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Alles Geschichte - Der History-Podcast

D-DAY - Frankreichs Gedenken an die Landung der Alliierten

Jun 5, 2024
23:00

80 Jahre liegt die Landung der Alliierten in der Normandie zurück. Noch heute erinnern Bunkeranlagen und Panzer am Strand von Courseulle-sur-mer an die Befreiung von den Nationalsozialisten. Da es kaum noch Zeitzeugen gibt, ist es heutigen Bewohnern des Küstenörtchens besonders wichtig, weiterhin das Gedenken zu wahren. Von Andrea Burtz (BR 2024)

Credits
Autorin: Andrea Burtz
Regie: Ron Schickler
Es sprachen: Katja Bürkle, Ron Schickler, Andreas Neumann, Hemma Michel
Technik: Robin Auld
Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview: Romain LeChartier, Samuel LeVasseur, Corinne Vervaeke, Philippe Vervaeke, Eric Tabaud

Ein besonderer Linktipp der Redaktion:

ARD History (2024): 24 h D-Day

Der D-Day markiert den Startschuss zur Befreiung Westeuropas aus dem Griff der Naziherrschaft. Am 6. Juni 1944 greifen alliierte Soldaten deutsche Stellungen an gleich fünf Strandabschnitten in der Normandie an. Der Angriff erfolgt von See aus und gilt als das größte amphibische Ladungsunternehmen der Geschichte . Dieses Ereignis jährt sich nun zum 80. Mal. Doch so nah, so authentisch wurde diese Schlacht noch nie gezeigt. Amerikanische und britische Kameraleute sind in Landungsbooten, bei  Beschuss am Strand und bei der Rettung Verletzter dabei. Ihr Originalmaterial, gedreht in schwarz-weiß, wurde für diese Dokumentation aufwendig  bearbeitet und koloriert. Die historisch einzigartigen Aufnahmen erscheinen in Spielfilmqualität. Der Krieg bekommt Farbe. Und damit eine andere Wirkung. Wir schauen direkt in die Gesichter derer, Amerikaner, Kanadier, Briten und Deutsche, die meisten nicht viel älter als 20 Jahre. In „ 24 h D-Day“ erzählen sie ihren D-Day, den Tag den sie nie vergessen konnten. JETZT  ANSEHEN

Linktipp:

arte (2024): Der D-Day und eine Reise in die Familiengeschichte

In diesem Jahr ist es 80 Jahre her, dass alliierte Truppen in der Normandie landeten, um die Nazi-Herrschaft über Europa zu beenden. Daran wird international erinnert. Aber auch heute noch ist der D-Day für viele Menschen weit mehr als ein Gedenktag; er ist ein wesentliches Datum ihrer eigenen Geschichte und der Geschichte ihrer Familie. JETZT ANSEHEN

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHER 1 OV  ÜBERSETZUNG ROMAIN (flüsternd) TON 1
Ich habe immer dasselbe Gefühl, wenn ich das Alter dieser Soldaten lese. Ich bin jetzt 30, die meisten sind jünger als ich. Der Älteste, der hier begraben ist, war 34. Ich habe Mitgefühl, wenn ich mich in ihre Lage versetze, mir ihre Lebenswege vorstelle. Was wohl im Moment der Landung in ihren Köpfen vorgegangen ist, und als sie sich entschlossen haben, herzukommen. Sie hatten keine Wahl. Auf Friedhöfen herrscht immer diese Stimmung von Ruhe und Gelassenheit.

Atmo Friedhof

SPRECHERIN
Es ist ein sonniger Morgen in Bény-sur-mer. Romain ist der einzige Besucher auf dem kanadischen Soldatenfriedhof. Er stammt aus dem Nachbarort Courseulles und betreibt dort eine kleine Pension. Sein Blick schweift über die einheitlichen Grabsteine der 2.049 jungen Kanadier, die in den ersten Wochen der Normandie-Invasion im Juni 1944 gefallen sind. Auf jeder weißen Stele sind unter einem Ahornblatt Name, Rang und Todesdatum eingraviert. Dazwischen blühen Narzissen, Iris und rote Tulpen.

SPRECHER 1 OV  ÜBERSETZUNG ROMAIN, TON 2
Es ist unvorstellbar. Jetzt sogar noch mehr. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass sowas heute nochmal passieren könnte.
Dass Menschen sechstausend Kilometer auf einem Schiff oder in einem
Flugzeug hinter sich bringen, um ein Land zu retten, das sie gar nicht
kennen. Ich glaube, wenn man heute Leute zwischen 20 und 30 fragen
würde, ob sie in der Lage wären, das zu tun, würden 99% „nein“ sagen. Es ist unvorstellbar, und das macht das Ganze noch stärker.

ATMO Friedhof

FREISTEHEND, SAMUEL LEVASSEUR, TON 3
Je suis jardinier. Ca fait 30 ans que je fais le travail
pour le cimetière.


SPRECHERIN
Samuel Levasseur ist seit 30 Jahren der einzige Gärtner des Soldatenfriedhofs. Im Ort heißt es, es sei der schönste der Region. Denn Samuel sorgt dafür, dass er ganzjährig blüht. Im Juni, zum Jahrestag der Landung, setzt er Klatschmohn.
Damit schmückten schon die Einheimischen im Frühsommer 1944 die Gräber. Dem Gärtner ist es wichtig, den Gefallenen jeden Tag aufs Neue seine Ehre zu erweisen.

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG SAMUEL LEVASSEUR TON 4 (Samuel, ov)
Am Ende bleiben nur ihre Gräber. Ich bepflanze sie,
damit sie hübsch aussehen, und um ihnen zu huldigen. Ein wunderschöner Tribut, den ich zollen kann. In diesem Jahr ist es vielleicht das letzte Mal, dass wir den Gedenktag mit Veteranen begehen. Zum Glück konnten wir die Andenken dieser Männer bewahren, ich habe einige gesammelt. Sie sollen nicht vergessen werden.

MUSIK

SPRECHERIN
Manche Angehörige hinterlassen Hochzeitsfotos, handgeschriebene Nachrichten und sogar Schmuck auf den Gräbern. Nach einer Weile entfernt Samuel Levasseur die verwitterten Gegenstände, damit der Gesamteindruck der Gedenkstätte nicht gestört wird. Aber er hebt all diese Dinge auf und beantwortet Besuchern Fragen. Die 30 Jahre Arbeit zwischen den Grabsteinen junger Soldaten haben ihn geprägt.

SPRECHERIN OV ÜBERSETZUNG CORINNE VERVAEKE; TON 5
Er ist ein Poet! Seine Verse sind sehr bewegend, er schreibt wunderschöne, schlichte Gedichte, besonders über die Kanadier. Wenn er es mal wagt, seine Gedichte anderen vorzulesen –Samuel ist sehr schüchtern! – dann weinen alle. Sie sind so schön, dass alle in Tränen ausbrechen.

SPRECHERIN
Fremdenführerin Corinne Vervaeke hat mit Besuchergruppen schon oft den Soldatenfriedhof Bény und seinen Gärtner besucht. Sie kennt seine Gedichte.

SPRECHERIN OV ÜBERSETZUNG CORINNE VERVAEKE, TON 6

Sie sind sehr kurz, nur wenige Zeilen. Er erzählt zum Beispiel vom Soldaten, der seine Familie in der Ferne zurücklassen muss, der das Meer überquert, auf normannischem Sand fällt
und schließlich für immer in der Erde der Normandie schläft, weit entfernt vom gelobten Land.

SPRECHERIN
An manchen Tagen kommen bis zu sechs Touristenbusse zum Soldatenfriedhof Bény,(Bénie) der auf einer Anhöhe liegt. Drei Kilometer Luftlinie vom Küstenabschnitt Juno Beach entfernt, wo die 3. Kanadische Division am 6. Juni 1944 landete. Vom Friedhof kann man in der Ferne das Meer sehen. Die winzigen bunten Punkte am Horizont sind Segel von Surfern wie Mathieu.
Atmo WIND MEER

SPRECHER 1 OV, ÜBERSETZUNG SURFER MATTHIEU TON 6

Je nach Windrichtung ist es ein besonders beliebter Spot für alle
Windsurfer. Wenn wir auf dem Wasser sind, sehen wir das große Kreuz dort, das sorgt für eine besondere Atmosphäre. Wir können wirklich relativ weit sehen, vor allem das Lothringerkreuz. Es dient uns als Orientierungspunkt, denn bis dorthin müssen wir kommen… , ah der Wind ist heute stark….))

MUSIK GBE3A2123420 The Tide Of Fear 00:45min

SPRECHERIN
18 Meter ragt das Lothringerkreuz am Strand von Courseulles in den Himmel. Es wurde 1990 zu Ehren des ehemaligen Generals und Staatspräsidenten Charles de Gaulle errichtet. Am 14. Juni 1944, gut eine Woche nach dem D-Day, war de Gaulle am Juno Beach in Courseulles an Land gegangen - vier Jahre nachdem er vor dem Vichy Regime und den nationalsozialistischen deutschen Besatzern nach London ins Exil geflohen war. Das Doppelkreuz erinnert an
seine Rückkehr. Die Freien Französischen Streitkräfte hatten das Symbol aus dem Mittelalter übernommen - als Gegenstück zum Hakenkreuz der Nationalsozialisten.

Fremdenführerin Corinne Vervaeke packt ihre Tasche für die große
Familientour zum D-Day: Original Lebensmittelkarten, Helme und Pullover von US Soldaten, ein Feldtelefon. 60 Kilo Anschauungsmaterial aus der Zeit der Besatzung und Befreiung. Die Kinder dürfen alles anfassen und ausprobieren.

SPRECHERIN OV CORINNE VERVAEKE TON 7

Das kratzt und piekt, das Feldtelefon ist schwer. Die Kinder dürfen es auf dem Rücken tragen… Damals sind die Soldaten mit ihren großen Rucksäcken ins Wasser gesprungen, sie hatten wirklich Gewicht! All das werden die Kinder ihr Leben lang nicht vergessen. Dinge anzufassen, das spricht die Sinne an und bleibt im Gedächtnis.

SPRECHERIN

Corinne Vervaeke hat ihr Haar mit kleinen Kämmchen zurückgesteckt, so wie es in den 1940er Jahren Mode war. Auch ihr Rock, Bluse und Schuhe stammen aus der Zeit. Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, hat die Sportlehrerin sich ihren großen Wunsch erfüllt, noch ein Geschichtsstudium anzuhängen. Seither macht sie Führungen in Courseulles. Corinne stammt aus der Region und kennt den Ort. Sie betont, dass es wichtig sei, zu unterscheiden: Zwischen den großen Festlichkeiten zum Jahrestag der Landung als Dank an die Veteranen. Und dem, was französischen Zivilisten damals während der Befreiung widerfahren ist.

SPRECHERIN OV, ÜBERSETZUNG CORINNE TON 9
Das war sehr schwer für die normannische Bevölkerung. Viele Häuser waren zerstört und ein Teil der Zivilisten durch die Bomben der Alliierten ums Leben gekommen. Heute muss man das alles ein bisschen vergessen, ein bisschen glätten und sich daran erinnern, dass wir dadurch heute in Frieden leben können. Passiert ist es der
Generation unserer Eltern. Für uns war die Befreiung dann ein großes
Glück. Für uns ist eine Erinnerung - keine gelebte Realität!


SPRECHERIN
Corinnes Mann Philippe, nach 37 Jahren in der Armee nun im Ruhestand, definiert den D-Day ganz klar:

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG PHILIPPE VERVAEKE TON 10
Für uns ist die Landung tatsächlich der erste Tag eines neuen Europa. Eines friedlichen Europa. Das ist nicht der 8. Mai. Der 8. Mai markiert das Ende des Krieges. Aber der entscheidende Faktor war für
uns die Landung. Hier wurde klar, dass wir aufhören müssen, ständig Kriege zu führe, und dass wir Europa schaffen müssen.

MUSIK

SPRECHERIN
Interesse an der eigenen Geschichte zu wecken und Völkerverständigung zu unterstützen, ist für Philippe Vervaeke unerlässlich. Heute macht sich der Rentner für Städtepartnerschaften stark und unterstützt seine Frau bei ihren Führungen am Juno Beach. Auch er passt seine Kleidung dabei an die 40er Jahre an. Der
Hobbysammler kann aus seinem eigenen Fundus schöpfen: Er trägt Uniform und Schiffchen eines Kriegsberichterstatters bei US-Armee.

SPRECHERIN OV CORINNE VERVAEKE TON 11 (Reportagig)
Da ist Philippe. Wir sind am Strandabschnitt der Kanadier, aber Philipp trägt keine kanadische
Uniform…

SPRECHER 2 OV Übersetzung Philippe:
Also Kinder – wie bin ich gekleidet? … Es steht auf der
Tasche wie bei einem Camembert aus der Normandie… Ich bin ein Journalist…))


SPRECHERIN

Familien aus ganz Frankreich sind mit ihren Kindern gekommen, um beim Strandspaziergang zu erfahren, was sich hier im Jahr 1944 zugetragen hat. Wo genau der bekannte Panzer einen Bombenkrater füllte, damit nachkommende Fahrzeuge über ihn hinwegfahren konnten. Warum es wichtig war, all die kleinen Brücken über dem Flüsschen „Seulle“ zu schützen und wie klein die Provianttasche eines US Soldaten war. Nachdem die Kinder noch einen restaurierten Panzer bestaunt haben, geht es direkt aufs Dach eines Bunkers – auf den sogenannten „Atlantikwall“.

SPRECHERIN OV CORINNE VERVAEKE, TON 12

Also – sieht das so aus wie eine Mauer? Stehen wir auf
einer Mauer? – (Kinder im Chor, FREI STEHEN LASSEN) NON!
– Tatsächlich nennt man es Atlantikwall, weil es als Schutz diente. Eigentlich besteht er aber aus vielen einzelnen Bunkern.

13.O-TON: Trompetenstoß, Fliegerlärm

SPRECHERIN
Philippe bläst zum Appell. Zufällig schießt am Himmel ein historischer Flieger über die Köpfe der erstaunten Besuchergruppe hinweg. Am Ende gibt es noch ein Quiz: Philippe zieht Soldatenhelme aus einer Tasche, die Kinder sollen das Land seiner Herkunft erraten.

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG PHILIPPE TON 14

Ja, das ist einfach – ein deutscher! Es ist das einzige
Objekt meiner Sammlung, das nicht historisch ist. Der deutsche Helm
gehört zum Kostüm des Films „Saving Private Ryan“, es ist eine Filmrequisite. Denn heute sind deutsche Sammlerstücke sehr, sehr teuer.

SPRECHERIN

Nach der zweistündigen Tour sind die Kinder beeindruckt. Was ein Soldat beim Sprung ins Meer mit sich führte und wie klein seine Essensration war, werden sie nicht vergessen.


ATMO STRAND/MEER


SPRECHER 1 OV ÜBERSETZUNG SURFER MATHIEU TON 15

Es gibt hier ja direkt das Museum – aber wir schauen uns das nicht ständig an. Wir leben in Courseulles, einem Ort, der für Wassersport wie geschaffen ist. Unter den heutigen Bedingungen ist es großartig!


SPRECHERIN
Surfer Mathieu rollt das Segel aus, um schnell raus aufs Meer zu kommen. Am Strand kennt man sich hier unter Wassersportlern.

SPRECHER 1 OV ÜBERSETZUNG SURFER MATHIEU TON 16
Ganz ehrlich? Ich habe keine Zeit, um mir all das anzuschauen, was hier sich hier zugetragen hat. Ich bin zu sehr mit meiner
Arbeit beschäftigt. Die Gedenkveranstaltungen sind immer besonders, wir erleben dann die Geschichte ein bisschen noch einmal. Für uns
Einheimische ist es gar nicht so leicht, da einen Platz zu bekommen. Aber es zieht Touristen an– das ist gut für die Region!

ATMO Meer

SPRECHER 1 OV ÜBERSETZUNG ROMAIN TON 17
Hier am Strand gibt es auch eine Surfschule, die Leute haben hier Spaß, und ich gehe dort schwimmen. Ich denke nicht an die Landung, wenn ich meinen Hund ausführe. Manchmal vielleicht, aber nicht täglich.

MUSIK

SPRECHERIN
Pensionsbetreiber Romain liebt seine Heimat, die Normandie. Die satten
Wiesen, die vielen Pferde, die blühenden Apfelbäume im Frühling und natürlich das Meer. Häufig wird er von seinen amerikanischen Gästen gefragt, ob er an dem Strand wirklich baden geht, an dem so viele Soldaten ihr Leben lassen mussten.

SPRECHER 1 OV ÜBERSETZUNG ROMAIN TON 18
Dann antworte ich, dass ich nicht daran denke. Das mag manchem verrückt erscheinen. (…) Ich sage den Leuten dann, wenn man an jedem Ort aufhört zu leben, an dem sich etwas Schlimmes ereignet hat, egal ob ein Krieg oder etwas anderes, dann könnte man nicht mehr leben. Besonders in der Normandie. Wir haben viele solcher Orte.

SPRECHERIN
Seit drei Jahren betreibt der 30jährige die kleine Pension in seiner Heimat Courseulles. Ein 4000 Seelen Ort, der im Sommer von Badegästen lebt und im restlichen Jahr von Geschichtstouristen. Das Haus aus dem 18. Jahrhundert hat Romain im Bewusstsein renoviert, künftig Gastgeber für Menschen aus aller Welt zu sein, die an der Normandie vor allem die berühmte Landung interessiert - weniger ihre Landschaft. Kanadier, Engländer, Amerikaner.

SPRECHER 1 OV ÜBERSETZUNG ROMAIN TON 19

Natürlich kommen auch Franzosen. Für viele ist es so eine Art „Pilgerreise“, als müsse jeder Franzose einmal in seinem Leben die
Landungsstrände besucht haben. Viele Eltern waren schon als Kinder hier. Egal, ob es 10, 20, 30, 40 Jahre her ist – sie sagen: „Ja, ich war mit meinen Eltern hier, ich erinnere mich!“ Der Vorteil hier ist, dass sich nicht viel verändert hat. Was vor 40 Jahren hier war, ist es auch heute noch.

SPRECHERIN

Touristen wollen Gräber entfernter Verwandte besuchen oder ganz speziellen Fragen nachgehen. Romain hat durch seine Gäste viel Neues über die Region erfahren, obwohl er hier aufgewachsen ist. Schon als Kind hat er all die Erinnerungsstätten und Museen mit der Familie oder Schulklasse besucht; viele Anekdoten gehört, die hier von Generation zu Generation weitergetragen werden. Die meisten Zeitzeugen sind mittlerweile verstorben.

MUSIK

SPRECHERIN

Romains Großvater beschrieb oft den unvorstellbaren Lärm der Detonationen in der Nacht des 6. Juni 1944, den er noch in Flers (flär) hören konnte. Einem Ort, der im Landesinneren 70 Kilometer von der Küste entfernt liegt. Oft
erinnerte er daran, wie quälend lang die Befreiung war - der D-Day war nur der Anfang.


SPRECHER 1 OV ÜBERSETZUNG ROMAIN TON 20

Caen ist im August befreit worden. Die Alliierten sind aber schon Anfang Juni gelandet. Das muss man sich mal vorstellen: Sie haben Monate gebraucht, um diese 20 Kilometer vorzudringen. Es gab unerbittliche Kämpfe, dabei wurde Caen zu 90% zerstört, 3000 Zivilisten kamen ums Leben. Die Großmutter einer Freundin erzählte immer, dass sie während der Befreiung Caens durch die Alliierten fast alle Schulkameraden verloren hatte.

SPRECHERIN
Im Herbst 1944 saßen noch drei Kinder in der Klasse. Ein Bild, das sich bei Romain eingebrannt hat, obwohl er es nie gesehen hat.

SPRECHER 2 OV  ÜBERSETZUNG ERIC, TON 21

Das Foto da wurde am 14. Juni 1944 aufgenommen, eine Woche nach der Landung. Das ist de Gaulle, dort wo das Rathaus ist …

MUSIK GBY9Y2201307 Moonbow 00:52min

SPRECHERIN

Eric Tabaud ist stolz auf seine Sammlung. Über 10.000 Fotos hat der 63jährige Hobbyhistoriker bereits von Courseulles gesammelt und digitalisiert. Die Interessantesten präsentiert er auf seiner Internetseite. Das Museum, das sich mit der langen Geschichte Courseulles beschäftigt hat, ist seit ein paar Jahren geschlossen. Für Eric Tabaud ein Grund mehr, die Erinnerung an das kleine Industriestädtchen mit seinen Fotos lebendig zu halten. Eric ist im Ort bekannt. Seit über 100 Jahren betreibt seine Familie das historische Kinderkarussell am Strand. Großeltern, die jetzt mit ihren Enkeln kommen, sind früher selbst auf den Pferdchen und Zebras geritten. Eric sitzt oft an der Kasse.

ATMO: kurzes, unübersetztes Gespräch indirekt als Atmo
aufgenommen TON 22

SPRECHER  2 OV ÜBERSETZUNG ERIC TON 23

Es kommen viele Omas aus Courseulles zu meinem Karussell, die mich von klein auf kennen. Ich frage sie, ob sie alte Fotos haben und dann bringen sie welche mit. Sehr alte Fotos und so kann ich Ereignisse rekonstruieren…
Das da sind Deutsche, die man am D-Day schon mittags festgenommen hat…
Als die Deutschen damals Courseulles besetzt haben, haben sie alle Fotoapparate der Leute konfisziert. Sie wollten verhindern, dass sie den Alliierten Fotos der Befestigungsanlage zuspielen. Ein paar wenige haben ihre Apparate aber behalten und bei der Befreiung gleich wieder rausgeholt, um Fotos zu machen…

MUSIK

SPRECHERIN

Fotos von gefangenen deutschen Soldaten, von riesigen Krankenhaus-Schiffen, die Verletzte auf Bahren versorgen. Von Bunkeranlagen.

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG ERIC TON 24

All die Fotos haben mir Leute vorbeigebracht… Das sind deutsche
Offiziere im Jahr 42, während der Besatzung. Aus der Zeit habe ich nur
wenige Fotos, aber es gibt welche. Da – sie überwachen den Strand…
Und das sind die ersten Gräber, die Kanadier ausgehoben haben.

SPRECHERIN

Wie viele Menschen in Courseulles haben auch Erics Schwiegereltern nach der Invasion in einem der Bunker am Strand gewohnt, weil ihr Haus zerstört war. Familie Tabaud hat den Krieg überlebt. Ihr erstes Karussell jedoch nicht.

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG ERIC TON 25

Als 1939 der Krieg ausbrach, wurde mein Großvater
einberufen und das Karussell geschlossen. Mein Vater war damals 9, meine Tante 10. Die Familie besaß Land in der Nähe von Caen, züchtete Schafe und verbrachte die Winter auf den Feldern. Die Alten dachten, dieser Krieg würde niemals enden und das Karussell zu nichts mehr nütze sein. Da es kein Holz zum Heizen gab, haben sie begonnen, es zu verheizen. Nach dem Krieg haben wir dann ein neues Fahrgeschäft aus Blech bauen lassen.

SPRECHERIN

Als Eric Tabaud 1996 den Betrieb von seinen Eltern übernommen hat, hat er das Fahrgeschäft nach historischer Vorlage nachbauen lassen. Einhörner, Pferdchen und Boote, die noch heute hier ihre Runden drehen, sind aber nicht mehr als aus Holz, sondern aus Harz. Handgemalte Engelchen strahlen von der Decke. Die musikalische Untermalung erinnert an die Anfangstage des Traditionsbetriebs.

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG ERIC TON 26
Wir spielen hier Jahrmarktorgelmusik. In Deutschland
und Holland gibt es davon besonders viel. Eines Tages, als ich einen
deutschen Marsch gespielt habe, haben mir das Leute vorgeworfen, weil es doch Deutsche waren, die Krieg gegen uns geführt haben. Da habe ich gesagt: „Wir können doch nicht mit allen Menschen im Krieg bleiben, mit denen wir es irgendwann mal waren! Sonst sprechen wir irgendwann mit niemandem mehr.“ Am 6. Juni hänge ich hier am Karussell alle Flaggen auf, auch die deutsche.

SPRECHERIN
Krieg sei immer schlimm, und man müsse sich stets um Frieden
bemühen. Damit die Grauen eines Kriegs niemals vergessen werden, müsse man an sie erinnern.

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG ERIC TON 27
Ich organisiere in jedem Jahr einen „Erinnerungsweg“ am
Juno Beach. Als die Alliierten am 6. Juni gelandet sind, starben 359
kanadische Soldaten am Strand. Sie wurden schnell in Bény begraben.
Mohn war die einzige Blume, die es damals gab. Also schmückte man die Gräber damit.

MUSIK

SPRECHER 2 OV ÜBERSETZUNG ERIC TON 27
Heute male ich an Strandabschnitten 359
riesige Mohnblumen von vier bis zu zehn Metern in den Sand und lade die Menschen ein, sie zu schmücken. Mit Kieseln, Algen, Blumen - allem, was sie am Strand finden. Ich schreibe zu jeder Blume den Namen des Soldaten, sein Alter und bitte die Leute, ein Foto von ihrer Strandblume zu machen. Dann sollen sie im Internet recherchieren, ob sie noch Verwandte des Toten finden können. Sie sollen ihnen dann ein Foto ihrer Mohnblume schicken um zu zeigen, dass wir die Menschen nicht vergessen, die gekommen sind, um uns zu befreien.

Atmo Meer

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