
SWR Kultur lesenswert - Literatur Richard Overy – Hiroshima. Wie die Atombombe möglich wurde
Aug 6, 2025
04:09
Es geht dem Historiker Richard Overy nicht nur um den fast schon mythischen Laborkomplex von Los Alamos und die schon oft erzählte Geschichte vom wissenschaftlichen Wettlauf zur einsatzfähigen Atombombe. Sein Buch beschäftigt sich zunächst mit den historischen Voraussetzungen der Eskalation des Luftkriegs gegen Japan.
Zwei Drittel der leicht gebauten japanischen Städte wurden schon vor den Atombomben in Schutt und Asche gelegt. Nie zuvor und danach starben in einem Krieg – wie beim verheerenden Angriff auf Tokio im März 1945 – 100.000 Menschen in nur drei Stunden.
Dabei wäre diese Entfesselung der Zerstörungskraft wenige Monate zuvor noch nicht möglich gewesen; zu groß waren die Reichweitenprobleme und die Pannenanfälligkeit des neuen B-29 Langstreckenbombers. Zudem erwies sich die Taktik der Angriffe mit Sprengbomben aus großen Höhen als wenig effektiv.
Eskalation des Luftkriegs
Die Wende kam, als niedrig fliegende Bomberverbände mit Unmengen der in Harvard entwickelten Napalm-Brandbomben Feuerstürme erzeugten. Nun endlich konnte die US-Luftwaffe ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen.Einer der Gründe, warum Luftwaffenchef Arnold Flächenbombardements so sehr gefielen, waren die öffentlichkeitswirksamen Bilder, die er der amerikanischen Bevölkerung, den Politikern und den Chefs der rivalisierenden Teilstreitkräfte präsentieren konnte.Den US-Bürgern war nach dem Kriegsende in Europa kaum zu vermitteln, dass bei der Eroberung der erbittert verteidigten japanischen Hauptinseln noch eine weitere Million Soldaten sterben würde. Stattdessen sollten die Japaner, die als „fanatische Wilde“ oder menschliches „Ungeziefer“ bezeichnet wurden, zur Kapitulation gebombt werden.Quelle: Richard Overy – Hiroshima. Wie die Atombombe möglich wurde
Wissenschaftlich-militärische Großtaten?
Bis heute werden die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki in den Vereinigten Staaten deshalb als wissenschaftlich-militärische Großtaten gesehen, weil sie den Krieg verkürzten und so letztlich viele Leben retteten. In den damaligen US-Medien wurden die getroffenen Städte fälschlich als Ballungen militärischer Infrastruktur dargestellt und der Atomtod als eine vergleichsweise schöne und schnelle Art zu sterben. Die Zeitzeugenberichte, die Richard Overy anführt, vermitteln dagegen Eindrücke unfassbaren Grauens. Waren diese Massaker militärisch wirklich notwendig? Overy zeigt, dass von japanischer Seite längst Friedensfühler ausgestreckt worden waren, auch wenn die Hardliner-Generäle weiter nur den Kampf bis zum Sieg oder Untergang kannten. Es gab aber auch eine „Friedensfraktion“, die den aussichtslosen Krieg beenden wollte, sofern der Begriff „Kapitulation“ vermieden würde. Auch aufgrund von kulturellen Differenzen wurden sie von den Amerikanern aber nicht richtig verstanden und ernst genommen.Die Rolle der Sowjetunion
Zudem machten die Japaner den Fehler, als Vermittler die Sowjetunion einzuschalten. Stalin wollte jedoch die sich abzeichnende Niederlage Japans rasch noch für eigene Eroberungen nutzen. Angesichts der Atombombe begann sich das Zeitfenster zu schließen. Deshalb erklärten die vermeintlichen Vermittler den Japanern am 8. August den Krieg.Die unerwartete Truppenmobilität und Feuerkraft der Roten Armee führte zu einer Art ostasiatischem Blitzkrieg. Innerhalb weniger Stunden waren die japanischen Verteidigungslinien durchbrochen und überrannt.Das gab letztlich den Ausschlag. Die Japaner akzeptierten die Bedingungen der Amerikaner, bevor womöglich Teile ihres Landes dem kommunistischen Machtbereich einverleibt wurden. Vor Stalin hatten sie noch größere Angst als vor der Atombombe. Die Niederlage Japans war mit dem Eingreifen der Sowjetunion endgültig besiegelt und der Angriff auf Nagasaki einen Tag später militärisch nicht mehr gerechtfertigt, folgert Richard Overy. Seinem Buch gelingt es, auf knappem Raum viele Aspekte der Atombombenabwürfe abzuhandeln – als technischem Durchbruch und historischem Bruch zugleich.Quelle: Richard Overy – Hiroshima. Wie die Atombombe möglich wurde
