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Die Poincaré-Vermutung, formuliert von Henri Poincaré, behandelt fundamentale Fragen der Topologie und beschreibt, unter welchen Bedingungen eine geometrische Form als Sphäre oder Torus klassifiziert wird. Diese Vermutung besagt, dass jede geschlossene, einfach zusammenhängende dreidimensionale Mannigfaltigkeit homöomorph zum Raum einer Sphäre ist, was tiefgreifende Auswirkungen auf unser Verständnis der Materie und des Universums hat. Viele Mathematiker haben jahrzehntelang vergeblich versucht, diese Vermutung zu beweisen, wobei ihre Bemühungen oft neue mathematische Erkenntnisse hervorbrachten. Die Lösung dieses Problems, das über 100 Jahre ungelöst blieb, hat nicht nur mathematische Relevanz, sondern auch weitreichende physikalische Implikationen, da es die Struktur des Universums betrifft, in dem wir leben.
Grigori Perelmann, ein Mathematiker, der die Lösung für die Poincaré-Vermutung entdeckte, zog sich nach der Veröffentlichung seiner Erkenntnisse weitgehend aus der mathematischen Gemeinschaft zurück. Trotz seiner Brillanz und der Möglichkeit, mit zahlreichen Auszeichnungen, einschließlich der Fields-Medaille und eines Preisgeldes von einer Million Dollar, zu glänzen, lehnte Perelmann diese Ehrungen ab und äußerte seine Unzufriedenheit über die Wertschätzung in der Mathematik. Sein Beweis wurde zunächst skeptisch betrachtet, da er auf einer Plattform veröffentlicht wurde, die keine Peer-Reviews durchführte, dennoch dauerte es zwei Jahre, bis Experten seine Arbeit überprüften und anerkannten. Perelmann verkörpert das Ideal des Mathematikers, dessen Hauptantrieb die Suche nach Wahrheit und Wissen ist, nicht der Wunsch nach Ruhm oder finanzieller Belohnung.
Die Millennium-Probleme, die vom Clay Mathematics Institute definiert wurden, repräsentieren einige der herausforderndsten Fragen der modernen Mathematik, mit jeweiligen Preisgeldern von einer Million Dollar für die Lösung. Diese Probleme wurden als soziale Signale gedacht, um die Bedeutung und den Schwierigkeitsgrad der Mathematik öffentlich zu würdigen und Aufmerksamkeit auf deren Entwicklung zu lenken. David Hilbert, der Begründer dieser Probleme, glaubte, dass sie die wegweisenden Fragen des kommenden Jahrhunderts prägten, was sich als zutreffend erwies. Der Reiz, diese komplexen Herausforderungen zu lösen, zieht viele Mathematiker an, die bestrebt sind, tiefere Einsichten und neue Denkansätze zu erlangen.
Die Poincaré-Vermutung erfasst Geometrie höherer Dimensionen - und bringt uns damit nichts weniger als die Form des Universums näher. Über 100 Jahre blieb diese Vermutung eines der schwersten mathematischen Rätsel der Welt. Von Lavina Stauber
Credits
Autorin dieser Folge: Lavina Stauber
Regie: Irene Schuck
Es sprach: Berenike Beschle
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Prof. Dr. Michael Eisermann, Abteilungsleiter für Geometrie und Topologie an der Universität Stuttgart
George Szpiro, Mathematiker, Journalist und Autor
Dr. Johann Beurich, Mathe-Youtuber „DorFuchs“
Dr. Norbert Blum, theoretischer Informatiker und emeritierter Professor an der Universität Bonn
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Literatur:
Der Geschichte des Beweises der Poincaré-Vermutung geht George Szpiro in seinem Buch „Das Poincaré-Abenteuer: Ein mathematisches Welträtsel wird gelöst“ nach.
Eine Biographie über Gregori Perelman liefert Masha Gessen mit: „Der Beweis des Jahrhunderts – Die faszinierende Geschichte des Mathematikers Grigori Perelman“
Einen Überblick über alle sieben ausgeschrieben Millennium Probleme beschreibt Keith Delvin in: „The Millenium Problems – The Seven Greatest Unsolved Puzzles of Our Time”
Und die wichtigsten mathematische Rätsel, auch diejenige, die Hilbert auf seiner Liste 1900 stehen hatte, fasst Ian Stewart in seiner Publikation „Die letzten Rätsel der Mathematik“ niedrigschwellig zusammen.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
"It's an Abstract" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'24
SPRECHERIN:
Russland, im November 2002. Es ist ein Montagnachmittag, kurz nach 16 Uhr, als auf der Plattform „arXiv“ ein neuer Artikel hochgeladen wird. In Mathematiker-Kreisen wird kurz darauf gemunkelt, dass hier etwas ganz Großes publiziert wurde: die Lösung eines Jahrhundert-Rätsels.
ZSP 01_rW_Poincare-Vermutung_Szpiro
Also die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Niemand hatte das erwartet. Perelman war bekannt, schon damals als brillanter Mathematiker, aber niemand wusste, dass er an der Poincaré-Vermutung arbeitet. Innerhalb von Stunden ging die Nachricht um die ganze Welt.
Musik 2
"It's an Abstract" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'7
SPRECHERIN:
Dass das Who is Who der Mathematik so schnell von diesem Artikel erfährt, liegt auch an der Art der Veröffentlichung.
ZSP 02_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Das arxiv ist ein sogenannter Preprint Server, wo die Leute ihre PDFs einfach ablegen können und andere das dann auch im vollkommen offenen freien Zugang kostenlos herunterladen und anschauen dürfen.
Musik 3
"It's an Abstract" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'35
SPRECHERIN:
Die Dokumente, die dort hochgeladen werden, durchlaufen keine Peer-Review wie es bei wissenschaftlichen Publikationen sonst üblich ist. Das, was dort geschrieben steht, ist nicht zuvor auf die Korrektheit überprüft worden.
Und dennoch haben viele bedeutende Mathematiker dieses Bauchgefühl; dass der Urheber dieses Artikels eine korrekte Lösung für ein mathematisches Rätsel gefunden hat, das seit fast hundert Jahren ungelöst ist. Die sogenannte Poincaré-Vermutung, benannt nach dem Mathematiker Henri Poincaré aus Frankreich.
ZSP 03_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
In den 100 Jahren ihres Bestehens von 1904, als Poincaré sie formuliert hat, hat diese Vermutung ja viel schöne Mathematik generiert. Viele Menschen haben versucht, diese Vermutung zu lösen, zu beweisen oder zu widerlegen. Das hat nicht geklappt, aber dabei sind viele neue Erkenntnisse entstanden. Also man hat sich daran die Zähne ausgebissen. Aber vielleicht positiv formuliert, man hat die Werkzeuge geschärft.
SPRECHERIN:
Michael Eisermann ist Professor an der Universität Stuttgart am Institut für Geometrie und Topologie, also genau dem Fachbereich, dem die Poincaré-Vermutung zuzuordnen ist.
ZSP 04_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
In der Geometrie geht es um Längen und Winkel und Flächeninhalt und solche Dinge. Also Dinge, die man messen kann. Das heißt ja das Wort: Geometrie ist die Vermessung der Erde. Und in der Topologie versucht man, von diesen Maßzahlen etwas wegzukommen. Was dann übrig bleibt, ist sozusagen die globale Form.
Also wenn Sie auf der Erdoberfläche umherwandern, können Sie sich fragen, hat die Erdoberfläche die Form einer Scheibe? Oder ist vielleicht die Oberfläche einer Sphäre, also einer Kugel? Oder ist es die Oberfläche eines Schwimmreifens? Das würde man einen Torus nennen. Und da geht es nicht mehr um Geometrie. Da geht es nicht darum, wie groß oder klein das ist, wie sind die Winkel? Sondern da geht es um die globale Form, um die Topologie dieses Raumes, in dem wir uns da bewegen.
Musik 4
"It's an Abstract" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'40
SPRECHERIN:
Also um den ganz großen Blick auf unsere Welt. Ein Mathematiker, der auch in der Topologie zu Hause ist, ist: Gregori Perelman. Jener Mann, der 2002 den Artikel zu Poincaré-Vermutung veröffentlicht und damit ein Rätsel löst, das ihn 1-Million-Dollar und eine Fields-Medaille reicher hätten machen können.
Johann Beuerich hat in Mathematik promoviert und sich dann mit dem YouTube-Kanal „Dor Fuchs“ selbstständig gemacht, um die Faszination der Mathematik mit der Welt zu teilen. Auch über die sieben sogenannten „Millennium-Probleme“ informiert er dort, die Poincaré-Vermutung ist eine davon:
ZSP 05_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Inhaltlich sind das Fragen aus der Forschung, die auch bewusst aus sehr breiten Themenspektren gewählt wurden, also von eher informatischen, eher physikalischen Themen bis zu reiner Mathematik, so dass jedes Fachgebiet so sein Millenniumproblem bekommen hat, wo man sagen kann: so jeder Mathematiker arbeitet in irgendeiner Weise an einem Thema, was irgendwo zu so einem Problem führen könnte.
SPRECHERIN:
Die Wurzeln der Millennium-Probleme führen zurück auf den bedeutenden deutschen Mathematiker David Hilbert - genau 100 Jahre bevor der 1-Million-Dollar-Preis eingeführt wird.
ZSP 06_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Hilbert war, als er die Probleme vorgestellt hat, im Jahr 1900 auf dem Internationalen Mathematikerkongress als Redner eingeladen. Das ist schon eine der höchsten Ehren, die man als Mathematiker bekommen kann, wenn man auf dem internationalen Kongress dort ein Plenarvortrag halten darf. Und Hilbert dachte sich halt: Na ja, jetzt beginnt ein neues Jahrhundert. Deswegen spreche ich mal so ein paar Probleme an, die das nächste Jahrhundert prägen könnten.
SPRECHERIN:
Und er behielt Recht. Was Hilberts Probleme so außergewöhnlich macht, ist, dass sie nicht nur Antworten auf mathematische Fragen verlangt, sondern neue Wege des Denkens erschließt. Seine Rätsel inspirieren, provozieren, und oft führen sie zu völlig neuen mathematischen Disziplinen. Sie erinnern daran, dass Mathematik nicht statisch ist, sondern sich stetig erweitert, wie ein unaufhörlich wachsender Kosmos des Wissens.
Musik 5
"It's not working" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'37
SPRECHERIN:
Paris, im Mai 2000 – zwei Jahre, bevor Gregori Perelman seinen Artikel auf arXiv hochladen wird.
Gerade hat die Welt das neue Jahrtausend, also das Millennium, gefeiert und kluge Köpfe aus Mathematik und Naturwissenschaft sitzen im Collège de France zusammen, brüten darüber, was in ihren Fachgebieten heute wohl die schwersten und entscheidenden Rätsel sind. Rätsel, die wegweisend für die Mathematik des kommenden Millenniums sein werden.
Und für die Lösung setzt das Clay Mathematics Institute ein Preisgeld aus von: jeweils 1 Million Dollar.
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Jeder kann 1 Million Dollar verstehen, aber kaum jemand kann die Schwierigkeit der Poincaré-Vermutung einschätzen. Insofern sind diese Preise außerhalb der Mathematik ein soziales Signal, sozusagen für die Wertschätzung, die Schwierigkeit der Arbeit und die soziale Anerkennung.
ZSP 08_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Ich glaube, die meisten Mathematiker waren schon sehr überrascht, dass es nur nach zwei Jahren schon möglich war, eins der Millennium-Probleme zu lösen.
SPRECHERIN:
Und dann steht diese erste Lösung sogar noch öffentlich einsehbar, für jeden, nicht nur für die Abonnenten der wissenschaftlichen Fachzeitschriften, sondern für die ganze Welt zugänglich im Netz.
ZSP 09_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Und das ist im Prinzip das Interessante bei Perelman, dass er es nicht für nötig gehalten hat, das auch noch einem Journal zu schicken und sozusagen in diese peer-reviewten Fach-Publikationsliste aufnehmen zu lassen.
SPRECHERIN:
Die Poincaré-Vermutung ist nach dem französischen Mathematiker Henri Poincaré benannt. Sie sagt etwas sehr Grundlegendes und Wichtiges über die Topologie aus.
Genau darüber hat der studierte Mathematiker George Szpiro ein Buch veröffentlicht: „das Poincaré-Abenteuer“.
ZSP 10_rW_Poincare-Vermutung_Szpiro
Poincaré war ein brillanter Mathematiker. Eigentlich hatte er Ingenieurstudien gemacht, aber dann wandte er sich der Mathematik und der Physik zu. Und da hat er wirklich Bahnbrechendes geleistet in der Physik. Die Himmelsmechanik, wie Planeten herumfliegen im Weltall, in der Optik, Elastizität, Thermodynamik und auch, was viele vielleicht nicht wissen, die Relativitätstheorie hätte er fast noch vor Albert Einstein entwickelt.
Musik 6
"It's an Abstract" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'21
SPRECHERIN:
Doch was verbirgt sich hinter dieser Vermutung, deren Lösung 1 Million Dollar wert ist?
Stellen wir uns eine Kugel vor, wie sie unsere Erde ist. In der Topologie spricht man da von einer Sphäre.
ZSP 11_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Wenn Sie irgendwo einen Pflock in die Erde rammen und eine Reise von dort aus starten und hinter sich so eine Schnur herziehen, dann können Sie eine Rundreise machen und kommen irgendwann zu diesem Pflock zurück und können dort die Schnur wieder schließen.
Musik 7
"It's an Abstract" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'34
SPRECHERIN:
Wenn wir den Versuch aber auf einem Schwimmreifen wiederholen, dann verfängt sich die Schnur in dem Loch in der Mitte und kann nicht zusammengezogen werden. So lässt sich der Unterschied zwischen der Oberfläche einer Sphäre und eines Torus, also einem Ball und einem Schwimmreifen, messen.
Die Poincaré-Vermutung besagt nun genau dasselbe in weiteren Dimensionen – also dass Ball und Schwimmreifen immer unterschiedlich sind. So lassen sich durch sie Aussagen und Gedanken über die Beschaffenheit unseres Universums formulieren.
ZSP 12_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Wie sieht denn unser Universum, in dem wir leben, global aus? Wir kennen so einen kleinen Teil, das ist dreidimensional, aber wir wissen nicht, wie das global aussieht. Ist das eine Sphäre oder ist das ein komplizierter Raum? Das hat natürlich starke physikalische Hintergründe, aber es ist auch eine topologische Frage. Welche Räume sind denn überhaupt denkbar?
SPRECHERIN:
Es geht um das Verständnis, das wir von unserer Welt haben. Leider können wir uns mehr als drei Dimensionen aber nicht vorstellen und schon gar nicht ein Experiment dazu machen – die Lösung kann nur eine mathematische sein.
Aber Poincarés Vermutung konnte lange nicht bewiesen werden. Poincaré selbst schrieb seine Entdeckung auf, aber ohne Beweis blieb seine Vermutung eben genau das: eine Vermutung. Etliche hatten sich schon an Poincaré versucht und behauptet, das Problem gelöst zu haben. Sie alle irrten.
ZSP 13_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Aber bei Perelman war es halt wirklich tatsächlich so, dass er eine vernünftige Theorie weiterführen konnte und auch die Ansätze, die schon andere Leute auch vor ihm hatten, weiterführen konnte.
Musik 8
"Life out Balance" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'42
SPRECHERIN:
1966 wird Grigori Perelman in Leningrad geboren, dem heutigen St. Petersburg. Schon früh zeigt sich seine außergewöhnliche Begabung für die Mathematik, die er wohl von seiner Mutter geerbt hat. Auch sie ist Mathematikerin, ihr Talent wird in den 1960er Jahren der Sowjetunion aber nicht weiter gefördert, als Frau und Jüdin.
Sie aber tut alles in ihrer Macht Stehende, um ihren Sohn zu fördern. Sie schickt ihn in einen Matheclub, in dem er bald als unbestrittene Nummer Eins gilt, später wird er an einer renommierten Leningrader mathematischen Fachschule unterrichtet.
ZSP 14_rW_Poincare-Vermutung_Szpiro
Mathematik wurde in der Sowjetunion als Symbol für die intellektuelle Überlegenheit und den Fortschritt des sozialistischen Systems betrachtet. Mathematiker wurden als Helden der Wissenschaft gefeiert und ihre Leistungen galten als Beweis für die Stärke und den Fortschritt der Nation.
Musik 9
"Life out Balance" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 1`04
SPRECHERIN
Zu dieser Zeit ist Mathematik in der Sowjetunion beinahe wie ein Nationalsport. Das sowjetische Team dominiert regelmäßig die Mathematik-Olympiade. In Budapest 1982 nimmt auch Perelman daran Teil, im Alter von 16 Jahren. Er bekommt am Ende die Goldmedaille überreicht, einen Sonderpreis, weil er die höchstmögliche Punktzahl erreicht hat, und eine automatische Zulassung an einer Universität.
Perelman ist erst 24 Jahre jung, als er promoviert und die Uni auf der Suche nach einer Anstellung verlässt. Und er hat das Glück, in eine Zeit des
Wandels hineinzuwachsen, als die Sowjetunion eine Modernisierung ihres politischen und wirtschaftlichen Systems angeht. Anfang der 90er-Jahre kann Perelman so in die USA reisen, er forscht und lehrt ein paar Jahre, bevor er wieder zurückkehrt und sich einem mathematischen Teilgebiet zuwendet: der Topologie.
Und damit verschwindet er zunächst von der Bildfläche – zu diesem Zeitpunkt ist er 29 Jahre alt.
ZSP 15_rW_Poincare-Vermutung_Szpiro
Niemand wusste mehr, wo er war. Niemand wusste auch genauer, woran er arbeitete. Deswegen war es dann so überraschend, dass er die Vermutung bewiesen hat.
SPRECHERIN:
Perelman gilt als Eigenbrötler unter den Mathematikern, als jemand, der nur für die Mathematik lebt und dabei strenge moralische Erwartungen an sich selbst und sein Arbeitsumfeld hat. Gut 7 Jahre arbeitet er an der Poincaré-Vermutung und zieht sich in der Zeit immer weiter zurück.
ZSP 16_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Das Klischee der Mathematikerin, des Mathematikers ist natürlich wirklich: Die sitzen in einem stillen Kämmerlein und brüten da über Probleme, die außer ihnen kaum jemand versteht. Also, Perelman entspricht diesem Klischee in extremer Weise, das muss man schon sagen.
Ich denke, dass dieses Klischee auch dadurch bestätigt wird, dass man über diese Fälle halt besonders gerne redet. Die sind extrem und man spricht natürlich über die Extremfälle am liebsten.
SPRECHERIN:
Ein anderer, berühmter Extremfall ist die Lösung von „Fermats letztem Satz“. Pierre de Fermat wird Anfang des 16. Jahrhunderts in Frankreich geboren, arbeitet als Anwalt, auch wenn seine Liebe der Mathematik gilt. Er veröffentlicht wenig, sondern schreibt über seine mathematischen Entdeckungen in Briefen.
Im Laufe der Zeit werden viele seiner Sätze bewiesen, bis auf einen: sein letzter Satz. Es dauert fast 400 Jahre, bis in England Ende der 1970er der Mathematiker Andrew Wiles von diesem Satz so eingenommen wird, dass er gut 30 Jahre im Geheimen daran arbeitet, grübelt, ausprobiert, bis er ihn schließlich beweisen kann.
ZSP 17_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Die meisten Mathematikerinnen sind vermutlich nicht so, sondern eher extrem kommunikativ in ihrer Arbeit. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten werden viele mathematische Probleme im Team und manchmal sogar in weltweiten Kollaborationen gelöst. Das Eigenbrötlerische, das gibt es. Es kommt vor, es ist Teil der Arbeit. Manchmal muss man alleine arbeiten, aber dann will man sich auch wieder mit anderen austauschen, prüfen, nachdenken, neue Ideen sammeln.
SPRECHERIN:
Denn von mathematischen Rätseln, gerade solchen, an denen sich schon seit Jahrzehnten Mathematiker die Zähne ausbeißen, geht eine besondere Faszination aus. Von diesem Reiz berichtet auch Nobert Blum, ein ehemaliger Professor an der Universität Bonn für das Fachgebiet der theoretischen Informatik. 2017 war er selbst nah dran, eines der sieben Millennium-Probleme zu lösen.
ZSP 18_rW_Poincare-Vermutung_Blum
Andere haben es probiert, haben es vielleicht rausgekriegt und das hat mich dann gereizt. Wenn das andere gute Leute probiert haben und ich probier's. Da hab ich sehr häufig auch nichts rausbekommen, aber manchmal doch. Und das hat auf mich schon ungeheuren Reiz ausgeübt
SPRECHERIN:
Norbert Blum hat das Millennium-Problem, an dem er gearbeitet hat, nicht gelöst. Kollegen fanden einen Fehler in seinem Beweis, den er mit seinen Methoden nicht korrigieren konnte.
ZSP 19_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Bei Perlmanns Beweis war es ja auch so, dass kleinere Lücken aufgetaucht sind bei der Prüfung, die aber dann geschlossen wurden. Das heißt, man hat es nicht nur geprüft, sondern auch verbessert. Dieser Prozess ist ganz normal, dass man das nicht nur als fertiges Produkt prüft, sondern auch verbessert, durcharbeitet und dadurch besser versteht.
Musik 10
"It's not working" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'26
SPRECHERIN:
Die Welt benötigt zunächst Zeit, um Grigori Perelmans Beweis zu verstehen. Gute 2 Jahre dauert es, bis Expertengruppen gemeinsam Perelmans Artikel überprüfen und für richtig empfinden können.
Und doch: es bleibt eine Rest-Unsicherheit, ob Grigori Perelman durch die Veröffentlichung auf einer Plattform wie arXiv einen Beweis erbracht hat, den man als solchen anerkennen kann.
ZSP 20_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Eigentlich hat das Clay Mathematics Institut gesagt: Wir akzeptieren eine Lösung erst, wenn sie wirklich in einem Fachjournal angekommen ist. Und auch dann muss noch mindestens ein Jahr vergangen sein. Und eigentlich hat das Institut auch die Regel: man soll auch zu seiner Lösung bereit sein, Fachvorträge zu halten und seinen Kollegen das zu erklären und auf Konferenzen damit Vorträge zu halten, damit wirklich die Fachwelt darüber diskutieren kann und auch Nachfragen stellen kann.
SPRECHERIN:
Obwohl Perelman die Poincaré-Vermutung bewiesen hatte, bleiben die Auszeichnungen, die Ehrungen, die mit der Lösung solch eines Rätsels zu erwarten waren, also zunächst aus.
ZSP 21_rW_Poincare-Vermutung_Szpiro
Sein Beweis ist so kompliziert. Er wusste, das wird lange dauern. Ich glaube, es war ihm mehr oder weniger egal auch. Am Anfang hat er Leuten geholfen, wie er in Amerika war, zu erklären, und dann hatte er gesagt: Kümmert euch darum, mich geht es nichts mehr an! Er ist völlig von der Bildfläche verschwunden.
SPRECHERIN:
Drei Jahre nach seiner Lösung der Poincaré-Vermutung legt er seine Stelle nieder und zieht sich komplett aus der Mathematik zurück. Er sei enttäuscht, lässt er die Welt wissen. Die Mathematik hat ihr Wunderkind vergrault.
Musik 11
"It's not working" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'39
SPRECHERIN:
Und dann geschieht etwas Eigenartiges: im darauffolgenden Jahr erscheint eine wissenschaftliche Publikation zweier Kollegen, die behaupten, in ihrem Artikel einen vollständigen Beweis der Poincaré-Vermutung zu liefern. Ihrer
Ansicht nach hat Perelman nur den Anfang eines Beweises geliefert, sie jedoch die letzten Sprossen der Leiter erklommen, die zu einem tatsächlichen Ergebnis führen.
Es ist Gesetz der Mathematik, dass derjenige, dem der allerletzte Schritt eines Beweises gelingt, die ganzen Lorbeeren dafür erhält.
ZSP 22_rW_Poincare-Vermutung_Szpiro
Vor allem Perelman hat alle seine Vorarbeiter benannt. Natürlich wird ein mathematischer Beweis nicht aus dem Nichts erschaffen. Immer steht man auf den Schultern vom anderen Riesen und er hat Vorarbeiten anderer Mathematiker benützt und erwähnt.
SPRECHERIN:
So ist sein Beweis auch nach ihm und seinem mittlerweile verstorbenen Vorarbeiter Richard Hamilton benannt.
Wie sich später jedoch herausstellen wird, ist der angebliche Beweis der Kollegen ein Plagiat. Durch diesen Artikel aber scheint sich die Welt der Mathematiker letztlich einen Ruck zu geben:
Musik 12
"Life out Balance" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'38
SPRECHERIN:
2006 beim internationalen Mathematikerkongress wird Perelman endlich als derjenige anerkannt, der die Poincaré-Vermutung gelöst hat.
Für Grigori Perelman aber hat diese Anerkennung zu lange auf sich warten lassen. Als er 2006 mit der Fields-Medaille ausgezeichnet werden soll, lehnt er ab. Und auch als 2010 das Clay Institut ihm den Millennium-Preis und das dazugehörige Preisgeld von einer Million Dollar zuspricht, lehnt er ab.
ZSP 23_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Perelman war unzufrieden mit der Verleihung des Preises oder mit der Wertschätzung, die verschiedenen Beiträgen seinem und anderen gegenüber gebracht wurde und hat deshalb gesagt: Diesen Preis, den unterstütze ich nicht. Ich will damit nichts zu tun haben.
SPRECHERIN:
Grigori Perelman demonstriert, dass der Antrieb für mathematische Forschung die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis ist, dass Mathematik nicht nur ein abstraktes Schulfach, sondern eine sich ständig entwickelnde Disziplin voller Herausforderungen und Rätseln ist, die unser Verständnis der Welt erweitern kann.
ZSP 24_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Eines von den sieben ist jetzt gelöst, die anderen sechs sind noch offen und wenn es nach mir geht, dürfen die auch noch eine Weile offen bleiben, weil der Prozess da wirklich sehr wichtig ist und Mathematik erzeugt.
Musik 13
"It's an Abstract" - Album: Steve Jobs (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Daniel Pemberton - Länge: 0'34
SPRECHERIN:
Wer auch immer sich an ihrer Lösung versuchen wird, eines steht aber jetzt schon fest:
ZSP 25_rW_Poincare-Vermutung_Beurich
Die Millenium-Probleme zu lösen, ist der wahrscheinlich schwerste Weg, um an 1 Million Dollar zu kommen.
ZSP 26_rW_Poincare-Vermutung_Eisermann
Ich zitiere Carl Friedrich Gauß, der gesagt hat: Es ist nicht das Wissen, sondern das Lernen, nicht das Besitzen, sondern das Erwerben, nicht das da sein, sondern das Hinkommen, das den größten Genuss gewährt.
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