Am 27. April 1945 erklärt eine kleine Gruppe Österreich unabhängig. Doch der Zweite Weltkrieg ist noch nicht vorbei und viele kämpfen weiter. Historiker Hannes Leidinger beleuchtet die 'Stunde Null', die für viele kein Neubeginn, sondern eine Niederlage ist. Die Diskussion über Österreichs Erinnerungs- und Identitätskultur zeigt, wie das Jahr 1955 die Geschichte prägte. Außerdem wird die wichtige Rolle der Trümmerfrauen und das kollektive Opfergefühl thematisiert, das die Wahrnehmung der Vergangenheit beeinflusst.
Die Vorstellung der 'Stunde Null' im Jahr 1945 wird als ein Klischee betrachtet, das die komplexe Geschichte des Nationalsozialismus vereinfacht.
Die Lebensbedingungen 1945 waren extrem herausfordernd, was die nationale Identität und die Wiederaufbauphasen stärker prägte als politische Umbrüche.
Deep dives
Die Klischeefalle der Stunde Null
Die Vorstellung der 'Stunde Null' wird als eine bedeutende Klischeefalle in der österreichischen Geschichtsauffassung identifiziert. Obwohl sie oft verwendet wird, um den Neuanfang der Zweiten Republik 1945 zu kennzeichnen, ist es fraglich, ob 1945 wirklich eine Zäsur darstellt. Viele Historiker betonen, dass 1955 in der Erinnerungskultur wichtiger ist, da in diesem Jahr die Unabhängigkeitserklärung stattfand. Diese Fokussierung auf 1945 wird als eine Art Instrumentalisierung gesehen, um sich von der komplizierten Geschichte des Nationalsozialismus zu distanzieren und zu behaupten, dass Österreich ausschließlich als Opfer wahrgenommen werden sollte.
Die Realität des Lebens 1945
Im Jahr 1945 war Österreich von enormen Herausforderungen geprägt, die den meisten Menschen das Überleben schwer machten. Die Versorgungslage war kritisch, mit einem drastischen Rückgang der verfügbaren Nahrungsmittel und einem Zusammenbruch der Infrastruktur, was die Lebensbedingungen extrem schwierig machte. Dazu kam, dass Millionen Menschen, einschließlich vieler ehemaliger Zwangsarbeiter und Vertriebener, im Land waren, was die ohnehin schon instabile Situation weiter verkomplizierte. Diese Gegebenheiten deuteten darauf hin, dass die Frage der nationalen Identität und die Herausforderung der Wiederaufbauphase eine dominierende Rolle im Alltag der Österreicher einnahmen, anstatt sich mit politischen Umbrüchen auseinanderzusetzen.
Opfermythos und gesellschaftliche Identität
Die Vorstellung von den 'Trümmerfrauen' als Symbol für die Wiederaufbaubemühungen nach dem Krieg wird oft in einem Kontext betrachtet, der die Opferthese von Österreichern verstärkt. Diese Frauen wurden in der Öffentlichkeit als Helden des Wiederaufbaus gefeiert, während andere bedeutende Opfergruppen, wie rassistisch Verfolgte oder Vertriebene, oft übersehen wurden. Es entsteht eine komplexe Diskussion darüber, wie diese ideologischen Narrative den Umgang mit der jüngsten Geschichte beeinflussen und welche neuen Opfergeschichten dabei in den Hintergrund gedrängt werden. Die Wiederholung solcher narrative Strukturen zeigt sich auch im aktuellen Diskurs über Restitutionen und die Erinnerungskultur, wo die Balance zwischen verschiedenen Opfergruppen oft konfliktreich ist.
Was ist am 27. April 1945 tatsächlich passiert? Noch ist der Zweite Weltkrieg nicht zu Ende. 80 000 Wohnungen wurden in Wien zerstört, das Stromnetz fällt zusammen, noch ist das Konzentrationslager Mauthausen nicht befreit und in den Bundesländern wird sogar noch gekämpft als eine kleine Gruppe Österreich für unabhängig erklärt und den "Anschluss" ans Dritte Reich für null und nichtig. Es ist ein holpriger, zweiter Anfang für die Republik. Für viele Österreicherinnen und Österreicher ist es keine "Stunde Null", kein Neubeginn sondern eine Niederlage. Mariella Gittler unterhält sich über die Tücken der Erinnerungskultur mit Historiker Hannes Leidinger vom Zeitgeschichte Institut der Universität Wien und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte.
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