

EGL063 Psychosen, UFOs, Archetypen: C.G. Jung über Außerirdische und das kollektive Unbewusste

Drei Jahre vor seinem Tod veröffentlichte Carl Gustav Jung 1958 ein kleines Büchlein über UFOs: "Ein moderner Mythus". Jung war zu diesem Zeitpunkt über 80 Jahre alt. Man könnte also vom Spätwerk des Schweizer Arztes und Psychoanalytikers sprechen, dem wir diese Episode widmen. Aus der Vogelperspektive betrachtet, befasst sich dieses Buch mit dem UFO-Phänomen aus einer psychologischen Perspektive und stellt die Frage, ob es sich bei den Sichtungen um reale Objekte oder symbolische Projektionen des kollektiven Unbewussten handelt. Doch wir wählen den Weg durch das Unterholz und folgen einer Spur von Zitaten über fliegende Untertassen, Archetypen, atomare Bedrohung, Parapsychologie und kollektive Visionen, um schließlich bei einem Gedankengebäude anzukommen, das – wie ein Vexierbild – je nach Blickwinkel naturwissenschaftliches Forschungsinstitut oder okkulter Tempel sein könnte. C.G. Jung erscheint als gespaltenes Selbst: In ihm leben naturwissenschaftliche Ansprüche und metaphysische Überzeugungen konfliktfrei zusammen, ohne den Widerspruch auszulösen, den viele Leser:innen bei der Lektüre verspüren müssten. Und vielleicht ist es ja wirklich das Spätwerk Jungs, in dem er die UFOs als Korrektiv nutzt, das sein Konzept der Archetypen zukunftsfähig macht?
Mitwirkende
- Micz Flor (Erzähler)
- Florian Clauß
Verwandte Episoden
Unsere Tour führt uns an einem Herbstabend aus dem beleuchteten Charlottenburg über den Halensee bis in die Dunkelheit des Grunewald. Ein passendes Gegensatzpaar zu unserem Gespräch, das vom hellen Schein der Vernunft bin in die unergründlichen Schatten des Unbewussten reicht. Für Flo jedoch beginnt die Tour im Dunkeln. Er weiß nicht, was Micz vorbereitet hat und startet gewissermaßen im Grunewald. Gegenstand der Episode sind Carl Gustav Jungs Texte über UFO-Sichtungen, erstmals 1958 als Broschüre bei Rascher in Zürich erschienen. Die Seitenzahlen der Zitate stammen allerdings aus der Veröffentlichung Geheimnisvolles am Horizont (Von Ufos und Außerirdischen) von 1992, die Micz für diese Episode durchgearbeitet hat (s.a. Literaturverzeichnis).
Die Folge beginnt mit einer Reihe von Zitaten, zu denen Flo seine Reaktionen schildert, ohne die Quellen zu kennen. Für alle anderen, die wissen, worum es geht, sind hier die Zitate aus der Episode noch einmal mit Quellenangaben aufgeführt.
C.G. Jung zwischen den Welten der Naturwissenschaft und Metaphysik
Anders als in der Episode, möchte ich hier eine Fußnote vornean stellen, die die Bühne für alle weiteren Überlegungen darstellt:
(Fußnote:) “Es ist ein geläufiges und durch nichts gerechtfertigtes Mißverständnis bei naturwissenschaftlich Gebildeten, daß ich die psychischen Hintergründe als «metaphysische» verstehe, während umgekehrt mir die Theologen vorwerfen, daß ich die Metaphysik «psychologisiere». Beide treffen daneben. Ich bin ein Empiriker, der sich innerhalb der ihm gesetzten erkenntnistheoretischen Grenzen hält.”
(Jung, 1958/1992, S. 33)
Jung stellt sich also als falsch verstanden dar – sowohl von Naturwissenschaftler:innen, als auch Theolog:innen. Er sei Empiriker ist seine Antwort an beide Parteien. Wer geneigt ist ihn deshalb einem eher naturwissenschaftlichen Denken zuzuordnen, wird unweigerlich beim Lesen des Büchleins über Mutmaßungen, Erfahrungen und Feststellungen stolpern, die so gar nicht naturwissenschaftlich anmuten, sondern der Astrologie, Parapsychologie und spiritistischen Sitzungen entstammen. Jung bleibt uns in dieser Schrift eine Antwort schuldig, auf wessen Grund er sein Gedankengebäude errichtet hat. Mit dem obigen Zitat sagt er uns weder wo er sich sieht, noch erfahren wir, wo er sich nicht verortet. Es bleibt unklar, ob er sich zwischen diesen Welten, in der Schnittmenge beider oder an einem ganz anderen, dritten Ort sieht.
Jung verbindet die UFO-Sichtungen mit dem Beginn des Wassermannzeitalters (Age of Aquarius)
Im ersten Zitat (nicht das erste aus dem Buch, aber aus dramaturgischen Gründen in der Episode nach vorne gezogen) erfahren wir, dass der vorliegende Text scheinbar nicht nur Beruf, sondern auch Berufung des analytischen Psychologen berührt. Mit schwerem Herzen stellt er uns seine Theorien zum Phänomen der UFO-Sichtungen vor. Er hofft vermeiden zu können, dass Menschen “unvorbereitet von den Ereignissen überrascht werden und ahnungslos deren Unfaßbarkeit ausgeliefert sind”.
“Es wäre leichtsinnig von mir, meinem Leser verheimlichen zu wollen, daß dergleichen Überlegungen nicht nur äußerst unpopulär sind, sondern sich sogar in bedrohlichster Nähe jener wolkigen Phantasmas bewegen, die das Gehirn von Zeichendeutern und Weltverbesserern beschatten. Ich muß das Risiko auf mich nehmen und meinen mühsam erkämpften Ruf der Wahrhaftigkeit, der Vertrauenswürdigkeit und der wissenschaftlichen Urteilsfähigkeit aufs Spiel setzen. Es geschieht dies, wie ich meinen Lesern versichern kann, nicht leichten Herzens. Ich bin, aufrichtig gesagt, bekümmert um das Los derer, die unvorbereitet von den Ereignissen überrascht werden und ahnungslos deren Unfaßbarkeit ausgeliefert sind.”
(Jung, 1958/1992, S. 10)
Eine erste Fährte hinein in Jungs Gedankengebäude einer Psychodynamik, die individuelles und kollektives Unbewusstes kennt, erfahren wir schon vorher im Buch (siehe folgendes Zitat). Das Phänomen soll nicht “im Subjektiven befangen” bleiben. Wir werden also Jungs Konzept der Archetypen im Verlauf besser kennenlernen.
“Es ist schwierig, die Tragweite zeitgenössischer Ereignisse richtig einzuschätzen, und die Gefahr, daß das Urteil im Subjektiven befangen bleibt, ist groß. Ich bin mir daher des Wagnisses bewußt, wenn ich mich anschicke, denen, die mich geduldig anhören wollen, meine Auffassung von gewissen zeitgenössischen Ereignissen, die mir bedeutend erscheinen, mitzuteilen. Es handelt sich um jene Kunde, die uns von allen Ecken der Erde erreicht, jenes Gerücht von runden Körpern, die unsere Tropo- wie Stratosphäre durchstreifen, genannt «saucers, Teller, soucoupes, disks und Ufos» (Unidentified Flying Objects).”
(Jung, 1958/1992, S. 9)
Auf der gleichen Seite beginnt Jung Verbindungen zwischen Sternen, UFOs und Jesus zu schaffen. So würden wir uns “am Ende eines Platonischen Monats und zu Anfang des nachfolgenden” befinden. Gemeint ist der Übergang vom Zeitalters des Sternzeichen “Pisces”, dessen Beginn mit der Geburt von Jesus zusammenfalle, und dem kommenden Zeitalter des Wassermanns (“Age of Aquarius”). Damals sahen die Menschen den Stern über Bethlehem. Jetzt sehen Menschen auf der ganzen Welt UFOs. Jung suggeriert, dass die UFO-Sichtungen sich als ähnlich bedeutsam herausstellen könnten, wie das Christentum.
Diese Annahme erlaubt ihm im aufgespannten Netz von Sternzeichen, Jesus’ Geburt und UFO-Sichtungen seine Archetypen im Himmel wie auf Erden zu verankern. Denn – so Jung – “Veränderungen in der Konstellation der psychischen Dominanten, der Archetypen, der «Götter», welche säkulare Wandlungen der kollektiven Psyche verursachen”
Jung erklärt damit, dass Archetypen nicht festgeschrieben sind, sondern sich (mit dem Wandel der Mythen und Symbole) wandeln können. Das stellt gewissermaßen eine Fortführung des Gleichen in neuem (besser: wandelndem) Gewand dar. So erlegt er zwei Fliegen in einem Streich: nur so kann er die Erscheinung der UFOs durch Kollektivvisionen erklären. Und zweitens sichert er so in diesem Spätwerk seiner Theorie der Archetypen eine Zukunft, da deren Wandlung somit auch zukünftige Technologien und Dingen umfassen und beinhalten (hier z.B. fliegende Untertassen).
“Es ist keine Anmaßung, die mich treibt, sondern mein ärztliches Gewissen, das mir rät, meine Pflicht zu erfüllen, um die Wenigen, denen ich mich vernehmbar machen kann, vorzubereiten, daß der Menschheit Ereignisse warten, welche dem Ende eines Äon entsprechen. Wie wir schon aus der altägyptischen Geschichte wissen, sind es psychische Wandlungsphänomene, die jeweils am Ende eines Platonischen Monats und zu Anfang des nachfolgenden auftreten. Es sind, wie es scheint, Veränderungen in der Konstellation der psychischen Dominanten, der Archetypen, der «Götter», welche säkulare Wandlungen der kollektiven Psyche verursachen oder begleiten. Diese Wandlung hat innerhalb geschichtlicher Tradition angehoben und ihre Spuren hinterlassen, zunächst im Übergang des Stierzeitalters zu dem des Aries [Widder], sodann vom Zeitalter des Aries zu dem der Pisces [Fische], dessen Anfang mit der Entstehung des Christentums zusammenfällt. Wir nähern uns jetzt der großen Veränderung, die mir dem Eintritt des Frühlingspunktes in Aquarius [Wassermann] erwartet werden darf.”
(Jung, 1958/1992, S. 9f.)
Die “Wandlungen der kollektiven Psyche”, die mit Archetypen und auch individuellen Unbewussten Inhalten in Verbindung stehen, formuliert er auch noch an andere Stelle:
“Es liegt hier wohl ein Beispiel von Modifikation älterer Tradition durch neueren Erkenntniszuwachs vor, also einer Beeinflussung urtümlicher Verbildlichung durch rezente Erwerbungen des Bewußtseins, wie die in moderner Zeit häufigen Ersetzungen der Tiere und Monstren durch Automobile und Flugzeuge in Träumen.”
(Jung, 1958/1992, S. 43)
UFOs Mitte des 20ten Jahunderts
Wann wurden die ersten UFOs gesichtet und als solche benannt? Kann es sein, dass Lebewesen von der Venus oder Mars aufgrund der Atombomben Angst vor den Terrestrier:innen bekamen?
“Den Auftakt zu den Ufos bildeten die in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges gemachten Beobachtungen geheimnisvoller Geschosse über Schweden, deren Erfindung man den Russen zuschob, und die Berichte über «Foo fighters», das heißt Lichter, welche die alliierten Bomber über Deutschland begleiteten (foo = feu). Darauf folgten dann die abenteuerlichen Beobachtungen von «flying saucers» in USA. Die Unmöglichkeit, eine irdische Basis für die Ufos zu finden und ihre physikalischen Eigenschaften zu erklären, führte dann bald zur Vermutung eines extraterretrischen Ursprungs.”
(Jung, 1958/1992, S. 14–15)
“Die neueren atomischen Explosionen auf der Erde – so wird vermutet – hätten die Aufmerksamkeit dieser so viel weiter fortgeschrittenen Mars- oder Venusbewohner erregt und Besorgnisse hinsichtlich möglicher Kettenreaktionen und der damit verbundenen Zerstörung der Erde wachgerufen. Da eine derartige Möglichkeit auch eine katastrophale Bedrohung unserer Nachbarplaneten bedeuten würde, so sähen sich deren Bewohner veranlaßt, die Entwicklung der Dinge auf der Erde sorgfältig zu beobachten, in voller Erkenntnis der ungeheuren Gefahr, welche unsere täppischen Nuklearversuche verursachen könnten.”
(Jung, 1958/1992, S. 22)
UFOs sind die Projektion unbewusster, kollektiver Inhalte
“Wenn der Archetypus durch die Zeitumstände und die psychische Gesamtlage eine zusätzliche energetische Ladung erhält, so kann er aus angedeuteten Gründen nicht direkt ins Bewußtsein integriert werden. Er wird vielmehr dazu gezwungen, sich indirekt in Form einer spontanen Projektion zu manifestieren. Das projizierte Bild erscheint dann als ein von der individuellen Psyche und deren Beschaffenheit unabhängiges, scheinbar physisches Faktum: die runde Ganzheit des Mandalas wird zu einem von intelligenten Wesen gesteuerten Weltraumfahrzeug.”
(Jung, 1958/1992, S. 41)
“Beim Individuum kommen derartige Erscheinungen, wie abnorme Überzeugungen, Visionen, Illusionen usw., ebenfalls nur dann vor, wenn es psychisch dissoziiert ist, das heißt wenn eine Spaltung zwischen der Bewußtseinseinstellung und den dazu entgegengesetzten Inhalten des Unbewußten eingetreten ist. Weil das Bewußtsein um ebendiese Inhalte nicht weiß und deshalb mit einer anscheinend ausweglosen Situation konfrontiert ist, so können die fremdartigen Inhalte nicht direkt und bewußt integriert werden, sondern suchen sich indirekt auszudrücken, indem sie unerwartete und zunächst unerklärliche Meinungen, Überzeugungen, Illusionen und Visionen erzeugen. Es werden ungewöhnliche Naturereignisse, wie Meteore, Kometen, Blutregen, ein Kalb mit zwei Köpfen und sonstige Mißgeburten, im Sinne drohender Ereignisse gedeutet, oder es werden «Zeichen am Himmel» gesehen.”
(Jung, 1958/1992, S. 20)
“Dazu kommen noch jene Fälle, wo dieselbe kollektive Ursache die nämlichen oder wenigstens ähnliche psychische Wirkungen hervorbringt, das heißt gleichartige Deutungen oder visionäre Bilder gerade bei den Leuten, die am wenigsten auf solche Erscheinungen vorbereitet oder daran zu glauben geneigt sind. Dieser Umstand ist es dann wiederum, welcher den Augenzeugenberichten eine besondere Glaubwürdigkeit verleiht: man pflegt ja gerne hervorzuheben, daß der oder jener Zeuge besonders unverdächtig sei, weil er sich nie durch lebhafte Phantasie oder Leichtgläubigkeit hervorgetan, sondern im Gegenteil sich stets durch ein kühles Urteil und durch kritische Vernunft ausgezeichnet habe. Gerade in solchen Fällen muß das Unbewußte zu besonders drastischen Maßnahmen greifen, um seine Inhalte wahrnehmbar zu machen. Dies geschieht am eindringlichsten durch Projektion, das heißt Hinausverlegen in ein Objekt, an dem dann das erscheint, was zuvor das Geheimnis des Unbewußten war.”
(Jung, 1958/1992, S. 21)
“Persönliche Verdrängungen und Unbewußtheiten offenbaren sich an der nächsten Umgebung, dem Verwandten- und Bekanntenkreis. Kollektive Inhalte dagegen, wie zum Beispiel religiöse, weltanschauliche und politisch-soziale Konflikte, erwählen sich entsprechende Projektionsträger, wie die Freimaurer, Jesuiten. Juden, Kapitalisten. Bolschewisten, Imperialisten usw. In der Bedrohlichkeit der heurigen Weltsituation, wo man einzusehen anfängt, daß es ums Ganze gehen könnte, greift die projektionsschafiende Phantasie über den Bereich irdischer Organisationen und Mächte hinaus in den Himmel, das heißt in den kosmischen Raum der Gestirne, wo einstmals die Schicksalsherrscher, die Götter, in den Planeten ihren Sitz hatten.”
(Jung, 1958/1992, S. 21)
Zitate von C.G. Jung über Archetypen und das kollektive Unbewusste
“Die Inhalte des persönlichen Unbewussten sind in der Hauptsache die sogenannten gefühlsbetonten Komplexe, welche die persönliche Intimität des seelischen Lebens ausmachen. Die Inhalte des kollektiven Unbewussten dagegen sind die sogenannten Archetypen.”
(Jung, 1934/2018, S. 8)
“Seit der Entdeckung des empirischen Unbewußten ist die Psyche, und was in ihr geschieht, eine Naturtatsache und nicht mehr eine willkürliche Meinung, was sie wohl wäre, wenn sie ihre Manifestation der Absicht eines bodenlosen Bewußtseins verdankte. Das Bewußtsein mit seiner kaleidoskopischen Beweglichkeit ruht aber, wie wir dank der Entdeckung des Unbewußten wissen, auf der sozusagen statischen oder wenigstens hochkonservativen Grundlage der Instinkte und deren spezifischen Formen, den Archetypen.”
(Jung, 1958/1992, S. 56)
“Es ist unumgänglich, die Produkte des (kollektiven) Unbewußten, das heißt die Bilder, die einen unverkennbar mythologischen Charakter aufweisen, in ihren symbolgeschichtlichen Zusammenhang einzureihen, denn sie bilden die Sprache der angeborenen Psyche und ihrer Struktur und sind keineswegs, was ihre Anlage anbetrifft, individuelle Erwerbungen.”
(Jung, 1958/1992, S. 44)
“Wo immer es sich um archetypische Gestaltungen handelt, führen personalistische Erklärungsversuche in die Irre. (…) Die symbolgeschichtliche («amplifizierende») Behandlung ergibt ein Resultat, das zunächst wie eine Rückübersetzung in primitive Sprache anmutet.”
(Jung, 1958/1992, S. 44)
Fußnote: ” Ich muß hier den Leser bitten, dem landläufigen Mißverständnis, daß diese Hintergründe «metaphysisch» seien, nicht Raum zu geben. Diese Auffassung ist eine grobe Fahrlässigkeit, die sich auch akademische Geister zuschulden kommen lassen. Es handelt sich vielmehr um Instinkte, die nicht nur das äußerliche Verhalten, sondern auch die psychische Struktur beeinflussen. Die Psyche ist keine willkürliche Phantasie, sondern eine biologische Tatsache, welche den Lebensgesetzen unterworfen ist.”
(Jung, 1958/1992, S. 56)
Das Rationale als Gegenspieler des Unbewussten / Archetypen
” Diese Welt der Hinrergründe erweist sich als Gegenspieler des Bewußtseins, welches vermöge seiner Beweglichkeit (Lernfahigkeit) öfters in Gefahr steht, seine Wurzeln zu verlieren. Infolge dieser Erfahrung haben die Menschen seit unvordenklichen Zeiten sich genötigt gesehen, Riten auszufuhren, welche den Zweck haben, die Mitarbeit des Unbewußten zu sichern. In einer primitiven Welt wird keine Rechnung ohne den Wirt gemacht; man erinnert sich stets der Götter, der Geister, des Fatums und der magischen Eigenschaften von Ort und Zeit, in der richtigen Erkenntnis, daß der alleinige Wille des Menschen nur den Bruchteil einer ganzheitlichen Situation darstellt. Das Handeln des ursprünglichen Menschen hat einen Ganzheitscharakter, von dem sich der Zivilisierte als von einer überflüssigen Belastung freizumachen versucht. Es scheint auch ohne sie zu gehen.”
(Jung, 1958/1992, S. 56–57)
“Nur Bruchteile eines Promilles der Bevölkerung lassen sich durch Überlegungen belehren. Alles andere besteht aus der Suggestivkraft der Anschaulichkeit.”
(Jung, 1958/1992, S. 55)
“Vermehrte Kenntnis des Unbewußten bedeutet soviel wie erweiterte Lebenserfahrung und größere Bewußtheit und beschert uns daher anscheinend neue, ethische Entscheidung fordernde Situationen. Diese waren zwar immer schon vorhanden, wurden aber intellektuell und moralisch weniger scharf erfaßt und oft nicht ohne Absicht im Zwielicht gelassen. (…) Ich habe in meiner langen Erfahrung keine Situation angetroffen, die mir eine Verleugnung der ethischen Prinzipien oder auch nur einen Zweifel in dieser Hinsicht nahegelegt hätte; im Gegenteil haben sich mit zunehmender Erfahrung und Erkenntnis das ethische Problem verschärft und die moralische Verantwortlichkeit gesteigert. Es ist mir klargeworden, daß im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung das Unbewußtsein keine Entschuldigung darstellt, sondern vielmehr ein Vergehen ist in des Wortes eigentlicher Bedeutung.”
(Jung, 1958/1992, S. 68–69)
Parapsychologie, Empirie und Wissenschaft
“Abgesehen von Kollektivvisionen gibt es aber auch Fälle, wo eine bis mehrere Personen etwas sehen, das physisch nicht vorhanden ist. So war ich einmal bei einer spiritistischen Sitzung zugegen, wo von den anwesen- den fünf Beobachtern vier einen kleinen mondartigen Körper über dem Abdomen des Mediums schweben sahen und mir als dem fünften, der nichts sah, genau die Stelle bezeichneten, wo er zu sehen war. Es war ihnen schlechterdings unbegreiflich, daß ich nichts dergleichen sehen konnte.” S.14
“… es gibt parapsychologische Erfahrungen, die heutzutage nicht mehr unter den Tisch gewischt werden können, sondern bei der Beurteilung psychischer Vorgänge mitberücksichtigt werden müssen.”
(Jung, 1958/1992, S. 40)
Natur und Speculative Fiction
“Es erscheint ein rundes «metallenes Gebilde», das als «fliegende Spinne» charakterisiert wird. Dieser Beschreibung entspricht das Ufo, Was die Bezeichnung als «Spinne» betrifft, so ist an die Hypothese zu erinnern, daß die Ufos eine Art von Insekten seien, die von einem anderen Planeten stammen und ein metallisch glänzendes Gehäuse besitzen. Eine Analogie dazu wären die ebenfalls metallisch aussehenden Chitinpanzer unserer Käfer. Jedes Ufo sei ein einzelnes Tier. Bei der Lektüre der zahlreichen Berichte ist, wie ich gestehen muß, mir selber auch der Gedanke gekommen, daß das eigentümliche Verhalten der Ufos am ehesten an das gewisser Insekten erinnere. Und wenn man schon über eine solche Annahme spekulieren will, so besteht die Möglichkeit, daß unter entsprechenden Lebensbedingungen die Natur auch imstande wäre, ihr «Wissen» noch in anderer Richtung als derjenigen der physiologischen Lichterzeugung und dergleichen mehr zu betätigen, zum Beispiel in Autigravitation. Unsere technische Phantasie hinkt ja sowieso öfters derjenigen der Natur nach. Alle Dinge unserer Erfahrung unterliegen der Gravitation bis auf die eine große Ausnahme, die Psyche. Sie ist sogar die Erfahrung der Gewichtlosigkeit selber. Das psychische «Objekt» und die Gravitation sind unseres Wissens inkommensurabel. Sie scheinen prinzipiell verschieden zu sein. Die Psyche repräsentiert den einzigen uns bekannten Gegensatz zur Gravitation. Sie ist eine Antigravitation im eigentlichen Sinne des Wortes. Wir können zur Bestätigung dieser Überlegung auch die Erfahrungen der Parapsychologie heranziehen, wie zum Beispiel die Lévitation und andere, Zeit und Raum relativierende, psychische Phänomene, die nur noch von Unwissenden geleugnet werden.
(Jung, 1958/1992, S. 62–63)
Literaturverzeichnis
Jung, C. G. (1992). Geheimnisvolles am Horizont (Von Ufos und Außerirdischen). Olten und Freiburg, Walter-Verlag. (Original work published 1958)
Jung, C. G. (2018). Über die Archetypen des kollektiven Unbewussten. In L. Jung (Hrsg.), Archetypen: Urbilder und Wirkkräfte des kollektiven Unbewussten (S. 8–54). Patmos Verlag. (Original work published 1934)


















