Dschihadisten, Kopftuch und die Versuchungen des illiberalen Staates – #45
Apr 11, 2018
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Kenan Güngör, Soziologe und Berater in Integrationsfragen für die Stadt Wien, beleuchtet die Gefahren der islamistischen Radikalisierung in Europa. Er diskutiert die Rolle von Konflikten im Nahen Osten und der wachsenden Islamfeindlichkeit im Westen. Güngör thematisiert die psychologischen Hintergründe, die Jugendliche in den Strudel des Terrorismus ziehen. Zudem wird die Debatte um das Kopftuch und die Herausforderungen der Integration angesprochen, während er die Wichtigkeit eines politischen Gegensteuerns unterstreicht.
Die Radikalisierung von Jugendlichen in Europa wird durch soziale Isolation, problematische familiäre Verhältnisse und den Einfluss radikaler Elemente verstärkt.
Soziale Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung extremistische Inhalte und schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit unter Jugendlichen.
Deep dives
Der Prozess eines Dschihadisten
Ein 19-jähriger Österreicher wird beschuldigt, Terroranschläge im Auftrag des Islamischen Staates geplant und organisiert zu haben. Bei dem Prozess wird diskutiert, wie dieser junge Mann in die Radikalisierung geriet und welche konkreten Taten ihm vorgeworfen werden, darunter der Bau von Nagelbomben. Die Nähe zu den Anweisungen des IS und die psychologische Unterstützung von einem 12-jährigen, den er angestiftet haben soll, stehen im Zentrum der Ermittlungen. Diese Ereignisse zeigen die bedeutenden Herausforderungen, die der österreichische Staat im Umgang mit der Radikalisierung von Jugendlichen hat, insbesondere angesichts der militärischen Niederlage des IS in Syrien und im Irak.
Soziale und familiäre Faktoren der Radikalisierung
Der Fall zeigt, wie fehlende soziale Unterstützung und problematische familiäre Verhältnisse zur Radikalisierung beitragen können. Der Angeklagte, der zunächst aus einem funktionierenden Umfeld kam, erlebte zahlreiche Rückschläge und Negativeinwirkungen während seiner Zeit im Strafvollzug. Hier wird angesprochen, dass der Kontakt zu radikalen Elementen und die Ablehnung von Seiten des Staates zu einem Gefühl der Entfremdung führten. Der Einfluss eines tschetschenischen Mitinsassen, der ihm einen Koran gab, war entscheidend für seinen Weg zur Radikalisierung.
Politische Motive der Radikalisierung
Der Diskurs um die politischen Motive der Radikalisierung ist zentral, da viele Jugendliche vorgeben, gegen die Ungerechtigkeiten in Syrien und Palästina kämpfen zu wollen. Jugendliche in Migrantenfamilien äußern häufig ein starkes Unrechtsempfinden, das sie in die Arme extremistischer Ideologien führt. Auch in Schulen wird berichtet, dass islamische Themen, insbesondere die Situation im Gazastreifen, große Resonanz finden und viele Schüler kritisch gegenüber westlicher Politik eingestellt sind. Diese politische Dimension sorgt dafür, dass sich immer mehr Jugendliche mit radikalen Ansichten identifizieren und damit politische und kulturelle Spannungen verstärken.
Die Rolle der sozialen Medien und staatliche Reaktionen
Soziale Medien spielen eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung extremistischer Inhalte unter Jugendlichen. Diese Plattformen fördern die Verbindung zu radikalen Predigern und erzeugen ein Gefühl der Zugehörigkeit, auch wenn die militärischen Erfolge des IS in der realen Welt nachlassen. Gleichzeitig gibt es Bedenken, dass staatliche Maßnahmen, wie das geplante Kopftuchverbot, möglicherweise als islamophob wahrgenommen werden und nicht die eigentlichen Problemquellen ansprechen. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung von Extremismus und dem Schutz von Minderheitenrechten zu finden.
Aus Anlass eines Terroristenprozesses, der diese Woche im Wiener Landesgericht zu Ende geht, diskutieren wir die Gefahren der islamistischen Radikalisierung in Europa. Der Angeklagte Lorenz K.aus Niederösterreich wird unter anderem beschuldigt im Auftrag des Islamischen Staates den Bau einer Nagelbombe in Deutschland organisiert zu haben. Welche Rolle spielen die Konflikte im Nahen Osten und die Islamfeindlichkeit im Westen? Wie kann das Abgleiten von hunderten, vielleicht tausenden Jugendlichen in Europa in den Wahn des islamistischen Terrors gestoppt werden?
Zu hören: Soziologe Güngör Kenan, Biber-Journalistin Melisa Erkurt, Pädagogin Heidi Schrodt und FALTER-Chefredakteur Florian Klenk. (Teil 1)