Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, ein renommierter Wissenschaftler am IFO-Institut, spricht über die aktuelle Debatte zur Deindustrialisierung in Deutschland. Er erklärt den Unterschied zwischen Produktion und Bruttowertschöpfung und beleuchtet, dass trotz Produktionsrückgang die Wertschöpfung stabil bleibt. Außerdem thematisiert er die Herausforderungen der Automobilindustrie und den Einfluss des demografischen Wandels auf die Wirtschaft. Letztlich wird die Notwendigkeit von Innovation und politischen Reformen hervorgehoben, um zukünftigen Herausforderungen zu begegnen.
Die Diskussion über Deindustrialisierung zeigt, dass die Bruttowertschöpfung in Deutschland stabil bleibt, trotz eines Rückgangs der Industrieproduktion.
Unternehmen verlagern zunehmend ihre Produktionskapazitäten ins Ausland, fokussieren sich jedoch auf hochwertige und innovative Produkte zur Steigerung der Rentabilität.
Die demografischen Veränderungen und die hohen Energiekosten stellen Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie dar, was Standortverbesserungen erfordert.
Deep dives
Die Realität der Deindustrialisierung
Die Diskussion über Deindustrialisierung in Deutschland hat sich intensiviert, wobei immer mehr Unternehmensleiter und Experten die besorgniserregenden Anzeichen erkennen. Während ein erheblicher Rückgang der Industrieproduktion verzeichnet wird, ist die Brutto-Wertschöpfung relativ stabil geblieben, was die Debatte über den Zustand der Industrie kompliziert. Einige Experten, wie Julian Olk vom Handelsblatt, argumentieren, dass der Rückgang der Produktion nicht unbedingt auf eine umfassende Deindustrialisierung hinweist, sondern vielmehr auf eine schleichende Verlagerung in energieintensiven Branchen. Der Fokus liegt zunehmend darauf, die Standortbedingungen in Deutschland zu verbessern, um eine vollständige Deindustrialisierung zu verhindern.
Forschermeinungen zur Wertschöpfung
Eine Studie des IFO-Instituts hinterfragt die Wahrnehmung einer flächendeckenden Deindustrialisierung und legt dar, dass der Blick auf die Brutto-Wertschöpfung eine aussagekräftigere Kennziffer darstellt als die Industrieproduktion allein. Diese Analyse erkennt eine Steigerung der Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe, trotz einer senkenden Produktionsrate. Es wird herausgestellt, dass Unternehmen durch Outsourcing und einen größeren Anteil an Dienstleistungen und immateriellen Vermögenswerten ihre Renditen steigern können. Solche Trends zeigen, dass Unternehmen in Deutschland sich neu ausrichten, um der internationalen Konkurrenz zu begegnen, indem sie weniger auf die reine Produktion setzen und stattdessen auf hochwertige, innovative Produkte fokussieren.
Strukturelle Veränderungen in der Industrie
Die deutsche Industrie durchläuft derzeit strukturelle Veränderungen, die durch eine zunehmende Verlagerung von Produktion und industriellen Wertschöpfung zu Forschung und Entwicklung geprägt sind. Der Schwerpunkt liegt heute mehr auf der Entwicklung qualitativ hochwertiger Produkte, die häufig auch mit höheren Preisen am Markt verbunden sind. Beispielsweise sind viele Automobilhersteller dazu übergegangen, Teile ihrer Fertigung ins Ausland zu verlagern, während sie gleichzeitig kreative Fähigkeiten und Innovationen vor Ort fördern. Diese Entwicklung trägt zu einer wachsenden Divergenz zwischen sinkender Produktionsmenge und stabiler oder gestiegener Brutto-Wertschöpfung bei.
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat durch steigende Energiekosten und personelle Herausforderungen gelitten. Experten betonen die Bedeutung, dass Deutschland eine attraktive Standortpolitik verfolgt, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Es zeigen sich Anzeichen einer schleichenden Deindustrialisierung, es ist jedoch noch unklar, ob dies langfristig zu einem Verlust von industriellen Wertschöpfungsanteilen führen wird. Damit Unternehmen nicht abwandern oder ihre Produktion ins Ausland verlagern, müssen Standortfaktoren verbessert und Investitionen angezogen werden.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Deindustrialisierung
Die demografischen Veränderungen in Deutschland, die eine alternde Bevölkerung und ein sinkendes Erwerbspersonenpotenzial mit sich bringen, haben erhebliche Auswirkungen auf die Industrie. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Produktion effizient zu gestalten und gleichzeitig die nötige technologische Innovationskraft zu bewahren. Die volkswirtschaftlichen Implikationen einer stagnierenden Wertschöpfung in der Industrie sind gravierend und erfordern ein Umdenken. Wenn die Industrie nicht rechtzeitig auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert, könnte dies zu einem langfristigen Verlust an industrieller Kapazität und Problematiken in der sozialen Finanzierung führen.
bto#271 – Die Deindustrialisierung wird noch nicht einhellig als signifikante Gefahr für unseren Wohlstand anerkannt. Zwar ist nicht mehr von einem „Mythos“ die Rede, umso mehr aber von einem angeblich „normalen“ Prozess, den wir nun mal hinnehmen müssten, wie jeden x-beliebigen anderen Strukturwandel. Und natürlich gibt es auch Studien, die Hoffnung machen. So rechnen Robert Lehmann und Timo Wollmershäuser vom ifo-Institut in einer Studie vor, dass bei einer Betrachtung der Wertschöpfung eine Deindustrialisierung derzeit nicht sichtbar sei.
Doch was hat es mit dem Unterschied zwischen Produktion und Bruttowertschöpfung auf sich? Was können wir daraus ableiten? Antworten auf diese Fragen sucht Daniel Stelter im Gespräch mit einem der Autoren der ifo-Studie, Prof. Dr. Timo Wollmershäuser.
Hörerservice
Die ifo-Studie zum Thema Deindustrialisierung finden Sie hier: https://is.gd/6cNbnp
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