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Gleich mit Beginn des Kalten Krieges 1945 befand sich Deutschland im Zentrum des Konflikts. Das zerbombte Land war wegen seiner geografischen Lage, seiner Größe und seines Wirtschafts-Potenzials für die Atommächte USA und Sowjetunion äußerst interessant. In Deutschland wurde der Konflikt ausgetragen. Von Rainer Volk (BR 2022)
Credits
Autor: Rainer Volk
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Friedrich Schloffer, Hemma Michel
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Prof. Susanne Schattenberg, Prof. Bernd Greiner
Besonderer Linktipp der Redaktion:
rbb (2024): Der Zerfall Babylons
Wie war das in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg? Wie konnten Berlin und Deutschland so sehr zerfallen, das Verbrechen zum Gesetz werden? Der Podcast “Der Zerfall Babylons” taucht mit Bestseller-Autor Volker Kutscher tief ein in die Jahre 1929 bis 38. Er hat für seine Romane um Kommissar Gereon Rath präzise recherchiert in dieser Zeit. “Der Zerfall Babylons” ist ein Podcast, der Geschichte lebendig macht – zu hören überall, wo es Podcasts gibt. ZUM PODCAST
Linktipps:
ZDF (2018): Geheime Fronten – Spionage im Kalten Krieg
Manche zählen Panzer, andere stehlen Baupläne von Atombomben - alles streng gehütete Geheimnisse des Gegners. Wer sie lüften will, riskiert sein Leben im Informationskrieg verfeindeter Blöcke. JETZT ANSEHEN
BR24 (2024): 75 Jahre NATO – Kalter Krieg in Bayern
Am 4. April 1949 gründeten zwölf Staaten die North Atlantic Treaty Organization, kurz: NATO, also das westliche Verteidigungsbündnis, das Gegengewicht zum Warschauer Pakt. Das Gründungsdatum jährt sich 2024 zum 75. Mal. Der einstige Zweck gilt den Mitgliedsländern wieder als zentral: Sie wollen gemeinsam Stärke zeigen und so einen potenziellen Angreifer von vorneherein abschrecken. Verteidigt worden wäre das Bündnisgebiet während des Kalten Krieges in Bayern ? an der einstigen innerdeutschen Grenze. Kilian Neuwert hat sich für die BR 24 Reportage auf Spurensuche begeben. Denn das, was einst zu gelten schien, wirkt heute wieder brandaktuell. Mit einem deutschen Heeresgeneral ist er zu den Anfängen von dessen Karriere zurückgekehrt. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 01:19 – Zwischen Panik & Pokerface
TC 05:26 – Politischer, ökonomischer und militärischer Wettstreit
TC 09:40 – Der Versuch kultureller Freundschaft
TC 11:38 - Belastungsproben
TC 18:50 – Alles vorbei?
TC 21:41 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro
ATMO:
(Gebet – Priester – Atombombenabwurf Hiroshima) – „We pray thee that the end of the war comes soon. And that we once more may know peace on earth. May the men who fly this night be kept safe in thy care. And may they be returned safely to us. We shall roam forward trusting in thee. Knowing that we are in thy care – now and forever. In the Name of Jesus Christ – Amen.“
SPRECHER
Zugespitzt formuliert beginnt der Kalte Krieg mit einem Gebet. Als Piloten der US-Luftwaffe am 6.August 1945 zum ersten Atombombenabwurf Richtung Hiroshima starten, bittet ein Priester um Frieden und die sichere Heimkehr der Flieger. Man wisse sich in Gottes Hand. Jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.
MUSIK
SPRECHER
Tatsächlich ist der Übergang vom 2.Weltkrieg zum Beginn des neuen globalen Konflikts fließend. Für den Historiker Bernd Greiner beginnt der Kalte Krieg bei der Konferenz der Siegermächte in Potsdam im Juli 1945 – Wochen vor der Kapitulation Japans. Denn hier tauche bereits dessen entscheidender Bestandteil erstmals auf - Atomraketen.
TC 01:19 – Zwischen Panik & Pokerface
OT Greiner
Während der Potsdamer Konferenz bekommt Truman die Nachricht, dass der „Trinity-Test“ in der Wüste von New Mexico funktioniert hat. Und er raunt Churchill zu: Beobachte mich bitte mal – ich geh‘ jetzt mal zu Stalin und sage dem: Wir haben da eine Waffe, wir haben was von nie dagewesener Zerstörungskraft. Stalin reagiert wie Stalin reagiert. Nämlich erst mal gar nicht. Pokerface. Aber intern sagt er: Bestellt Kurtschakow, er möge sich beeilen, das war der Leiter des Atomprogramms.“
SPRECHER
Die Sowjetunion braucht indes bis August 1949 für die Entwicklung ihrer eigenen Atombombe. In der Zwischenzeit fühlt sich Moskau dem weltweiten Auftrumpfen der Amerikaner ausgeliefert. Die Historikerin Professor Susanne Schattenberg verweist auf die Bedeutung des Jahres 1947 und die Verkündung der Truman-Doktrin:
OT 3 Schattenberg – 1947
„1947 bringen das beide Seiten in programmatischen Reden letztlich auf den Punkt. Also dass der amerikanische Präsident, Harry Truman, sagt, wir haben hier zwei Welten, zwei Lager. Der Leningrader Parteichef Shdanov antwortet dann ein halbes Jahr später entsprechend, dass … die USA und Großbritannien eigentlich schon während des Krieges versucht hätten, die Sowjetunion zu unterdrücken und das nun endlich zutage fördern würde.“
SPRECHER
Die Deutschen in Ost und West finden sich, sozusagen, mittendrin in diesem Kräftemessen. Vor allem, als 1948 die erste große Krise ausbricht:
MUSIK & ATMO
OT 4: Reportage Luftbrücke
(Reporter) - „Alle drei Minuten landet auf dem Flughafen Tempelhof…
SPRECHERIN:
Ab Juni 1948 blockiert die Sowjetunion alle Land- und Wasser-Zugänge nach West-Berlin. Amerikaner, Briten und Franzosen versorgen die unter alliierter Kontrolle stehende Stadt elf Monate lang per Flugzeug – per „Luftbrücke“ - mit allem, was deren Einwohner brauchen. In seiner Selbstwahrnehmung wird West-Berlin zum Vorposten der freien Welt.
MUSIK
SPRECHER
Weltpolitisch aber ist die erste Berlin-Krise anders zu deuten als im Kabarett-Song der „Insulaner“: Nämlich als Stalins Antwort auf Amerikas Muskelspiele. Sie soll beweisen: Der Besitz von Atomwaffen bedeutet nicht grenzenlose Macht. Bernd Greiner, ehemaliger Leiter des „Kolleg Kalter Krieg“ in Berlin, analysiert:
OT 6: Greiner – Berlin
„Da hat Stalin versucht zu zeigen, dass der Westen ein Kaiser ohne Kleider ist. Ja, was ist denn mit Euren Atomwaffen – wie wollt Ihr denn mit Atomwaffen Berlin schützen? Da sitz‘ ich am längeren Hebel – aus seiner Perspektive. Und signalisiert: Ich kann noch einen Schritt weitergehen. Und wenn ich diesen Schritt weiter gehe, dann steht Ihr, Eure drei oder vier Atomwaffen, die ihr habt - dann steht Ihr ohnmächtig vis à vis.“
SPRECHER
Die ehemalige Reichshauptstadt hat Stalin bewusst ausgesucht für seine Strategie. Berlin symbolisiert den Kern der so genannten „Deutschen Frage“ - nämlich: Wo steht Deutschland in Europa – im Osten oder Westen? Weil dies für das Machtgleichgewicht enorm wichtig ist, beantworten die Großmächte die Frage mit der Teilung Deutschlands.
TC 05:26 – Politischer, ökonomischer und militärischer Wettstreit
MUSIK
SPRECHERIN:
Aus der sowjetischen Besatzungszone wird die DDR, aus den drei Westzonen die Bundesrepublik. Kanzler Adenauer forciert hier ab 1950 eine Integration in die Verteidigungsstrukturen des Westens – was Moskau durch die so genannte „Stalin-Note“ im März 1952 verhindern will. Der sowjetische Diktator verspricht in ihr eine Wiedervereinigung Deutschlands – falls das Land militärisch neutral bleibe. Die drei Westmächte und Adenauer halten dieses Angebot jedoch für pure Taktik – nicht ernst gemeint und lehnen es ab. Stattdessen tritt die Bundesrepublik 1954 der NATO bei, die sich auf Betreiben der USA gegründet hat. Und die DDR wird ein Jahr später Mitglied des östlichen Militärbündnisses „Warschauer Pakt“.
SPRECHER
Geografisch entspricht die innerdeutsche Grenze der Nahtstelle des Kalten Krieges. Das engt die Bewegungsfreiheit der deutschen Politik aber nicht ein – im Gegenteil. In den 1950er Jahren können etliche deutsch-deutsche Treffen stattfinden. Für viel Wirbel im Land sorgen die Reise einer Delegation der DDR-Volkskammer nach Bonn 1952 und, 1954, ein Besuch von Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU) beim Evangelischen Kirchentag in Leipzig:
OT 7: Ehlers – Radio 1954
„Das haben wir bei diesem Kirchentag erfahren: Dass es etwas Erstaunliches ist, wenn Christen durch die Kraft ihrer Gemeinschaft den Mut finden, die Abschnürung und die Furcht zu überwinden und offen zu reden und miteinander zu reden. … Die politischen Auswirkungen werden sichtbar werden, denn hier ist die Einheit unseres Volkes an einer entscheidenden Stelle dokumentiert.“
SPRECHER
Darüber hinaus profitieren Deutschland-West und -Ost wirtschaftlich von ihrer herausgehobenen Lage am „Eisernen Vorhang“. Denn der Kalte Krieg ist auch ein Systemwettstreit zwischen Markt- und Planwirtschaft. Das führt dazu, dass es den Deutschen, so meint der Historiker Bernd Greiner, zumindest ökonomisch bessergeht als ihren Nachbarn:
OT 8: Greiner – Wohlergehen
„Sie liefen auf der Butterbahn. Bei allem Gefälle zwischen West und Ost, zwischen der DDR und der Bundesrepublik darf man ja nicht aus dem Auge verlieren: Den höchsten Lebensstandard im Warschauer Pakt, inklusive Sowjetunion, hatte die DDR. Da lagen Welten dazwischen, zum Westen, aber immerhin.“
SPRECHER
Militärisch hingegen sind die Freiräume klein – sowohl für die Bundesrepublik in der NATO wie für die DDR im östlichen Militärbündnis, dem 1955 gegründeten „Warschauer Pakt“. Einer der Gründe ist, dass die Sieger des 2.Weltkriegs nie einen Friedensvertrag mit Deutschland unterzeichnen – weshalb die DDR und die Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung nicht voll souverän sind.
OT 9: 1.Appell der Bundeswehr 1955
„Nochmal abzählen! „Eins-Zwo-Drei-Vier-Fünf-Sechs-Sieben-Acht-Neun-Zehn (Pause) – Elf! (Gelächter) – (Reporter): Der UvD, im taubengrauen Stahlhelm, der dem belgischen angeglichen hat, der sich am meisten bewährt hat, hat die Rekruten zusammengetrommelt. Und nun wird gleich der Kompaniechef, Major Busch, die Rekruten begrüßen…
SPRECHER
Die Aufstellung der Bundeswehr – hier eine Radioreportage vom Empfang der ersten Freiwilligen 1955 – hat im Blick zurück zwei Seiten. Die eine ist das Eintreten der Bundesrepublik in die Militär-Phalanx des Westens – als Teil der Aufrüstung im Kalten Krieg. Selbst aus der Sicht der NATO hat der Schritt aber noch einen zweiten Aspekt, den Bernd Greiner erläutert:
OT 10: Greiner – Bundeswehr/NATO
„Dieser Satz des ersten NATO-Generalsekretärs, Lord Ismay, auf die Frage eines Journalisten „Wozu brauchen wir die NATO?“ – Na ja, klar: „To keep the Russians out, the Americans in – and the Germans down.“ Also wir brauchen ein Kontrollinstrument gegenüber den Deutschen. Und Kennedy, zum Beispiel, hat das Adenauer gegenüber sehr deutlich spüren lassen, wer Koch und wer Kellner ist.“
SPRECHER
Das erklärt auch, weshalb Wünsche bundesdeutscher Politiker, die Bundeswehr mit Atomraketen auszurüsten, keine Aussicht auf Erfolg haben.
TC 09:40 – Der Versuch kultureller Freundschaft
OT 11: (Jingle AFN)
„High fellas, this is Jill with your all-time jukebox. (Musik) – Welcome to the all-time jukebox, fellas. Thirty minutes devoted to the replaying of some of the greatest phonograph records of all times.”
MUSIK
SPRECHER
Mindestens so wichtig wie Waffen sind für die Beziehungen die kulturellen Angebote der USA. AFN zum Beispiel - das „American Forces Network“. Die Senderkette versorgt im Kalten Krieg die in Deutschland stationierten US-Soldaten mit Nachrichten und Musik. Die Deutschen, die mithören können, lernen so Jazz, Rock’n’Roll und Pop kennen. AFN wird zu einem „Soft-power“-Instrument der USA. Ähnliches gelte auch für die „Amerika-Häuser“ in westdeutschen Großstädten, sagt Bernd Greiner.
OT 12: Greiner – Kultur-Assimilation
„Plus die ganzen Austauschprogramme. Also eine ganze Kohorte von bundesdeutschen Nachkriegspolitikern, Klaus von Dohnanyi, Eppler, Schmidt, inklusive Top-Journalisten - die waren in der einen oder anderen Weise in Stipendienprogramme eingebunden und waren natürlich mit Herz und Seele Atlantiker.“
OT 13:
„Das deutsche Programm von Radio Berlin International setzt seine Sendung fort mit Berichten und Informationen aus sozialistischen Ländern – Musik (ca. 10 Sek.) – „Das Panorama. Informationen und Berichte aus sozialistischen Ländern – Musik
SPRECHERIN
Auch im Osten versucht man es mit Kultur als Freundschafts-Faktor. Der Ton dieser Sendung des DDR-Programms „Radio Berlin International“ zeigt jedoch: Das klingt staatlich verordnet - und verpufft so zumeist. Deshalb kann die „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“, die Ost-Berlin und Moskau 1947 gründen, trotz ihrer bis zu sechs Millionen Mitglieder für ihre Seite nie erreichen, was im Westen gelingt: Traumland USA.
TC 11:38 - Belastungsproben
SPRECHER
Die Harmonie zwischen Bundesdeutschen und Amerikanern wird allerdings auf eine harte Probe gestellt, wenn der Kalte Krieg eskaliert. Die Amerikaner lassen dann keinen Zweifel, wer das Sagen hat. Das zeigt sich vor allem im Krisenjahr 1961:
MUSIK
OT 14: Reportage vom Beginn des Mauerbaus
„Seit etwa 1 Uhr heute Nacht rattern die Pressluftbohrer und bohren einen Graben quer
durch die Eberstraße hier am Brandenburger Tor. Der Graben ist etwa einen halben Meter tief und etwa einen halben Meter breit…“
MUSIK
SPRECHER
13. August 1961 – die DDR beginnt mit dem Bau der Berliner Mauer. Willy Brandt verlangt als Regierender Bürgermeister eine militärische Antwort der USA auf die Provokation des DDR-Regimes. Präsident Kennedy denkt aber gar nicht daran: Er verstärkt zwar die US-Truppen in der Stadt, schickt ansonsten aber nur seinen Vizepräsidenten Johnson – mit einem Brief – zu Brandt. Egon Bahr, Vertrauter von Brandt und Sprecher des Senats von Berlin, erinnert sich an dessen Inhalt noch Jahrzehnte später:
OT 15: Bahr – Berlin-Krise/Brief
„Der Brief von Kennedy hieß: „Die Mauer ist nur durch Krieg zu beseitigen. Und niemand will Krieg – Sie auch nicht. Und: Sie dürfen nicht verkennen, dass das im Grunde eine große Niederlage für Chruschtschow ist, denn er mauert ja seine Bevölkerung ein.“ – Wir haben das damals als graue Salbe empfunden und haben erst viel später gesehen: Der hatte Recht.“
SPRECHER
Die Beziehungen zwischen den Regierungen in beiden Teilen Deutschlands und ihren Führungsmächten werden in den 60er Jahren komplizierter. Im Fall der DDR und der Sowjetunion liegt das an Walter Ulbricht. Der mächtigste Mann in Ost-Berlin ist ein Stalinist alter Schule. Stalins Nach-Nachfolger, Leonid Breschnew, der 1964 in Moskau die Macht erlangt, ist weniger dogmatisch. Susanne Schattenberg berichtet:
OT 16: Schattenberg – Breschnew/DDR
„Ich finde es sehr lustig, dass Breschnew furchtbar genervt ist von Ulbricht und dann ja auch, wie in vielen anderen sozialistischen Staaten um das Jahr 1970 herum, Führungswechsel herbeiführt – von Ulbricht zu Honecker in der DDR. Und auch Honecker findet er wahnsinnig dogmatisch und viel zu marxistisch-leninistisch. Und das heißt: Wer ist sozusagen eher der ‚Hardliner‘ - ist das eher die DDR, sowohl unter Ulbricht als auch Honecker, als letztlich Moskau selbst.“
SPRECHER
Um die gleiche Zeit entwickelt sich auch im Westen ein ernster Streit um die so genannte „Entspannungspolitik“. Der neue Bundeskanzler Willy Brandt streckt 1969 diplomatische Fühler Richtung Sowjetunion und Richtung Polen aus, um den Kalten Krieg zu deeskalieren. Im deutsch-deutschen Verhältnis will er den Alltag der Teilung etwa durch Verwandtenbesuche jenseits des Eisernen Vorhangs erleichtern. Die US-Regierung sieht das skeptisch. Das erste Gespräch in Washington zwischen Egon Bahr, der inzwischen Kanzleramtsminister ist, und Präsidentenberater Henry Kissinger verläuft daher sehr ungewöhnlich, wie Bernd Greiner erzählt:
OT 17: Greiner – Bahr/Kissinger
„Kissinger wird nervös und nervöser, rutscht in seinem Stuhl hin und her. Und stellt dauernd Zwischenfragen, aus denen man herauslesen konnte: Das geht dem von oben bis unten gegen den Strich. Und der Bahr hört sich das eine Zeit lang an und sagt dann irgendwann – und das ist protokolliert: „Henry, ich bin gekommen, um zu informieren – nicht um zu konsultieren.“ Das ist ein unerhörter Satz. Das ist ein unerhörter Satz für die deutsche Nachkriegspolitik.“
SPRECHER
Letztlich kann Brandt seinen politischen Spielraum aber nutzen und mehrere Verträge zwischen der Bundesrepublik und Staaten Osteuropas schließen. Das liegt am Vietnamkrieg. Die zweite Langzeitkrise im Kalten Krieg verlangt von der Supermacht so viel Aufmerksamkeit, dass man die West-Deutschen gewähren lässt.
MUSIK
OT 18: Kekkonen – KSZE/Eröffnung
„Ladies and Gentlemen. On behalf of the government and the people of Finland, I have the great honor to declare the third stage of the conference on security and cooperation in Europe open. It is a privilege for us to act as hosts of this conference for the second time…
SPRECHER
Helsinki, Finlandia-Halle, 1975. Der finnische Staatspräsident Kekkonen eröffnet die Abschluss-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE. Wenige Tage später unterzeichnen Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa, den USA und Kanada einen Vertrag, der den Kalten Krieg zähmen soll. Die sogenannte „Schlussakte von Helsinki“ ist das Ergebnis von mehr als zwei Jahren Verhandlungen. Zentral ist eine Art Tauschgeschäft: Der Westen garantiert den Staaten Osteuropas, auch der Sowjetunion und der DDR, die Sicherheit ihrer Grenzen. Das zementiert die Nachkriegsordnung Europas. Im Gegenzug verspricht der Osten die Menschenrechte zu achten und einzuhalten.
OT 19: Grüne – Wahlwerbung 1983
„Guten Tag, ich komme im Auftrag der Allgemeinheit. Ich soll hier bei Ihnen im Garten diese funkelnagelneue, todsichere Atomrakete aufstellen. – Um Gottes Willen! Sowas ist doch gefährlich. Gehen Sie mir bloß aus dem Weg mit dem Ding…
SPRECHER
Die KSZE beendet den Kalten Krieg jedoch noch nicht: Das zeigt dieser leicht satirische Wahlwerbe-Spot der Grünen von1983. Zu den Momenten, in denen der Konflikt wieder aufflammt, zählt auch die Phase nach dem so genannten „NATO-Doppelbeschluss“.
SPRECHERIN
Ende der 1970er Jahre stellen westliche Experten fest: Die Sowjetunion baut neue, modernere Atomraketen. Die NATO beschließt daraufhin, amerikanische Pershing-2-Raketen in Deutschland zu stationieren und gleichzeitig mit Moskau über Abrüstung zu verhandeln.
SPRECHER
Viele Bundesdeutsche halten diese Doppelstrategie für falsches Spiel - sie befürchten eine weitere Rüstungsspirale und demonstrieren vor US-Kasernen. Die politischen Wogen schlagen hoch. Politiker, die Moskaus Raketen als Bedrohung sehen, werfen der „Friedensbewegung“ Kollaboration mit dem Kreml vor. Das empört Willy Brandt, als er im Herbst 1983 bei einer Demo vor 300-tausend Menschen in Bonn auftritt:
OT 20: Brandt – Hofgarten
„Hier steht nicht die fünfte Kolonne. Wir stehen hier miteinander für die Mehrheit unseres Volks. Über 70 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik, und das ist gut so, halten nichts davon, dass Deutschland immer mehr vollgepackt wird mit atomarem Teufelszeug.“
TC 18:50 – Alles vorbei?
MUSIK
SPRECHER
Ende der 1980er Jahre scheint sich der Kalte Krieg zwischen Ost und West aber tatsächlich seinem Ende zuzuneigen. Durch Europa scheint ein Wind der Veränderung zu wehen – hier besungen von den „Scorpions“:
SPRECHERIN
Bei mehreren Gipfel-Treffen vereinbaren die US-Präsidenten Reagan und Bush mit Michael Gorbatschow, dem neuen Generalsekretär der sowjetischen Kommunistischen Partei, Atomraketen aus Europa abzuziehen und sie zu vernichten. Im Herbst 1989 gibt Gorbatschow sein Ja zur deutschen Wiedervereinigung, 1991 löst sich der Warschauer Pakt auf – anders als die NATO.
SPRECHER
Ist der Kalte Krieg damit Geschichte? Experten sehen das skeptisch. Auf jeden Fall, so meint die Osteuropa-Historikerin Susanne Schattenberg, solle man sich davor hüten, den Westen für den Sieger und den Osten für den Verlierer des Konflikts zu halten:
OT 22: Susanne Schattenberg - Ende
„Das ist so eine Post-Facto-Interpretation, die heute vorgenommen wird. Ich bin der Meinung, dass das damals niemand so gesehen hat, dass beide Seiten es als enormen Sieg und Gewinn gesehen haben, dass diese Systemkonkurrenz sich auflöst.
SPRECHER
Mittlerweile ist das offensichtlich nicht mehr der Fall. Viele Experten meinen: Putin tue alles, um die Machtverhältnisse zu ändern. Dazu zähle auch der Versuch, das Nachbarland Ukraine, das seit 1991 unabhängig ist, wieder unter die Kontrolle Moskaus zu bringen. Und sei es durch einen Krieg, wie er ihn Ende Februar 2022 vom Zaun brach. Der Kalte Krieg hat ein Erbe hinterlassen. Dazu zählt Bernd Greiner die stete Weiterentwicklung von Atomwaffen und die unverändert starke Rüstungslobby in Ost wie West. Vor allem, meint Greiner, dächten viele noch wie im Kalten Krieg.
MUSIK
Es kann sein, dass das Tauziehen um Macht und Werte, das der Kalte Krieg symbolisierte, also nur knapp drei Jahrzehnte ruhte – und nun wieder beginnt. Denn die Ukraine liegt da, wo Deutschland einst lag: An der Nahtstelle zwischen West und Ost.
TC 21:41 – Outro