1998 - Viktor Orbán zum ersten Mal ungarischer Ministerpräsident
Jun 30, 2023
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Ellen Bos, Politikwissenschaftlerin mit Fokus auf Mittel- und Osteuropa, erklärt den Aufstieg von Viktor Orbán und seine politische Vision einer illiberalen Demokratie. Sie diskutiert, wie Orbán die nationale Identität Ungarns gefördert hat und welche Rolle Ethnopolitik dabei spielt. Der Einfluss von russischen Energielieferungen und die Reaktion der ungarischen Gesellschaft auf Migration sind ebenso zentrale Themen. Außerdem beleuchtet sie die Herausforderungen, vor denen die ungarische Opposition steht, und die Beziehung des Landes zur Europäischen Union.
Viktor Orbáns politische Philosophie betont, dass nicht jede Demokratie liberal sein muss, was zu seiner illiberalen Regierungsführung führt.
Sein Aufstieg als Ministerpräsident wurde durch eine geschickte Mobilisierung nationalistischer Gefühle und das Ansprechen der Ängste der ungarischen Wähler unterstützt.
Deep dives
Illiberale Demokratie in Ungarn
Viktor Orbán postuliert, dass nicht jede Demokratie liberal sein muss, was die Grundlage seiner politischen Philosophie darstellt. Seit 2010 hat er viermal in Folge mit seiner Fidesz-Partei eine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament erreicht. Diese Erfolge wurden als demokratische Wahlen gefeiert, obwohl sie in eine illiberale Richtung führen. Anstatt liberaler Prinzipien wie individuelle Freiheiten zu folgen, verfolgt sein Regime eine Politik, die nationale Souveränität und ethnische Identität betont.
Orbáns Aufstieg zur politischen Macht
Viktor Orbán begann seine politische Karriere bereits in den frühen 1990er Jahren als Mitbegründer der Fidesz-Partei, die damals von jungen Demokraten geprägt war. Seine erste Amtszeit als Ministerpräsident begann 1998, als er mit nur 35 Jahren zum jüngsten Ministerpräsidenten Ungarns gewählt wurde. Orbán verstand es, sich während der politischen Transformation der postkommunistischen Ära als Führer von Fidesz zu positionieren. Seine Rhetorik und eine klare Ausrichtung auf die Bedürfnisse und Ängste der ungarischen Wähler, die sich von einer in der Vergangenheit erlebten instabilen Wirtschaft überfordert fühlten, trugen entscheidend zu seinem Aufstieg bei.
Nationalismus und ethnopolitische Strategien
Orbán bedient nationale Gefühle und eine nostalgische Sicht auf die Geschichte Ungarns, um die Wähler zu mobilisieren und sich einen stabilen Wählerpool zu sichern. Der ungarische Nationalismus wird durch Erinnerungen an den Verlust zweier Drittel des Territoriums nach dem Ersten Weltkrieg genährt, was besonders stark bei den ungarischen Minderheiten in angrenzenden Staaten zu spüren ist. Zudem führt er eine Ethnopolitik ein, die den ungarischen Bürgern im Ausland das Wahlrecht einräumt. Währenddessen wird das Thema Migration instrumentell genutzt, um ein Gefühl der Bedrohung zu erzeugen und um die eigene Wählerschaft zu stimulieren.
Orbáns autoritäres System und sein Einfluss auf die EU
Orbán hat ein politisches System etabliert, das von vielen als hybrides System beschrieben wird, das sowohl demokratische als auch autoritäre Elemente enthält. Während Fidesz in der Lage ist, Wahlen zu gewinnen und Massenproteste zu ignorieren, wird das Land zunehmend skeptisch gegenüber der EU, obwohl Orbán gleichzeitig EU-Gelder zur Stabilisierung seiner Politik verwendet. Kritiker behaupten, dass seine Regierung grundlegende demokratische Werte wie Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit verletzt, was auch von anderen EU-Mitgliedstaaten kritisch beobachtet wird. Der Umgang mit Ungarn innerhalb der EU bleibt schwierig, da es an Mechanismen fehlt, die echte Konsequenzen bei Verstößen gegen die gemeinsamen Werte des Blocks vorsehen.
Der Ministerpräsident von Ungarn, Viktor Orbán, ist seit 13 Jahren im Amt. Wir erklären, wie seine politische Karriere mit einer ganz besonderen Rede begann und was der ehemalige ungarische Premierminister Imre Nagy damit zu tun hat.
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Ihr hört in dieser "Eine Stunde History":
00:10:55 - Journalist und Ungarn-Korrespondent Stephan Ozsvath