

Absturz von Luftschiff LZ 7 - Zeppelin-Katastrophe ohne Panik
Luxuriöse Reise an Bord der LZ7
- Die Fahrt der LZ7 am 28. Juni 1910 war ein gesellschaftliches Großereignis mit exquisitem Komfort wie Mahagoni, Kaviar und Champagner an Bord.
- 19 Journalisten, auch aus England, erlebten die luxuriöse Passagierfahrt in 300 Metern Höhe hautnah mit.
Dramatische Havarie der LZ7
- Während der Pressefahrt der LZ7 fiel der hintere und später der vordere Motor aus, das Luftschiff geriet in einen Sturm und strandete schließlich in den Bäumen des Teutoburger Waldes.
- Trotz der Havarie gab es nur einen Leichtverletzten, und die Passagiere berichteten von großer Angst, die später kaum zugegeben wurde.
Luftfahrt als nationales Prestige
- Die Luftfahrt im frühen 20. Jahrhundert war stark mit nationalem Prestige und technologischem Wettbewerb verbunden.
- Zeppelin-Luftschiffe wurden als Symbol nationaler Identität und Macht betrachtet, vor allem im Konkurrenzkampf mit Frankreich und Großbritannien.
Die Fahrt des Zeppelin Luftschiffes LZ 7 am 28. Juni 1910 geriet zu einer Beinahe-Katastrophe. Der Begeisterung in Bevölkerung und Presse schadete diese Havarie jedoch nicht. Denn es ging in dieser frühen Phase der Luftfahrtgeschichte um mehr als eine neue Form des Reisens. Es ging um das Renommee der ganzen Nation. Autor: Thomas Grasberger (BR 2025)
Credits
Autor dieser Folge: Thomas Grasberger
Regie:
Es sprachen:
Technik:
Redaktion:
Im Interview:
- Jürgen Bleibler, Leiter der Zeppelin-Abteilung am Zeppelin Museum in Friedrichshafen
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Hubschrauber und Multikopter - Die Geschichte der Drehflügler
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Geschichte:
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Erzähler
Ein großes Ereignis soll es werden – eines von nationaler Bedeutung. Deshalb warten am Morgen des 28. Juni 1910 viele Menschen im Norden von Düsseldorf darauf, dass die riesige „Zigarre“ in den Himmel aufsteigt und über den Sandbänken des Rheins majestätisch ihre Bahnen zieht.
Erzählerin
Ein großes Erlebnis soll es auch für die Wenigen werden, die oben mit dabei sein dürfen. Luftschiff-Kapitän Kannenberg bittet die 19 ausgewählten Journalisten, darunter zwei Reporter aus England, auf den eleganten Korbstühlen in der Passagierkabine Platz zu nehmen. Das Interieur ist vom Feinsten: Überall Mahagoni-Holz, Perlmutt-Intarsien, Teppiche.
Erzähler
Fürs Kulinarische sorgt ein Kellner, der Gänseleber-Pastete, Hummer, Kaviar und Pralinés bereithält – dazu reichlich Champagner, Wein und Cognac. Alles wie im Luxus-Restaurant. Nur, dass man hier in 300 Metern Höhe diniert und dabei die Welt durch große Schiebefenster von oben betrachten kann.
Musik
Erzählerin
550.000 Mark hat der Bau des Riesen verschlungen – in heutiger Kaufkraft etwa fünf Millionen Euro. Als Starrluftschiff verfügt LZ 7 über ein festes Gerüst aus Trägern und Streben sowie über mehrere Gaszellen mit Wasserstoff. Es ist das siebte in der Flotte der Luftschiffbau Zeppelin GmbH in Friedrichshafen am Bodensee.
Erzähler
Die Jungfernfahrt von LZ 7 war erst wenige Tage her. Der 72-jährige Ferdinand Graf von Zeppelin höchstpersönlich hatte sein Luftschiff an den Rhein gesteuert, wo er mit großem „Oh“ und „Hallo“ von der Menge begrüßt wurde. Zwei Tage später fand eine erste Rundreise statt. 20 Passagiere, unter ihnen fünf Frauen, genossen die zweistündige Ausflugsfahrt in 200 bis 300 Metern Höhe. Es waren sehr reiche Leute aus Bürgertum, Adel und Militär, die sich damals so ein Abenteuer leisteten, sagt Jürgen Bleibler, Leiter der Zeppelin-Abteilung am Zeppelin Museum in Friedrichshafen.
ZSP 1 Bleibler Passagiere
Natürlich ist es was Elitäres, es ist was Teures, aber es ist aus der Perspektive der DELAG eben auch die Möglichkeit, diese Euphorie von denen, die das Luftschiff von unten sehen, zu denen zu bringen, die es benutzen können.
Erzähler
Die DELAG – das ist die Deutsche Luftschifffahrts-Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main. Diese erste Fluggesellschaft der Welt war ein halbes Jahr zuvor, im November 1909, mit staatlicher Unterstützung gegründet worden. Als kommerzielles Tochterunternehmen der Zeppelin GmbH soll die DELAG die Passagierfahrten mit den Verkehrsluftschiffen organisieren.
Erzählerin
Zum Beispiel eine Fahrt mit LZ 7. Die zweite findet am 28. Juni statt. Es ist ein ganz besonderer Termin, ((für den hohe Repräsentanten des Unternehmens anreisen. Graf Zeppelins enger Berater Hugo Eckener wird mit an Bord gehen. Auch Alfred Colsman, der Direktor des Zeppelin-Konzerns.)) Denn an diesem Dienstag geht es immerhin darum, eine neue Ära der Luftfahrt einzuläuten – die der Passagierluftfahrt.
Erzähler
Dafür braucht man eine breite Öffentlichkeit, die die Unternehmung möglichst euphorisch begleitet. Eine gezielt angelegte Imagekampagne also. Eine Pressefahrt – mit der LZ 7.
Erzählerin
Alles ist genauestens geplant. Man will pünktlich abheben, um sich vor den Zeitungsleuten nicht zu blamieren. Aufs Wetter warten? Kam nicht in Frage, sagt Jürgen Bleibler. Von unsicheren Vorhersagen wollten sich die Lobbyisten der Lüfte ihr Projekt nicht verhageln lassen.
ZSP 2 Bleibler Deutschland
Und so startet man jetzt eben zu dieser Fahrt und kommt in eine schwierige Wettersituation.
Erzählerin
Dabei hat alles so gemütlich angefangen: Luftschiff LZ 7 hebt ab und nimmt Kurs auf Solingen. Um 8 Uhr 35 Uhr wird an Bord ein Sektfrühstück mit Kaviar gereicht. Aber schon zehn Minuten später setzt der hintere Backbord-Motor aus. Um 9 Uhr 45 – das 148 Meter lange Luftschiff steht gerade über Remscheid – weht der Wind immer kräftiger.
Erzähler
LZ 7 wird zum Spielball der Natur, die heitere Rundfahrt gerät zur stundenlangen Odyssee. Über Dortmund treibt das Luftschiff nach Nordosten in Richtung Münster und Osnabrück. Kurz nach 17 Uhr setzt auch der vordere Motor aus. Am Limberg nahe Bad Iburg geht die „Deutschland“ zu Boden...
Fortsetzung ZSP 2 Bleibler Deutschland
... und strandet witzigerweise auch noch auf den Nadelbäumen des Teutoburger Walds. Und die Presse wird dann sofort hämisch und sagt: Deutschland liegt im Teutoburger Wald. Denn dieser LZ 7 war das erste Zeppelin Luftschiff, das tatsächlich einen Taufnamen hatte, und dass es den Namen Deutschland bekam, spricht ja auch schon wieder Bände, also welche Mechanismen da eine Rolle spielen.
Zitator
„luftschiff teutoburger wald baeume geraten. mir nichts passiert gruesse – franz“
Erzähler
Schreibt einer der Passagiere kurz nach der Havarie in einem Telegramm nach Hause. Das Desaster ist glimpflich ausgegangen, es gibt nur einen Leichtverletzten. Aber das Presseecho ist enorm: „Deutschland“ am Boden! Es ist eine Meldung von nationaler Tragweite. Und auch im Ausland berichten die Zeitungen darüber.
Erzählerin
Denn Technikbegeisterung und Fortschrittseuphorie beherrschen damals eine Welt, die sich rasant verändert. Zwischen 1870 und 1914 gibt es so viele bahnbrechende Erfindungen, dass von einer zweiten industriellen Revolution die Rede ist. Telefon, Radio und Automobil – Kunststoff, Kühlschrank und Klimaanlagen – Röntgenstrahlen, Fließbänder und Lochkartenmaschinen. Nahezu alle Lebensbereiche werden von Innovationen überschwemmt.
Erzähler
Diese Neuerungen sind kein Selbstzweck. Denn es geht um Profit und Wachstum, um industrielle Potenz, Wettbewerbsvorteile und Macht. Und um Renommee fürs Vaterland, sagt der Luftschiff-Experte Jürgen Bleibler.
ZSP 3 Bleibler Technikbegeisterung
Es hat was mit nationaler Identität zu tun, also es geht um Prestige, um Konkurrenz natürlich auch, gerade mit Frankreich und Großbritannien, im Fall des deutschen Kaiserreichs. Es geht um Wettrüsten, um den viel zitierten Platz an der Sonne, also auch eine Großmacht werden, eine Kolonialmacht werden. Und ich würde schon sagen, dass diese Luftfahrt als eine neue Technologie sich davon noch mal speziell abhebt durch etwas, was man als starke Emotionalisierung bezeichnen muss.
Erzählerin
Das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ist eine Zeit großer Begeisterung für die Luftschifffahrt. Im deutschen Kaiserreich ist sie auf das Engste verbunden mit dem Namen eines Adligen und den nach ihm benannten Maschinen.
ZSP 4 Bleibler Staatssymbol
Es gibt diese spezielle Person dieses Grafen Zeppelin, der eine ganz bestimmte Rolle im deutschen Kaiserreich spielt. Der sich auch als Beherrscher der Lüfte inszeniert, auch sehr clever mit verschiedenen Dingen agiert, auch mit Emotionen. Und so ist dieses Zeppelin-Luftschiff eben etwas, was zwischen 1908, das ist ein erster Höhepunkt, und dem Beginn des Ersten Weltkriegs ein deutsches Staatssymbol wird.
Erzähler
Ferdinand Graf von Zeppelin – geboren 1838 in Konstanz am Bodensee als Sohn eines adligen Hofbeamten und dessen Frau, die aus einer hugenottischen Bankiersfamilie stammt. Der junge Graf studiert Maschinenbau, Chemie und Staatswissenschaften in Stuttgart und Tübingen. Standesgemäß schlägt er die militärische Laufbahn in der württembergischen Armee ein. Für einige Zeit beurlaubt, kämpft er 1863 im amerikanischen Bürgerkrieg gegen die Südstaatenarmeen. Dort, in den USA, erlebt er als 25-Jähriger seine erste Ballonfahrt.
Erzählerin
Was im 19. Jahrhundert nichts Überraschendes ist. Überall steigen Ballone in den Himmel, sei es aus wissenschaftlichen Gründen, sportlichen oder militärischen – zur Beobachtung feindlicher Truppen. Zurück auf den Schlachtfeldern Europas studiert Zeppelin im deutsch-französischen Krieg die Balloneinsätze der Franzosen. Die Luftfahrt lässt ihn nicht mehr los. Inspiriert von einem Vortrag des damaligen Reichspostministers Heinrich von Stephan über „Weltpost und Luftschifffahrt“, notiert Zeppelin am 25. April 1874 in seinem Tagebuch erstmals die Idee, ein starres Luftschiff zu bauen. Es dauert dann allerdings zwei Jahrzehnte, bis er sich näher damit beschäftigen kann.
Erzähler
Weil Zeppelin als Anhänger des Reichskanzlers Otto von Bismarck gilt, ist nach dessen erzwungenem Rücktritt auch seine Karriere beim Militär bald zu Ende. Tief gekränkt geht er mit 52 Jahren in den Ruhestand und hat Anfang der 1890er Jahre plötzlich viel Zeit. Der Graf holt seine Luftschiff-Pläne aus der Schublade und fängt an zu basteln.
Erzählerin
Was bei vielen Zeitgenossen nur Kopfschütteln auslöst. Kaiser Wilhelm II. und seine Sachverständigen halten das Zeppelin-Projekt für „undurchführbar“. Aber der Graf lässt nicht locker, erwirbt das Deutsche Reichspatent auf einen „lenkbaren Luftzug“ und gründet 1898 die Gesellschaft zur Förderung der Luftschifffahrt AG. Die Hälfte des Kapitals von 800.000 Mark stammen aus seinem Privatvermögen.
Erzähler
In Jahren harter Arbeit bauen Zeppelin und seine Mitstreiter, die schwäbischen Ingenieure Theodor Kober und Ludwig Dürr, einen Prototyp. „Leichter als Luft“ lautet das Prinzip. Das Traggas für die Füllung des Luftfahrzeugs ist damals Wasserstoff. Es hat eine geringere Dichte als die umgebende Luft. Dadurch entsteht Auftrieb.
Erzählerin
Ganz neu ist das Prinzip nicht. Der griechische Gelehrte Archimedes hatte es schon mehr als 2000 Jahre zuvor beschrieben. Und dass es auch in der Luft funktionierte, bewiesen die Gasballone am Himmel. Nur waren die nicht lenkbar. Aber genau das wollte Zeppelin – eine kontrollierte, lenkbare Luftfahrt. Dass auch sie möglich ist, stellt er am 2. Juli 1900 in der Bodenseebucht von Manzell bei Friedrichshafen unter Beweis. An jenem Sommerabend um 20.03 Uhr erhebt sich die LZ1 unter dem Jubel von 12.000 Zuschauern zum Jungfernflug des ersten Starrluftschiffes in der Geschichte.
Erzähler
Lang dauert sie nicht, die erste Zeppelin-Fahrt. Nach 18 Minuten bricht eine Kurbel und das Luftschiff muss notwassern. Aber ein Anfang war gemacht. Das Jahrhundert der Luft- und Raumfahrt, wie es später oft genannt wird, ist an jenem Sommerabend über dem Bodensee eingeläutet worden. Von Anfang an hat Graf Zeppelin dabei auf das Publikum gesetzt, sagt Jürgen Bleibler, denn verbergen ließ sich die spektakuläre Fahrt mit einem 128 Meter langen Luftschiff ja ohnehin nicht.
ZSP 5 Bleibler Presse
Also geht er in die Offensive und sucht die Öffentlichkeit, und sucht die Presse und arbeitet mit der Presse und versucht sich der Presse zu bedienen, ganz klar. Und das ist was, was die gesamte Geschichte der Luftfahrt eben prägt, was die Presse als Sponsor, als Kommunikator, als Fürsprecher, als Erwartungs-Wecker und Erwartungs-Anschieber für eine immens gigantische Rolle spielt.
Erzähler
Und trotzdem finden sich zunächst keine Investoren für das technisch noch unausgereifte Fahrzeug. Die Aktiengesellschaft wird liquidiert. Dennoch baut Zeppelin drei weitere Luftschiffe, die er vor allem mit eigenem Geld finanziert. 1908 endlich signalisieren die Reichsbehörden Interesse: Eine Förderung für militärische Zwecke komme in Frage. Unter der Bedingung, dass das Luftschiff eine 24-stündige Dauerfahrt besteht.
Erzählerin
Was damals ein abenteuerliches Unterfangen ist. Und prompt findet der Stresstest im August 1908 ein jähes Ende. LZ 4 soll am Rhein entlang bis Mainz fahren, muss aber bei Oppenheim schon runter – wegen Motorproblemen. Was sich in Windeseile herumspricht, weil die Zeitungen Extrablätter herausbringen. Überall laufen Schaulustige zusammen.
ZSP 6 Bleibler Nationaleuphorie
Man repariert das Schiff und fährt dann halt weiter. Die 24-Stunden-Fahrt war dadurch gescheitert, weil man runter musste. Und jetzt beginnt im Angesicht des Luftschiffes eine Menschengruppe – und alle stimmen ein – das Deutschlandlied abzusingen. Das heißt, dieses Objekt und die Figur des Grafen wird sozusagen eins mit der Nation.
Erzählerin
Bei der Rückfahrt am 5. August muss LZ 4 in Echterdingen bei Stuttgart erneut notlanden. Ein Sturm reißt das Luftschiff aus seiner Verankerung – es geht in Flammen auf. Der Herr Graf ist am Boden zerstört, die Bevölkerung aber zeigt sich begeistert. Bei der folgenden „Zeppelinspende des deutschen Volkes“ kommen mehr als sechs Millionen Mark zusammen, die in eine Stiftung fließen und die Gründung der Luftschiffbau Zeppelin GmbH ermöglichen. Wie Phönix aus der Asche steigt der Zeppelin immer wieder auf – aus den Trümmern seiner havarierten Vorgänger.
ZSP 7 Bleibler Glaubensfrage
Das führt zu einer paradoxen Verstärkung, die uns heute etwas bizarr vorkommt. Dass nämlich eigentlich jedes Scheitern das Ding nur noch stärker macht, weil jedes Zweifeln am System ist Zweifel an der Nation und quasi Majestätsbeleidigung. Und das geht, was diese Zeppelin Luftschiffe angeht, wirklich durch ganz breite Bevölkerungsschichten in diesem ja innenpolitisch auch sehr zerrissenen Kaiserreich. Also auch die SPD fand die Zeppeline gut. Und die SPD sagte, die Zeppeline werden die Weltverbrüderung herbeiführen.
Erzähler
Viele wollen Teil dieser großartigen Zukunft sein, in der alle um die Welt gondeln, in den Zigarren der Lüfte. Selbst wenn damals noch eine nach der anderen buchstäblich in Rauch aufgeht.
Erzählerin
Auch die 1910 gescheiterte Pressefahrt der LZ 7 führt nicht etwa zu Katzenjammer und Unkenrufen. Im Gegenteil. Am Morgen nach der Havarie trifft Graf Zeppelin mit dem Schnellzug in Osnabrück ein. Vor seinem Hotel versammelt sich eine jubelnde Menschenmenge. Zeppelin zeigt sich dankend am Fenster. Und fährt fort mit der Entwicklung seiner Luftschiffe. Während die Presse weiterhin das Majestätische und Erhabene der Luftfahrt besingt.
ZSP 8 Bleibler dritte Dimension
((Ich glaube, dass der jahrtausendealte Traum vom Fliegen ein Konstrukt ist, um der Luftfahrt auch diese Besonderheit zu geben im Nachhinein. Aber ich glaube, dass natürlich schon die Eroberung der dritten Dimension, die nationale Dominanz in dieser dritten Dimension)) – also es war ja im deutschen Kaiserreich ein geflügeltes Wort: Den Briten gehört das Meer, aber uns wird der Himmel gehören. Und ich kann als Passagier da teilhaben. Und letztendlich habe ich auch Teil als derjenige, der sich diesen Flug nie leisten können wird, aber ich bin Teil einer großen, ganzen, nationalen Errungenschaft und ich sehe es.
Erzählerin
Dass die Havarie im Teutoburger Wald nicht kritischer diskutiert wurde, meint Jürgen Bleibler, hatte vermutlich auch damit zu tun, dass die 19 Journalisten an Bord im Nachhinein nicht zugeben wollten, dass sie während der Fahrt eine Heidenangst hatten.
ZSP 9 Bleibler Journalisten 0,21
Es gibt in den Lebenserinnerungen von Alfred Colsman, der ja dabei war, eine Schilderung, dass ab einem bestimmten Punkt, als dann wirklich fiese gelbe Regenvorhänge und Gewittervorhänge da aufgetaucht sind, als das Schiff dann sehr schnell von 300 auf 1500 Meter hochgedrückt worden ist – da gibt es bei Colsman schon so einen Satz, dass dann vielleicht so ein bisschen was in die Hose gerutscht sei.
Erzähler
Was nicht verwundert, denn auch die Statistik spricht eine deutliche Sprache. Von zehn Luftschiffen, die bis Juni 1912 gebaut werden, gehen sieben durch unfallbedingte Zerstörung verloren. Dass es bei den Havarien zwar einige Verletzte, aber keine Toten gab, war reines Glück.
Erzählerin
Was sich in den Folgejahren ändert. Zwar bleiben die sieben Passagier-Luftschiffe im Dienst der DELAG bis 1914 unfallfrei. Insgesamt 34.000 Menschen bei 1600 zivilen Rundfahrten können unversehrt wieder von Bord gehen. Aber solche Vergnügungsfahrten finden auch meist bei schönem Wetter statt.
Erzähler
Anders beim Militär, wo bis zum Ersten Weltkrieg vier Zeppeline verunglücken. Im Herbst 1913 wird unweit von Helgoland das Marine-Luftschiff L 1 von Orkanböen erfasst und wild herumgewirbelt. Völlig außer Kontrolle geraten, stürzt der Zeppelin mit großer Wucht in die tosende Nordsee. Von der 20-köpfigen Besatzung können nur sechs Mann gerettet werden.
Erzählerin
Fünf Wochen später explodiert das Marineluftschiff L2 in etwa 200 Meter Höhe über Johannisthal bei Berlin. Wasserstoff, damals als Traggas verwendet, hat sich mit Sauerstoff zu Knallgas verbunden und ist explodiert. Bei dieser schwersten Luftfahrtkatastrophe vor dem Ersten Weltkrieg überlebt von der 28-köpfigen Besatzung niemand.
Erzähler
Das Traggas bleibt lange Zeit die Schwachstelle der Zeppelin-Luftfahrt. Erst 1923 startet ein US-amerikanisches Luftschiff, das von unbrennbarem Helium getragen wird. Deutsche Zeppeline hingegen müssen weiterhin den leicht entzündlichen Wasserstoff verwenden, weil die USA ein Helium-Exportverbot verhängt haben. Auch die „Hindenburg“, die im Mai 1937 verunglückt, ist mit Wasserstoff gefüllt, der sich während des Landeanflugs entzündet.
Musikakzent
Erzählerin
Von einer linearen Erfolgsgeschichte der Luftschifffahrt kann also zu keinem Zeitpunkt die Rede sein, sagt Jürgen Bleibler. Aber die zwei Katastrophen vom Herbst 1913 haben die Zeppelin-Euphorie in Deutschland ganz erheblich gedämpft.
ZSP 10 Bleibler
Der Absturz bei Helgoland im Manöver war sozusagen auf offener See, da konnte man drüber spekulieren, ob der Kapitän irgendwie zu risikofreudig oder der Druck zu groß war. Aber L 2 war halt, wenn sie so wollen, ein Systemversagen über besiedelter Stadt. Das konnte man nicht verheimlichen. Und jetzt musste man damit umgehen, und das wurde schwierig.
Erzähler
Kritische Stimmen kamen vor allem von der Marine, die den Einsatz teurer Zeppeline über der Nordsee skeptisch betrachtete. Andererseits war da aber der Druck der öffentlichen Meinung, die auf die Einführung des Luftschiffes als Waffensystem drängte.
ZSP 11 Bleibler Weltkrieg
Es gibt da wenig Quellen, aber ich glaube, dass dieses Zeppelin-Luftschiff sich letztendlich in den Ersten Weltkrieg retten konnte, um dann dort in diesen vier Jahren diese wahnsinnige Entwicklung zum interkontinentalen Verkehrsmittel mitmachen zu können. Wer hätte das sonst finanzieren sollen?
Erzählerin
Im Ersten Weltkrieg werden Luftschiffe in großer Zahl für militärische Zwecke eingesetzt. Im Januar 1915 auch erstmals für einen Bombenabwurf über London. Bei 50 weiteren Luftangriffen gegen England werden 58 Soldaten und 500 Zivilisten getötet. Letztlich aber bleiben die deutschen Luftschiffe weit hinter den Erwartungen der Militärs zurück.
ZSP 12 Bleibler Waffe
Der strategische Luftkrieg, vor allem gegen die britischen Inseln – diese Funktion ist aufgrund der Wasserstofffüllung und hoher Verluste und verbesserter Abwehrmethoden ab 1916/17 gestorben. Also, man hat es aus militärischer Sturheit bei der Marine bis 1918 weitergeführt, aber die Verluste wurden letztendlich untragbar.
Erzählerin
Als Waffe hat das Luftschiff nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend ausgedient. Aber der medial befeuerte Traum von der globalen Vernetzung beginnt jetzt erst, Wirklichkeit zu werden. Graf Zeppelin erlebt es nicht mehr, er stirbt 1917 im Alter von 78 Jahren.
Erzähler
Sieben Jahre danach, im Oktober 1924, überquert erstmals ein Luftschiff den Atlantik. Und weitere vier Jahre später, im Herbst 1928, fahren die ersten Passagiere über den Ozean. Ihr Luftschiff trägt den Namen „Graf Zeppelin“.
Erzählerin
Seit 1919 sind auch Flugzeuge in der Lage, ohne Zwischenlandung übers große Wasser zu fliegen. Der Zeppelin aber hat die Nase damals noch vorn, sagt Jürgen Bleibler.
ZSP 13 Bleibler Wettlauf
Die Luftschiffe hatten einfach die größere Zuladung, die größere Tragkraft. Und das Flugzeug lag dann in der Zwischenkriegszeit sozusagen in der Verkehrsentwicklung immer dem Luftschiff im Nacken. Aber das Luftschiff hatte bis an den Zweiten Weltkrieg durch die Hindenburg einen wahnsinnigen Reichweitenvorteil gegenüber Flugzeugen.
Erzählerin
12.000 Kilometer nonstop – LZ 129 „Hindenburg“ ist 1936/37 ein luxuriöses transatlantisches Verkehrsmittel. 14 Monate lang quert es im fahrplanmäßigen Fracht- und Passagier-Verkehr immer wieder den Ozean, von Europa an die US-amerikanische Ostküste oder ins brasilianische Rio de Janeiro. Bis zum 6. Mai 1937. An jenem Donnerstag geht die „Hindenburg“ bei der Landung in Lakehurst, New Jersey, in Flammen auf. 13 Passagiere und 22 Crewmitglieder verlieren ihr Leben.
Erzähler
Danach ist das Vertrauen in die Luftschiffe schlagartig erloschen. Ihre Produktion wird schrittweise eingestellt. Und nach dem Zweiten Weltkrieg erobert dann das Flugzeug den Himmel.
Erzählerin
Erst in den 1990er Jahren kehren die fliegenden Riesen zurück. Eine neue Generation moderner Zeppeline bietet heute wieder Rundfahrten an. In jüngster Zeit ist sogar die Rede davon, dass die fliegenden Zigarren eine klimaschonende Alternative in der Luftfahrt sein könnten. Allen Rückschlägen und Havarien zum Trotz – der Luftschiff-Traum scheint noch nicht ganz ausgeträumt zu sein.