Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, spricht mit Robert Misik über den Wandel der Arbeit im Kontext von Pandemie und Wirtschaftskrise. Die Unsicherheiten, die durch prekarisierte Arbeitsverhältnisse entstehen, werden beleuchtet. Heil betont die Bedeutung von Kurzarbeit zur Stabilisierung der Wirtschaft und den sozialen Herausforderungen, die Reformen erfordern. Außerdem wird der Einfluss der Digitalisierung auf die Arbeitswelt diskutiert, sowie die Rolle der Arbeit für Identität und soziale Zugehörigkeit.
Die Pandemie hat die Unsicherheiten im Arbeitsleben verstärkt und das Bedürfnis nach Sicherheit und sozialer Stabilität neu geweckt.
Ein starker Sozialstaat spielt eine entscheidende Rolle bei der Minderung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Krisen, indem er direkte Hilfen bereitstellt.
Die Herausforderungen der Digitalisierung erfordern eine umfassende Weiterbildung der Arbeitnehmer, um sie auf zukünftige Marktbedürfnisse vorzubereiten.
Deep dives
wirtschaftliche Resilienz in der Krise
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie haben Deutschland und Österreich stark betroffen, doch beide Länder haben sich erstaunlich gut geschlagen. Trotz eines signifikanten Rückgangs des BIP und einer tiefen Wirtschaftskrise bleibt der Arbeitsmarkt relativ stabil, was auf die effektive Implementierung von Kurzarbeit zurückzuführen ist. Dieses Instrument hat sich als stabilisierende Brücke erwiesen, indem es Unternehmen ermöglicht, ihre Fachkräfte zu halten, während sie auf eine wirtschaftliche Belebung warten. Experten erkennen mittlerweile sogar an, dass der Begriff 'Kurzarbeit' international an Bedeutung gewonnen hat und als positives Beispiel für Krisenmanagement angesehen wird.
Sozialstaat als Stabilitätsfaktor
Der Sozialstaat wird als essenzieller Bestandteil angesehen, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise abzufedern. Er zeigt sich nicht nur durch direkte Hilfen für Betroffene, sondern stabilisiert auch die gesamte wirtschaftliche Nachfrage. Vertreter der Sozialdemokratie betonen, dass ein starker Sozialstaat notwendig ist, um gesellschaftliche Resilienz zu fördern und Angst vor Arbeitsplatzverlust zu vermindern. Dieses Konzept ist nicht nur theoretisch, sondern wird in der Praxis durch die effiziente Arbeit der Bundesagentur für Arbeit unterstützt.
Vorsichtige Fortschritte im Arbeitsmarkt
Die aktuelle Situation im Arbeitsmarkt wird von den Herausforderungen des strukturellen Wandels und der Digitalisierung geprägt. Nicht nur weniger Arbeitsplätze im traditionellen Sinne für industrielle Beschäftigte sind betroffen, sondern es wird auch eine Transformation der erforderlichen Fähigkeiten deutlich. Der Fokus liegt darauf, die aktuelle Belegschaft auf die künftigen Anforderungen vorzubereiten, indem Programme zur Weiterbildung und beruflichen Neuorientierung entwickelt werden. Der gesellschaftlichen Herausforderung, Menschen in einem sich schnell verändernden Arbeitsumfeld eine Perspektive zu bieten, wird hohe Priorität eingeräumt.
Prekäre Beschäftigung im Brennglas
Die Pandemie hat bestehende soziale Ungleichheiten und prekäre Beschäftigungsverhältnisse verstärkt, die zuvor oft ignoriert wurden. Besonders in der Pflege- und Fleischindustrie stehen die Arbeitsbedingungen unter kritischer Beobachtung. Es wird erkannt, dass viele derjenigen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, oft schlecht bezahlt und unsicher beschäftigt sind. Die dringende Notwendigkeit, diese Bedingungen zu verbessern und gesetzliche Schutzmechanismen zu implementieren, wird als entscheidender Schritt angesehen, um zukünftige Krisen besser zu bewältigen.
Neues gesellschaftliches Bewusstsein
Die Krise hat ein neues Bewusstsein für die Bedeutung von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit geschaffen. Es gibt zunehmend ein Gefühl, dass jeder Bürger ein Teil des sozialen Gefüges ist, und dass der Schutz der am stärksten gefährdeten Mitglieder der Gesellschaft oberste Priorität hat. Der soziale Zusammenhalt, der während der ersten Welle der Pandemie zu spüren war, wurde jedoch durch die anhaltenden wirtschaftlichen und psychologischen Belastungen auf die Probe gestellt. Um die gegenwärtigen Spannungen zu überwinden und um langfristige Lösungen zu finden, ist ein gemeinsames Engagement für soziale Gerechtigkeit und eine gerechte Verteilung von Ressourcen erforderlich.
Mit der Pandemie und der Wirtschaftskrise bricht noch mehr Unsicherheit in die Leben vieler Menschen ein. Zugleich werden Prekaritäten durch die Pandemie noch sichtbarer. Strukturwandel bedroht auch scheinbar sichere Arbeitsplätze, lässt aber zugleich neue entstehen. So wird das „Bedürfnis nach Sicherheit“ wieder zentral. Arbeit ist auch mehr als nur ein Job, der sicheres Einkommen garantiert: Sie gibt uns eine Identität, webt Menschen in soziale Netzwerke ein, ist Quelle von Status und Selbstrespekt – und nicht zuletzt Quelle von Wohlstand und Fortschritt.
Hubertus Heil, der Bundesminister für Arbeit und Soziales der Bundesrepublik Deutschland, skizziert im Gespräch mit Robert Misik den „Wert und den Wandel der Arbeit“ und die Aufgaben zeitgenössischer Sozialpolitik. Diese Episode ist der Mitschnitt einer Online-Veranstaltung des Bruno Kreisky Forums für internationalen Dialog Wien vom 27. November 2020.
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