
SWR Kultur lesenswert - Literatur Forschungsreise in die Unwirklichkeit
Nov 9, 2025
04:09
Wer sich mit dem englischen Naturforscher und Geografen Clarke auf Hasenjagd in den Weiten Patagoniens begibt, muss sich auf einiges gefasst machen.
Denn César Aira hat in seinem Roman „Der Hase" gleich ein ganzes Bündel von erzählerischen Konzepten zusammen geführt. Er liefert die Geschichte einer Forschungsreise um die Mitte des 19. Jahrhunderts und zugleich deren Parodie.
Doch damit nicht genug: Er reißt alle Grenzen zwischen Wahrscheinlichem und dem phantastisch Herbeifabulierten gründlich ein und zündet ein ebenso einfallsreiches wie sinnverwirrendes Feuerwerk von kuriosen Ereignissen, ethnologischen Spiegelfechtereien und metaphysischen Spekulationen.
Irrläufe zwischen Wirklichkeit und Phantasie
So ist der sogenannte „Legibrerianische Hase", den Clarke in der Pampa aufspüren will, keineswegs ein schlichter Vierbeiner, sondern ein schwer greifbares Mischwesen aus Gerüchten und magischen Eigenschaften. Von Anfang an wird der Forscher von Zweifeln geplagt:Ich frage mich, ob an dieser Anekdote mit dem Hasen etwas dran ist, ob sie wirklich passiert ist, oder ob es eine Art Aufführung oder Ritual darstellt.Trotzdem schwingt sich Clarke in den Sattel und macht sich mit seinem Gaucho-Führer auf die Suche nach dem ominösen Fabeltier. Wie Don Quichotte und Sancho Pansa bekommen sie es dabei mit einem großen Durcheinander von Wirklichkeit, Fantasien und literarischen Anspielungen zu tun.Quelle: César Aira – Der Hase
Viel Betrieb in Patagonien
Die patagonischen Weiten, die sie durchqueren, sind keineswegs leer, sondern überfüllt mit indigenen Völkern, kriegerischen Scharmützeln, redseligen Stammesoberhäuptern, überraschenden Verwandtschaftsbeziehungen, Ober- und Unterwelten. Am Lagerfeuer werden abgefahrene Weisheiten und Weltdeutungen ausgetauscht.Die Rede des Kaziken besaß eine Ungewissheit, etwas Unbestimmtes, das seinerseits nicht leicht mit Bestimmtheit auszumachen war.César Aira erschafft, wie es zu seinem Markenzeichen wurde, auch in diesem frühen Roman fiktionale Gegenwelten. Der Naturforscher Clarke wird als Schwager von Charles Darwin vorgestellt, doch anders als dieser kann er keinerlei Material sammeln, das mit Vernunft und Wissenschaft vereinbar wäre. Stattdessen durchquert er ein poetisches Territorium voller vielgestaltiger Tableaus und Handlungsstränge.Quelle: César Aira – Der Hase
Ein kunterbuntes Kontinuum
Das ist César Airas Schreibprogramm, als "kunterbuntes Kontinuum" hat er seine Texte einmal bezeichnet. In diesem Fall allerdings übertreibt er es mit der endlosen Anhäufung narrativer Winkelzüge, die das Leseinteresse zwar in Atem halten, aber auch ziemlich strapazieren. In seinen späteren Kurzromanen ist die Erzählökonomie meist besser austariert. Hier jedoch fühlt sich sogar der Romanheld von all dem Erfindungsreichtum überfordert und rettet sich in eine der vielen Paradoxien, mit denen sein Autor gerne aufwartet.Ich vermag noch immer nicht klar zu denken. Solche Sachen geschehen nur in Romanen ... Aber Romane geschehen nur in der Wirklichkeit.César Airas Roman „Der Hase" gleicht einem vollgestopften Kuriositätenkabinett. Brillant verspielte Geistesblitze finden sich darin ebenso reichlich wie selbstgenügsamer Nonsense.Quelle: César Aira – Der Hase
