
NachDenkSeiten – Die kritische Website Die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung missbraucht Brandts guten Namen zur Werbung für Kriegsertüchtigung
Im Blog der Republik zitierte dessen Herausgeber Alfons Pieper am 7. Dezember die Mitarbeiterin der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung Christina Meyer mit der Behauptung, auch Brandt habe mit dem Aufbau der „Fähigkeit zur Verteidigung“ und eben nicht mit „militärischer Zurückhaltung“ auf die angebliche Bedrohung durch Russland reagiert. Es gibt Beispiele und Belege dafür, dass diese Einschätzung nicht stimmt, dass sie falsch ist. Ich will ein paar Belege aus der jüngeren Geschichte nennen. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Zunächst hier vorweg noch das vollständige Zitat aus dem Blog der Republik:
Lehren für die Gegenwart
80 Jahre nach dem 2. Weltkrieg und 55 Jahre nach Brandts Kniefall schreibt Christina Meyer in einem Beitrag für die „Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung“ unter dem Titel „Lehren für die Gegenwart: Deutschland stehe vor einer doppelten Herausforderung: „Einerseits darf sich unsere Geschichts- und Erinnerungspolitik nicht in Ritualen erschöpfen, mit denen sich jüngere Menschen ohne Bezug zu den damaligen Ereignissen nicht mehr identifizieren können. Gefragt ist eine historisch-politische Bildung, die Wissen über die deutschen Verbrechen während der NS-Zeit vermittelt – erst recht in Zeiten eines erstarkenden Rechtsextremismus, der die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost. Andererseits reicht es nicht mehr, die Losung „Nie wieder Krieg“ als Appell zur militärischen Zurückhaltung Deutschlands zu verstehen: Eine wehrhafte Demokratie – nach innen und nach außen – braucht nicht nur ein kritisches Geschichtsbewusstsein, sondern auch die Fähigkeit zur Verteidigung. Historische Verantwortung bedeutet auch, gegen neue autoritäre und diktatorische Regime Stellung zu beziehen. Das hätte auch Willy Brandt so gesehen.
Nun also wie angekündigt Belege dafür, dass die Aussage über Willy Brandts Reaktion nicht zutrifft:
Erster Beleg. Im August 1961 wurde mit politischer Unterstützung der Sowjetunion von DDR-Bausoldaten die Berliner Mauer gebaut. Das war ein historisch einmaliger Vorgang und ein brutaler Angriff auf die Lebensfähigkeit Westberlins. Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, hat dagegen protestiert und zugleich weiter auf Verständigung mit dem Osten gesetzt. Ein markanter Beleg dafür: Am 5. Juli 1963 hielten sowohl Willy Brandt als auch sein Mitarbeiter Egon Bahr bei einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing eine Rede. Die dort von ihnen präsentierte Formel für die neue Ostpolitik lautete „Wandel durch Annäherung“. Sie setzten also trotz des provokanten Mauerbaus eindeutig auf Abbau der Konfrontation zwischen West und Ost, um auf diese Weise auch eine Veränderung im Ostblock, also in der DDR und anderen Staaten Osteuropas, zu erreichen. Die Antwort auf die östliche Provokation, eine unvorstellbar brutale Provokation, die Antwort auf den Bau der Mauer war also nicht die militärische Aufrüstung, sondern die Bereitschaft zur Kooperation, zur Verständigung – eben Annäherung.
Zweiter Beleg: Bei diesem Beispiel kann ich auf ein persönliches Erlebnis zurückgreifen. Ich war Anfang August 1968 Redenschreiber des damaligen Bundeswirtschaftsministers Professor Dr. Karl Schiller geworden. Sein Parlamentarischer Staatssekretär Klaus Dieter Arndt ließ mich am 21. August 1968 zur Besprechung einer Rede des Ministers zu sich kommen. Während unserer Beratung brachte seine Sekretärin einen sogenannten Ticker, eine dpa-Meldung mit den neuesten Ereignissen. Klaus Dieter Arndt las und zitierte die neueste Nachricht: Truppen des Warschauer Paktes hätten gerade Prag, die Hauptstadt der Tschechoslowakei, besetzt, um dem „Treiben“ des Reformers Dubcek ein Ende zu bereiten.
Die Reaktion von Klaus Dieter Arndt war nicht, wie nach Einschätzung der Vertreterin der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung Christina Meyer zu erwarten wäre: Jetzt müssen wir aber ganz schnell aufrüsten. Klaus Dieter Arndts Reaktion war: Wir machen weiter mit der neuen Ostpolitik.
Die Ostpolitik war vom ab Dezember 1966 amtierenden Außenminister Willy Brandt in die Regierungspolitik eingeführt worden. Dieser Anfang der Entspannungspolitik war in der damals amtierenden Großen Koalition mit Kurt Georg Kiesinger (CDU) als Bundeskanzler möglich, wenn auch mit Schwierigkeiten verbunden. Klaus Dieter Arndt war damals jenseits seiner Tätigkeit als Parlamentarischer Staatssekretär zuständig für die Pflege und Ausweitung des innerdeutschen Handels – ein wichtiges Bindeglied zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland.
Also, im August 1968 intervenierten die Sowjetunion und ihre Verbündeten mit Militär in Prag – und dann nur ein gutes Jahr später, am 28. Oktober 1969, erklärte der neu zum Bundeskanzler gewählte Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“. Das war dann eine deutliche Bestätigung der schon bei der Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag erkennbaren sicherheitspolitischen Linie: Gegen alle Widerstände und trotz schlimmer gegenläufiger Ereignisse wurde die Politik der Verständigung und Entspannung durchgehalten.
Die Politik der Verständigung mit dem Osten wurde dann schon ab 1970 in Verträgen mit einzelnen Staaten festgezurrt – mit dem Moskauer Vertrag, mit dem Warschauer Vertrag und dem Prager Vertrag. Kernelement dieser Verträge war der gegenseitige Gewaltverzicht.
Es bleibt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung anzuraten, die Geschichte und die politischen Entscheidungen ihres Namensgebers erstmal zu studieren und kennenzulernen, bevor sie sich öffentlich und falsch dazu äußern.
Titelbild: © Joseph Heinrich Darchinger / Willy Brandt und Autor Albrecht Müller am 9.10.1972 bei einer Pressekonferenz zur kommenden Bundestagswahl
