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Die Dolchstoßlegende

Dec 6, 2024
25:17

Ein Dolchstoß von hinten? Verrat an den kämpfenden Soldaten? Am Ende des Ersten Weltkrieges verschleierte die kaiserliche Militärführung ihr Scheitern. Rechte Verschwörungslegenden machten stattdessen die demokratischen Politiker der Weimarer Republik für die Kriegsniederlage verantwortlich. Und zur Zielscheibe rechter Gewalt. Von Renate Eichmeier

Credits
Autorin dieser Folge: Renate Eichmeier
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Prof. Dr. Martina Steber, Professorin für Neueste Geschichte an der Universität Augsburg und Stellvertretende Direktorin des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin

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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Die Grandauers und ihre Zeit

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Die Hörspielserie ist Vorlage für die TV-Kultserie "Löwengrube", für die Willy Purucker mit dem Bayerischen Fernsehpreis (1991) und dem Adolf-Grimme-Preis in Gold (1992) ausgezeichnet wurde. Hinweis: Diese Hörspielproduktion enthält diskriminierende Formulierungen.
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Literatur:

Boris Barth: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914 – 1933, ein dickes Standardwerk, mit vielen Details, Auswertung zahlreicher Quellen, gut geeignet um verschiedene Themenbereich nachzulesen

Gerhard P. Groß: Das Ende des Ersten Weltkrieges und die Dolchstoßlegende – für militärisch Interessierte, Details zur militärischen Situation am Kriegsende und vieles über Ludendorff und Hindenburg.

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Atmo: Schüsse

ERZÄHLERIN:

26. August 1921. Gegen 11 Uhr vormittags. In der Nähe von Bad Griesbach hallen Schüsse durch den Schwarzwald. Sie gelten einem Mann, der mit einem Parteikollegen einen Spaziergang in seiner schwäbischen Heimat macht: Matthias Erzberger, Mitte 40, Gehrock, dunkle Hose, schwarzer Hut, Politiker des katholischen Zentrums, bis vor wenigen Monaten Finanzminister der Weimarer Republik. Matthias Erzberger wird von den Schüssen schwer verletzt, versucht zu fliehen, stürzt an einem Abhang, am Boden liegend treffen ihn weitere Kugeln. Die beiden Attentäter kommen aus rechtsextremen Netzwerken. Vor seiner Ermordung wurde Matthias Erzberger wie andere führende Politiker der Weimarer Republik von rechtsnationalen Kreisen mit Hetzkampagnen gejagt. 

ERZÄHLER: 

Fort mit Erzberger! Vaterlandsverräter! Novemberverbrecher! Verrat an den kämpfenden Soldaten! Ein Dolchstoß von hinten! 

ERZÄHLERIN:

Am Ende des Ersten Weltkrieges hatte die Militärführung des Deutschen Kaiserreiches ihr Scheitern verschleiert und damit den Boden für rechte Verschwörungslegenden bereitet. Diese machten die demokratischen Politiker der Weimarer Republik für die Kriegsniederlage verantwortlich. Und zur Zielscheibe rechter Gewalt.

O1 STEBER

In rechten Kreisen, in rechtsextremen Kreisen wird dieser Begriff des Dolchstoßes beständig überall aufgegriffen und wird zu einer Propaganda-Formel, zu einer Hetz-Formel, die Gewalt legitimiert, nämlich 'ne Gewalt, die sich dann in Morden an diesen führenden Vertretern der Novemberrevolution dann auch breit macht. 

ERZÄHLER: 

So die Historikerin Martina Steber, Professorin für Neueste Geschichte an der Universität Augsburg und Stellvertretende Direktorin des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin. 

O2 STEBER

Man kann sagen, dass das die Funktion hat, die historische Realität tatsächlich zu verschleiern.

ERZÄHLERIN:

Die historische Realität? Um sie zu verstehen, muss man zurückgehen zum Beginn des Ersten Weltkrieges. 

Musik:  Huldigungsmarsch 0‘30

Atmo: Jubel, marschieren

Im August 1914 herrschte nationale Euphorie. Regimenter marschierten unter dem Jubel der Bevölkerung durch die Straßen. Im Reichstag stimmten alle Parteien inklusive der SPD für die Kredite, die zur Finanzierung des Krieges notwendig waren. Ein Ausflug nach Paris sollte es werden, ein kurzer, schneller Eroberungskrieg im Westen – gekrönt mit Annexionen. 

Musik: War is coming 0‘50

Atmo: Kampf Krieg

Doch der deutsche Vormarsch im Westen stockte innerhalb kurzer Zeit. Die Front fraß sich ein. Ein zäher, brutaler Stellungskrieg mit unzähligen Toten folgte. Eine Seeblockade der Engländer schnitt die deutschen Nordseehäfen vom internationalen Handel ab. Es kam zu Lebensmittelknappheit und Mangel an kriegswichtigen Gütern. Zu Hause an der sogenannten Heimatfront verflog die nationale Hochstimmung. Die Menschen litten unter mangelnder Versorgung. Es kam zu ersten Krawallen und Streiks auf lokaler Ebene, die sich zunehmend ausweiteten und politisierten. Eine neue Oberste Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff sollte ab Sommer 1916 für den entscheidenden militärischen Durchbruch sorgen. Doch der ließ auf sich warten. Die öffentlichen Diskussionen über die Beendigung des Krieges nahmen Fahrt auf. 

ERZÄHLER:

Sollte man verhandeln? Sollte man weiterkämpfen? Siegfrieden? Oder Verhandlungsfrieden? 

ERZÄHLERIN: 

Die Gesellschaft spaltete sich, so die Historikerin Martina Steber, in zwei Lager. 

O3 STEBER

Und da hat man auf der einen Seite ein rechtes Lager, das ganz deutlich auf einen Siegfrieden zielt, der gleichzeitig mit großen territorialen Annexionen rechnet, also eine Expansionspolitik, die sich ja in den Kriegszielen des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg auch zeigt und die das leitet und die dann gleichzeitig einen Verhandlungsfrieden ausschließt. Also es gibt nur einen Sieg, einen militärischen Sieg unter Einschluss eben von territorialen Gewinnen. Das ist das einzige Ziel, was akzeptabel ist. 

 ERZÄHLER:

Auf der anderen Seite, so Martina Steber, stehen diejenigen, die diesen propagierten Siegfrieden für unrealistisch halten.

O4 STEBER 

Es sind die Gruppen, die Vertreter eben von Sozialdemokratie, von Linksliberalen und aus dem Zentrum vom politischen Katholizismus, die auf einen Verhandlungsfrieden unter Wegfall aller annexionistischer Ziele drängen – 

ERZÄHLERIN:

darunter als führende Stimme: Matthias Erzberger – 

O5 STEBER 

Die werden als Verräter bezeichnet und zwar aus diesem rechten nationalistischen Lager. Das heißt, dieser Gedanke eines Verrats durch die Heimatfront, der ist bereits 1917 da, und wird auch ganz klar geäußert im Reichstag zum Beispiel, als eine Resolution eben von Linken, Linksliberalen und dem Zentrum diskutiert wird mit der Forderung nach so einem Verhandlungsfrieden ohne Annexionen.

MUSIK: Z8014761117 Foreboding of war (alternativ) 0‘35

 ERZÄHLER:

Die gesellschaftlichen Fronten verhärteten sich. Während der Ruf nach Friedensverhandlungen immer lauter wurde, propagierten Militärführung und Rechtsnationale weiterhin einen Siegfrieden – der sich militärisch allerdings in keiner Weise abzeichnete. Ein uneingeschränkter U-Boot Krieg sollte Abhilfe leisten. Handels- und Passagierschiffe auch aus neutralen Staaten wurden ohne Vorwarnung versenkt. Ziel war, England und Frankreich von internationalen Handelsbeziehungen abzuschneiden, insbesondere von Rüstungslieferungen aus den USA. Doch das erwies sich als kontraproduktiv. In der Folge traten nämlich die USA auf Seiten der Alliierten in den Krieg ein – was sich bald als verhängnisvoll erwies.

Als im Zuge der Oktoberrevolution 1917 das Russische Zarenreich zusammenbrach, wurden durch den Friedensschluss mit den neuen bolschewistischen Machthabern im Osten deutsche Truppen frei. Und die ließ die Oberste Heeresleitung an die Westfront verlegen, um dort mit einer Frühjahrsoffensive den Sieg herbeizuführen. Aber auch das scheiterte, weil die Alliierten klar im Vorteil waren – aus zwei Gründen. Zum einen hatten sie mehr Panzer. Und diese, so die Professorin Martina Steber, brachten eine neue Dynamik in den Stellungskrieg an der Westfront. 

O6 STEBER

Die können nämlich über solche Stellungen drüber gehen, die können über Gräben drübergehen, die sind relativ unverwundbar. Also, da gerät strategisch einfach durch militärische Ausstattung das Deutsche Reich ins Hintertreffen. Das ist der eine Punkt. Und zum zweiten, durch den Kriegseintritt der USA werden die Alliierten immer wieder mit neuen, frischen, gut ausgebildeten Soldaten versorgt. 

ERZÄHLERIN:

Die von den deutschen Militärs massiv unterschätzten Amerikaner erwiesen sich als schlagkräftige Kampfeinheiten. Die deutschen Soldaten dagegen kamen geschwächt von der Ostfront und waren chancenlos der militärischen Überlegenheit der Alliierten ausgesetzt. Hunderttausende kamen um. 

Musik:  Unexpected encounter 0‘45

Atmo: Kundgebung

In der Bevölkerung zuhause rumorte es zunehmend. Die Menschen hungerten. Bereits im Januar 1918 war es zu reichsweiten Massenstreiks gekommen. Die erschöpften Menschen forderten ein Ende des Krieges, eine Verbesserung der Versorgung, und sie forderten politische Teilhabe, Wahlrechtsreform und Demokratisierung, wobei die konkurrierenden Konzepte Parlamentarismus versus Rätesystem im Umlauf waren. Der Druck vonseiten der Bevölkerung wuchs. Gerüchte über die desaströse militärische Lage drangen durch, während die kaiserliche Militärführung weiterhin einen deutschen Sieg propagierte. 

ERZÄHLER:

Zwar ließ die kaiserliche Militärführung schließlich die Regierung und auch den Reichstag darüber informieren, dass mit einem vollständigen Sieg im Westen nicht mehr zu rechnen sei. Wie katastrophal die militärische Lage war, darüber gab die Oberste Heeresleitung allerdings vorerst keine Auskunft. Bei den obersten Militärs kam Krisenstimmung auf. General Erich Ludendorff verlor zunehmend die Nerven.

ERZÄHLERIN: 

Er schob das Scheitern der Offensive wahlweise auf die unteren Ränge in der militärischen Hierarchie, auf die linken Ideen, mit denen Soldaten infiziert seien, oder auf die mangelnde Unterstützung von der sogenannten Heimatfront mit ihren Forderungen nach Demokratisierung.

MUSIK: Dangerous pursuit 0‘15

O8 STEBER

Im Oktober 1918 wird tatsächlich ein Traum von vielen auf der linken, auf der liberalen Seite, auch im Zentrum umgesetzt. Es kommt zu einer stärkeren Parlamentarisierung der kaiserzeitlichen Verfassung, es wird eine Regierung gebildet, eben unter Einschluss dann von Sozialdemokraten, Zentrumsleuten, Linksliberalen unter einem gemäßigten, konservativen oder liberalkonservativen Max von Baden. 

ERZÄHLER:

Ende September / Anfang Oktober hatte die Oberste Heeresleitung führende Politiker mit einem dramatischen Appell über die desaströse Lage an der Westfront informiert. Vehement drängte Erich Ludendorff auf eine Änderung der Verfassung in Richtung auf parlamentarische Monarchie – und auf sofortige Waffenstillstandsverhandlungen, um einem drohenden militärischen Zusammenbruch zuvorzukommen. 

O9 STEBER

Und der Plan, den Ludendorff da hegt und der durchaus auch aufgeht, ist, die Verantwortung für die Kriegsniederlage genau diesen Leuten in die Schuhe zu schieben, also sich selber zu entlasten und die Verantwortung für die Niederlage, die dann eingestanden werden muss, auf die parlamentarischen Kräfte und auf die republikanischen Kräfte zu projizieren, die dann tatsächlich auch den Waffenstillstand unterzeichnen müssen. 

Musik: Complex questions 0‘40

ERZÄHLERIN:

Schnell wurde eine neue Reichsregierung unter Kanzler Max von Baden installiert. In seinem Kabinett waren nunmehr auch Politiker der demokratischen Parteien wie etwa Matthias Erzberger vom katholischen Zentrum und der SPD-Politiker Philipp Scheidemann. Obwohl Bedenken bezüglich eines überstürzten Waffenstillstandsangebots bestanden, gab Max von Baden angesichts der unübersichtlichen Lage dem Druck Ludendorffs nach und übermittelte ein entsprechendes Gesuch an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. 

ERZÄHLER:

In der SPD hatte es bereits vor dem Eintritt ins Kabinett kritische Stimmen gegeben, die davor warnten, sich in den Zusammenbruch des monarchischen Regimes reinziehen zu lassen. Auch Max von Baden war sich darüber im Klaren, dass die Oberste Heeresleitung nicht mit offenen Karten spielte, sein Vizekanzler Payer sprach es klar aus –

dass wir es sein sollen, die den verlorenen Krieg verloren machen. Und Matthias Erzberger verlangte vergeblich, dass die Oberste Heeresleitung klarstellen sollte, dass sie es war, die die Bitte um Waffenstillstand erzwungen hat. 

ERZÄHLERIN:

Die nächsten Wochen verhandelte die Reichsregierung unter Max von Baden mit dem amerikanischen Präsidenten, der allerdings sehr harte Bedingungen für einen Waffenstillstand stellte. 

Musik: Z8019017127 secret proofs red. 0‘30

Die obersten Militärs waren empört. Allen voran Ludendorff. Und die Seekriegsleitung versuchte schließlich im Alleingang, mit der Hochseeflotte einen nicht autorisierten Vorstoß zu unternehmen. Die Matrosen verweigerten aber den eigenmächtigen Befehl ihrer militärischen Führung. In der Folge brachen Unruhen aus, die sich über das ganze Kaiserreich ausbreiteten. Es war der Beginn der Novemberrevolution 1918 und das Ende der Monarchie. Am 9. November gab Max von Baden in Eigenregie die Abdankung des Kaisers bekannt und übergab die Regierungsgeschäfte an Friedrich Ebert, den Parteivorsitzenden der SPD. Die Republik wurde ausgerufen. - Zwei Tage vorher war die deutsche Delegation unter Führung von Matthias Erzberger im Obersten Hauptquartier in Belgien aufgebrochen und nach Rücksprache mit Kaiser und Oberster Heeresleitung losgefahren, um in Frankreich den Waffenstillstandsvertrag zu unterzeichnen. 

ERZÄHLER:

Von seinen französischen Verhandlungspartnern wurden Matthias Erzberger die Bedingungen vorgelegt, die ihm sehr hart erschienen. Verhandlungsspielräume gab es nicht. Schließlich informierte Matthias Erzberger die Oberste Heeresleitung und auch die Regierung in Berlin und bat um Anweisung. Beide teilten ihm mit, dass unter allen Umständen ein Waffenstillstand abgeschlossen werden muss. 11. November um fünf Uhr morgens: Matthias Erzberger unterschrieb. 

ERZÄHLERIN:

Die kaiserliche Militärführung hatte sich geschickt aus der Verantwortung gezogen. 

ERZÄHLER: 

Später sagte Matthias Erzberger, hätte man früher auf Verhandlungen gesetzt, hätten die Deutschen bessere Bedingungen bekommen.

ERZÄHLERIN:

Demokratische Politiker übernahmen im Chaos von Kriegsende und Revolution die politische Verantwortung, sorgten für eine Beruhigung der Situation und gründeten die Weimarer Republik. Und sie waren es auch, die im Sommer 1919 den Versailler Vertrag unterzeichneten. Auch hier gab es kaum Verhandlungsspielräume. Die Friedensbedingungen waren sehr hart. Dass Deutschland die alleinige Schuld am Kriegsausbruch gegeben wurde, empfanden viele als demütigend. Und die hohen Reparationszahlungen lösten in weiten Teilen der Bevölkerung eine Welle der Empörung aus. Die junge deutsche Republik stand vor enormen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Wer war schuld an der Misere? 

MUSIK:  Unexpected signals 0‘20

ERZÄHLER:

Die Schuldigen, so trommelte die rechte Propagandamaschinerie, das waren die Novemberverbrecher, die Verräter in der Heimat, die für die Revolution verantwortlich waren, die der Front das Rückgrat gebrochen haben, die den kämpfenden Soldaten in den Rücken gefallen sind, ihnen den Dolchstoß versetzt haben. 

O10 STEBER 

Der Begriff des Dolchstoßes, der funktioniert sehr, sehr gut, weil er auch so bildlich ist. Der Begriff nimmt Bezug auf eine für den deutschen Nationalismus ganz bekannte Szene in der Nibelungensage, die von Richard Wagner in den großen Opern, die ja so zum Grundarsenal einer deutschen nationalistischen bürgerlichen Kultur in der Zeit gehören, dann in Musik und in Szenen umgesetzt wurde im Ring des Nibelungen, wo nämlich der Schurke Hagen den großartigen Helden Siegfried, der von den Göttern ausersehen ist, in einem unfairen Kampf von hinten den Dolchstoß in den Rücken versetzt und auf die Art und Weise das Gute, den Inbegriff des guten deutschen und des nationalen Helden dann zum Fallen bringt. Und das ist ein Bild, das in den Köpfen von jedem gebildeten Deutschen, aber auch weit darüber hinaus ganz präsent war. 

Musik: Z8022611109 Der Prangertag 0‘20

ERZÄHLERIN:

Die Legende vom Dolchstoß in den Rücken der unbesiegten deutschen Armee tauchte in der deutschen Öffentlichkeit bereits bei Kriegsende auf. Rechte Verschwörungstheorien nahmen Fahrt auf. Demobilisierte Soldaten und junge Männer schlossen sich Freikorps an, paramilitärischen Freiwilligenverbänden, die zunehmend nationalistisch und gewaltbereit auftraten. Aus ihnen ging unter anderem die rechtsextreme Terrororganisation Consul hervor, die verantwortlich war für eine Reihe politischer Morde in der Weimarer Republik. Währenddessen wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, um die Geschehnisse rund um den Ersten Weltkrieg zu untersuchen: Ausbruch, versäumte Friedensmöglichkeiten, Ursachen des Zusammenbruchs. Paul von Hindenburg gab als ehemaliges Mitglied der Obersten Heeresleitung in einer öffentlichen Sitzung sein Statement ab – und nutzte die Gelegenheit, um jede Verantwortung von sich zu weisen und die Dolchstoßlegende zu forcieren. Das war Wasser auf die Mühlen der nationalistischen Presse, die in der Weimarer Republik dominierte. Zu dem rechten Verlagsimperium von Alfred Hugenberg gehörten zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften, die mit Artikeln, Karikaturen und Schmähgedichten die demokratische Ordnung der Weimarer Republik und ihre führenden Politiker angriffen. 

ERZÄHLER:

Von gefügigen Werkzeugen fremder Mächte ist da die Rede, von Erfüllungspolitikern, die verantwortlich sind für das deutsche Unglück, von Novemberverbrechern, die die kämpfenden deutschen Soldaten verraten und von Landesverrätern, die deutsche Arbeiterinteressen verkauft haben.  

O11 STEBER

Und das sind dann exponierte Männer, wie etwa Matthias Erzberger, der noch für die Regierung Max von Baden, also die noch während des Kaiserreichs eingesetzte demokratisierte Regierung, den Waffenstillstand von Compiègne unterzeichnet, ein Zentrumspolitiker ein gemäßigter Konservativer, der persönlich verantwortlich gemacht wird und der sich beständig mit diesem Vorwurf, ein  Novemberverbrecher zu sein, konfrontieren lassen muss, der gehetzt wird, gejagt wird von rechtsextremen paramilitärischen Einheiten und dann schließlich tatsächlich im August 1921 auch ermordet wird. 

Musik:  Dark operation red. 0‘35

ERZÄHLERIN:

Vor seiner Ermordung hatte es eine Pressekampagne gegen Matthias Erzberger gegeben – angeführt von Karl Helfferich, einem Politiker der Deutschnationalen Volkspartei in enger Zusammenarbeit mit der rechten Hugenberg-Presse. 

ERZÄHLER:

Matthias Erzberger wurde beschimpft, ihm wurde Korruption unterstellt, die Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages vorgeworfen und damit die Verantwortung für die sogenannte Schmach und Not Deutschlands gegeben. Und ihm wurde offen mit dem Tod gedroht.

ERZÄHLERIN:

Schließlich ging Matthias Erzberger juristisch mit einer Beleidigungsklage gegen Karl Helfferich vor. Doch der nutzte das Gericht als Bühne und arbeitete eng mit der Hugenberg-Presse zusammen, die seine beleidigenden Auslassungen sofort veröffentlichte. Auf Matthias Erzberger wurde ein erstes Attentat verübt. Vor dem Gerichtsgebäude verletzte ihn ein Schuss schwer an der Schulter. Als dann der Attentäter vor Gericht stand, trug er seine Kriegsuniform mit Orden und bekannte sich zur Monarchie.

ERZÄHLER:

Unter Hinweis auf Helfferich gab er an, dass er Erzberger für den Hauptschuldigen am Zusammenbruch hält und dass er der Ansicht ist, dass Erzberger wissentlich gegen das Volkswohl arbeitet. Deshalb dachte er sich, es muss etwas getan werden. 

 ERZÄHLERIN:

Das Gericht zeigte sich dem Attentäter gegenüber verständnisvoll. Der Mordversuch wurde als schwere Körperverletzung interpretiert und mit achtzehn Monaten Haft bestraft. 

MUSIK:  Constant fear red. 0‘15

Wenige Monate später fielen die tödlichen Schüsse auf Matthias Erzberger. Die beiden Attentäter stammten aus dem Kreis der rechtsmilitanten Terrororganisation Consul. 

O12 STEBER

Und diese Formel vom Dolchstoß, gekoppelt eben mit der Formel von den Novemberverbrechern, funktioniert auch deshalb so gut im rechten Milieu, weil das eine Integrations-Formel ist, auf die sich alle einigen können. Diese Rechte nach 1918/19 ist sehr heterogen, da gibt es ganz unterschiedliche Strömungen, und die sind sich selber in vielerlei Hinsicht nicht grün. Aber sie können sich darauf einigen, dass die Schuldigen quasi an der Misere des deutschen Volkes diese angeblichen Novemberverbrecher sind, die in konspirativer Absicht – und das steckt dann ja auch hinter diese Dolchstoßlegende – die in konspirativer Absicht, in verschwörerischer Absicht, ganz bewusst und planmäßig darauf hingewirkt hätten, dass die deutsche Kampfkraft an der Front zusammenbricht und auf die Art und Weise eine Revolution erst ermöglicht worden wäre. In rechtsextremen Kreisen wird die Erzählung dann noch mit dem antisemitischen Element angereichert, und dann sind es die Juden, die quasi als große Verschwörer hinter dieser ganzen Geschichte stehen.

ERZÄHLER:

Pressekampagnen und Morddrohungen gegen demokratische Politiker gehörten zum Alltag in der Weimarer Republik und wurden auch von der aufstrebenden NSDAP genutzt. Zielscheibe der Angriffe von rechts waren unter anderem Reichspräsident Friedrich Ebert von der SPD, sein Parteikollegen Philipp Scheidemann, der mit Blausäure attackiert wurde, der liberale Außenminister Walther Rathenau, der antisemitisch angefeindet und von Angehörigen der Organisation Consul ermordet wurde … Die rechten Verschwörungslegenden entfalteten eine ungeheure Macht. 

Z8021994115 Ambuscade 0‘30

Die Gerüchte um den angeblichen Dolchstoß und die Diffamierung der demokratischen Politiker als Novemberverbrecher wirkten destabilisierend auf die Weimarer Republik und waren lebensgefährlich für die betroffenen Politiker.

O13 STEBER

Da sieht man, welche mobilisierende Kraft diese Begriffe haben, aber gleichzeitig auch, welche Gewalt hinter diesen Begriffen steckt. 


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