
SWR Kultur lesenswert - Literatur Isabel Kreitz – Die letzte Einstellung
Jul 30, 2025
04:09
Hakenkreuzfahnen in den Straßen. Die Nachricht über einen Angriff der SA auf ein Kino kommt nicht in die Zeitung. Am Tag nach der Machtergreifung sind die Warnzeichen in Isabel Kreitz‘ Graphic Novel „Die letzte Einstellung“ kaum erkennbar. Nur Intellektuelle und Juden planen schon ihr Leben im Exil.
Aber Heinz Hoffmann? Der Autor, an den buschigen Augenbrauen leicht als das Alter Ego Erich Kästners erkennbar, gibt sich unbeeindruckt. Der Nationalsozialismus ist für ihn nur eine Phase.
Künstler im „Dritten Reich“ – Weggehen oder sich anpassen
Isabel Kreitz‘ Comic „Die letzte Einstellung“ ist nicht die erste Erzählung über das Lavieren eines Künstlers im selbsternannten Dritten Reich. Ihre Geschichte hat zum Teil große Ähnlichkeit mit Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel“ über den Regisseur G.W. Pabst. Auch bei Kreitz steuert alles auf den Dreh eines Spielfilms in den letzten Kriegswochen zu, inklusive eines manischen Regisseurs. Aber ihr Comic hebt sich wohltuend von Kehlmanns Roman ab, weil sie mehr im Blick hat als das Motiv des egozentrischen Künstlers. Sie zeichnet den Alltag im nationalsozialistischen Berlin, wie üblich naturalistisch mit Bleistift, und oft aus der Vogelperspektive auf die zunehmend zerstörte Stadt. Ihr Strich hält penibel jedes Detail fest. Ihre Bilder atmen Zeitgeschichte. Die Trümmer, die Kleidung, Ausgebombte in den Straßen – alles zeugt von gründlicher historischer Recherche. Erst recht in den Dialogen:Schauspieler: Die Bühnenarbeiter, französische Kriegsgefangene … die müssen alle zurück ins Lager! Und für uns Schauspieler heisst es jetzt Kriegsdienstverpflichtung! Heimatfront oder Ostfront. Und du, Heinz?
Heinz: Ausgemustert! Verschleppte Angina pectoris. Nicht einmal in der Fabrik wollten sie mich nehmen. Dabei wäre ich sogar gern hingegangen. Da ist man wenigstens beschäftigt.Quelle: Isabel Kreitz – Die letzte Einstellung
Mehr Nebenfiguren
Immer leicht ironisch gibt sich Kreitz‘ Hauptfigur Heinz Hoffmann. Man spürt, dass die Zeichnerin sein reales Vorbild verehrt. Doch sie zeigt auch, wie er stets seinen Vorteil sucht und die Frauen in seinem Leben benutzt – als gefeierter Autor Anfang der 30er Jahre genauso wie als verarmter Ghostwriter kurz vor Kriegsende. Erstaunlich ist, dass Hoffmann über weite Strecken des Comics nicht in dessen Mittelpunkt steht. Kreitz baut seine Gefährtin Erika zur eigentlichen Hauptfigur auf. Anhand ihrer Entwicklung von der naiven Sekretärin zur kühl kalkulierenden Produktionsassistentin bei der Ufa erleben wir, wie man im NS-Regime sozial aufsteigen konnte. Und wie die Kaltschnäuzigkeit dabei zunimmt. Leider vermag Isabel Kreitz das nicht in die Figurenzeichnung umzusetzen. So viel Liebe zum Detail in ihren Bildern steckt – die Gesichter wirken starr, sogar wenn die Figuren streiten. Sie altern nicht einmal besonders, wenn zwischen den Kapiteln ein Zeitsprung liegt.Ein Filmdreh als Sinnbild für den nationalsozialistischen Größenwahn
Erst in den letzten Kriegsjahren tritt Heinz Hoffmann wieder in Erikas Leben. Sie nimmt den Ausgebombten bei sich auf, verschafft ihm sogar einen Auftrag als inoffizieller Drehbuchautor für einen Durchhaltefilm. Und noch einmal verschiebt sich der Fokus der Graphic Novel. Wie in Daniel Kehlmanns „Lichtspiel“ läuft alles auf die Realisierung eines Spielfilms hinaus. Diesem Ziel wird alles andere untergeordnet. Sogar politische Auseinandersetzungen wandern in die Dialoge.Erika: Nun geht es um Leben und Tod! Sich der Nachwelt erhalten, den Weg bis zu Ende gehen! Das ist deine Pflicht! Wir sind da in etwas hineingeraten, Heinz! Etwas so Großes … Sag mal, was schreibst du denn da?So treffend Isabel Kreitz die Durchhalteparolen im NS-Regime aufzuspießen versteht – spätestens hier löst sich der Fokus ihrer Geschichte auf. Mit den Dreharbeiten verliert sich die Zeichnerin in einer Vielzahl neuer Figuren und Orte. So bleibt vor allem der Eindruck: Erich Kästner alias Heinz Hoffmann hat nur getan, was viele Künstler seiner Zeit taten. Ein schmales Fazit für ein so ehrgeizig angelegtes Buch.
Heinz: Notizen für das Finale. Genauso müsste Leonore dem Ingenieur Martens ins Gewissen reden!Quelle: Isabel Kreitz – Die letzte Einstellung
