

DAS ALTE ROM - Die Geschichte eines imperialen Traums
Das alte Rom ist die Mutter der imperialen Idee. Sie wurde von Julius Caesar unabsichtlich begründet und seitdem immer wieder aufgegriffen: von byzantinischen Herrschern, Karl dem Großen, den heilig-römischen Kaisern oder von russischen Zaren und Napoleon Bonaparte. Vielleicht, bei genauerem Hinsehen sogar von der EU. Von Ulrich Zwack (BR 2020)
Credits
Autor: Ulrich Zwack
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Hemma Michel, Christian Baumann, Christian Schuler
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Julian Traut
Besonderer Linktipp der Redaktion:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Paris ist die Stadt der Liebe, München leuchtet als Isar-Athen, New York preist sich als Big Apple. Viele Städte schmücken sich mit wohlklingenden Beinamen. Doch Rom ist einzigartig: Rom ist golden. Rom ist ewig. Denn Rom ist mehr als nur eine Stadt. Rom ist eine Idee. Nicht nur die einer Stadt, sondern die eines ganzen Reiches.
1. ZUSP: OT-Traut
Das Besondere am Römischen Reich ist, dass es in seiner jahrhundertelangen Geschichte immer wieder transformiert wurde und auch durch verschiedene Ideen ergänzt wurde: Also das Römische Reich ist als historisches Gebilde eigentlich ein schwieriger Begriff.
ERZÄHLER
Der Münchner Historiker Dr. Julian Traut ist Spezialist für bayerische Landesgeschichte. Daneben beschäftigt er sich aber auch immer wieder mit dem römischen Reichsgedanken und den Veränderungen, die er im Lauf der Zeit erfuhr.
2. ZUSP: OT-Traut (weiter)
Es gab verschiedene römische Reiche, die römische Republik, das römische Kaiserreich. Als das Römische Reich zerbricht, kommt es dann zu verschiedenen Neuinterpretationen. Und es wird an die römische Reichsidee angeknüpft.
ERZÄHLERIN:
Die Vorstellung von Rom als Reich, das nicht sterben darf, liegt unter anderem darin begründet, dass einige biblische Texte wie das Buch Daniel, die Johannes-Apokalypse oder der 2. Thessalonicherbrief seit dem Altertum oft so interpretiert wurden, dass das Ende des Imperium Romanum den Weltuntergang einläuten würde.
MUSIK
ERZÄHLER:
Ausgehend von einer am Tiber gelegenen, zunächst ziemlich unbedeutenden, Kleinstadt eroberten die Römer nach und nach ein ganzes Weltreich.
ERZÄHLERIN:
Nichtsdestotrotz ging es in Rom selbst ständig drunter und drüber; balgten sich Patrizier und Plebejer um die Macht. Bis im Jahrhundert vor Christi Geburt immer häufiger herausragende Einzelpersönlichkeiten nach der Alleinherrschaft strebten und der inzwischen arg in die Jahre gekommenen Republik den Garaus machten.
ERZÄHLER:
Der erste, der aus diesem Ringen siegreich hervorging, war Gaius Julius Caesar. Ein genialer Feldherr, herausragender Staatsmann, brillanter Schriftsteller und meisterhafter Ränkeschmied.
ERZÄHLERIN:
Anfang 44v.Chr. ließ sich er sich vom Senat - gewissermaßen Roms parlamentarischem Oberhaus - zum Diktator auf Lebenszeit ernennen. Damit schien er die traditionelle römische Republik beseitigt und sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen zu haben. Ob er zusätzlich nach dem Königstitel strebte, ist bis auf den heutigen Tag umstritten. Nicht umstritten ist dagegen, dass rund 60 Senatoren den Diktator Caesar als lupenreinen Tyrannen betrachteten und am 15. März des Jahres 44 v. Chr. mit 23 Dolchstichen ermordeten.
ERZÄHLER:
Damit war Caesars Modell der Alleinherrschaft übers Römische Imperium kläglich gescheitert. Dennoch gehen die deutsche Bezeichnung Kaiser oder der in mehreren slawischen Sprachen gebräuchliche Titel Zar direkt auf seinen Namen zurück.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Zum ersten Kaiser im eigentlichen Sinn wurde Caesars Adoptivsohn Octavian. der nicht nur das Vermächtnis seines Adoptivvaters antrat, sondern auch dessen Namen erbte. Er riss zwar ebenfalls die Alleinherrschaft an sich, vermied dabei aber tunlichst alles, was ihn als Usurpator hätte erscheinen lassen können. Stattdessen hielt er sich demonstrativ an die traditionellen republikanischen Spielregeln. Begnügte sich nach außen mit der Stellung eines Primus inter pares, also gleichsam eines Ehrenvorsitzenden unter ihm gleichrangigen Bürgern. Seine eigentliche Macht stützte er allerdings ebenfalls auf die lebenslange Sicherung wichtiger Amtsbefugnisse. Die eines Dictators war nicht darunter. Aber der lebenslange Titel eines Imperators oder die jährliche Verleihung der Amtsgewalt eines Volkstribuns bescherten ihm z.B. auf Dauer den Oberbefehl übers Militär oder das Vetorecht gegenüber den Inhabern anderer Staatsämter.
ERZÄHLER:
Auch auf religiöser Ebene spielte Octavian eine Sonderrolle. Nicht nur, dass er lebenslang das Amt des Pontifex Maximus bekleidete, das gewissermaßen dem eines Papstes über den römischen Götterkult entsprach - er ließ sich vom Senat obendrein den Ehrennamen Augustus verleihen. Das bedeutete der Erhabene und erhob den Kaiser gewissermaßen zu einem Wesen zwischen Mensch und Gott.
ERZÄHLERIN:
Die kaiserliche Hofpropaganda und unterwürfige Provinz-Obrigkeitsvertreter machten die sakrale Weihe, die den Herrscher dadurch umgab, im ganzen Reich publik. So frohlockte eine zeitgenössische Inschrift im kleinasiatischen Halikarnassos:
MUSIK
ZITATOR:
Das Göttliche hat den Menschen, den Caesar Augustus gesandt, auf dass unser Leben glücklich werde. Den Vater seines Vaterlandes, den Heiland des ganzen Menschengeschlechts, dessen vorausschauende Fürsorge die Gebete aller nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen hat.
ERZÄHLER:
Nun hing In der Antike der Himmel wesentlich tiefer als heute. Deshalb wurde Augustus von vielen auch ganz konkret als Erlöser betrachtet, gefeiert und verehrt. Hatte er doch für inneren und äußeren Frieden, Rechtssicherheit und Wohlstand gesorgt und die Weltherrschaft Roms gesichert. Kurzum: Er hatte sich als Götterliebling erwiesen und das sagenhafte Goldene Zeitalter wieder heraufgeführt. Und das dank übermenschlicher Fähigkeiten, die ihm die Götter verliehen hatten.
ERZÄHLERIN:
Diese Fähigkeiten bildeten die Basis für den kaiserlichen Herrscherkult, denn sie waren nach damaligem Glauben göttlicher Natur. Darum hatten sie auch Anspruch auf kultische Verehrung. Der Herrscher selbst konnte offiziell allerdings erst nach dem Tod zum Gott erhoben werden. Vorausgesetzt, seine Herrschaft wurde als eine gute betrachtet. Dann wurde er, wie z.B. Caesar, Augustus, Claudius oder Trajan vom Senat zum divus, zum Vergöttlichten, erklärt, der dasselbe Recht auf religiöse Verehrung besaß wie die herkömmlichen Staatsgötter Jupiter & Co. Erst als sich das Kaisertum im 3. Jahrhundert vom Prinzipat zum absolutistischen Dominat wandelte, führte der Herrscher bereits zu Lebzeiten regelmäßig den Titel dominus et deus - Herr und Gott.
MUSIK
ERZÄHLER:
Seit Augustus blieb die römische Reichsidee eng mit dem Kaisertum verbunden, galt das Imperium Romanum als Idealstaat - in dem die verschiedensten Völker in Rechtssicherheit, Wohlstand und Frieden unter der Regentschaft eines von den Göttern eingesetzten Monarchen zusammenlebten.
ERZÄHLERIN:
Konstantin der Große stellte schließlich das Christentum dem Heidentum gleich und leitete dadurch die vollständige Christianisierung des Imperiums ein. Auf den ersten Blick bedeutete das den Verlust des sakralen Nimbus der Kaiser. Aber in Wahrheit war das Gegenteil der Fall. Denn der Herrscher war jetzt zwar kein Gott mehr, galt aber als Stellvertreter Gottes auf Erden. Und das erhob ihn selbstverständlich weiterhin himmelhoch über alle Normalsterblichen. So schrieb der Kirchenvater Eusebius von Caesarea über das Wesen der Regentschaft Konstantins des Großen:
MUSIK
ZITATOR:
Christus übt die oberste Herrschaft über die ganze Welt aus und steht über allen Dingen. Er ist das Wort Gottes, durch das unser gottgeliebter Kaiser, gleichsam in Übertragung der göttlichen Machtfülle und Nachahmung Gottes, die Angelegenheiten dieser Welt regelt und lenkt.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Gegen Ende des 5. Jahrhunderts brach die Westhälfte des Imperiums unter dem Ansturm völkerwandernder Germanenstämme zusammen. Die Osthälfte bestand dagegen noch fast ein Jahrtausend lang fort. Auch wenn sie nach der Ausbreitung des Islam ständig an Ausdehnung und Macht einbüßte.
ERZÄHLER:
Heute wird das Oströmische Reich nach seiner Hauptstadt Konstantinopel, alias Byzanz, meist als Byzantinisches Reich bezeichnet. Den Oströmern selbst wäre das jedoch nie in den Sinn gekommen. Bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Osmanischen Türken im Jahr 1453 nannten sie sich ausschließlich Rhomaioi. - Römer.
ERZÄHLERIN:
Aber auch im Westen blieb die Romidee weiterhin lebendig, betrachtete man den Fortbestand des Imperiums zumindest theoretisch als gegeben. Auch wenn der Thron bis zur Krönung Karl des Großen durch den Papst am Weihnachtstag des Jahres 800 gewissermaßen verwaist blieb. Julian Traut:
3. ZUSP: OT-Traut
Das Römische Reich, das Karl der Große begründet hat, setzt sich weniger aus einem einheitlichen Reichsgebiet zusammen, sondern ist mehr als eine politische Idee zu verstehen, als Bezugspunkt, als Ort der Kaiserwürde. Und der Papst als Spender dieser Kaiserwürde tritt da in den Vordergrund. Das Römische Reich, das dann später unter dem Titel des Heiligen Römischen Reich später noch mit dem Zusatz Deutscher Nation Bestand haben sollte, ist also ein supranationales und weniger politisch als mehr ideelles Gebilde.
ERZÄHLER:
Rein äußerlich stellte Karls Krönung die Wiederherstellung des einstigen Westreichs dar. Doch erfolgte die Neubelebung nicht nur gemäß römischer, sondern auch nach fränkischer Überlieferung. Das wies der Romidee teilweise eine ganz neue Richtung. Zwar blieb das Kaisertum weiterhin mit sakraler Weihe umgeben und stützte auch Karl seine Herrschaft nicht zuletzt auf die Schlagkraft seiner Truppen. Aber beides war nun auch mit germanischen Vorstellungen in Form des von Gott dem rechtmäßigen Herrscher verliehenen Königsheils und des Heereskönigtums verbunden. Hinzu kam die durch die päpstliche Salbung symbolisierte Vorstellung vom Gottesgnadentum. Dadurch wurde Karls Reich nicht nur zum neuen Rom, sondern auch zum neuen Jerusalem erhoben.
ERZÄHLERIN:
Indes war Papst Leo III. eigentlich gar nicht dazu berechtigt, jemanden zum Kaiser zu erheben. Da das römische Reich in Gestalt des oströmischen ja noch konkret fortbestand, wäre allein der oströmische Kaiser befugt gewesen, einen Mitkaiser zu ernennen. Aber Nikephoros I. dachte gar nicht daran, einen ungehobelten Frankenkönig als Amtskollegen zu betrachten.
ERZÄHLER:
Deshalb versuchte Karl, seine Legitimation durch eine betont römische Amtsführung zu beweisen: Er ließ für den Bau der Aachener Pfalzkapelle antike Säulen aus Rom und Ravenna importieren; wies die wichtigsten Gelehrten seiner Zeit an, die antike Literatur zu pflegen; schuf eine straffe Zentralverwaltung. Und wirklich: Als in Konstantinopel auf Nikephoros I. der wesentlich kompromissbereite Michael I. folgte und Karls Kaisertum anerkannte, galt auch der Frankenherrscher als rechtmäßiger Erbe der alten Caesaren und sein Reich wirklich als Westteil des Imperium Romanum.
ERZÄHLERIN:
Dann dauerte es erst einmal anderthalb Jahrhunderte, ehe 962 mit der Kaiserkrönung Ottos I. die lange Reihe der römischen Kaiser deutscher Herkunft begann.
MUSIK
ERZÄHLER:
Nun gehörte es seit der Spätantike zu den Hauptpflichten des Kaisers, als Schirmherr der Kirche aufzutreten. Dadurch wurden ihm folgerichtig nicht nur weltliche, sondern auch kirchliche Rechte eingeräumt. Wie die oströmischen Kaiser beriefen jetzt auch die römisch-deutschen Synoden und Konzilien ein, setzten nach Gutdünken Bischöfe und Äbte ein und ab - und manchmal sogar den Papst.
ERZÄHLERIN:
Das zeugte nicht von Größenwahn, sondern entsprach den Erwartungen, die man in Kaiser und Reich setzte. Das Imperium war ja nicht als nationaler Flächenstaat gedacht, sondern als Universalmonarchie, deren Macht sich vor allem auf die Loyalität von Menschen aus den unterschiedlichsten Weltgegenden gegenüber dem von Gott - zum Herrschen bestimmten - Regenten stützte.
ERZÄHLER:
Wohl erstreckte sich das Heilige Römisches Reich im Hochmittelalter von Antwerpen bis nach Breslau, von Hamburg bis nach Siena. Aber von echter Weltherrschaft kann da trotz aller Größe kaum gesprochen werden. Ein starkes Machtzentrum, mit dem sich auch das Ausland gut stellen wollte, bildete es jedoch allemal. So berichtete der Mönch und Chronist Widukind:
MUSIK
ZITATOR:
Der Kaiser wurde durch seine vielen Siege weithin berühmt. Deshalb besuchten ihn auch oft Gesandte von den Römern, Griechen und Sarazenen und brachten Geschenke: Goldene, silberne, bronzene, gläserne und elfenbeinerne Gefäße, Teppiche, Balsam, Gewürze und Tiere wie Löwen, Kamele, Affen und Strauße.
ERZÄHLERIN:
Aber das Heilige Römische Reich hatte nicht nur Freunde, sondern auch Feinde. Vor allem in Frankreich und in Italien polemisierte man ständig gegen die Vereinnahmung des Imperium Romanum durch die deutschen "Barbaren" Ja, selbst die Römer wollten vom Kaiser, der ihren Namen trug, nichts wissen. Als Otto III. die Tibermetropole tatsächlich zur Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches machen wollte, setzten sie ihm so zu, dass er nur knapp mit dem Leben davonkam.
MUSIK
ERZÄHLER:
In Rom wurde auch der ideologische Krieg zwischen Papst und Kaisertum um die religiöse Führungsrolle im Abendland begonnen. Der Kaiser, so erklärte Papst Gregor VII. im Jahr 1076, maße sich eine Stellung an, die nach Christi Willen allein dem Papst als Nachfolger des Apostels Petrus zukomme. Die Antwort Heinrichs IV. erfolgte postwendend. In einem hochfahrenden Brief setzte er den Papst kurzerhand ab:
MUSIK
ZITATOR:
Du wagtest zu drohen, du wolltest uns unserer von Gott verliehenen Gewalt berauben, als hätten wir das Reich von dir, und als ob die Kaiserkrone in deiner und nicht Gottes Hand läge, der uns zur Herrschaft berufen hat. Steig herab vom angemaßten Stuhl des heiligen Petrus. Steig herab, steig herab!
ERZÄHLERIN:
Nach den bisherigen Gepflogenheiten wäre die Angelegenheit damit erledigt gewesen. Aber jetzt folgte etwas völlig Neues: Der Papst verhängte seinerseits über den Kaiser den Kirchenbann.
ERZÄHLER:
In diesem Stil ging es über 150 Jahre lang weiter. Man setzte einander ab, ernannte Gegenpäpste und Gegenkaiser. Nach dem Tod Kaiser Friedrichs II. konnte der Papst die Auseinandersetzung schließlich zu seinen Gunsten entscheiden. Seitdem besaßen die Kaiser in kirchlichen Angelegenheiten keinerlei Mitspracherecht mehr.
ERZÄHLERIN:
So gingen Kaiser und Reich aus der Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst erheblich geschwächt hervor. Den Rest besorgte sehr viel später der Dreißigjährige Krieg. Er ließ das Heilige Römische Reich ausgeblutet, verstümmelt und als Spielball fremder Mächte zurück. Trotzdem bestand es noch gut 150 Jahre lang weiter.
MUSIK
ERZÄHLER:
Neben dem oströmischen und dem Heiligen Römischen entstanden ab dem Mittelalter auch andere Kaiserreiche. Etwa das bulgarische oder das serbische - und natürlich vor allem das russische. Denn als nach dem Fall von Konstantinopel die orthodoxe Kirche ihres kaiserlichen Schutzherren beraubt war, wollten die Großfürsten von Moskau an dessen Stelle treten. Deshalb begannen sie sich dem Ausland gegenüber dadurch zu legitimieren, dass sie Moskau zum Dritten Rom erklärten und sich selbst zu Zaren.
ERZÄHLERIN:
Als Zar par excellence gilt bis heute Peter der Große. Dabei hat gerade er das Wort Zar durch Imperator ersetzt. Also durch den ursprünglich rein militärischen Namenstitel der römischen Kaiser. Denn Peter wollte weniger als spätantiker oder mittelalterlicher kaiserlicher Schirmherr der orthodoxen Gläubigen betrachtet werden, denn als auf der Höhe der Zeit stehender, absolutistischer Monarch einer neuen europäischen Großmacht. Bis 1917 bezeichneten sich auch seine Nachfolger nur noch als Imperatoren.
MUSIK
ERZÄHLER:
Ganz anders Napoleon I. von Frankreich. Als Ziehsohn der Französischen Revolution, genialer Feldherr, Machtmensch und Politiker war er der vielleicht modernste Monarch seiner Zeit. Trotzdem bediente er sich, als er Ende 1804 das französische Kaisertum schuf, einer betont traditionellen Formensprache:
5, ZUSP: OT-Traut
Napoleon war es einerseits, der das Heilige Römische Reich deutscher Nation nach tausend Jahren beendet, im August 1806 so also mit einer großen Tradition bricht, andererseits sich aber dann selber schon durchaus in der Tradition der römischen Reichsidee und des Kaisertums sieht. Er vollendet sozusagen die Französische Revolution, krönt sich selbst zum Kaiser, aber er tut dies in Anwesenheit des Papstes und lässt sich auch vom Papst salben. Napoleon benutzt also verschiedene Versatzstücke, die sich vor allem in der Repräsentation zeigen. Er trägt den Lorbeerkranz. Es werden verschiedene Herrschaftssymbole kreiert, die an die römische Kaiseridee anknüpfen und so begründet er das französische Kaisertum
MUSIK
ERZÄHLER:
Das 65 Jahre nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gegründete Kleindeutsche Kaiserreich wurzelte erklärtermaßen nicht im alten Rom, sondern im freien Germanien des fälschlich zum teutschen Volksheiland hochstilisierten Cheruskerfürsten Hermann. Hitlers Drittes Reich berief sich ebenfalls kaum auf römische Traditionen, aber dafür umso mehr auf die irrationale arische Rassentheorie. Anders Mussolini in Italien. Denn zu dessen erklärten Zielen gehörte bekanntlich die Wiederherstellung des Imperium Romanum unter zeitgemäßen Bedingungen.
ERZÄHLERIN:
Was Deutschland betrifft, ist die römische Staatsidee mithin bereits 1806 abrupt abgerissen. Lediglich der Bundesadler erinnert immer noch ein wenig daran. Lässt er sich doch unmittelbar vom den obersten römischen Staatsgott Jupiter verkörpernden Adler herleiten, den schon die römischen Legionen auf ihren Feldzeichen trugen.
ERZÄHLER:
Dafür hat Franz II., der letzte heilig-römische Kaiser, die Reichsidee bereits 1804 in seine Heimat verpflanzt und als Kaiser Franz I. von Österreich den imperialen Traum der alten Römer einfach weitergeträumt. Sein neues Kaiserreich besaß ja auch wirklich alles, was ein echtes Kaiserreich ausmacht. Es war ein Vielvölkerstaat und sein Kaiser ein Vielvölkerbeherrscher von Gottes Gnaden. Das ließ sich schon allein an seinem sogenannten großen Titel deutlich ablesen. Selbst in stark verkürzter Form:
ZITATOR:
Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät, von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, von Dalmatien, Kroatien, Galizien und Illyrien; König von Jerusalem etc. Herzog von Lothringen, von Krain und der Bukowina; Großfürst von Siebenbürgen; Herzog von Friaul, Ragusa und Zara; Markgraf von Ober- und Niederlausitz und in Istrien; Herr von Triest, und auf der Windischen Mark; Großwojwode der Woiwodschaft Serbien etc., etc.
ERZÄHLERIN:
Heute gibt es in Europa gar keinen Kaiser mehr. Doch ist zusammen mit der Kaiserwürde auch die römische Reichsidee erloschen? Ja und nein. Nach der Regentschaft selbstgefälliger Potentaten sehnt sich niemand mehr zurück.
MUSIK
Aber wenn man die Vorstellung akzeptiert, dass die EU lediglich einen Paradigmenwechsel vollzogen hat, indem sie das Gottesgnadentum eines Einzelnen durch einen freiheitlich-demokratischen Grundwertekatalog ersetzt, kann die Europäische Union durchaus als zeitgemäße Fortsetzung des römischen Traums gelten. Denn auch sie umfasst Gebiete mit vielen Völkern, in denen Wohlstand, Frieden und Recht herrschen.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Folglich ist es vielleicht doch mehr als nur reiner Zufall, dass die Gründungsverträge der Staatengemeinschaft in Rom geschlossen wurden - jener Stadt, in die schon seit über 2000 Jahren alle Wege führen.