#20 2020 Über das Bedingungslose Grundeinkommen – mit Barbara Prainsack
Oct 19, 2020
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Barbara Prainsack, Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien und Autorin des Buches "Vom Wert des Menschen", spricht über das bedingungslose Grundeinkommen. Sie beleuchtet verschiedene Modelle und diskutiert konzeptionelle Unterschiede zu anderen Sozialleistungen. Prainsack thematisiert die Auswirkungen auf die soziale Absicherung, die Finanzierungsmöglichkeiten sowie die historische Beziehung zwischen Arbeit und Würde. Zudem reflektiert sie über die Herausforderungen bei der Evaluierung solcher sozialer Experimente und die gesellschaftlichen Widerstände, die dem BGE entgegenstehen.
Das bedingungslose Grundeinkommen entkoppelt Einkommen von Erwerbsarbeit, was traditionelle Werte und soziale Anerkennung in Frage stellt.
Befürworter argumentieren für existenziellen Schutz und die Freiheit, sinnvolle Tätigkeiten unabhängig von finanzieller Unsicherheit zu verfolgen.
Die Akzeptanz des bedingungslosen Grundeinkommens variiert stark zwischen gut ausgebauten und prekären sozialen Systemen, abhängig von individueller Wahrnehmung.
Deep dives
Einführung in das bedingungslose Grundeinkommen
Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird definiert als eine finanzielle Unterstützung, die ohne Bedingungen an alle ausgezahlt wird. Es entkoppelt Einkommen von Erwerbsarbeit, was in der heutigen Gesellschaft als Bedrohung wahrgenommen wird, da traditionell Arbeit mit sozialer Anerkennung gleichgesetzt wird. Viele Modelle des BGE existieren, jedoch trifft ihre Gemeinsamkeit im Ansatz der bedingungslosen Zahlung, unabhängig von Erwerbsstatus oder persönlichen Umständen. Der Unterschied zu bestehenden Sozialhilfemodellen wie Hartz IV besteht darin, dass der Zugang zum BGE nicht an die Arbeitswilligkeit oder vorangegangenes Einkommen gebunden ist.
Argumente für und gegen das BGE
Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens argumentieren, dass es existenziellen Schutz bietet und Menschen die Freiheit gibt, sinnvolle Tätigkeiten zu verfolgen, ohne sich um finanzielle Sicherheit sorgen zu müssen. Kritiker befürchten, dass ein BGE Anreize zur Arbeitsaufnahme mindern könnte, insbesondere bei schlecht bezahlten Jobs, was zu einer Zweiteilung des Arbeitsmarktes führen könnte. Ein Beispiel aus Finnland zeigt, dass der Erfolg des BGE-Experiments an den Zielen der Initiatoren gemessen wird: Die Rückkehr in die Erwerbsarbeit wurde nicht signifikant gesteigert. Die Argumente drehen sich oft um die Menschenwürde, da die Bereitschaft zur Arbeit und der Zugang zu Einkommen über das individuelle Bemühen hinausgehen sollten.
Finanzierung des BGE
Zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens gibt es verschiedene Modelle, darunter die Besteuerung von Vermögen und Einkommen. Die Befürworter betonen, dass die Einführung eines BGE schrittweise geschehen sollte, um die Auswirkungen auf die Wirtschaft zu beobachten und anzupassen. Ein wichtiges Modell sieht vor, dass die bestehenden Sozialleistungen teilweise durch das BGE ersetzt werden, um nicht nur den Einkommen von Erwerbsarbeitern, sondern auch den Grundsicherungssystemen Rechnung zu tragen. Kritiker warnen jedoch vor Inflationseffekten, die entstehen können, wenn die Konsumsteuern erhöht werden, um das BGE zu finanzieren.
Gesellschaftliche Reaktionen auf das BGE
Die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen ist stark von der individuellen Erfahrung und der gesellschaftlichen Wahrnehmung geprägt. In Ländern mit gut ausgebauten sozialen Sicherungssystemen könnte es mehr Unterstützung geben, während wirtschaftlich prekären Gesellschaften Skepsis vorherrscht. Umfrageergebnisse zeigen, dass die Zustimmung zum BGE davon abhängt, wie es formuliert und präsentiert wird, zum Beispiel ob es als Menschenrecht oder als finanzielle Entschädigung für Nichtarbeit gesehen wird. Diese unterschiedlichen Perspektiven zeigen die Komplexität bei der Akzeptanz solcher Ideen und wie tief verwurzelt die Erwartungen an Arbeit und Einkommen in der Gesellschaft sind.
Zukunftsaussichten und Möglichkeiten des BGE
Die Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens könnte in der Zukunft durch verschiedene gesellschaftliche und politische Trends gefördert werden. Es wird argumentiert, dass die technologische Entwicklung und der Strukturwandel in verschiedenen Berufen den Bedarf an einer Neugestaltung der sozialen Sicherungssysteme verstärken. Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit aufgrund von Automatisierung könnten ein verstärktes Interesse an einem BGE hervorrufen, das über den klassischen Arbeitsmarktzugang hinausgeht. Die Diskussion führt zu der Überlegung, dass alternative Modelle schrittweise umgesetzt werden könnten, um die positven Effekte eines BGE vermehrt zu evaluieren und anzupassen.
Barbara Prainsack ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien. Sie hat im Oktober ihr Buch „Vom Wert des Menschen - Warum wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen brauchen" veröffentlicht. Mit Jonas Vogt spricht sie über verschiedene Konzepte von Grundeinkommen, Pro- und Contra-Argumente und die Schwierigkeit von sozialwissenschaftlichen Experimenten.