#730 - Ökonom Steve Keen über die herrschende Ideologie, Kapitalismus & die Zukunft
Oct 10, 2024
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Steve Keen, ein australischer Wirtschaftswissenschaftler und Kritiker der neoklassischen Ökonomie, diskutiert die Fehler der herrschenden wirtschaftlichen Ideologie. Er hinterfragt das unendliche Wachstum im Kapitalismus und betont die Dringlichkeit, ökologischen Herausforderungen zu begegnen. Zudem beleuchtet er die Rolle von Geld und Energie in der Wirtschaftstheorie sowie den Einfluss reicher Individuen auf die Demokratie. Keen plädiert für ein neues wirtschaftliches Modell, das soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung vereint.
Steve Keen kritisiert die neoklassische Wirtschaftstheorie als mathematisch überlastet und nicht in der Lage, die Realität der Märkte abzubilden.
Die Notwendigkeit, bestehende wissenschaftliche Paradigmen zu hinterfragen, wird als zentral für das Verständnis neuer wirtschaftlicher Phänomene hervorgehoben.
Die falschen Annahmen der Angebot-Nachfrage-Theorie tragen zur Diskrepanz zwischen wirtschaftlichen Theorien und realen Beobachtungen bei.
Keen fordert eine Abkehr von fossilen Brennstoffen zugunsten nachhaltiger Energiequellen, um die ökologischen Grenzen des Planeten zu respektieren.
Die Rolle von Geld und Banken wird kritisch betrachtet, da traditionelle Geldtheorien die Realität der Geldschöpfung nicht adäquat erklären.
Deep dives
Kritik an der klassischen Wirtschaftstheorie
Ein zentraler Punkt der Diskussion ist die fundamentale Kritik an der neoklassischen Wirtschaftstheorie, die als paradigmatisch falsch angesehen wird. Der Sprecher argumentiert, dass die Theorie stark mathematisch belastet ist und nicht in der Lage war, die Realität der Märkte korrekt abzubilden. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass viele mathematische Ansätze innerhalb der neoklassischen Theorie gescheitert sind, jedoch weiterhin als gültig betrachtet werden. Dies führt dazu, dass diese Theorie keinen Bezug zu den realen wirtschaftlichen Bedingungen hat und somit als veraltet angesehen werden sollte.
Paradigmenwechsel in der Wissenschaft
Der Sprecher hebt hervor, dass wissenschaftliche Paradigmen nur dann hinterfragt werden, wenn ihre Erklärungsmodelle nicht mehr ausreichen, um neue Phänomene zu erklären. Dies bezieht sich auf den Philosophen Thomas Kuhn, der darstellt, wie wissenschaftliche Revolutionen stattfinden, wenn bestehende Theorien die Realität nicht mehr adäquat abbilden können. Der Sprecher vergleicht die aktuelle Situation in der Wirtschaftswissenschaft mit der astronomischen Revolution, die notwendig war, um das geozentrische Weltbild zugunsten des heliocentrischen Modells zu verwerfen. Daher fordert er eine grundlegende Überarbeitung der wirtschaftlichen Paradigmen, die heute gelehrt werden.
Fehlerhafte Annahmen über Angebot und Nachfrage
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kritik an den Grundlagen der Angebot-Nachfrage-Theorie, insbesondere an der Annahme der abnehmenden Grenzproduktivität. Verschiedene Studien zeigen, dass Unternehmen nicht in der Regel mit steigenden Grenzkosten produzieren, sondern oft mit konstanten oder sogar fallenden Kosten für zusätzliche Produktion. Diese Anomalien werden ignoriert und führen dazu, dass die in den Wirtschaftslehrbüchern vermittelten Theorien nicht mit den tatsächlichen Beobachtungen übereinstimmen. Stattdessen bleiben diese veralteten Theorien in Schulen und Universitäten bestehen, was die Weiterentwicklung der Disziplin behindert.
Wirtschaftswissenschaft als nicht-wissenschaftliche Disziplin
Der Sprecher kritisiert auch die Auffassung, dass Wirtschaftswissenschaft eine Wissenschaft im klassischen Sinne sei. Viele Standardansätze in der Wirtschaft sind durchaus ideologisch belastet und operieren nicht nach wissenschaftlichen Prinzipien, wie es beispielsweise in den Naturwissenschaften der Fall ist. Die Weigerung der führenden Ökonomen, empirische Widersprüche zu erkennen und zu akzeptieren, zeigt, dass die Disziplin oft dogmatisch handelt. Die Behauptung, dass die Wirtschaftswissenschaft als Disziplin einem wissenschaftlichen Ansatz folgt, steht im Widerspruch zu ihrer Festhalten an überholten Modellen.
Fossile Energien und die Zukunft der Wirtschaft
Ein stark diskutiertes Thema ist die Abhängigkeit der Wirtschaft von fossilen Brennstoffen und deren negative Auswirkungen auf den Planeten. Der Sprecher betont, dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem umgebaut werden muss, um eine nachhaltige Zukunft sicherzustellen und den Druck auf ökologische Grenzen zu reduzieren. Der fortwährende Verbrauch fossiler Brennstoffe ist nicht nur umweltschädlich, sondern gefährdet auch die zukünftige Stabilität wirtschaftlicher Systeme. Ein Übergang zu erneuerbaren Energien ist notwendig, aber der Weg dahin erfordert tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen.
Der Einfluss von Geldtheorien und der kritische Blick auf Banken
Ein weiterer zentraler Punkt der Diskussion ist die Rolle von Geld und den Banken in der Wirtschaft. Der Sprecher argumentiert, dass viele traditionelle Geldtheorien nicht die Realität der Geldschöpfung widerspiegeln. Geld wird nicht einfach als Ware gesehen, sondern als Versprechen, was bedeutet, dass Banken durch Kredite Geld schaffen können. Diese Erkenntnis wird oft ignoriert und hat bedeutende Auswirkungen auf die Fiskalpolitiken der Regierungen, die dann in ihren Entscheidungen eingeschränkt sind.
Neoliberalismus und politische Konsequenzen
Der Sprecher thematisiert die Konsequenzen des Neoliberalismus und dessen Einfluss auf die soziale und wirtschaftliche Situation weltweit. Es wird behauptet, dass der Neoliberalismus zu einer zunehmenden Ungleichheit führt und die gesellschaftlichen Spannungen verschärft. Er argumentiert, dass die neoliberal getriebenen Politiken die wirtschaftliche Stabilität untergraben haben und zu Unsicherheiten auf den Märkten führen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wird eine grundlegende Revitalisierung sozialer und wirtschaftlicher Ideale gefordert.
Die Rolle von Innovation in sozialen Systemen
Ein weiterer Aspekt, der angesprochen wird, ist die Rolle von Innovation in wirtschaftlichen Systemen und deren Notwendigkeit für nachhaltige Entwicklung. Es wird eine differenzierte Diskussion über Innovation als Antrieb für Wohlstand geführt, wobei kreative Lösungen für drängende Probleme gefordert werden. Der Sprecher kritisiert jedoch den gegenwärtigen Fokus auf Profitmaximierung und fordert ein Umdenken, das ethische und nachhaltige Ziele in den Mittelpunkt stellt. Technologische Fortschritte sollten dem Zweck dienen, das Leben aller zu verbessern und nicht nur zur Bereicherung einer kleinen Elite.
Klimawandel und wirtschaftliche Herausforderungen
Die Herausforderungen des Klimawandels werden als zentrale Bedrohung für wirtschaftliche Systeme angesehen. Der Sprecher weist darauf hin, dass die gegenwärtigen politischen Entscheidungen oft nicht der Schwere der Klimakrise Rechnung tragen. Die Ignoranz der wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels wird als alarmierend betrachtet, und es wird betont, dass die Zeit drängt, um wirksame Strategien zur Bewältigung dieser Krise zu entwickeln. Ohne Maßnahmen und Reformen wird eine katastrophale wirtschaftliche und ökologische Zukunft vorausgesagt.
Zukunftsaussichten und gesellschaftliche Veränderungen
Abschließend wird die Möglichkeit eines grundlegenden Wandels in der wirtschaftlichen Landschaft diskutiert, der durch eine wachsende Erkenntnis über die Fragilität der gegenwärtigen Systeme angetrieben wird. Der Sprecher glaubt, dass der Druck durch ökologische Katastrophen und soziale Ungleichheit unvermeidbar zu Veränderungen führen wird. Solche Veränderungen könnten sowohl revolutionären Charakter haben als auch durch Reformprozesse eingeleitet werden. Die Menschen sind gefordert, kritisch über die bestehenden Paradigmen nachzudenken und neue Lösungen zu fördern, um eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft zu schaffen.
Zu Gast im Studio: Steve Keen, australischer Wirtschaftswissenschaftler. Bis 2013 war er ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Western Sydney. Seit dem September 2014 ist er Leiter des wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereiches (Head of School of Economics, History and Politics) der Kingston University in London.
Ein Gespräch über das Wissenschaftliche hinter den Wirtschaftswissenschaften, die vorherrschende neoklassische (neoliberale) Ideologie und ihre Fehlannahmen, die ökonomische Ideengeschichte, (das Ende des) Kapitalismus, Marx & Keynes, Wirtschaftswachstum, planetare Grenzen und Klimawandel, CO2-Bepreisung, Ungleichheit, Milliardäre und Demokratie, die blinden Flecken der Neoklassiker wie Energie und Geld, den Euro und die Europäische Union, künstliche Intelligenz uvm. + eure Fragen