
SWR Kultur lesenswert - Literatur Andreas Maier – Der Teufel | Buchkritik
May 20, 2025
04:09
Wahrscheinlich ist der Teufel ein Heiliger. Die Figur im Chorgestühl der Friedberger Stadtkirche, die Andreas Maier jahrelang für den Teufel hielt, stellt tatsächlich wohl eher den heiligen Sebastian dar. Nicht dass die Teufelsfigur damals, in den 1970er und 80er Jahren, allgegenwärtig gewesen wäre.
Doch die Welt, in der Maier aufwuchs, war klar und übersichtlich in Gut und Böse aufgeteilt. Und es war selbstverständlich, dass man selbst immer zu den Guten gehörte. So lernte es das Kind tagtäglich in der Tagesschau.
In den Nachrichten gab es die Guten und die Bösen. Gut und Böse existierte von Anfang an. Es prägte hauptsächlich die Welt draußen, allerdings nur diese. Das Familienleben war nicht davon betroffen. Es prägte nicht die Menschen, unter denen das Kind aufwuchs und denen es allesamt vertraute.Quelle: Andreas Maier – Der Teufel
Entweder gut oder böse
„Der Teufel“ ist der zehnte von elf Bänden einer in der hessischen Wetterau angesiedelten, umfassenden Heimat-, Selbstwerdungs- und Generationserkundung. „Ortsumgehung“ hat Andreas Maier diesen Zyklus mit Bezug auf die damals gebauten Umgehungsstraßen schön doppeldeutig genannt. Der Radius hat sich mit dem allmählichen Älterwerden des Protagonisten vom Zimmer über das Haus, die Straße und in die Welt hinaus erweitert. Mit dem neuen Band unternimmt Maier nun noch einmal einen Längsschnitt, um das allumfassende Entweder-Oder der Weltordnung in den Blick zu nehmen. Das Fernsehen als ehemaliges Leitmedium spielte dabei die zentrale Rolle. Von da aus strahlte das Entweder-Oder auf alles aus. Arm oder reich. West oder Ost. Märklin oder Fleischmann-Modelleisenbahn.Problemzone Sexualität
Als besonders prekär erlebte Maier die Aufteilung in Mann und Frau. Sie war gewissermaßen naturgegeben, aber eben doch so, dass das Mannsein für einen Jungen des Jahrgangs 1967 zur Herausforderung werden musste. Männer waren Machthaber, Unterdrücker, Gewalttäter. Pubertierende wuchsen also in eine Rolle hinein, die sie zugleich abzulehnen hatten. Sexualität wurde damit zu einer kaum zu bewältigenden Problemzone. Maier beschreibt sein erstes Mal bei Batiktuchlicht und mit dem Duft indischer Räucherkerzen. Das geforderte Programm hieß „Zartheit, Bedächtigkeit, Aufmerksamkeit“, um ja nicht in Verdacht zu geraten, ein, wie er das nennt, „Schwanzsteckermännerschwein“ zu sein. Doch alle guten Absichten waren letztlich vergeblich.Irgendwann, während wir schließlich das festlich Erwartete vollführten, kündigte sich an, was am meisten zu vermeiden war, denn daran machte sich das eigentlich Egoistische und Unheilvolle der Frauenfeinde fest, es war gleichsam Symbol der Herabwürdigung der Frau zum Objekt, nämlich die Ejakulation.Quelle: Andreas Maier – Der Teufel
