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Doomscrolling beschreibt das zwanghafte Konsumieren von Negativnachrichten, das oft aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus entsteht. Menschen neigen dazu, immer weiter zu suchen und zu scrollen, insbesondere wenn es um alarmierende Themen wie Krieg oder Naturkatastrophen geht, was zu einem Gefühl der Überwältigung führen kann. Diese Gewohnheit kann ganze Stunden in Anspruch nehmen, ohne dass eine echte Klärung der Situation erreicht wird. Der Drang, ständig informiert zu sein, kann schließlich zu einer Spirale der Angst und Verwirrung führen, wenn Antworten auf diese Bedrohungen gefordert werden, aber nicht sofort verfügbar sind.
Negative Nachrichten ziehen aufgrund des sogenannten Negativity Bias mehr Aufmerksamkeit auf sich, da sie oft als potenzielle Bedrohungen wahrgenommen werden. Evolutionspsychologisch gesehen ist es für das Überleben entscheidend, Bedrohungen schnell zu erkennen, weshalb Menschen zu negativen Informationen hingezogen werden. Diese Anziehungskraft kann dazu führen, dass bei der Verarbeitung von Informationen oft eine größere Unsicherheit und Angst entsteht. Die Suche nach Informationen über negative Ereignisse wird als Versuch verstanden, Kontrolle über ungewisse Situationen zurückzugewinnen, was zu einem intensiveren Bedürfnis führen kann, informiert zu bleiben.
Exzessives Konsumieren von negativen Nachrichten kann zu erheblichen psychischen Problemen wie Stress, Angst und Depression führen. Die Forschung zeigt, dass der übermäßige Konsum dieser Nachrichten negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit hat. Um die Folgen dieser Informationsflut zu mildern, wird empfohlen, bewusstere Entscheidungen über Medienkonsum zu treffen und sich gezielt aus der ständigen Nachrichtenaufnahme zurückzuziehen. Ein Fokus auf positive Nachrichten und das Setzen von Grenzen im Medienverhalten kann helfen, das emotionale Wohlbefinden zu stabilisieren.
Klima, Kriege, Krise: Im digitalen Zeitalter ist die nächste Katastrophe immer nur einen Klick entfernt. Dabei zieht uns die Endlos-Flut negativer Nachrichten oft gegen unseren Willen in ihren Bann. Wie kommen wir da raus? Von Dominik Kalus
Credits
Autor dieser Folge: Dominik Kalus
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Sophie Rogall, Gudrun Skupin
Technik:
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Sandra Müller, Protagonistin
Leonard Reinecke, Medienforscher
Sabine Trepte, Medienpsychologin
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Auf youtube
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Studie zum Zusammenhang von Medienkonsum und Angststörungen in Bezug auf die Corona-Pandemie
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin
Ein Donnerstagabend im Herbst. Sandra liegt mit dem Smartphone auf der Couch, scrollt sich durch Instagram und erholt sich vom Tag; ihre beiden Kinder sind schon im Bett. Plötzlich, Bing, ploppt eine Nachricht auf ihrem Handy auf.
01 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Und tatsächlich war es mein Lebensgefährte selbst, der mir das geschickt hat. ((Und wenn er das natürlich schickt, klick ich natürlich auch drauf.)) Er konnte es vielleicht nicht einschätzen, wie gefährlich sowas für mich ist.
Sprecherin:
Die Nachricht ist ein Link auf eine News-Meldung, die sich an diesem Novembertag wie ein Lauffeuer verbreitet: Russland habe erstmals eine Interkontinentalrakete auf die Ukraine geschossen.
02 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Nüchtern betrachtet waren da eigentlich gar keine wirklichen Details drin. Und trotzdem habe ich halt gespürt: das macht direkt was mit einem. Und dann geht man in die Kommentarspalten - natürlich sind da nicht die Fachleute drin, die einem das jetzt genau erklären, nein gar nicht, auf keinen Fall - aber trotzdem denkt man sich so, oh Gott. Das schürt in einem sofort so ne Unruhe, so ne Unsicherheit und man sucht dann nach ganz schnellen Informationen die einen beruhigt und dann such ich, dann kommt wieder so n anderen Link und dann hat wieder jemand ne ganz wilde Theorie und holt dann die ganz große Kiste raus und das Ganze nimmt dann Ausmaße an, die absolut nicht mehr rational sind und ja, hat dann glaub ich mindestens anderthalb Stunden oder so gedauert, bis ich mich da wieder zurückholen konnte.
Sprecherin:
Für das, was Sandra da passiert ist, haben Internet-Kultur und Wissenschaft ein Schlagwort: Doomscrolling. Eine Verbindung aus dem Verb Scrollen – also auf einem Bildschirm lesend nach unten wischen – und dem englischen Wort Doom, Verderben. Gemeint ist das unkontrollierte Konsumieren von Negativ-Nachrichten; von einer Katastrophenschlagzeile zur nächsten klicken, hier noch einen düsteren Kommentar, und plötzlich ist eine Stunde oder mehr vergangen. Ein Sog, in den wir schnell hineingeraten können.
03 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Also es kommen halt auch immer wieder mal so Push Nachrichten, diese klassischen Schlagzeilen kommen da, die halt erstmal so, ‚üh‘ Panik. Und ja, wenn es mir passiert, und die schaffen es, mich neugierig zu machen, klick ich da drauf. Ja und dann geht der Strudel los. Weil dann kommt halt einfach nur sowas, das da reinfeuert.
Sprecherin (Alliterationsbegriffe hinterlegt mit Bings oder Notification-Sounds)
Krieg, Krise, Klima, Trump, Trauma, Terror. Demokratie-Abbau, Diktatur, Drama. Die Medienwelt ist voll von schlechten Nachrichten. Und im Digitalen Zeitalter ist die nächste Katastrophe immer nur einen Klick entfernt – oder wird uns sogar gegen unseren Willen auf den Bildschirm gespült. Dafür sorgen die Algorithmen, die im Internet das Sagen haben und bestimmen, was uns angezeigt wird – egal, ob wir es gut finden. Bezeichnend ist: Der Algorithmus merkt, dass wir kleben bleiben. Und das tun wir eher bei schlechten Nachrichten als bei neutralen, oder guten. Die Wissenschaft spricht hier von „Negativity Bias“, sagt die Medienpsychologin Sabine Trepte von der Universität Hohenheim.
04 Zusp. Doomscrolling - Sabine Trepte
Wir sehen in der Forschung, dass, wenn wir Menschen Nachrichten präsentieren, die eben positiv und negativ nebeneinanderstellen, dass dann Menschen schon aufmerksamer sind, wenn sie negative Nachrichten bekommen. ((Das heißt, wir haben schon Forschung, die zeigt, dass Menschen diesem Negativity Bias unterliegen, bei online Aktivitäten ne,)) das heißt, sie suchen mehr negative Headlines aus, lesen mehr negative Artikel. Und verteilen ihre Aufmerksamkeit disproportional eher auch auf negative Berichterstattung.
Sprecherin
Warum ist das so? Warum hat die Negativität die größere Anziehungskraft? Die Evolutionspsychologie liefert eine plausible Erklärung.
05 Zusp. Doomscrolling - Trepte
Das hat den Hintergrund, dass natürlich negative Nachrichten auch potenzielle Bedrohungen mit sich bringen. Und was tun Menschen, wenn sie potenzielle Bedrohungen vermuten? Sie machen sich erstmal zurecht sorgen und was ist dann der nächste Schritt, wenn wir uns zurecht Sorgen machen, dann informieren wir uns, um das Ganze besser einschätzen zu können und auch einfach um sagen zu können, ob wir diese Sorgen behalten sollen, ob wir weiter rangehen müssen an das Thema
Sprecherin:
Also, fürs Überleben ist es nicht entscheidend, dass wir vom besonders schönen Sonnenuntergang erfahren – sondern dass wir eine potenzielle Bedrohung rechtzeitig erkennen. Feinde, Feuer, Gefahr; darauf kommt es an. Von Napoleon, der in heutigen Zeitigen wohl ein Doomscroller gewesen wäre, ist das Zitat überliefert: „Wecke mich nicht auf, wenn du gute Nachricht hast, es hat keine Eile. Aber wenn du schlechte hast, wecke mich augenblicklich, denn dann darf keine Minute verloren werden.“
Sich für das Schlechte zu interessieren, und dann entsprechend zu handeln, das ist aber per se erstmal gar nichts Schlechtes.
06 Zusp. Doomscrolling - Trepte
Was wir auf jeden Fall ableiten können, auch aus anderen Forschungsgebieten, ist, dass Menschen, die eben Nutzungsmechanismen verwenden, die in negative Nachrichten reingehen, auch wenn das nicht exzessiv ist, dass das eigentlich was sehr Gesundes erstmal ist und dass Menschen damit sowas bedienen, was wir Information Utility nennen; also einfach das Bedürfnis, sich umfassend zu informieren, ((also on Top of Things zu sein und zu wissen, was eigentlich los ist.)) Weil wir uns Sorgen machen, wenn irgendwas passiert, das negative Implikationen hat und das wiederum ist natürlich auch ein sehr gesundes Verhalten, wir haben eine höhere Vigilanz, nennen wir das, also eine höhere Aufmerksamkeit, und das geht natürlich auch einher mit einer höheren mentalen Beweglichkeit. Ja, wir setzen mehr Kräfte frei, wenn das möglicherweise erforderlich ist.
Sprecherin:
Ein Feuer in der Nachbarschaft, oder ein Terroranschlag in der Hauptstadt. Klar, dass wir da alarmiert sind, und schnell Antworten wollen: Betrifft uns das? Sind wir sicher? Müssen wir handeln? Entstanden ist der Begriff Doomscrolling zu Beginn der Corona-Pandemie; als sich ein noch kaum erforschtes Virus ausbreitete, und sich Menschen auf der ganzen Welt die Frage stellten: Was zur Hölle passiert hier?
07 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Corona war auch so eine heftige Geschichte. Weil man auch nicht mehr wusste, ja, was ist denn jetzt Fakt? Und da hab ich auch extrem viel dann reingelesen, versucht, mich eher eben an den wissenschaftlichen Aspekten und Infos zu halten, auch wenn man weiß, natürlich ne Forschung kann nicht so schnell arbeiten, Forschung braucht Zeit und aber dann gleichzeitig die andere Seite, Ja, das ist alles nur Humbug und ihr wollt uns alle einsperren und wir wollen unsere Freiheiten und ja dann steht man da und denkt so: Wer hat denn jetzt recht?
Sprecherin:
Ereignisse wie Pandemien, oder Terroranschläge, sind für den Menschen eine Art Kontrollverlust. Und Informationen zu suchen ist ein Weg, Kontrolle – oder die Illusion von Kontrolle – zurückzugewinnen. Das Problem, nicht nur bei Themen wie Corona: Klare Antworten gibt es oft so schnell gar nicht, sagt Leonard Reinecke, Professor für Medienwirkung und Medienpsychologie an der Universität Mainz.
08 Zusp. Doomscrolling - Leonard Reinecke
Häufig haben wir es natürlich mit negativen Nachrichtenlagen zu tun, auf die wir selber gar keinen Einfluss haben, das heißt: Da besteht zwar auf der einen Seite das das große Bedürfnis, sich zu informieren und informiert zu bleiben, aber gleichzeitig können wir daraus nicht direkt irgendwelche Handlungsalternativen herleiten, weil das Problem nicht in unserer Hand liegt. Gerade wenn dann aber es Situationen sind, wo wir es vielleicht mit einer sich entwickelnden Nachrichtenlage zu tun haben, wo der Überblick noch fehlt, wo man auch der eine das Gefühl hat, ich möchte nichts verpassen, dann entsteht so ne Sogwirkung, dass ich auf der einen Seite mehr Informationen will, die aber vielleicht nicht verfügbar sind. Insofern läuft dann in gewisser Weise ein Bedürfnis nach Nachrichten ein Stück weit ins Leere, weil es unter Umständen für eine Problemlage keine kurzfristigen Lösungen gibt und ich auch selber vielleicht gar nicht viel tun kann. Und daraus kann natürlich auch schnell das Gefühl von einer gewissen Hilflosigkeit entstehen.
Sprecherin
So ging es Sandra, als sie auf der Couch die Meldung der russischen Interkontinentalrakete liest. Stundenlang sucht sich nach der Info, die das ganze relativiert, klickt sich durch Nachrichten, liest Kommentarspalten – und fühlt sich dabei immer hilfloser, und gelähmter. Dass die Meldung gar nicht eindeutig belegt ist, wird erst später klar. Ein Paradebeispiel für diese Konsum-Dynamik negativer Nachrichten, sind die Terroranschläge des 11. September 2001. 8,1 Stunden haben erwachsene Amerikaner laut einer Studie an diesem Tag Fernsehnachrichten gesehen; Kinder 3 Stunden. Sandra kann sich noch gut an 9/11 erinnern.
09 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Es gab noch kein Social Media, aber auch selbst da hatten wir mit den damaligen Möglichkeiten ja auch gar keine Chance mehr gehabt, daran vorbeizukommen. An diesem Erlebnis, und das hat mich, ich bin einfach auch ein sensibler Mensch, so dermaßen aus der Bahn geworfen, weil ich es nicht einschätzen konnte. Und dann ich konnte nicht loslassen; ich habe nonstop Nachrichten geguckt, NTV, N24, was kommt im Radio? Und dann hat sich das überschlagen. Ich konnt es nicht mehr einsortieren. Diese Info, die mich beruhigt hat, die kam einfach nicht, es wurde eigentlich eher nur noch schlimmer mit allen Spekulationen und neuen Hochrechnungen, wie viele Opfer und was das für Ausmaße hat und dann hieß es irgendwann in der Nacht so ja, Kriegserklärung. Und dann hat es bei mir wirklich aufgehört. Ich hab da noch zu Hause gewohnt bei meinen Eltern. Ich habe Meine Mama geweckt also mit 16. so, ich stand weinend neben dem Bett. Mama, jetzt ist Krieg. Ja also das Merk ich ja jetzt schon, wenn ich allein so diese alte Emotion, also ich kann sie einsortieren jetzt, aber merk ich auch wie die hochkommt, das war richtig übel.
Sprecherin
9/11 ist natürlich eine Extremsituation. Aber im Internet-Zeitalter kann uns jede extreme Nachricht ganz schnell ganz nah kommen.
10 Zusp. Doomscrolling - Reinecke
Nachrichten sind unser Tor zur Welt und gerade negative Ereignisse, die ne gewisse Nähe zu uns aufweisen, die lassen uns nicht kalt. Es ist ja auch gut und richtig, wir sind als als Menschen empathische Wesen und fühlen mit und insofern ist der unmittelbarste Effekt von schlechten Nachrichten, dass sie uns traurig und betrübt machen.
Sprecherin
Welche Folgen Doomscrolling auf lange Sicht auslösen kann, ist bislang nicht eindeutig erforscht. Eines jedenfalls lässt sich klar sagen.
11 Zusp. Doomscrolling - Trepte
Weil Die Effekte sind negativ, also da gibt es einfach keine uneindeutigen Ergebnisse; das ist einfach nicht so gesund, wenn wir exzessiv negative Nachrichten konsumieren. Es gibt sehr spannende Studien, die die Effekte von Doomscrolling nachweisen, und wir sehen negative Zusammenhänge mit dem Wohlbefinden, mit dem psychologischen Wohlbefinden, mit der Lebenszufriedenheit und auch mit der Motivation, ungesunde Verhaltensweisen zu vermeiden. Also bisschen kompliziert ausgedrückt zu sagen, wir sind, wenn wir negative Nachrichten sehr exzessiv konsumieren, weniger geneigt dazu, uns gesund zu verhalten.
Sprecherin
Doomscrolling kann Angst, Depressionen oder Stress auslösen oder verstärken – vor allem dann, wenn Menschen bereites Vorerkrankungen haben, kann exzessiver Konsum von Negativnachrichten Symptome verschlimmern. Und, womöglich macht der Dauerkonsum von Bad News uns auch pessimistischer, lässt uns schlechter über die Menschheit denken.
12 Zusp. Doomscrolling - Trepte
Jetzt müssen wir aber im Hinterkopf behalten, das sind Korrelationsstudien. Wenn wir das noch so n bisschen komplexer machen und auseinanderdividieren, dann kann das bedeuten, dass Menschen, die auch eher weniger zufrieden sind mit ihrem Leben, die eine geringere Lebenszufriedenheit aufweisen, die sich eher ungesünder verhalten, die impulsiver sind, die eher riskant sich verhalten, die eher depressivere Symptome haben und die eher Zukunftsängste haben, auch eher dazu tendieren Doomscrolling zu betreiben. ((Wir können nur sagen, da gibt es Zusammenhänge mit diesem halben Dutzend von Eigenschaften und der Lebensweisen, die ich gerade nannte, und das ist alles nichts Gesundes, das hat man in der langen Liste gerade gehört.)) Und wir wissen aber nicht, was war jetzt zuerst da, dass Menschen sich fürchten, dass sie sich Sorgen machen, gehen sie dann auf die Suche nach diesen negativen Nachrichten oder ist es so, dass diese negativen Nachrichten dazu führen, dass Menschen sich schlechter fühlen? Ganz ehrlich, wenn ich mir die letzten 20 Jahre medienpsychologischer Forschung zu anderen Themen anschaue, dann ist das sehr, sehr wahrscheinlich eine Abwärtsspirale. ((Es ist eine Kombination aus beidem also eins führt zum anderen und es ist dann eine Reziprozität, die in einer Abwärtsspirale mündet.))
Sprecherin:
Wenn Sandra sich im Sog der Negativnachrichten verliert, kann sie oft nicht schlafen – und verzweifelt am Menschen und der Welt.
13 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Ich hab gemerkt, dass dieses Unsicherheitsgefühl und auch diese Angst, die da sich immer mehr aufbaut, nicht nur an meiner Kraft und meiner Energie zerrt; das hat mich so in ne richtige Tiefphase auch reingedrückt. Das macht so traurig und man fühlt sich so hilflos und machtlos. Und da, da ist dann der Rest vom Abend da ... da kommt man dann auch wenn man das Handy weglegt, gedanklich auch nicht mehr von weg, da ist so eine grundsätzliche Verzweiflung an dieser Menschheit. Mich machts richtig traurig und da kann ich da auch gar nicht schlafen teilweise, wenn ich nicht wirklich irgendwo schaff, den Punkt zu finden, rauszukommen. Ich kann mich da richtig drin verlieren und ja bin da auch sehr anfällig dann für depressive Verstimmungen und so weiter.
Sprecherin
Sandra hat schon vor Jahren gemerkt, dass ihr zu viele Negativnachrichten nicht guttun – und versucht seitdem ihren Medienkonsum besser zu kontrollieren.
14 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Ich hab Push-Nachrichten zum Beispiel eingeschränkt. Was für Medien oder welche Seiten mir da noch was schicken darf. Dass ich jedes Mal, wenn irgendwas so ne Push Mitteilung kommt oder so auf Facebook so ne Mitteilung, Dieses Clickbaiting versuch ich bewusst dann auch wirklich zu sperren. Ist auch so ein “GEH MIR WEG "Ja, also dass ich wirklich selbst entscheiden kann, wann ich welche Informationen möchte und wann nicht. Aber das ist ein Aufwand.
Sprecherin
Diesen Aufwand betreibt nicht nur Sandra. 14 Prozent der erwachsenen Internetnutzer in Deutschland versuchen oft aktiv, Nachrichten zu vermeiden, so die Zahlen des Reuters Digital News Report für 2024. Ganze 69 Prozent gaben an, zumindest gelegentlich Nachrichten zu meiden.
15 Zusp. Doomscrolling - Reinecke
Das zeigt schon, dass gerade in der aktuellen Situation die Nachrichtenlage von vielen als belastend wahrgenommen wird und darauf Menschen auch reagieren, indem sie versuchen, sich in gewisser Weise zu schützen und ein Stück weit aus dieser Negativität auch herauszuziehen.“
Sprecherin
Das Stichwort dazu: „News Fatigue“, Nachrichtenmüdigkeit. Schlechte Nachrichten sind eine Konstante in der Berichterstattung. „Bad News are Good News“, oder „if it bleeds, it leads”– wenn es blutet, wird es die Schlagzeilen anführen; so lauten gängige Sprüche in der Welt der Nachrichtenmacher.
16 Zusp. Doomscrolling - Reinecke
Also Negativität, Konflikt, Verlust, das sind alles Nachrichtenfaktoren, die Ereignisse erst mal interessant machen und dementsprechend auch es wahrscheinlicher machen, dass Ereignisse aufgegriffen werden von der Berichterstattung.
Sprecherin
Dennoch ist in den letzten Jahren etwas anders geworden.
17 Zusp. Doomscrolling - Reinecke
Ich glaube, dass für viele Menschen in Zentral- und in Westeuropa, ein neues Phänomen ist, wie nahe praktisch die Einschläge an zuhause sich anfühlen. Dass es also jetzt in den letzten Jahren viele negative Nachrichtenlagen gibt, die uns viel stärker, als es vielleicht vorher der Fall gewesen ist, persönlich betreffen, persönlich berühren. Wenn wir es mit Nachrichten zu tun haben wie in der Ukraine, Nachbarland von uns oder schlechte Nachrichten in Bezug auf die eigene Wirtschaft im eigenen Land oder Inflation, das sind einfach Dinge, die unser Leben direkt betreffen, die man nicht so leicht beiseiteschieben kann. Und ich glaub, dieses Gefühl der vielen für uns direkt relevanten negativen Nachrichten, das ist schon für viele Menschen in der Massivität neu.
18 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Das ist so ne innere Verzweiflung … weil man einfach nichts tun kann. als kleiner Wicht hier am Land, am Dorf mit seinen zwei Kindern. Was kann ich denn tun?
Sprecherin:
Lähmung. Auch das ist eine Folge von Doomscrolling, vom Overload an schlechten Nachrichten. Eigentlich interessieren wir uns für Nachrichten, um zu handeln, um aktiv werden - aber, wenn die Lage unübersichtlich und keine Lösung in Sicht ist, geschieht das Gegenteil: Wir fühlen uns gelähmt, und machtlos.
Sprecherin:
Wie kommen wir aus dieser Negativ-News-Spirale wieder raus? Medienpsychologe Reinecke empfiehlt: Zuerst die Ursache identifizieren. Sind es die schlechten Nachrichten, die mich fertig machen?
19 Zusp. Doomscrolling - Reinecke
Dann ist vielleicht tatsächlich sowas wie ein bewussterer Umgang mit der Auswahl von Nachrichten eine Möglichkeit, in dem ich vielleicht mich bewusst rausnehme aus dem auf dem steten Nachrichtenstrom und sage, ich nehme mir vielleicht nur ein oder zweimal am Tag vor, gezielt mich mit der aktuellen Nachrichtensituation auseinanderzusetzen, vielleicht auch bei Themen, die mich besonders belasten, da nicht so weit reinzufokussieren, und n Stück weit mich aber aus so dieser Dynamik rauszunehmen.
Sprecherin
Oder ist es vor allem die schiere Menge an Nachrichten, News, Notifications, die mich belastet?
20 Zusp. Doomscrolling - Reinecke
Dann macht es sicherlich Sinn, mein Gesamtmediennutzungsverhalten und vielleicht auch meinen Umgang mit dem Smartphone insbesondere zu reflektieren. Zu schauen, was ich in Bezug auf Notifications, auf Benachrichtigungen am Smartphone machen kann, mir quasi bewusst auch offline Zeiten vorzunehmen, wo ich insgesamt weniger erreichbar bin, eben auch für Nachrichten und Notifications, um so ein bisschen dieses Gefühl von digitalem Stress, jenseits der aktuellen Nachrichtenlage ein Stück weit zu reduzieren. ((Weil wir eben heute nicht mehr nur um 20:00 Uhr die Tagesschau einschalten, und diese Menge und Unmittelbarkeit von Informationen, die ist sicherlich ein zweiter Belastungsfaktor, ganz unabhängig vom Inhalt der Nachrichten, von dem sich viele Menschen gestresst fühlen.))
Sprecherin
Aber sind die Konsumentinnen und Konsumenten die einzigen, die in der Verantwortung sind, dem Bad-News-Ungeheuer etwas entgegenzusetzen? Nein, findet sie:
21 Zusp. Doomscrolling - Jodie Jackson
Overvoice weiblich
Ich war an einem Punkt angelangt, an dem mich die Nachrichten so deprimiert haben, dass ich sie nicht mehr sehen konnte. Aber, dass man sich informiert, muss nicht automatisch dazu führen, dass man deprimiert ist. Es gibt Möglichkeiten, wie wir uns mit den Nachrichten auseinandersetzen können und uns stärker, mit der Welt verbundener und handlungsfähiger darin fühlen können.
Sprecherin
Die US-amerikanische Autorin Jodie Jackson findet: Nicht weniger Nachrichten sind die Lösung, sondern ein anderer Nachrichtenfokus ¬– der die positiven Veränderungen mehr in den Blick nimmt.
22 Zusp. Doomscrolling - Jodie Jackson
Overvoice weiblich
In den Nachrichten wird über die schlimmsten Dinge berichtet, die in der Welt gerade passieren, ((wobei Probleme, Konflikte und Gewalt in den Vordergrund gestellt und Geschichten über Fortschritte bei der Lösungsfindung oder Entwicklung ignoriert werden.)) Das führt dazu, dass wir die Welt für gefährlicher und schrecklicher halten, als sie tatsächlich ist. Während wir in Wirklichkeit einige der schnellsten Verbesserungen in unserer Geschichte erreicht haben und weiterhin erreichen. Seit 1945 sind wir global gesehen wohlhabender. Wir haben weniger Menschen, die in extremer Armut leben. Wir haben eine bessere Gesundheit. Wir leben länger. Wir haben eine niedrigere Kindersterblichkeit. ((Und trotz dieser Fortschritte denken viele von uns immer noch, dass sich die Welt deutlich verschlechtert. Weil das nun mal die Geschichte, die uns am häufigsten erzählt wird.))
Sprecherin
Auch die Wissenschaft weiß um die Vorteile guter Nachrichten. Zum Beispiel lasse sich aus positiven Nachrichten besser lernen.
23 Zusp. Doomscrolling - Trepte
Wir haben ganz spannende Studien dazu durchgeführt und haben gefunden, dass Studierende in Deutschland und in den USA, die haben wir verglichen, wenn sie Nachrichten lesen, die positiv über das eigene Heimatland berichten, diese auch deutlich besser sich merken, als wenn das negative Nachrichten sind. Das sind dann häufig Nachrichten gewesen, die etwas mit der eigenen kulturellen Identität zu tun haben. ((Das funktioniert super.))
Sprecherin
Sich ganz von News abzuschotten, das war für Sandra ohnehin nie eine Lösung.
24 Zusp. Doomscrolling - Sandra
Dass ich dann von vielem dann gar nicht mehr wirklich Bescheid weiß. Das ist dann eigentlich auch wieder das, was ich nicht will, ich möchte ja informiert bleiben. Ich find es schon sehr wichtig, dass man ein bisschen auch weiß, so grob, was ist denn so los in der Welt und ich empfinde das auch so als eine kleine Verantwortung, die jeder hat, dass man nicht ganz die Augen zumacht, diesen Mittelweg zu finden: Wie schütze ich mich und wie bleibe ich trotzdem informierter Teil der Gesellschaft?
Sprecherin:
Diesen persönlichen Mittelweg zu finden, das bleibt jedem selbst überlassen. Eines ist jedenfalls klar: Ohne Informationen über die Welt, können wir keine Entscheidungen treffen. Zu viele Information, vor allem in Form schlechter Nachrichten, macht uns aber genauso handlungsunfähig.
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