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Keine Arbeitsmoral! Wieso kommt das Paket nicht wie versprochen an? Wo bleibt denn der Installateur? Wo sind die Werte geblieben wie Fleiß und Disziplin? - Überhaupt: Sagte nicht schon Paulus im Neuen Testament: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen? - Doch so einfach ist es nicht. Die Verknüpfung von Arbeit mit Moral ist eine Erfindung der Neuzeit. Das aufstrebende Bürgertum fing an, sich durch Arbeit von der Aristokratie abzuheben, die nicht arbeiten musste. Der Beginn einer spannungsreichen Verbindung: der Arbeitsmoral. Von Martin Trauner (BR 2022)
Credits
Autor dieser Folge: Martin Trauner
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Rahel Comtesse, Benedikt Schregle
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Iska Schreglmann
Linktipps:
Panorama (2023): Arbeitsmoral – Sind Junge faul?
Immer öfter ist von Seiten der Wirtschaft zu vernehmen, Jüngere hätten weniger Lust auf Arbeit. Panorama hat mit jungen Menschen in unterschiedlichen Branchen gesprochen.
Arbeitsmoral: Sind Junge faul? | Das Erste - Panorama - Sendungsarchiv - 2023 (ndr.de)
Radioeins (2023): Generationsunterschiede zur Arbeitsmoral widerlegt
Generation Y und Z sind faul und die Babyboomer arbeiten sich zu Tode. Diese Klischees sind im Alltag häufiger zu hören. Doch geben sie auch die Faktenlage wieder? Dies untersuchte die Studie von Prof. Martin Schröder, Soziologie und Professor an der Universität des Saarlandes. Das Ergebnis widerspricht diesen Klischees: Wie jemand zur Arbeitswelt steht, ist keine Frage des Geburtsjahres. Viel entscheidender sind sogenannte Alters- und Periodeneffekte.
Die Profis · Generationsunterschiede zur Arbeitsmoral widerlegt · Podcast in der ARD Audiothek
Wie wir ticken - Euer Psychologie-Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek.
Wie wir ticken - Euer Psychologie-Podcast · Podcast in der ARD Audiothek
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 03:53 – Von Arbeitsmoral, Arbeitsethik und Arbeitsethos
TC 05:16 – Eine Frage der Ehre: Arbeitsmoral im Mittelalter
TC 08:34 – Der Weg zum Reichtum
TC 14:07 – Adolf Kolping und die soziale Frage
TC 16:08 – Teamfähigkeit und andere Tugendens
TC 18:17 – Früher war alles besser?
TC 20:38 – Das Bild der fleißigen Deutschen
TC 22:32 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro
MUSIK – „Did this really happen?“ – C125059#003 (0:50)
ERZÄHLERIN
Irgendwo im Westen Europas. Ein ärmlich gekleideter Fischer liegt in seinem Boot und döst. Ein Tourist spricht ihn an. Ob er nicht noch mal herausfahren möge mit seinem Boot, fragt er ihn. Um noch mehr Fische zu fangen? - Der Fischer verneint. Er habe genug gefangen. - Und nun erklärt der Tourist ihm das Erwerbsleben: Er könnte mehrmals am Tag fischen, dann könnte er seinen Betrieb vergrößern, Leute anstellen. Und letztlich hätte er dann genug verdient, um sich gemütlich in die Sonne zu legen und zu dösen.
MUSIK und Atmo weg
ERZÄHLERIN
Nun, die Antwort des Fischers dürfte wohl klar sein... Also: Er liegt ja schon in der Sonne und döst, was sollte er da verändern? - Eine schöne, aber leider erfundene Geschichte von Heinrich Böll, aus dem Jahre 1963. Sie heißt „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“. Der Fischer hätte, wie wir modern sagen, seine „Work-Life-Balance“ bereits gefunden. Freilich: was seine Arbeitsmoral betrifft, na, die scheint ein bisschen reduziert…
MUSIK „Travel to Edinburgh“ – Z8000433#103 (0:30)
TC 01:43 -
ERZÄHLERIN
Im Jahr 2019 befragte man deutsche Führungskräfte über die Arbeitsmoral der jüngeren Generation. Der Grundtenor der Antworten: Zu wenig Arbeitsmoral, zu viel Work-Life-Balance! - Viel Geld wolle der Führungsnachwuchs schon verdienen, aber nicht in einer dann zu erwartenden 50-Stunden Woche. Also, wo ist sie geblieben, die viel bemühte Arbeitsmoral?
ATMO Autocenter München Nord
001 ZUSPIELUNG (Günter Friedl)
Ich mach es ja jetzt seit 1998 und da hat sich ganz viel verändert…
ERZÄHLERIN
Zu Besuch bei Günter Friedl. Er betreibt das Autocenter Nord in München. - Eine Tankstelle und ein kleines Autohaus.
002 ZUSPIELUNG (Günter Friedl)
Also, man erkennt sehr, sehr deutlich, dass bei jungen Menschen die Arbeitsmoral lange nicht mehr die ist, die sie in meiner Generation -1968 - ja mal war. Das sieht man sehr deutlich…
ERZÄHLERIN
Günter Friedl ist Chef von 25 Angestellten, die in der Werkstatt oder im Verkauf arbeiten. Ein mittelständisches Unternehmen. Aber: Auch er hat ein Problem mit einer etwas veränderten „Arbeitsmoral“, etwa wenn er neue Auszubildende sucht…
003 ZUSPIELUNG (Günter Friedl)
Neuerdings sagen die immer, die „Work-Life-Balance“. Aber dieser Anglizismus, der geht mir ja schon auf den Sack, Entschuldigung, aber das muss ich schon mal so deutlich sagen, man kann das ja auf Deutsch ausdrücken… Aber denen ist also die Balance zwischen Arbeit und Leben offensichtlich sehr, sehr wichtig…
ERZÄHLERIN
Aber was heißt das überhaupt, Arbeitsmoral? Für sich selbst definiert das Günter Friedl glasklar:
004 ZUSPIELUNG (Günter Friedl)
Das heißt, was gemacht werden muss, muss man halt ganz einfach machen. Und man muss auch bereit sein, seine persönlichen Befindlichkeiten und seine persönlichen Liebhabereien zurückzustecken und seine Pflicht zu erfüllen und seiner Verantwortung als Arbeitgeber gerecht zu werden.
MUSIK „Travel to Edinburgh“ – Z8000433#103 (0:28)
TC 03:53 – Von Arbeitsmoral, Arbeitsethik und Arbeitsethos
ERZÄHLERIN
Pünktlichkeit, Disziplin und Arbeitsamkeit. Also Tugenden. Die Tugenden der Arbeitsmoral, der Arbeitsethik oder des Arbeitsethos? Schwierige und schwerwiegende Begriffe. Mal nachgefragt bei einem Philosophen und Wirtschaftsethiker, wie das so ist, mit der Arbeit und der Moral …
005 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Na ja, Moral bezeichnet normalerweise, die für unser Leben bestimmenden Werthaltungen, Normen, Tugenden, nach denen wir uns im Alltag richten…
ERZÄHLERIN
Sagt Michael Aßländer, Professor für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität Dresden.
006 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Zu unterscheiden davon wäre die Ethik. Die Ethik versucht sozusagen diese Moral zu begründen und stellt die Frage, ob eine bestimmte Moral legitimierbar ist oder legitimiert ist. Also, wenn man so will, kann es bestimmte moralische Praktiken geben, die ethisch eben nicht legitimiert sind… [Ein einfaches Beispiel: Natürlich hat auch die Mafia eine Moral, aber die ist natürlich in weiten Teilen unethisch]
ERZÄHLERIN
Und dann gibt es noch den Begriff „Ethos“
007 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Aber „Ethos“, wie auch so in den Begriffen: „Berufsethos oder Standesethos“ ja schon ausgedrückt wird, entspricht sozusagen einer Ständeordnung, bestimmter Tugendpflichten, bestimmter Normen, die für einen bestimmten Stand gelten und sie auch so einen bestimmten Anspruchskatalog formulieren, das heißt nicht notwendigerweise, dass jeder Arzt auch seinem ärztlichen Standesethos immer Folge leistet.
MUSIK „Juttas Beerdigung“ – Z9367647#011 (0:17)
TC 05:16 – Eine Frage der Ehre: Arbeitsmoral im Mittelalter
ERZÄHLERIN
Ja, aber woher kommt das dann überhaupt, Begriffe wie: Arbeitsethos, Arbeitsethik, oder gar die Arbeitsmoral? - Gab es so etwas etwa schon, mal weit zurückgedacht, gab es so etwas schon vielleicht im Mittelalter?
008 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Das ist schwierig. Das hängt weniger am Begriff der Moral als am Begriff der Arbeit…
ERZÄHLERIN
Sagt Michael Aßländer. Denn das, was wir heute unter Arbeit verstehen würden, das gab es im Mittelalter einfach noch nicht. Man arbeitete nicht in der Industrie, nicht in einer Fabrik, man hatte keinen Nine-to-Five-Bürojob. Und natürlich trennte man nicht zwischen Freizeit und Arbeit. Den Begriff der „Arbeitsmoral“ gab es selbstverständlich auch noch nicht, aber man kannte immerhin so etwas in der Art…
009 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
… Was wir aber natürlich hatten im Mittelalter war ein vielleicht gleich lautender Begriff wie: die „Ehre“, - also die Handwerkerehre zum Beispiel oder auch der ehrbare Kaufmann. Das verwies natürlich auch auf bestimmte Tugendpflichten, auf bestimmte moralische Normen und Vorstellungen, die in diesen Berufen dann letztendlich zum Ausdruck gebracht werden sollten oder zum Ausdruck gebracht wurden. Und das ging weit über Arbeit in dem Sinne hinaus, sondern betraf auch die Lebensführung eines Meisters oder die Gehorsampflichten eines Gesellen beispielsweise …
ERZÄHLERIN
Die Gesellschaft im Mittelalter folgte einer Ständeordnung. Also Bauern und Handwerker ganz unten, dazwischen der Adel. Und ganz oben: der Klerus. - Ein jeder Stand hatte die ihm von Gott zugedachte Arbeit zu verrichten. Freilich: Körperlich arbeitete eigentlich nur der unterste Stand, während der Adel für die Sicherheit sorgen sollte und der Klerus: der betete…
MUSIK „Juttas Beerdigung“ – Z9367647#011 (0:53)
ZITATOR (Hrabanus Maurus)
Multiplica ergo pio praecepta talenta labore, maxima quod coelo praemia percipias -
Vervielfache durch Arbeit deine von Gott gegebenen Talente und du wirst vom Himmel die größte Belohnung erhalten!
ERZÄHLERIN
Schreibt Hrabanus Maurus, ein deutscher Mönch aus dem 9. Jahrhundert. - Eine wichtige oder sogar die einzige Rolle für Moralvorstellungen spielte im ganzen mittelalterlichen Leben die Religion, das Christentum. Ein Leben in Armut wurde zwar durchaus toleriert, um ein tugendhaftes Leben führen zu können, aber mit dem biblischen Gleichnis von den Talenten oder mit dem Leitspruch „Ora et labora“ ließ sich auch ein wenig für Arbeitseifer argumentieren – Etwa in den Klöstern.
010 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Die Klöster bilden insofern eine Ausnahme und auch der Satz „ora et labora“ – „Bete und Arbeite“ ist so zu lesen. Aber da dient Arbeit sozusagen als asketisches Bußideal. (…)
ERZÄHLERIN
Also bete und arbeite, um gottgefällig zu sein. Etwa in den benediktinischen Klöstern…
011 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
(…) Und das geht soweit, dass zum Beispiel in den „Regulae Benedicti“, also in den Regeln des heiligen Benedikt, Benediktinerorden, klar vorgegeben wird, wie viele Stunden am Tag der einzelne Bruder sich dem Gebet zu widmen hat, in welcher Reihenfolge Gebet und Arbeit aufeinander folgen sollen et cetera, das hat aber so einen religiösen Anspruch und ist nicht so in dieser, ja eher, ich arbeite um Geld zu verdienen, ja, die Frage, was arbeitest du, womit verdienst du dein Geld, also in dieser Konnotation eben nicht gedacht.
MUSIK „cinetic“ – C1165170#017 (0:18)
TC 08:34 – Der Weg zum Reichtum
ZITATOR (Benjamin Franklin)
- Kein Gewinn ohne Schmerzen!
- Ein Leben in Muße und ein Leben in Faulheit, das sind zwei Dinge!
- Wenn du etwas morgen zu tun hast, erledige es heute!
- Nimm was du kriegen kannst!
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
Nein, das sind keine benediktinischen Regeln, nein, das sind auch keine Sprüche aus einem heutigen Karriereratgeber, ja, es sind einige Leitsätze des Amerikaners Benjamin Franklin. Aus dem 18. Jahrhundert, Zeit der Aufklärung - Benjamin Franklin, das ist der mit dem Blitzableiter. Aber Franklin war nicht nur Erfinder, sondern auch Politiker und Unternehmer. Seine Lebensmaximen: Sparsamkeit, Aufrichtigkeit und Strebsamkeit. - Aber was ist seit dem Mittelalter passiert, wie kam es zu dieser ganz anderen Art der Arbeitsauffassung?
012 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Das hat mehrere Aspekte: Einmal fällt natürlich mit der Aufklärung diese Vorstellung einer Gott gewollten Ordnung weg. Also spätestens mit den Religionskriegen. Dann aber auch mit der französischen Revolution wird dieses System: „Katholische Kirche und wir erklären die Welt“ - brüchig. Das bedeutet, dass wir verschiedene Dinge, also Eigentumsordnung neu erklären müssen. Und John Locke war es dann der gesagt hat: Ja gut, Arbeit begründet Eigentum. Was du mit deiner Hände Kraft umgeformt hast, was du dem ursprünglichen Zustand, indem die Natur es belassen hat, entreißt, das wird dein Eigentum (…)
ERZÄHLERIN
Sagt Michael Aßländer, Professor für Wirtschaftsethik. Auch Adam Smith oder Jean Jacques Rousseau folgen der Auffassung von John Locke: Eigentum entsteht durch Arbeit…
013 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Und ein zweiter Aspekt ist natürlich, dass wir sozusagen Arbeit auch ein Stück weit positiv konnotieren, diese Entwicklung war schon von der Antike bis ins Mittelalter, aber mit der Neuzeit taucht die Vorstellung auf, dass derjenige, der „müßig geht“, eben ein Betrüger sei. So heißt es wörtlich bei Rousseau.- Jeder Bürger, ob arm oder reich, schuldet der Gesellschaft seine Leistung. Und wer diese Leistung für die Gesellschaft nicht erbringt, zumindest nicht so viel Leistung erbringt, das sich selbst erhält, der ist ein Sozialschmarotzer, der lebt auf Kosten der Gemeinschaft, der stiehlt der Gemeinschaft etwas, das taucht schon bei Luther auf, und deswegen ist er ein Betrüger…
ERZÄHLERIN
Die „neue“ Arbeitsethik oder besser gesagt, die neu geschaffene Verbindung von Arbeit und Moral, die Arbeitsmoral, sie richtet sich vor allem gegen die alten Stände des Mittelalters, die nicht arbeiten mussten. Also der Adel und der Klerus. - Der unterste Stand, die Bauern und Handwerker, und jetzt auch die Bürger, legitimieren sich geradezu durch ihre Arbeit.
014 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Und damit gewinnt Arbeit dann an Stellenwert. Die wird dann aufgewertet über Sekundärtugenden: Pünktlichkeit, Fleiß, Ordnungsliebe, Enthaltsamkeit und so weiter und wird dann auch als Instrument verstanden, sein eigenes Glückes Schmied sozusagen zu werden …
ERZÄHLERIN
Also Tugenden oder Ratschläge, wie sie Benjamin Franklin formuliert hatte. Seinen Ratgeber übertitelte Franklin übrigens mit „The way to wealth“ – auf Deutsch: „der Weg zum Reichtum“. So wie er, Sohn eines Seifenmachers, könne jeder den sozialen Aufstieg schaffen, wenn man nur genügend Arbeitsmoral zeigt.
015 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Und damit wird Arbeit, sich selbst etwas durch Arbeit zu schaffen, sozusagen positiv konnotiert. Mit gewissen Nachteilen auch, denn derjenige, der arm ist, der ist jetzt nicht mehr arm, weil es sein Schicksal ist oder von Gott gewollt ist, sondern der ist deswegen arm, weil es ihm eben an Arbeitsmoral fehlt (…)
MUSIK „Alteration“ – C1432360#033 (0:32)
ZITATOR (Gotthold Ephraim Lessing)
Faulheit, jetzo will ich dir auch ein kleines Loblied bringen!
ERZÄHLERIN
So schreibt der Dichter Gotthold Ephraim Lessing Mitte des 18. Jahrhunderts… Ein Lob der Faulheit.
ZITATOR (Gotthold Ephraim Lessing)
Höchstes Gut, wer dich nur hat,
dessen ungestörtes Leben.
Ach! – ich – gähn’ – ich – werde matt –
Nun – so – magst du – mir’s vergeben
Dass ich dich nicht singen kann.
Du verhinderst mich ja daran.
ERZÄHLERIN
Lessing konnte es sich erlauben, sich ironisch mit der Faulheit auseinandersetzen. - Aber auch er musste einem Brotberuf nachgehen, er war Bibliothekar, um nebenher als Dichter glänzen zu können. - Für denjenigen Zeitgenossen dagegen sah es düster aus, für denjenigen, der nicht arbeiten konnte oder wollte… Oder dem schlichtweg die Arbeitsmoral fehlt…
016 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Und damit wird er natürlich so ein bisschen zum gesellschaftlichen Antitypen. Also er ist derjenige, der auf Kosten der Gemeinschaft lebt und in der praktischen Konsequenz schickt man den dann in ein Arbeitshaus. Im Englischen so schön genannt „Houses of correction“. Da muss man etwas geradebiegen, was schief gewachsen ist, und muss man korrigieren. Und da muss man diesen Leuten, mit zum Beispiel drakonischen Maßnahmen, Arbeitsfleiß anerziehen…
MUSIK – „Can i forgive“ – C125059#008 (0:31)
ERZÄHLERIN
Arbeitshäuser gab es in England bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Idee dahinter: Man wollte den Nichtarbeitenden und vor allem den Armen einbläuen, mit Arbeit und Moral könnten sie ihr Leben verbessern. Freilich: Auch in Deutschland war Armenunterstützung an Bedingungen gekoppelt, man musste sich um Arbeit bemühen. Und irgendwie gilt das bis heute…
MUSIK aus
TC 14:07 – Adolf Kolping und die soziale Frage
017 ZUSPIELUNG (Albrecht Schnabel)
Wir sind eine Jugendberatungsstelle für 16- bis 25 jährige im Großraum München …
ERZÄHLERIN
Zurück in der Gegenwart. Zu Besuch bei Albrecht Schnabel. Er ist Diplompsychologe und arbeitet in der Kolping Bildungsagentur in München. Hier setzt er sich für junge Erwachsene ein.
018 ZUSPIELUNG (Albrecht Schnabel)
Da unterstützen wir schon ganz konkret beim Bewerbungsprozess, bei der Praktikumssuche. Aber auch bei allen anderen Themen, die die berufliche Orientierung hemmen oder stören, das nennt man „vermittlungstechnische Handicaps“ – Es kann sein, schwächere Leistungsfähigkeit, oder Probleme, die zwischen mir und der beruflichen Passung oder Erfüllung stehen. So wie: Schulden, drohende Obdachlosigkeit, schwieriges Umfeld (…) Armut kein Geld… Da muss man schauen, dass man Arbeitslosengeld oder Arbeitslosengeld II beantragt – („diese Sachen, die hemmen mich“).
ERZÄHLERIN
Die Kolping Bildungsagentur geht letztlich zurück auf Adolph Kolping, ein katholischer Priester aus dem 19. Jahrhundert. Dem die „soziale Frage“ wichtig war…
019 ZUSPIELUNG (Albrecht Schnabel)
Das kommt ja schon von Adolf Kolping, diese Werte oder diese These: Wenn du Arbeit und Unterkunft hast, dann kann sich die Persönlichkeit entwickeln. Und du kannst empor wachsen als junger Mensch. Also sozusagen wertvoller werden für dich und für die Gemeinschaft…
MUSIK – „Can i forgive“ – C125059#008 (0:38)
ERZÄHLERIN
Kolping sah die Auswüchse der Industrialisierung. Ihn berührte das Schicksal vieler Handwerksgesellen, die unter teil prekärsten Umständen ihr Leben fristeten. Kolpings Ziel: Man muss sich für diese Menschen einsetzen, ihnen Religion, familiären Halt und vor allem Bildung vermitteln. - Heute hilft die Kolping Bildungsagentur Heranwachsenden, sich im Arbeitsmarkt etablieren zu können. Und da spielt natürlich auch „Arbeitsmoral“ eine Rolle. Aber was bedeutet Arbeitsmoral heute, etwa aus Sicht eines Psychologen. Albrecht Schnabel:
TC 16:08 – Teamfähigkeit und andere Tugenden
020 ZUSPIELUNG (Albrecht Schnabel)
Ich würde sagen, hängt zusammen mit der Motivation. Je eher ich die Tätigkeit, also die Inhalte der Arbeit mag, an sich, umso besser ist, glaube ich, meine Arbeitsmoral. Würde ich sagen. Je intrinsischer ich motiviert bin, umso besser ist meine Arbeitsmoral. Je extrinsischer, sagen wir, normaler aber auch ein bisschen mittelmäßiger ist die Arbeitsmoral.
ERZÄHLERIN
„Intrinsisch“ und Extrinsisch“ sind Begriffe aus der Motivationspsychologie. „Intrinsisch“ heißt, man kann sich selbst begeistern, man ist von sich aus mit Freude bei der Sache. „Extrinsisch“, das heißt, die Motivation soll von außen kommen. In der Arbeit etwa vom Chef, Also:
021 ZUSPIELUNG (Albrecht Schnabel)
Begeistere mich! – Und das ist aber schwierig. Bei erwachsenen Menschen, auch bei jungen Erwachsenen, wenn sie das immer benötigen, die Begeisterung von außen, das geht ins extrinsische, dann muss man immer Energie zuführen als Vorgesetzter, Unternehmer oder Inhaber, und das ist schon ein anstrengender Prozess (…)
MUSIK „Travel to Edinburgh“ – Z8000433#103 (0:33)
ERZÄHLERIN
Heutzutage hängt die Arbeitsmoral von vielen Faktoren ab. Natürlich sind da immer noch die Sekundärtugenden aus der Zeit der Aufklärung, oder sogar des Mittelalters, wie Pflicht, Pünktlichkeit und Disziplin, die man erwartet, aber es kommen auch neue Tugenden, neue „Skills“ dazu. Etwa die „Teamfähigkeit“ - Nachgefragt bei Günter Friedl, Chef eines mittelständischen Betriebs in München:
022 ZUSPIELUNG (Günter Friedl)
Teamfähigkeit bedeutet natürlich auch, dass man sich halt überlegt, mach ich die Arbeit noch fertig, bevor ich zum Doktor gehe. (…) - Und da verschiebt es sich halt immer mehr weg von der Arbeit, von dem was man lebt, hin zu Freizeitgestaltung und Social Media.
023 ZUSPIELUNG (Albrecht Schnabel)
Ja. Dieter Frey, für den ich lange Zeit an der Uni gearbeitet habe, der hat’s manchmal noch überspitzter gesagt „Freizeit orientierte Schonhaltung“ – was so ein bisschen ist, wie Kollege kommt gleich, Dienst nach Vorschrift…
TC 18:17 – Früher war alles besser?
ERZÄHLERIN
Sagt Albrecht Schnabel. - Bei den Jüngeren mag das ja so sein. Eine Freizeit orientierte Schonhaltung. -
Aber bei den Älteren? Bei denen, die vor der Generation X-Y-Z geboren worden sind? Wie sieht es da aus? Mit der Arbeitsmoral?
024 ZUSPIELUNG (Günter Friedl)
Meine Erfahrung ist, dass die älteren Mitbürger noch eine andere Arbeitsmoral besitzen als die jüngeren.
ERZÄHLERIN
Ist das nicht das Jahrhunderte alte Klagelied einer älteren Generation über die Jüngeren, die das Althergebrachte, die alten Werte nicht mehr zu schätzen wissen? Günter Friedl:
025 ZUSPIELUNG (Günter Friedl)
Denk ich nicht. Ich denke es deswegen nicht, weil die Anforderungen sich nicht wesentlich geändert haben. Noch immer, also zumindest in dem Bereich, in dem wir hier arbeiten – wenn du natürlich heute einen Computerprogrammierer oder sonst irgendwen hast, einen, der kreativ arbeitet (…) da ist es relativ egal, wann der seine Leistung erbringt – in dem klassischen Beruf, den wir betreiben, das ist ja Handwerk, (das ist ja ein Handelsberuf, im Autohaus ist es Handwerk, in der Tankstelle ist es Verkauf,) da sind die Anforderungen an die Grundsozialität des Menschen, die haben sich ja nicht verändert …
ERZÄHLERIN
Auch der Wirtschaftsethiker Michael Aßländer sieht eine Veränderung der Arbeitsmoral in den letzten Dekaden…
026 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
(…) Was also sozusagen die Arbeitsteams, sag ich jetzt mal, der 60er und 70er Jahre auszeichnet, waren drei Dinge: nämlich eine verdiente Autorität, das heißt, der Meister war Meister, weil er mehr konnte, weil er mehr Erfahrung hatte, weil er mehr Verantwortung trug, und das hat man respektiert. Das Zweite war so eine starke Gruppensolidarität, die auch etwas mit Respekt zu tun hatte, also man respektierte sich in der Gruppe, man hatte Achtung vor dem, was der andere mehr konnte, aber man hat sich auch unterstützt…
ERZÄHLERIN
Etwa wenn einer das Wochenende zu stark genossen habe. Man habe den Schwächeren im Team geholfen. Oder sogar den Chef oder die Chefin unterstützt, wenn der oder die Fehler gemacht hatten. Weil man sich natürlich auch privat kannte. Nur, dieser Gruppenzusammenhalt scheint heute nicht mehr in dem Maße wie einst zu existieren…
027 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Der wird nämlich brüchig, wenn wir sozusagen ein Management haben, das permanent ausgetauscht wird, also im Sinne von, ich mache Karriere, ich geh zu einer anderen Firma, dann habe ich morgen wieder einen neuen Vorgesetzten – und wird natürlich brüchig, wenn ich nur noch temporäre Arbeiter habe, wenn ich nur noch Leiharbeiter habe…
MUSIK – „Did this really happen?“ – C125059#003 (0:34)
TC 20:38 – Das Bild der fleißigen Deutschen
ERZÄHLERIN
Zurück an die Westküste Europas. Ja. Zu dem von Heinrich Böll erfundenen Fischer, der alles scheinbar im Griff hat, also seine „Work-Life-Balance. Der sich von einem Touristen, vermutlich war es ein Deutscher, maßregeln musste, wegen seiner lässigen Arbeitsmoral. - Kann man wenigstens da noch behaupten, dass wir Deutsche, trotz aller Defizite, eine höhere Arbeitsmoral besitzen, als zum Beispiel die Südländer?
028 ZUSPIELUNG (Michael Aßländer)
Ja das stimmt so nicht. Ich hatte mal eine Diskussion mit einer elsässischen Kollegin.(….) und wenn man das tatsächlich rausrechnet, arbeitet ein französischer Arbeitnehmer auch nicht anders. Er arbeitet nicht weniger, gilt auch für die Italiener, die haben, glaube ich, sogar höhere Arbeitsstunden als die Deutschen, also dieses Bild der fleißige Deutsche ist da nicht mehr ganz so haltbar, und man sieht in all diesen Nationen, dass sich die Arbeitsmoral verändert hat. (….) Also, da ist ein Druck nicht nur in Deutschland, eben auch in allen Industrieländer, angewachsen, der letztendlich Arbeit straffer organisiert, effizienter gestaltet, bestimmter Termindruck, Terminfristen et cetera… das wirkt sich alles auf die Art, wie wir arbeiten aus und hat natürlich berufliche Anforderungen entsprechend verändert…
MUSIK – „Did this really happen?“ – C125059#003 (0:36)
ERZÄHLERIN
Arbeitsmoral ist heute wohl oft weniger eine Frage der inneren Einstellung als eine Frage des Termin- und Karriere-Drucks in der modernen Arbeitswelt. Das richtige Maß zwischen nötigem Arbeitseinsatz und gesundheitsfördernder Entspannung zu finden - wie es dem Fischer in Bölls Geschichte offenbar gelang - ist heute sicher nicht nur an den Küsten Europas um einiges schwieriger geworden.
MUSIK hoch und aus
-ENDE
TC 22:32 – Outro