War da was? Ricardo-José Vybiral über das Jahr der Groß-Pleiten: "Der Handel wird nie wieder wie vor Corona"
Dec 28, 2024
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Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV 1870 Gruppe und Experte für Insolvenzen, beleuchtet das Rekordjahr 2024 für Großpleiten in Österreich. Er erklärt, dass über 18 Milliarden Euro Passiva erreicht wurden, betont jedoch, dass die Insolvenzquote stabil bleibt. Vybiral spricht über den gestiegenen Zukunftspessimismus der Österreicher, trotz höherer Einkommen und einer hohen Sparquote. Außerdem diskutiert er die Veränderungen im Handel nach der Pandemie und die emotionale Belastung von Mitarbeitenden in insolventen Unternehmen.
Vybiral betont, dass das Jahr 2024 zwar reich an Insolvenzen mit hohen Passiva ist, jedoch nicht als Rekordjahr hinsichtlich der Anzahl der Pleiten gilt.
In Österreich besteht ein Zukunftspessimismus, obwohl die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmer trotz steigender Löhne und hoher Sparquote stabil bleibt.
Deep dives
Wirtschaftliches Resümee des Jahres
Das vergangene Jahr war für die österreichische Wirtschaft durch eine Mischung aus positiven und negativen Aspekten geprägt. Etwa 48 Prozent der Unternehmer betrachten es als weiterhin gutes Jahr, während der Rest unter erheblichem Druck steht. Die Diskrepanz zeigt sich deutlich in der Unternehmenslandschaft, wo nur ein kleiner Prozentsatz tatsächlich aus Insolvenzen hervorgeht oder neu startet. Die sanierungsfreundliche Gesetzgebung in Österreich ermöglicht es Unternehmen zudem, aus Insolvenzen herauszukommen und Arbeitsplätze zu erhalten.
Umgang mit Insolvenzen
In der Diskussion über Insolvenzen wird betont, dass diese nicht das Ende eines Unternehmens bedeuten, sondern oft einen Neustart darstellen können. Österreich hat sich als sanierungsfreundlich erwiesen, und die rechtlichen Rahmenbedingungen unterstützen dies. Viele Unternehmen können aus ihrer Insolvenz lernen und neu durchstarten, wie das Beispiel des Schokoladenspezialisten Josef Zotter zeigt. Im Vergleich zu den USA müssen österreichische Unternehmen jedoch noch lernen, das Scheitern nicht als Endpunkt, sondern als Teil des unternehmerischen Prozesses zu sehen.
Auswirkungen von Großpleiten
Im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld haben große Insolvenzen wie die von Signa signifikante Auswirkungen auf die gesamte Branche und die allgemeine Unternehmensreputation. Diese Insolvenzen führen oft zu einem Vertrauensverlust bei Investoren und können Netzwerkeffekte verursachen, die auch andere Unternehmen in Mitleidenschaft ziehen. Die Bauwirtschaft zählt zu den am stärksten betroffenen Branchen, da viele Projekte aufgrund der Unsicherheiten gestoppt werden müssen. Die Situation verdeutlicht, wie eng wirtschaftliche Stabilität und Vertrauen miteinander verbunden sind.
Zukünftige wirtschaftliche Herausforderungen
Die Herausforderungen für das kommende Jahr umfassen eine Kombination aus zunehmenden Zinsen, Verbraucherrückhaltung und einem sich verändernden Handelsumfeld. Vor allem der Möbelhandel kämpft mit einem geringeren Kundeninteresse und dem Trend zu E-Commerce, der seit der Corona-Pandemie gewachsen ist. Unternehmen wie Kika Leiner sehen sich mit massiven Schwierigkeiten konfrontiert, da sie sich nicht ausreichend an die neuen Markbedingungen anpassen konnten. Um in der Zukunft erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen lernen, proaktiv zu investieren und auf Marktentwicklungen zu reagieren.
Hinweis: Dieses Gespräch entstand am 18. Dezember, zu diesem Zeitpunkt sah es noch so aus, alle Entwicklungen zu Lohnauszahlungen und Gläubigerversammlung bei KTM konnten daher nicht berücksichtigt werden.
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Drei Dinge, die man aus dem Gespräch mit Ricardo-José Vybiral, dem CEO des KSV von 1870, des politisch unabhängigen Kreditschutzverbandes, mitnehmen kann:
1 . Rekordjahr oder nicht? Vybiral sagt, das Jahr 2024 ist ein Rekordjahr der Insolvenzen, zumindest bezogen auf die Passiva. Es gab noch nie ein Jahr mit so vielen Passiva, sie sind dieses Jahr über 18 Milliarden Euro gegangen. Der Grund ist, dass es mehr Großpleiten mit über zehn Millionen Euro Passiva gab als je zuvor. Allerdings war 2024 kein Rekordjahr gemessen an der Anzahl der Pleiten. Es gab in etwa 6550 Insolvenzen; vor 19 Jahren waren die Zahlen höher. Vybiral sagt: „Wir erleben noch keinen Tsunami.“ Die Insolvenzquote liegt derzeit bei 1,4 bis 1,5 Prozent. Die Signa-Pleite hat jedenfalls einen Reputationsschaden für Österreich angerichtet. „Wir werden jetzt vielleicht kritischer beobachtet, auch all die Insolvenzen namhafter Unternehmen.“
Es ist in Österreich ein großer Zukunftspessimismus zu sehen. Dabei ist es nicht so, dass es allen Menschen in Österreich schlechter geht. „Die Leute verdienen mehr, die Sparquote ist hoch, Krankheiten gehen zurück.“ Woran liegt das? „Die Menschen haben Ängste und nicht mehr das Vertrauen, dass die Politik in der Lage ist, den Karren rauszuziehen“, sagt Vybiral. Es ist klar, dass wir alle länger und mehr arbeiten müssen, die Politik sollte diesen Weg sozialverträglich vorzeichnen.
Das süße Gift Coronahilfen: Die Hälfte der österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmer sagt, sie hätten die Coronahilfen nicht gebraucht. Das ist das Ergebnis einer Befragung des KSV1870 unter 1300 UnternehmerInnen. 30 Prozent der Befragten haben angegeben, sie hätten die Hilfen eigentlich nicht gebraucht, weitere 20 Prozent sagen, sie könnten diese Frage nicht genau beantworten (gelten daher als indifferent). Die Hilfen haben das trügerische Gefühl vermittelt, die Lage entspanne sich. Experte Vybiral sagt: „Wir sind zu sehr mit dem Füllhorn und der Gießkanne über die Unternehmen gegangen. Das muss die Politik anders machen.“
Was ist die Reihe "War da was?"
Am Jahresende trifft das Podcast-Team der „Presse“ sieben spannende Gäste und spricht mit ihnen über das zu Ende gehende Jahr 2024 und schaut nach vorn, was 2025 bringt.
Von 27. Dezember 2024 bis 1. Jänner 2025 in sechs Teilen, täglich ab 5 Uhr Früh. Alle Folgen unter diepresse.com/podcast