handlungen von Staaten, diese Ideale weiterhin erstrebenswert sind und als Orientierung dienen können.
Die vielen Kriege auf der Welt zeigen: Der Frieden hat einen schweren Stand. Was der Philosoph Immanuel Kant über Frieden dachte und was das für die Gegenwart bedeutet, darüber diskutiert Moderator Jürgen Wiebicke mit dem Philosophen Rainer Schäfer.
Rainer Schäfer (*1971) lehrt klassische deutsche Philosophie an der Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Kant und dessen Ideen einer internationalen Friedensordnung.
Bedeutung und Interpretation von Immanuel Kants Werk "Zum ewigen Frieden" (02:16)
Über Immanuel Kants Bild vom Menschen (09:47)
Ist uns Kants Aufklärungs- und Fortschrittsoptimismus heute abhandengekommen? (12:30)
Kapitalismus, Ideologie und Religion: Warum Kriege entstehen (21:51)
Rechtsstaat und Europa: Vergleich der Positionen von Kant, Habermas und Derrida (27:38)
Kooperationspflicht der Staaten und der Wettbewerb zum Guten (33:10)
Ukraine-Krieg: Schröders und Merkels Agieren gegenüber Putin (42:05)
Der Hang zum Bösen und der Destruktionstrieb (47:22)
Weltweiter Frieden: Illusion oder Idee? (52:05)
Literatur: Rainer Schäfer: Was Freiheit zu Recht macht – Manuale des Politischen. Verlag de Gruyter (2014). 349 Seiten. ISBN: 978-3-11-037043-0
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