Europe Calling #208 “Abschieben aus der Kirche? – Warum das Kirchenasyl unter Druck gerät”
Nov 28, 2024
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Bischof Dr. Christian Stäblein, Flüchtlingsbeauftragter der Evangelischen Kirche, diskutiert mit Pastorin Dietlind Jochims, einer Expertin für Kirchenasyl, und Robert Nestler von der NGO Equal Rights Beyond Borders. Sie beleuchten die Herausforderungen des Kirchenasyls in Deutschland und die Spannungen zwischen Kirche und Staat. Zudem wird die historische und theologische Bedeutung des Kirchenasyls diskutiert, gepaart mit persönlichen Geschichten von Geflüchteten und der dringenden Notwendigkeit, Menschenrechte und humanitäre Prinzipien zu verteidigen.
Das Kirchenasyl dient als wichtiger Schutzmechanismus in Deutschland, um Menschen vor schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen zu bewahren.
Die Diskussion um Migration und Asyl führt zu einem zunehmenden Druck auf Kirchen, humanitären Schutz zu gewähren, während staatliche Behörden regulative Vorgaben umsetzen wollen.
Die biblische Tradition untermauert die moralische und theologische Verpflichtung der Kirchen, Flüchtlinge und Asylsuchende zu unterstützen und deren Würde zu verteidigen.
Zivilgesellschaftliche Aktionen und Medienberichterstattung sind entscheidend, um auf Missstände aufmerksam zu machen und die Rechte von Flüchtlingen zu schützen.
Deep dives
Einführung in das Kirchenasyl
Kirchenasyl ist ein Schutzmechanismus, der in Deutschland seit 1983 existiert und in Einzelfällen Abschiebungen verhindert, wenn diese schwerwiegende Verletzungen der Rechte und Würde der Betroffenen zur Folge hätten. Die Motivation für Kirchenasyl ist oft tief in der christlichen Tradition verwurzelt, die Flüchtlingen Schutz bietet, basierend auf der Überzeugung, dass das Leben und die Würde eines jeden Menschen unantastbar sind. Aktuell wird Kirchenasyl in zahlreichen Fällen umgesetzt, um Menschen vor Rücküberstellungen in europäische Ersteinreiseländer zu bewahren, oft in angusthaften Lebenssituationen, wie die Geschichten von Betroffenen zeigen. In 2024 erfolgten gut 1700 Anträge auf Kirchenasyl, was die drängende Notwendigkeit und die humanitären Werte, die damit verbunden sind, unterstreicht.
Die Herausforderungen des Kirchenasyls
Die aktuelle politische Diskussion um Migration und Asyl erschwert die Situation für Kirchenasyle zunehmend. Kirchen und staatliche Behörden stehen in einem Spannungsfeld, wo die Kirchen das Bedürfnis nach humanitärem Schutz betonen, während die Behörden oft regulative Vorgaben durchsetzen wollen. Persönliche Geschichten von gefährdeten Familien und Einzelpersonen verdeutlichen die Dringlichkeit von Kirchenasyl, insbesondere im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen während ihrer Flucht. Der Druck auf die Kirchen, einer strengeren Überwachung und vermehrten Rückführungen durch die Behörden zu widerstehen, wächst, was die Notwendigkeit von mehr Unterstützung und Verständnis in der Gesellschaft offenbart.
Biblische und menschliche Grundlagen der Flucht
Die biblische Tradition bezieht sich stark auf Themen von Flucht und Asyl, was die religiöse Grundlage für die Werte des Kirchenasyls stärkt. Geschichten wie die von Hagar und der Flucht von Josef und seiner Familie aus Ägypten sind zentrale Elemente, die die menschliche Erfahrung von Flucht darstellen. Diese Geschichten bieten eine tiefere moralische und theologische Basis, die das Engagement der Kirchen für Flüchtlinge und Asylsuchende legitimiert. Deshalb ergibt sich aus der religiösen Überzeugung auch eine Verpflichtung, Menschen in Not zu schützen und ihre Würde zu verteidigen.
Probleme im europäischen Asylsystem
Das europäische Asylsystem, insbesondere das Dublin-System, wird als äußerst dysfunktional wahrgenommen, was zu hohen Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Mitgliedstaaten führt. Viele Asylbewerber sehen sich an den Außengrenzen Europas mit unzumutbaren Bedingungen konfrontiert, was die Notwendigkeit für Kirchenasyl zusätzlich verstärkt. In mehreren Fällen funktioniert die Rückführung nicht, weil die Schutzbedingungen in den ursprünglichen Ländern als inakzeptabel gelten. Das führt dazu, dass die Fluchtströme zunehmend komplexer und gefährlicher werden, was eine Lösung der Krise eher erschwert als erleichtert.
Politische Maßnahmen und ihre Auswirkungen
Die Diskussion um politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Migration und Asyl hat Auswirkungen auf die Akzeptanz von Kirchenasyl in der Öffentlichkeit. Berichte über gewaltsame Räumungen von KirchenasylPlätzen durch die Behörden sorgen für Unruhe und Verunsicherung innerhalb der Gemeinden, die versuchen, Schutz zu gewähren. Diese Form der Repression gefährdet die gesamte Idee des Kirchenasyls, indem sie Kirchen und anderen Beratungsstellen signalisiert, dass ihnen der notwendige rechtliche Schutz entzogen wird. Ein Appell an die Gesellschaft, sich gegen solche Repressionen zu wehren, wird dringend benötigt, um den humanitären Schutz aufrechtzuerhalten.
Die Rolle der Zivilgesellschaft
Die Zivilgesellschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung und dem Schutz von Kirchenasylen, indem sie auf Missstände aufmerksam macht und sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt. Aktionen wie das friedliche Demonstrieren vor Kirchen, wo Menschen in Sicherheit sind, haben sich als effektive Mittel erwiesen, um Druck auf die Behörden auszuüben. Auch die Medienberichterstattung spielt eine wesentliche Rolle, da sie oft das Bewusstsein für die humanitären Anliegen schärfen kann. Ein stärkeres Netzwerk von Unterstützungsorganisationen könnte eine entscheidende Rolle dabei spielen, den Druck aufrechtzuerhalten und die Kirche im Engagement für Asylsuchende zu bestärken.
Zukünftige Forderungen an die Politik
Die zukünftigen politischen Forderungen müssen sich auf die Stärkung des Kirchenasyls und die Gewährleistung des Schutzes für schutzbedürftige Menschen konzentrieren. Die Akzeptanz des Kirchenasyls als humane und notwendige Maßnahme muss in den politischen Diskurs integriert werden, um die nicht endende Kriminalisierung von Menschen in Not zu vermeiden. Gleichzeitig müssen rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um sicherzustellen, dass die Menschenwürde in politischen Entscheidungen immer an oberster Stelle steht. Ein Appell an die Gesellschaft, sich für eine gerechtere und menschlichere Asylpolitik einzusetzen, bleibt unerlässlich.
Aufzeichnung der 208. Ausgabe von Europe Calling am 27.11.2024 in Zusammenarbeit mit der BAG Asyl in der Kirche und der EKD, mit folgenden Gästen:
Bischof Dr. Christian Stäblein, Flüchtlingsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland
Pastorin Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche
Robert Nestler, Direktor der NGO Equal Rights Beyond Borders
Weitere Politische Unterstützer:innen und Kritiker:innen des Kirchenasyls