
SWR Kultur lesenswert - Literatur Jokha Alharthi – Herrinnen des Mondes
Aug 6, 2025
07:06
Oman hat sich im 20. Jahrhundert rasant verändert. Mit der Entdeckung des Erdöls in den 1960er-Jahren wuchs der Wohlstand, die traditionellen Stammesgesellschaften verloren an Bedeutung. Gerade junge Menschen zog es in die immer moderneren Städte.
Von dieser Entwicklung erzählt Jokha Alharthi in „Herrinnen des Mondes“. Ihr Roman, der tiefe Einblicke in die omanische Gesellschaft gibt, spielt zwischen 1920 und 1990 im fiktiven Bergdorf al-Awafi.
Die Autorin erklärte ihr literarisches Anliegen kürzlich bei einer Veranstaltung in Berlin, gedolmetscht von ihrer Übersetzerin Claudia Ott:
Jokha Alharthi erzählt von mehreren miteinander verwandten oder verschwägerten Familien in al-Awafi. Die Großeltern-Generation wächst um 1920 herum noch in einer traditionellen Stammesgesellschaft auf, in der auch Sklaven gehalten wurden. In der mittleren Generation tobt dann der Streit zwischen Tradition und Moderne. Mayya etwa wurde zwar gegen ihren Willen verheiratet und spricht ihren Mann deshalb nicht mit Namen an - über ihr Kind lässt sie ihn jedoch nicht auch noch verfügen.
Ich möchte als urteilsfreie, wertfreie Beobachterin diesen Prozess beschreiben, ohne zu sagen: das eine war besser oder die Moderne war besser oder früher war es besser. Das ist gar nicht meine Absicht. Sondern meine Literatur soll dazu beitragen, dass das einmal dokumentiert wird, was da vergangen ist und was dafür gekommen ist.Quelle: Jokha Alharthi - Herrinnen des Mondes
„Hör zu!", sagte Mayya zu Suleimans Sohn, sobald ihr Kugelbauch sie nachts nicht mehr schlafen ließ. "Ich werde mein Kind nicht hier von den Ammen holen lassen. Ich will, dass du mich nach Maskat bringst. [...] Ich möchte zur Entbindung ins Saada-Hospital."
„Soll mein Sohn etwa den Christen in die Hände fallen?", entrüstete er sich.
Mayya schwieg. Und als sie im neunten Monat war, brachte ihr Mann sie ins Haus seines Onkels im Wadi Aday in Maskat, wo sie bis zur Entbindung wohnte. Im Missionskrankenhaus, dem Saada-Hospital, brachte sie ein schmächtiges Mädchen zur Welt."Quelle: Jokha Alharthi – Herrinnen des Mondes
Die Moderne hält Einzug
Ein Mädchen, das also nicht die Hoffnung des Vaters auf einen Stammhalter erfüllt und das Mayya zum Entsetzen der älteren Generation „London" nennt, nach der westlichen Hauptstadt. Die Moderne hält in dem fiktiven Bergdorf nicht in Form von Reichtum Einzug, wenn auch das eine oder andere Auto durch den Roman fährt. Vielmehr sind es die Lebenswege, die sich verändern - vor allem der Frauen, die von Generation zu Generation selbstbestimmter werden. Jokha Alharthi tippt allerlei Tabus der omanischen Gesellschaft an, die zum Teil heute noch gelten, so Claudia Ott: „Es gibt in diesem Roman Protagonisten, die zum Beispiel Selbstmord begehen - ein absolutes Tabu im Islam. Zauberei und Hexenglaube, das im Islam ja auch völlig tabuisiert wird. Auch die Themen Behinderung, behinderte Kinder. Im Roman kommt ein Kind mit Down-Syndrom vor, das eine sehr positive Rolle spielt. Es gibt ein anderes Kind, das an Autismus leidet. Ein anderes tabuisiertes Thema ist das Thema Sklavenhandel, Sklaverei, Versklavung. Die wurde in Oman erst im 20. Jahrhundert offiziell abgeschafft."Veränderungen im Oman
Die ehemalige Sklavin Sarifa ist eine zentrale Figur, ohne dass „Herrinnen des Mondes“ durch sie zu einem gesellschaftskritischen Roman über Sklaverei würde. Vielmehr erzählt Jokha Alharthi multiperspektivisch davon, wie sich die Veränderungen in Politik und Gesellschaft Omans über drei Generationen hinweg in die Schicksale der Menschen einschreiben. In 60 kurzen Kapiteln, in denen sie jeweils wichtige Momente im Leben ihres Personals erzählt, wechselt die Autorin rege zwischen den Figuren und Zeitebenen hin und her. Die Szenen sind anschaulich beschrieben und kunstvoll montiert. Jeder Figur haben Autorin und Übersetzerin einen eigenen Sprachduktus gegeben, und auch hier sticht die frühere Sklavin Sarifa heraus. Claudia Ott sagt dazu: „Die liebt es, Sprichwörter in ihre sonst relativ saloppe und ein bisschen derbe, aber sehr sympathische Redeform einzufügen. Und das hat großen Spaß gemacht, hier eine Sprache zu finden, mit der diese Sarifa sofort erkenntlich wird." Nach der Geburt des Mädchens provoziert die Sklavin Sarifa bewusst Mayyas Mutter Salma.„Das Sprichwort sagt: Wer dich liebt, den liebe wieder, und wer dich hasst, den hasse wieder, und wer dich nicht mehr sehen mag, den lasse lieber. Wie ich sehe", setzte sie schnippisch hinzu, „ist noch gar kein Besuch gekommen, dem wir Kaffee einschenken müssten. Gib mir das Mädchen", wandte sie sich an Mayya, „ich will ihm ein paar gute Wünsche mit auf den Weg geben."
„Das Mädchen will jetzt gestillt werden", giftete Salma.
Sarifa lächelte und zuckte leicht mit den Schultern, als wollte sie tanzen.Quelle: Jokha Alharthi – Herrinnen des Mondes
