

Tiere und Zäune - Von tödlichen Grenzen
Zaun hindert Elche
- Ein Zaun entlang der polnischen Grenze verhindert Elche, nach Deutschland einzuwandern.
- Die Tiere kehren um, obwohl sie den Zaun theoretisch überspringen könnten.
Wachsende Grenzzäune schaden Tieren
- Die Länge der europäischen Grenzzäune hat sich seit 2014 versiebenfacht und erreicht Tausende Kilometer.
- Diese Barrieren schaden großen Wildtieren und zerbrechen Ökosysteme erheblich.
Wisente leiden unter Mauern
- Europäische Wisente stammen von wenigen Zuchttieren ab, was das Erbgut stark einschränkt.
- Die neue Mauer Polen-Belarus trennt Populationen und verhindert genetischen Austausch.
Immer mehr befestigte Grenzen werden weltweit gezogen und aufgebaut: Mauern, Metallwände und Zäune. Und die halten nicht nur Menschen davon ab die Grenzen zu überwinden, sondern auch Tiere. Wandernde Arten müssen kilometerweite Umwege gehen - oder sterben in Zäunen. Autorin: Jenny von Sperber
Credits
Autor/in dieser Folge: Jenny von Sperber
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Thomas Birnstiel, Florian Schwarz, Julia Cortis
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
- Dr. Hendrik Bluhm: Biogeograf, Humboldt Universität Berlin (Europa: Elche, Wisente)
- Gregory Nickerson: Wyoming Initiative, University of Wyoming (Amerika: Maultierhirsche)
- Dejit Nandintsetseg: Senckenberg Institut Frankfurt (Asien: Gazellen) Aussprache: „Dédschit Nandín-Tsetsèk“
- Dr. Jörg Melzheimer: Wildtierbiologe, Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung, Berlin (Afrika: Geparden, Chamäleon)
Weiterführende Links:
Die Podcast-Folge WirTier:
Biber-Fieber:
https://1.ard.de/wir-tier-biber-fieber
Zur Initiative für wandernde Tiere in Wyoming, mit beeindruckenden Filmaufnahmen.
Atlas über die Routen wandernder Huftiere, mit GPS-Daten und interaktiven Karten weltweit.
Linktipps:
Studie über europäische Zäune und Wildtiere
Studie über den Stacheldrahtzaun zwischen Ungarn und Kroatien
Mehr zu Grenzzäune und ihre Folgen für die Natur aus rechtlicher Sicht
Gepardenprojekt des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung Berlin
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Aber Elche müssen draußen bleiben. Ein Zaun entlang der polnischen Grenze versperrt ihnen den Weg nach Deutschland, seit 2020: Der Zaun gegen die Afrikanische Schweinepest ASP.
ZSP 01 Bluhm Teil 1
Der steht tatsächlich immer noch, also einzelne Teile im Landesinneren sollen jetzt nach und nach zurückgebaut werden, aber beidseitig entlang fast der ganzen deutsch- polnischen Grenze, also über 450 Kilometer lang, ist der Abschnitt da, wo der Zaun weiterhin steht.
SPRECHERIN
Das ist Hendrik Bluhm. Der Biogeograf erforscht an der Humboldt-Universität zu Berlin wie Elche wieder bei uns heimisch werden könnten. Und was sie noch daran hindert. Denn seit Polen im Jahr 2000 die Jagd auf Elche verboten hat, kommen die großen Huftiere wieder aus Belarus nach Polen und fühlen sich dort offenbar wohl. Es würde den Elchen helfen, wenn sie sich noch weiter nach Westen verbreiten könnten - nach Deutschland - damit sie eine gesunde, stabile Population aufbauen.
Atmo: Elch
Musik: solving the puzzle
SPRECHERIN
Der Zaun, der sie daran hindert, richtet sich ja auch gar nicht gegen die Elche. Er war eigentlich dazu gedacht, die polnischen Wildschweine draußen zu halten. Man wollte die Afrikanische Schweinepest nicht in Deutschland haben. Aber jetzt ist der ASP-Zaun auch ein Hindernis für viele andere Tiere, die bisher in beiden Ländern gelebt haben. Ein neues Hindernis, mit dem Hendrik Bluhm noch vor ein paar Jahren nicht gerechnet hätte.
ZSP 02: Bluhm Teil 2
So anderthalb Meter hoch etwa, Maschendraht oder Knotendrahtzaun, der dort flächendeckend verbaut ist, mit eben immer mal wieder Unterbrechung natürlich. Für Verkehr oder viel befahrene oder begangene Wege gibt es dann Tore, die Radfahrer, Wanderer etcetera öffnen können, aber ansonsten?
Musik: solving the puzzle
SPRECHERIN
Elche haben lange Beine und könnten den Zaun theoretisch übersteigen. Tun sie aber nicht. Die sichtbare Grenze schreckt sie ab. Lieber kehren sie um. Hendrik Bluhm bedauert das. Denn eigentlich sind Elche in ganz Mitteleuropa heimisch. Bis vor etwa hundert Jahren gab es sie auch noch auf deutschem Gebiet. Aber solange der Zaun die beiden Länder trennt, wird es wohl bei nur einzelnen Elchen bleiben, die es zu uns herüberschaffen.
Musik: In der Finsternis 0‘56
SPRECHER
Schweinepest-Zäune, Grenzzäune, Mauern. In den vergangenen Jahren wurden nicht nur in Deutschland immer mehr undurchlässige Grenzen hochgezogen. Laut einer Schätzung des EU-Parlamentes heißt es, dass sich die Länge der europäischen Zäune zwischen 2014 und 2022 versiebenfacht hat und mittlerweile mehrere tausend Kilometer beträgt. Experten gehen davon aus, dass es weltweit 10 Mal so viele Zäune gibt, wie Straßen: Momentan über 64 Millionen Kilometer Zäune. Die neuen Mauern zwischen den USA und Mexiko zum Beispiel oder zwischen Israel und Gaza sind sicher mit die bekanntesten, aber noch lange nicht alle: Der Trend weltweit geht hin zu immer mehr Mauern, Zäunen, Abgrenzungen. Und das schadet auch der Tierwelt massiv.
Zsp Musik: beklemmend, raus
SPRECHERIN
Bleiben wir zuerst in Europa. Denn seit den großen Flüchtlingswanderungen hierher, werden in rasantem Tempo Zäune und Mauern entlang von Ländergrenzen hochgezogen. Eine davon: Die 670 Kilometer lange Grenze zwischen Kroatien und Slowenien. Auf weiten Strecken davon soll Stacheldraht Menschen daran hindern, die Grenze zu passieren. Quer durch das Dinarische Gebirge verläuft der Zaun. Und dort hindert er auch Bären, Luchse und Wölfe daran, sich zu verbreiten – alles Arten, die gerade erst angefangen haben, sich wieder zu erholen.
Atmo: Wolf
Musik: Secret proofs red
SPRECHERIN
Noch undurchlässiger sind die Außengrenzen der EU geworden. Die polnische Grenze nach Osten hin zum Beispiel, die zu Belarus. Sie verläuft quer durch den Bialowieser Wald – ein Naturschutzgebiet und einer der letzten Urwälder der kühlgemäßigten Zonen in Europa.
ZSP 05: Bluhm 00:10:31
Teilweise sogar als Betonmauer. Also das ist noch mal n ganz anderes Kaliber als der ASP-Zaun. Also das ist ne über 5 Meter hohe, ne fünfeinhalb Meter hohe betonierte Mauer, die da steht und den gesamten Grenzabschnitt, Polen, Belarus verschließt.
SPRECHERIN
Hier haben selbst die kleineren Tiere keine Chance mehr durchzukommen. Die allergrößten sowieso nicht. Der Wisent, der europäische Bison zum Beispiel.
1927 wurde der letzte europäische Wisent in freier Wildbahn erschossen.
Musik: Opportunity
SPRECHERIN
Aber dann bekommen die Wisente eine zweite Chance. Es ist eine Geschichte aus dem Artenschutz, die Hoffnung macht: Damals gab es gerade mal noch 54 europäische Wisente auf der Welt, in Zoos und Wildgehegen.
ZSP 07 Bluhm
Dann gab es eben schnelle Reaktionen und Koordination über verschiedene Länder hinweg von Artenschutzbemühungen. Naturschutzorganisationen, die sich zusammengetan haben und eben schnell so ein Zuchtprogramm initiiert haben, um ja zu dafür zu sorgen, dass sie zumindest in Gefangenschaft erhalten werden, die Art.
SPRECHERIN
Es wurde ein Erfolgsprojekt. Ab den 50er Jahren wurden die ersten Wisente wieder ausgewildert und heute leben immerhin über 8000 europäische Wisente in freier Wildbahn.
Atmo: Wisent-
Musik: Time flies (reduced)
SPRECHERIN
Allerdings: Alle diese Wisente stammen von den 12 Zootieren ab, die damals Teil des Zuchtprogramms waren. Man könnte sagen, sie alle sind wie eine große Familie, die sich untereinander paart. Das ist nicht ideal für ein gut durchmischtes Erbgut. Gesunder Nachwuchs, der sich gegen Krankheiten wehren kann und widerstandsfähig ist, braucht mehr Abwechslung in den Genen.
Dazu kommt noch: Die freilebenden Untergruppen dieser Wisent-Familie leben isoliert voneinander in unterschiedlichen Ländern und Regionen. Diese Untergruppen sind meist klein, weniger als 150 Tiere. Das heißt, sie können sich nicht treffen und Nachwuchs mit frisch gemischtem Erbgut zeugen.
ZSP 08:
Gerade beim Wisent ist genetischer Austausch zentral für die Gesundheit der Population, weil sie eben als gesamte Art so eine extrem geringe genetische Vielfalt haben.
SPRECHERIN
Und die Mauer zwischen Belarus und Polen trennt jetzt solche verletzlichen Wisent-Gruppen vollständig voneinander ab.
Musik: Secret proofs red
SPRECHER
Mauern und Zäune verhindern also, dass sich bedrohte Tierarten weiter ausbreiten können. Das ist besonders schlimm für solche Arten, die sich gerade erst wieder erholen und zurückkehren, wie die Elche. Und sie verhindern einen genetischen Austausch, der für stabile Populationen lebenswichtig wäre, wie bei den europäischen Wisenten. Und dann ist da noch etwas, das diese physisch hochgezogenen Grenzen vollständig zerstören kann: die Wanderrouten von Tieren.
(Klangteppich raus)
Musik: Tumble weed
SPRECHERIN
Im wilden Westen der USA zum Beispiel wandern Maultierhirsche jedes Jahr hunderte von Kilometern. Maultierhirsche sehen aus wie große Rehe mit sehr großen, wuscheligen Ohren. Sie laufen von ihren Sommergebieten in den Bergen bis hinunter in die rote Wüste von Wyoming, wo sie den Winter verbringen. Sie wandern, weil sie im Laufe der Jahreszeiten ihrer Nahrung folgen müssen, dem frischen Grün - entlang von uralten Wanderrouten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Für den langen Weg brauchen die Maultierhirsche viel Energie. Einige kommen richtig ausgezehrt in der roten Wüste an.
(Musik fade out)
SPRECHERIN
In den letzten Jahrzehnten wurde es für die Maultierhirsche immer schwieriger: Immer mehr Hindernisse kamen dazu: Ölfelder, Siedlungen, Solarfelder und: hunderte von Zäunen! Manche Tiere blieben darin hängen und starben dort jämmerlich und langsam. Vor allem ein Zaun war problematisch:
ZSP 09: Greg Nickersen
So in 2014, (x) there was this very narrow migration bottleneck between the town of Pinedale, Wyoming, and a lake. A very deep lake called Fremont Lake. And there was a very high fence there. And so deer had to find little tiny holes to to crawl under or get through and they managed to do it, but it was hard and there was also development of new housing that was planned for that area.