
Archivradio – Geschichte im Original Versailler Vertrag: Reichskanzler Bauer erklärt Zustimmung | 23.6.1919
Jun 23, 2023
04:16
"Meine Damen und Herren, im Namen der Reichsregierung habe ich Ihnen folgende Mitteilung zu machen. Die Mehrheit der Nationalversammlung hat sich in der gestrigen Sitzung meiner Ausführungen gut geheißen, in denen die Stellung der Reichsregierung zum Friedensschluss dargelegt wurde. Entsprechend diesem Votum und der darin ausgedrückten Bevollmächtigung haben wir gestern Nachmittag in Versailles eine Note überreichen lassen, die diese unsere Stellung mit aller Verwahrung und allem Vorbehalt darstellt. Und unseren Willen zum Vertragsabschluss folgendermaßen formuliert:
Die Regierung der deutschen Republik ist bereit, den Friedensvertrag zu unterzeichnen, ohne jedoch damit anzuerkennen, dass das deutsche Volk der Urheber des Krieges sei. Und ohne eine Verpflichtung nach Artikel 227 des 230 des Friedensvertrages zu übernehmen.
Darauf ist dem Gesandten [...] am späten Abend eine ablehnende Antwort zugegangen. Die Alliierten lehnen jede Modifikation und jeden Vorbehalt ab und verlangen unveränderte Annahme des Friedensdiktats. Damit, meine Damen und Herren, ist die Lage in zwölfter Stunde von Grund aus verändert. Und damit stehen wir unrettbar vor der ungeheuren Frage: Ablehnen oder bedingungslos unterzeichnen? Die Reichsregierung hat ihnen gestern die bedingte Unterzeichnung vorgeschlagen und dafür die Zustimmung ihrer Mehrheit gefunden. Sie hat geglaubt, diesen letzten Versuch machen zu müssen, um etwas wenigstens von all den schönen Idealen zu retten, die unsere Gegner angeblich mit ihrem Kampf für die Menschheit erstreiten wollten.
Meine Damen und Herren, unsere Hoffnung, mit dem einzigen Vorbehalt einer Ehrenbewahrung bei unseren Gegnern durchzudringen, war nicht sehr groß. Aber wenn sie auch noch geringer gewesen wäre, der Versuch musste gemacht werden. Jetzt, wo er misslungen an dem sträflichen Übermut der [...] gescheitert ist, kann und muss die ganze Welt sehen: Hier wird ein besiegtes Volk an Leib und Seele vergewaltigt, wie kein Volk je zuvor.
Meine Damen und Herren, keinem Prozess [...] keinen Sturm der Empörung. Unterschreiben wir! - Das ist der Vorschlag den ich Ihnen im Namen des gesamten Kabinetts machen muss. Die Gründe, die uns zu diesem Vorschlag zwingen, sind dieselben wie gestern. Nur trennt uns jetzt eine Frist von knappen vier Stunden vor der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Einen neuen Krieg können wir nicht verantworten. Selbst wenn wir Waffen hätten, wir sind wehrlos. Wehrlos ist aber nicht ehrlos. Gewiss, jene wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. Aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, dass es nicht unsere Ehre ist, die über dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist ein Glaube bis zum letzten Atemzug."
