
SWR Kultur lesenswert - Literatur Voller großer, scharfer Traurigkeit: Thomas Melle – „Haus zur Sonne“
Aug 15, 2025
05:04
Dieses Buch durchzieht „eine, große, scharfe Traurigkeit“, wie es auf seinen letzten Seiten heißt. Thomas Melle schreibt ein weiteres Mal – so wie schon in seinem furiosen, radikal autobiographischen Buch „Die Welt im Rücken“ 2016 - über jene fürchterliche unheilbare psychische Erkrankung, die den Erzähler von „Haus zur Sonne“ seines Lebens müde werden und den erlösenden Tod herbeisehnen lässt.
Dieser Erzähler ist fünfzig Jahre alt, so wie Melle, arbeitete einst wie Melle fürs Theater, und war wie er 2019 in allerlei sozialmediale Händel auf Twitter verstrickt, als er es gewagt hatte, den Nobelpreisträger Peter Handke in einem Zeitungsartikel gegen dessen Kritiker zu verteidigen.
„Vielleicht hat die Krankheit, die mich gebrochen hat, mich erst zum Schriftsteller gemacht“, hatte Thomas Melle 2016 in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ gemutmaßt und damals im Interview gesagt:
„Schriftsteller wollte ich eh immer sein, nur dass genau dieses Thema nun zum meinem bisherigen Lebensthema geworden ist, das hatte ich eigentlich anders eingeplant. Ich hätte gern darauf verzichtet, andererseits ist es eine Aufgabe, eine existentielle Aufgabe, mich dem zu widmen und das in eine Form zu bringen – eine Aufgabe hat auch nicht jeder.“
Erloschener Lebensfunke
Zu seinem neuen Roman will Thomas Melle kein Interview geben. „Haus zur Sonne“ ist die finstere und im Wortsinn todernste Fortschreibung von „Die Welt im Rücken“, hat sein Ich-Erzähler doch nach einem neuerlichen schweren manischen Schub so viel verbrannte Erde hinterlassen wie noch nie: Freunde weg, Wohnung weg, Geld weg. Ruf zerstört. Er hat sich „weggeschossen aus der Gesellschaft“. Was Mediziner eine depressive „Episode“ nennen, hat für denjenigen, der sie durchmacht, alles andere als vorübergehenden Charakter, - eher finalen. Er fühlt sich am Ende. Sein Lebensfunke sei „erloschen“, schreibt er und weiter: „Ich war Asche“. „Memoir, Autofiktion – ich weiß es nicht genau. Für mich war es erst ein Bericht, der aber natürlich einen Protagonisten und eine Handlung hat, also auch romaneske Formen hat.“„Nonfiktionaler Roman“
So wie „Die Welt im Rücken“ kann man auch „Haus zur Sonne“ mit einem Oxymoron Didier Eribons, einen „nonfiktionalen Roman“ nennen, wobei das neue Buch im Gegensatz zum Vorgänger fast keine komischen Ausflüchte mehr kennt, sondern uns in einen „zähen Strudel“ mit den immer selben Gedankenschleifen zieht und insofern ein vermutlich sehr genaues Abbild der Krankheit ist, die einen aus diesem ewigen Mahlstrom der Verzweiflung nicht mehr auftauchen lässt. Nach dem Besuch schier unzähliger Kliniken und Psychiatrien sucht der Erzähler jetzt mit dem Titel gebenden „Haus zur Sonne“ ein fiktives, vom Staat mitbetriebenes Hospiz auf: eine letzte Zufluchtsstätte für allen Sterbewilligen. Kein Krankenhaus, kein Sanatorium, nein: eine „perfide Maschinerie“ der Euthanasie, in die man sich „existenzmüde“ als „Klient“ selbst einweist.Hospiz der anderen Art
Auf den aseptischen Fluren dieses Hauses entspinnt sich ein Mystery-Horror-Drama der anderen Art. Der Erzähler trifft andere Todessehnsüchtige, lauter Untergeher, die alle so wie er nur verschwinden wollen und tatsächlich auch nacheinander gehen. Wie sie gehen, bleibt im Verborgenen. Vorher durchleben sie so wie der Ich-Erzähler in wie auch immer genau induzierten „Simulationen“ noch „virtuelle Alternativgeschichten“ ihres Lebens: Was wäre aus meinem Leben geworden, wenn ich mich hier anders verhalten hätte, wenn ich ein anderer geworden wäre? Das sind Momente, in denen sich die Insassen kurz einmal vergessen können, um dann, zurückgekehrt aus diesen Traumwelten, umso härter auf dem Boden der Wirklichkeit wieder aufzuschlagen. Dieser Roman hat etwas Niederschmetterndes, Gnadenloses in all seiner Vergeblichkeit, aber er ist eben auch sehr ehrlich, weil hier kein „Checkerautor“ schreibt, wie Melle das nennt. Nein, hier schreibt einer, der weiß, „was es heißt, wirklich unrettbar verloren zu sein“.Ich dachte, ich könnte wenigstens als Fehlnummer ein Vorbild sein, anderen Mut machen, lebend zeigen, dass es möglich war, sich aus der ganzen Katastrophe wieder herauszuarbeiten. Da lag ich falsch, denn sie kam immer wieder, und immer heftiger. Das wusste ich theoretisch, aber praktisch war es immer wieder ein Schock und bedeutete auch, am Ende, den Verlust jeglicher Würde.„Haus zur Sonne“ lässt uns den depressiven Tran in all seinem Schrecken, all seinen Loops durchwaten – und nimmt doch eine unerwartete Wendung. Denn „am Saum des Todes“ rührt sich im Erzähler auf einmal „Lebenstrotz“: ein Zeichen der Hoffnung.Quelle: Thomas Melle – Haus zur Sonne
