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Fünf Monate nach der Gründung der BRD wird am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Dass sich mit der DDR ein eigener Arbeiter- und Bauernstaat entwickeln würde, ist nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch nicht absehbar. Von Ulrike Beck (BR 2019)
Credits
Autorin: Ulrike Beck
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann
Technik: Robin Auld, Regina Stärke
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Ulrich Mählert, Anita Möller
Linktipps:
ARD History (2024): 1949 in Ost und West – Zwei Familien und ihre Träume
Als am 23. Mai 1949 das Grundgesetz in Bonn verabschiedet wird, ist in Bremen große Wäsche. Und in Petriroda wird am 7. Oktober 1949, dem Tag der Gründung der DDR, aus Strohsäcken eine Matratze gemacht. Mit Momentaufnahmen des Jahres 1949 aus dem Leben zweier Familien begleitet "1949 in Ost und West" Maria Bastille und Jördis Krey bei ihrer persönlichen Spurensuche, wie es ihren Familien 1949 ergangen ist – einem Jahr, das für die Deutschen die wichtigste Zäsur für viele Jahrzehnte sein wird: die Teilung in zwei deutsche Staaten vor 75 Jahren. JETZT ANSEHEN
rbb (2024): Zwischenzeiten – Eine Familiengeschichte der Wendejahre
Die wilden Jahre in Berlin, die späten 80er und beginnenden 90er Jahre sind auch für die Wozniaks und die Konrads entscheidend – zwei Familien in Ostberlin, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jana stammt aus einer Funktionärsfamilie, Frank aus einer Handwerkerfamilie mit Privatbetrieb. Die einen profitierten vom SED-System, die anderen litten darunter. Trotzdem heiraten Jana und Frank am 9.11.1989 – am Tag des Mauerfalls. Sie erleben die Wende und den ersten Jahren im wiedervereinigten Deutschland: Alles ist neu, eine Zeit der Krisen und Hoffnungen. ZUM HÖRSPIEL
Archivradio (2023): Gründung der DDR
7.10.1949 | Am 7. Oktober 1949 wird aus der sowjetischen Besatzungszone die DDR. Dazu wird in der Ost-Berliner Wilhelmstraße die provisorische Volkskammer ins Leben gerufen, provisorisch, weil die Wahlen erst im Folgejahr stattfinden sollten. Wichtigster Redner an diesem Gründungstag der DDR ist Wilhelm Pieck. Er ist zusammen mit Otto Grotewohl Vorsitzender der SED und wird an diesem Tag Präsident der DDR. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 - Intro
TC 02:54 – Enteignungen, Verurteilungen und andere Reformen
TC 07:39 – Anita Möller: Eindrücke einer Zeitzeugin
TC 10:45 – Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
TC 13:52 – Alltag Nachkriegszeit
TC 16:05 – Ein „antifaschistisch-demokratischer Neuanfang“?
TC 20:30 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 - Intro
1.O-Ton: (Wilhelm Piek) (frei verwendbar)
Auf der Grundlage der vom 3. Volkskongress bestätigten Verfassung ist in der deutschen Hauptstadt Berlin einmütig von allen Parteien und Massenorganisationen im deutschen Volksrat die Deutsche Demokratische Republik geschaffen worden
Erzähler
Wilhelm Pieck verkündet am 7.Oktober 1949 im großen Festsaal des früheren Reichsluftfahrtsministeriums die Gründung der DDR.
Musik
Vier Tage später wählt ihn die Provisorische Volkskammer, das Parlament der DDR, zum Präsidenten des neuen Staates. Ministerpräsident und damit Staatschef wird der frühere Sozialdemokrat Otto Grotewohl.
Erzählerin
Dass sich vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwei deutsche Staaten entwickeln würden, ist 1945 nicht absehbar. Nach der Kapitulation des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht übernehmen ab dem 5. Juni die vier Siegermächte die Regierungsgewalt in Deutschland.
Erzähler
Deutschland soll entnazifiziert, demokratisiert und entmilitarisiert werden. Es soll dafür gesorgt werden, dass niemals wieder eine militärische Bedrohung von diesem Land ausgeht. Darauf einigen sich der amerikanische Präsident Harry Truman, der sowjetische Regierungschef Josef Stalin und der britische Premier Winston Churchill am 2.August 1945 mit dem „Potsdamer Abkommen“.
Musik
Erzählerin
Josef Stalin scheint es mit dem demokratischen Aufbau seiner Besatzungszone eilig zu haben. Noch bevor er das Potsdamer Abkommen unterzeichnet, lässt die Sowjetische Militäradministration SMAD als erste Siegermacht in ihrer Zone wieder Parteien zu. Bis Juli gründen sich KPD, SPD, CDU und die Liberal-Demokratische Partei LDP.
Erzähler
Die vier Parteien bilden zusammen die „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“, die als Block politische Beschlüsse nur einstimmig fassen dürfen. Ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte.
Erzählerin
Welche Strategie Stalin mit seiner Besatzungspolitik in der SBZ, der Sowjetischen Besatzungszone, verfolgt, erklärt der Historiker und Autor Ulrich Mählert. Er ist Referent bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und einer der profiliertesten Kenner der DDR-Geschichte:
TC 02:54 – Enteignungen, Verurteilungen und andere Reformen
2.O-Ton ( Mählert ab 3:04)
Die Sowjetunion hatte auf der einen Seite das Ziel, maximale Reparationsleistungen aus dem Land zu bekommen, weil die deutsche Wehrmacht das eigene Land verwüstet hatte. Auf der anderen Seite hatte man anfangs den Versuch unternommen, politische Strukturen zu schaffen, die für ganz Deutschland gelten sollten und auch mit dem Ziel, den Einfluss der Kommunisten in ganz Deutschland sicherzustellen.
Atmo & Musik
Erzähler
Um dieses Ziel zu erreichen, wird noch während der letzten Kriegswochen KPD-Funktionär Walter Ulbricht zusammen mit anderen deutschen Kommunisten aus seinem Moskauer Exil nach Berlin eingeflogen. Ulbricht ist als Leiter der KP-Gruppe Berlin gut auf seinen Einsatz im Nachkriegsdeutschland vorbereitet. Sein Auftrag ist klar: Er soll die Vorherrschaft der kommunistischen Partei in der sowjetisch besetzten Zone ebnen.
3.O-Ton ( Mählert ab 7:35)
Walter Ulbricht war der Mann Moskaus, der eigentliche Organisator, der eigentliche Macher in der Kommunistischen Partei und in dem sich entwickelnden politischen System der SBZ. (…) Und Ulbricht war der Funktionär, der alle anderen Funktionäre kannte. Der Personalpolitik betrieb, der das Vertrauen der Sowjets hatte, und er hat im Prinzip bis ja Ende der 60er Jahre bis Anfang der 70er Jahre weitgehend unumstritten geherrscht.
Musik
Erzählerin
Ab September 1945 beginnt die SMAD mit wichtigen Strukturveränderungen innerhalb der SBZ. Mit der Bodenreform werden Großbauern entschädigungslos enteignet, die mehr als 100 Hektar Land besitzen. Im Oktober tritt die Schulreform in Kraft - mit dem Ziel, alte Bildungsprivilegien zu überwinden. Ab dem Sommer 1946 werden unter der Losung „Enteignung der Kriegsverbrecher“ Betriebe entschädigungslos verstaatlicht.
Musik
Erzähler
Die SMAD beginnt schon wenige Wochen nach Kriegsende, nicht nur NS-Verbrecher massenweise in Speziallager wie Buchenwald, Berlin-Hohenschönhausen, Bautzen und Sachsenhausen zu internieren.
4.O-Ton: (Mahler ab ca 11:25)
Das waren häufig auch ehemalige deutsche Konzentrationslager. Da sind selbstverständlich viele Funktionsträger des NS-Systems gelandet. Da landeten aber auch ab Sommer 1945 oppositionelle Kommunisten, oppositionelle Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten, die irgendwie auffielen, die denunziert wurden, die im Weg standen. Und das setzte sich fort. Es gab sowjetische Militärtribunale, die bis Anfang der 1950er Jahre Deutsche im Schnellprozess zu teilweise Jahrzehnten Lagerhaft verurteilten, teilweise zum Tode verurteilten. Es wurden dann auch Tausende von Gefangenen in die Sowjetunion in den Gulag transportiert.
Erzählerin
Es sind über 50.000 Menschen, die Folter und Hunger in den Speziallagern der SBZ nicht überleben. Mehr als 20.000 werden bis 1947 in die Sowjetunion verschleppt und dort teilweise umgebracht.
Erzähler
Trotz der öffentlich inszenierten Schauprozesse nimmt die Bevölkerung an dem Schicksal der Verurteilten wenig Anteil. Was daran liegt, dass - genau wie in den westlichen Besatzungszonen - auch die Nachkriegsgesellschaft in der SBZ in erster Linie damit beschäftigt ist, zu überleben. Ulrich Mählert:
5.O-Ton ( Mählert ab ca. 14:10)
Die lebten in einem kriegszerstörten Land. Es gab Zuzugssperren. (…) alles war reglementiert. Man war froh, wenn man ein Dach überm Kopf hatte, Frauen warteten auf die Heimkehr ihrer Männer aus der Kriegsgefangenschaft. Es gab Millionen von Flüchtlingen aus den vormaligen deutschen Gebieten des Ostens, die praktisch in der SBZ erst mal Halt gemacht hatten Man war so beschäftigt mit dem Überleben, mit der Frage: Was soll ich essen? (…) Da hat man da zum Teil der Frage der Politik auch überhaupt keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt . (…) und dann greift natürlich so ein Gedankengang: Die Leute, die da verhaftet werden, die werden sich schon irgendwas haben zuschulden kommen lassen und ich denke, es gab ja auch keine Massenemigration aus dem Nationalsozialismus, sondern Leute sind gegangen und geflohen, die unmittelbaren Verfolgungsdruck verspürt hatten und so ähnlich war es natürlich auch in der SBZ.
Erzählerin
Zumal die Bodenreform unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ in weiten Teilen der Bevölkerung äußerst populär ist. Schon weil ein Teil des enteigneten Agrarlandes in den Besitz von über 500.000 Landarbeitern, Kleinbauern und Flüchtlingen übergeht. Es gibt also in Zeiten des Wiederaufbaus nicht nur Verlierer, sondern viele Gewinner.
TC 07:39 – Anita Möller: Eindrücke einer Zeitzeugin
Musik
Erzähler
Außerdem sorgt die sowjetische Besatzungsmacht als erste Siegermacht dafür, dass es auch wieder ein kulturelles Leben gibt. Zwei Monate nach Kriegsende existieren im Ostsektor Berlins wieder Theater, Symphonieorchester, Opernensembles und Kabaretts.
6.O-Ton: ( Mählert ab 17:51)
Es gab einen anfänglich unglaublich hoffnungsvollen kulturellen Aufbruch. Viele Migrantinnen und Migranten, die praktisch vom Nationalsozialismus in alle Welt geflohen sind, sind in die SBZ zurückgeholt worden, sind dorthin gegangen, hatten dort auch ein kulturelles Leben entfaltet, was auch beispiellos war.
Musik
Erzählerin
Ein kleiner Lichtblick an Normalität für die Nachkriegsgesellschaft, die mit sowjetischen Besatzungssoldaten konfrontiert sind, die berüchtigt dafür sind, brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Anita Möller blickt zurück:
7.O-Ton: ( Möller ab 8:22)
Ich erinnere mich nur, dass wir Angst hatten vor denen. Es hieß, die brechen ein und stehlen und vergewaltigen. Das waren halt die Dinge, die man so gehört hat im Umfeld. Also man hatte einfach Angst vor denen. Später wurde das dann anders. Als ich dann 14, 15, 16 Jahre alt war, haben wir dann Russen kennengelernt, die – wie sag ich das jetzt - sehr nett waren.
Erzähler
Anita Möller ist bei Kriegsende fünf Jahre alt. Sie hatte erlebt, dass eine Brandbombe ihr Elternhaus in Dresden zerstörte. Die Familie flüchtete nach Österreich. 1947 fällt der Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren - nach langer Diskussion zwischen den Eltern: Es geht zurück in die SBZ und nicht nach Köln, in die Heimatstadt der Mutter.
Atmo
Erzählerin
Einer der Gründe für die Entscheidung ist ein Anruf aus Dresden:
8.O-Ton: ( Möller ab 2:28)
Das war ein enger Freund meiner Eltern. Seine Frau (…) war meine Patentante. Und die beiden waren so, wie ich das nenne, Uralt-Kommunisten. Die hatten Parteibücher, ich glaube unter 300 waren die Nummern. Und die sagten: Hier wird es jetzt wunderbar. Der sozialistische Staat wird kommen, und hier gehört dann alles allen. Kommt doch her. Hier lässt sich viel besser leben als in Westdeutschland.
Erzähler
Anitas Eltern gehören zu den vielen, die sich nach der NS-Diktatur wünschen, in einem sozialistischen Staat zu leben. Es herrscht eine Aufbruchsstimmung, von der sich nicht nur in der SBZ Menschen mitreißen lassen. Der Historiker Ulrich Mählert:
9.O-Ton ( Mählert ab 18:16)
Es gab insgesamt eine Linkswende in ganz Europa. Sie müssen sich in Erinnerung rufen: 1945 wird Winston Churchill abgewählt und Clement Attlee folgt als Labour Premierminister. (…) „Nach Hitler kommen wir“ war der Slogan der Kommunisten und viele Menschen waren davon überzeugt, dass jetzt praktisch eine sozialistische, kommunistische, sozialdemokratische Zukunft anbricht.
TC 10:45 – Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
Musik
Erzählerin
Doch gab es jemals die Chance, dass aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges ein sozialistischer Staat hervorgeht, so wie ihn sich Anita Möllers Eltern und viele andere herbeisehnen und keine neue Diktatur? Schon 1946 ist der erste Schritt bereits getan, der den Weg der SBZ in die spätere DDR-Diktatur ebnet. Durch die Vereinigung von SPD und KPD zur sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der SED.
Musik
Erzähler
Die Idee, die Spaltung der Arbeiterklasse zu überwinden und sich zu einer gemeinsamen gleichberechtigten Einheitspartei zusammen zu schließen, kommt ursprünglich von der SPD. Die KPD weigert sich zunächst, ändert aber auf Druck der sowjetischen Besatzungsmacht ab dem Herbst 1945 ihren Kurs.
Erzählerin
Nach dem schlechten Ergebnis der Partei bei den Wahlen in Österreich und Ungarn soll sich die KPD nun mit der SPD zusammenschließen, dabei aber die Führungsrolle übernehmen. So ist es der Wunsch der sowjetischen Besatzungsmacht. Otto Grotewohl, Vorsitzender des Zentralausschusses der Ost-SPD lässt sich wie viele andere Sozialdemokraten darauf ein.
10.O-Ton ( Mählert ab 6:25)
Zum einen gab es sicherlich auch viele Sozialdemokraten, die davon überzeugt waren, dass die sozialdemokratischen Funktionäre auf allen Ebenen, die ja einen ungeheuren Rückhalt innerhalb der Arbeiterschaft und der Otto-Normalverbraucher-Bevölkerung hatten, die Kommunisten letztlich an die Wand spielen würden. Dann gab es persönlichen Druck. Es gab Überredungen, Schmeicheleien Versprechungen. (…) In dieser Gemengelage (…) ist man dann den Weg gegangen.
Erzähler
Am 21. April 1946 besiegeln KPD-Chef Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Nicht nur Pieck und Grotewohl teilen sich den Parteivorsitz, sondern auch alle anderen wichtigen Ämter werden innerhalb der SED zunächst paritätisch besetzt. Eine Regelung, die bis 1948 gilt.
Musik
Erzählerin
Bei den folgenden Landtagswahlen im Herbst 1946 rächt sich, dass die SED in der Bevölkerung als „Russenpartei“ verschrien ist, deren Funktionäre die Demontage der Industrieanlagen durch die Sowjetunion als gerechte Entschädigung der Besatzer darstellen. Die Wähler und Wählerinnen entscheiden, dass die SED in keinem der fünf Länder die absolute Mehrheit erreicht.
Erzähler
Dessen ungeachtet setzt die Partei wesentliche Pflöcke in Richtung künftiger Kontrollstaat. Im Dezember 1946 wird mit der „Deutschen Verwaltung des Inneren“ ein zentrales Innenministerium für die SBZ aufgebaut. Auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht entsteht darin der Grundstein für den künftigen Überwachungsapparat: die politische Polizei, die sich im Laufe der Zeit zum Führungsorgan der fünf Länder der SBZ entwickelt. Eine besondere Aufgabe kommt darin der Abteilung Kriminalpolizei 5, auch Kommissariat 5 genannt, zu. Einem Vorläufer des Ministeriums für Staatssicherheit.
TC 13:52 – Alltag Nachkriegszeit
Musik
Erzählerin
Währenddessen versucht die Gesellschaft in der zerstörten SBZ - wie Millionen von anderen Menschen in der Nachkriegszeit, ihr Leben neu zu organisieren.
11.O-Ton (Möller 3:37)
Wir sind ganz am Anfang in das Mietshaus, in dem meine Tante wohnte. Oben unterm Dach gab es ein Zimmer, und da (…) wohnten wir dann zu sechst. Das war sehr eng und dunkel und schäbig, das weiß ich noch, aber (…) man hat es hingenommen. Es ging ja allen schlecht. Keiner hatte irgendetwas. Deshalb war das auch nichts Besonderes.
Erzähler
Auch wenn Anita Möllers Vater als Bauingenieur schnell wieder Arbeit findet, ist der Alltag der Familie davon bestimmt, sich etwas zu essen zu beschaffen.
12.O-Ton (Möller ab 12:10)
Meine Mutter ist damals - (…) Die ist immer über die sogenannte grüne Grenze gegangen nach Westdeutschland hamstern. Die gingen da rüber mit einem Rucksack durch den Wald in der Nacht auf die andere Seite und (…) hat Essen geholt und dann zurück nach Hause gebracht.
Musik
Erzählerin
In aller Not lässt es die SED-Führung am Freizeitprogramm für Kinder- und Jugendliche nicht mangeln. Gleich nach Kriegsende gründet Erich Honecker den Jugendausschuss für die Ostzone, aus dem ein Jahr später die Jugendorganisation FDJ entsteht.
Erzähler
Darüber hinaus wird im Dezember 1948 die sozialistische Kinderorganisation gegründet: der Verband der jungen Pioniere. In dem die sechs- bis 13-jährigen lernen sollen, sich nicht selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Kollektiv. Die Vorsitzende der Jungen Pioniere ist Margot Feist, spätere Honecker.
Erzählerin
Auch Anita Möller geht mit acht Jahren zu den Jungen Pionieren.
13.O-Ton (Möller ab ca. 5:20)
Das fand ich damals ganz toll mit diesen gleichaltrigen Kindern in verschiedenen Gruppen zu spielen, zu arbeiten und dieser Zusammenhalt. (…) Später als ich 13, 14 Jahre alt war und die Zukunft so aussah, dass die Nachfolgeorganisation dann die FDJ Freie Deutsche Jugend sein wird. Da bin ich dann nicht mehr eingetreten.
TC 16:05 – Ein „antifaschistisch-demokratischer Neuanfang“?
Musik
Erzähler
Während Anita noch begeistert zu den Treffen der Jungen Pionieren geht, hat sich das Verhältnis der drei Westmächte zur UdSSR merklich abgekühlt. Ost und West sind längst auf dem Weg in den Kalten Krieg.
Erzählerin
Bereits im März 1947 gibt US-Präsident Harry Truman mit der „Truman-Doktrin“ als neues Ziel der amerikanischen Außenpolitik vor, freie Völker in ihrem Kampf gegen Totalitarismus künftig zu unterstützen.
Erzähler
Im Sommer 1947 legt die USA den Marshall-Plan vor. Das Milliarden-Dollar-schwere Wiederaufbauprogramm soll auch in der SBZ gelten. Doch Stalin geht diesen Weg nicht mit. Genau so wenig wie die Währungsreform, die in den westlichen Besatzungszonen am 20. Juni 1948 in Kraft tritt.
Erzählerin
Statt der D-Mark wird wenige Tage später in der SBZ die Ostmark eingeführt. Und ab Ende Juni die Planwirtschaft. Ulrich Mählert:
14.O-Ton: (Mählert 24:09)
Das war eine Planwirtschaft, die einerseits darauf ausgerichtet war, Güter für die Sowjetunion zu produzieren und andererseits war das auch ganz stark darauf ausgerichtet, die Schwerindustrie aufzubauen, die man in Ostdeutschland nicht hatte. (…) Und insofern war praktisch das ein nachholendes Industrialisierungsprogramm mit dem Versprechen nach dem Motto „So wie ihr heute arbeitet, werdet ihr morgen leben“. Und gleichzeitig blieben Lebensmittel rationiert und die Menschen haben ja nichts von den versprochenen Wohltaten des Sozialismus erkennen können.
Erzähler
Anders als die Parole vom „antifaschistisch-demokratischen Neuanfang“ glauben machen sollte, verwandelt sich die SED ab dem Frühsommer 1948 zur marxistisch-leninistischen Kaderpartei:
15. O-Ton Mählert ( ab 9:50)
Das war wirklich so eine Phase, in der überall politische Opposition ausgeschaltet worden sind. Innerhalb der SED wurden die Sozialdemokraten aus ihren Funktionen gedrängt. Man hat die christdemokratische Partei, die liberaldemokratische Partei da rigoros gleichgeschaltet. Massenorganisationen wie die Freie Deutsche Jugend, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, die bis zu dem Zeitpunkt noch Fragmente von Pluralität in ihren Führungsgremien hatten, wurden Schritt für Schritt in den Statuten, in ihrer Organisationsform auf Linie gebracht. Die Planwirtschaft, der Wirtschaftsplan wurde neu aufgelegt und das ist dann praktisch eine Verschärfung des politischen und ökonomischen Transformationsprozesses.
Musik
Erzählerin
Als Reaktion darauf, dass die Westalliierten am 20.Juni 1948 auch in ihren drei Sektoren Berlins die D-Mark einführen, lässt Stalin alle Land- und Wasserwege in die alte Reichshauptstadt blockieren.
Erzähler
Damit sind mehr als zwei Millionen Menschen in den Westsektoren Berlins fast ein Jahr lang eingeschlossen. Um sie zu versorgen, beginnt unter Führung von US-Generalgouverneur Lucius D. Clay am 24.Juni 1948 die Berliner Luftbrücke.
Atmo
Sprecher
Mehr als 500 amerikanische und britische Transportmaschinen bringen bis zum 12. Mai 1949 Lebensmittel und Kohle nach Berlin. Sie fliegen über einen breiten Luftkorridor und landen schließlich im Zweiminuten-Takt an den Flughäfen Tempelhof, Gatow und Tegel. Es sind am Ende 1,8 Millionen Tonnen Nahrung, Kohle und Industriegüter, dank denen die Westberliner die Blockade überleben.
Erzählerin
Stalins Kalkül, wenn schon nicht ganz Deutschland, so wenigstens Berlin unter seine Kontrolle zu bringen, geht nicht auf. Stattdessen tritt am 23. Mai das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Nur 12 Tage nach der Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler erteilt Josef Stalin schriftlich seine Zustimmung, einen zweiten deutschen Staat zu gründen: die Deutsche Demokratische Republik.
Erzähler
Anita Möller ist damals neun Jahre alt:
16.O-Ton (Möller ab ca. 17:00)
Ich habe das ja alles erst sehr viel später - Ende der Fünfzigerjahre da bin ich dann auch ab und zu nach West-Berlin gefahren - gemerkt (…) dass es hier alles gab und wir so wenig hatten, aber irgendwie hat man das hingenommen. Das hat sich alles erst geändert mit dem Bau der Mauer. Da war schlagartig klar: Ich muss weg.
Erzählerin:
Anita Möller gehört zu den wenigen, die nach dem Bau der Mauer mit ihrer Familie durch einen Tunnel in den Westen fliehen kann.
TC 20:30 – Outro