
SWR Kultur lesenswert - Literatur Volker Braun – Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben
May 7, 2024
04:09
Er geht im dicken Mantel dieses Gemurmels, drunter nackt, und öffnet ihn, wenn er spricht.Volker Braun, vor 85 Jahren in Dresden geboren. Mit seinem Vater, der später im Krieg bleibt, hat er vom Waldschlösschen jenseits der Elbe aus oft auf die historische Silhouette geschaut. Über idyllische Wiesen hinüber zur Altstadt. Als er fünf Jahre alt ist, brennt Dresden.Quelle: Volker Braun – Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben
Er blickte immer wieder bereitwillig auf, aber Dresden gab es nicht mehr, nur die Skelette der Türme, vom Mittagslicht legiert. Er hatte, am Aschermittwoch, den glutroten Himmel gesehn, der schwarze Ruß war aus der Tiefe heraufgeweht und die Ausgebombten mit rußschwarzen Gesichtern.Quelle: Volker Braun – Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben
Das sind natürlich diese Felderhöhen über Dresden, die Felder, die Natur, und es ist die zerstörte Stadt. Und dieser Widerspruch von Grauen und Schönheit ist vielleicht die Grunderfahrung.Quelle: Volker Braun
Zerstörung und Schönheit als Grunderfahrung
Volker Braun denkt und schreibt seit über sechzig Jahren hochverdichtete, tief wurzelnde Verse als Lyriker, schreitet weit ausholend als Essayist durch Geschichte und Gesellschaft, erforscht Menschen und Macht als Dramatiker oder deckt Wahrheit und Visionen auf als Erzähler. Immer geht es um Widersprüche. „Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben“ könnte über dem Dichterleben stehen und heißt wohl nicht von ganz Ungefähr das gleichermaßen gegenwarts- wie lebensanalysierende Buch, das kurz vor seinem Geburtstag erschienen ist. Neben der genannten gibt es zwei weitere Erprobungen: „Versuch, mich mit den Füßen am Boden zu halten“ und „Versuch, mich auf einer Landmasse zu bewegen.“ Wie stets lauern zwischen all den anspielungsreichen Zeilen der Essays über eurasischen Kontinent, Klimakatastrophe oder Dichterexistenz vor allem Fragen.Wie muss die Kunst beschaffen sein, fragte Adorno, um dem Kapitalismus gewachsen zu sein? – die Poesie, liest der Dichter Raimondi, »einer dynamischen Gegenwart … einer globalen Dimension«. Welche Form soll sie annehmen in dieser allgegenwärtigen Formation der technischen, merkantilen, militärischen Zusammenbindung der Welt, bei der Territorien verbraucht und Halbkontinente umgepflügt werden.Quelle: Volker Braun
Als Wegweiser dienen Zitate von Dichterkollegen
Die Grundgedanken jedes Kapitels veranschaulichen vorangestellte kleine Abbildungen unterschiedlicher Künstler. Eine mongolische Jurte am Hofe eines Großkhans führt zu den Ränken der Gegenwart zwischen östlichen und westlichen Wirtschafts- und Wertesystemen. Zu Kriegen um Ideologien, Ressourcen und Territorien. Die Zeichnung sinkender nackter, verkrümmter Kreaturen verweist auf die Auseinandersetzung mit einer jungen Klimaaktivistin. Die zerstörten Elbbrücken legen die Spur in das eigene Leben. Als Wegweiser dienen Zitate von Kollegen. „Der Mensch ist die Antwort, egal, was die Frage ist“ heißt es da etwa von André Breton.Der Vater war gefallen, die Mutter zog uns Fünfe auf. Und ich wuchs also unter Brüdern auf. Und das ist auch etwas, was wohl das Naturell prägt. Und das Wort Brüder, was später dann so einen politischen und geradezu ideologischen Klang bekam, das ist für mich etwas ganz Natürliches. Das Mitdenken, Mitleben mit den anderen.Quelle: Volker Braun
