
Eigentlich Podcast EGL091 Sind wir in der solaren Zukunft angekommen? Ein Spaziergang durch die Solarstadt Freiburg mit Rolf Behringer
"Das war ein wunderbares Gefühl, als ich dann gemerkt habe, wie sich der Wind ein Stück weit dreht. [...] Und jetzt sind Photovoltaik und Wind inzwischen wesentlich günstiger als die fossilen." Rolf Behringer – (Min 33:39)
Flo trifft in dieser Episode zum zweiten Mal auf Rolf Behringer vom Verein Solare Zukunft – diesmal in Freiburg. Gemeinsam spazieren wir durch den Stadtteil Vauban, wo Rolf frühe nachhaltige Bauprojekte mit Photovoltaik und Niedrigenergiehäusern vorstellt. Dabei sprechen wir über aktuelle Entwicklungen wie Balkonkraftwerke und neue Speichermöglichkeiten. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien hat sich bereits gut entwickelt, und mit Freiburger Leuchtturmprojekten wie dem Heliotrop oder dem Sonnenschiff hat die Energiewende Anlauf genommen. Doch die großen Sektoren wie Wärme und Verkehr müssen noch deutlich nachhaltiger werden. Auf unserer Wanderung setzen wir uns mit den unterschiedlichen Herausforderungen auseinander, vor denen unsere Gesellschaft steht und versuchen den Blick in die Zukunft nicht zu dystopisch werden zu lassen. Wir finden etwas Erleichterung in den Utopien des Solarpunks. Am Ende unserer Tour stehen wir vor dem Solarhaus – aber über den Zaun klettern wollen wir dann doch lieber nicht.
Shownotes
- Links zur Laufstrecke
- EGL091 | Wanderung | Komoot
- Passivhaus "Wohnen & Arbeiten", Stadtteil Vauban, Freiburg, Deutschland
- Kleehäuser – stadtteil-vauban.de
- Heliotrop (Gebäude) – Wikipedia
- Solarsiedlung – Wikipedia
- Rolf Disch – Das Sonnenschiff
- Links zur Episode
- Energiebildung ganz praktisch! - Solare Zukunft Webseite
- Agentur für Erneuerbare Energien
- Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme – Wikipedia
- Geothermie – Wikipedia
- BMWE | Balkonkraftwerke: Photovoltaik auf dem Balkon
- Intelligentes Messsystem – Wikipedia
- https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/speicher-fuer-die-energiewende.pdf?__blob=publicationFile&v=8
- Solarpunk - Wikipedia
- Schwungrad – Wikipedia
- Bidirektionales Laden – Wikipedia
- https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Downloads/B/broschuere-bidirektionales-laden-stand-und-ausblick.pdf?__blob=publicationFile&v=8
- Rolf Disch – Wikipedia
- Erneuerbare Energien in Zahlen | Umweltbundesamt
- Saisonalspeicher – Wikipedia
- Thermische Energiespeicher | Forschungsverbund Erneuerbare Energien
- Rolf Disch – Die Solarsiedlung
- Photovoltaik in Deutschland – Wikipedia
- Reparationsforderungen: Die Klimafolgen des Krieges in der Ukraine | tagesschau.de
- Solarbundesliga
- Deutscher Bundestag - Nutzung von Kleinspeichern in Mieterhaushalten
- Solarthermie – Wikipedia
- Wasserstoffantrieb – Wikipedia
- Elektrolyse – Wikipedia
- Elektrotrucker - YouTube
- Hotzenblitz – Wikipedia
- Das energieautarke Solarhaus Freiburg
- Aktuelles - suninside.de
- Energy-Charts
Mitwirkende
- Florian Clauß
- Rolf Behringer (Erzähler)
Die solare Zukunft ist da – oder? Ein Realitätscheck der deutschen Energiewende
An der Schwelle zu einer neuen Energie-Ära
Das lang gehegte Ziel einer vollständig auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung erscheint heute greifbarer denn je. Die Vision einer solaren Zukunft, einst belächelt und als utopische Spinnerei abgetan, manifestiert sich zunehmend in unserem Alltag – auf Dächern, an Balkonen und in der wachsenden Flotte von Elektrofahrzeugen. Die technologischen Durchbrüche der letzten Jahre haben eine Dynamik entfesselt, die selbst optimistische Prognosen übertrifft. Doch sind wir damit bereits in der solaren Zukunft angekommen? Oder handelt es sich bei den sichtbaren Erfolgen nur um die ersten, einfacheren Etappen eines weitaus komplexeren Marathons?
Der neue Status Quo: Die Dominanz der Erneuerbaren im Stromnetz
Der Stromsektor gilt als Vorreiter und Blaupause für die gesamte Energiewende. Hier wurden die entscheidenden technologischen und politischen Schlachten geschlagen, die den Weg für die heutige Entwicklung ebneten. Der erreichte Meilenstein von rund 60 % erneuerbarer Energien im deutschen Stromnetz ist mehr als nur eine beeindruckende Zahl – er ist die Widerlegung der einst weit verbreiteten Skepsis. Noch vor wenigen Jahrzehnten erklärte eine damalige Umweltministerin und spätere Bundeskanzlerin, das Stromnetz würde nicht mehr als 5 % Erneuerbare verkraften. Heute stabilisieren eben diese volatilen Energiequellen unser Netz und beweisen die technische Machbarkeit einer grundlegend neuen Versorgungsarchitektur.
Die Photovoltaik hat sich dabei von einer teuren Nischentechnologie zu einer der kostengünstigsten Energiequellen überhaupt entwickelt. In der reinen Erzeugung sind Solar- und Windstrom heute wesentlich günstiger als fossile Energieträger. Dieser Wandel wurde maßgeblich von Innovations- und Forschungszentren vorangetrieben. Ein Epizentrum dieser Entwicklung ist Freiburg mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), an dem über 1.000 Forscherinnen und Forscher die technologischen Grundlagen für diesen Erfolg schufen und weiterhin schaffen. Freiburgs Rolle als Leuchtturmprojekt manifestierte sich auch in Wettbewerben wie der „Solarbundesliga“, in der deutsche Städte um die höchste Pro-Kopf-Solarleistung wetteiferten. War Freiburg anfangs unangefochtener Spitzenreiter, wurde es bald von anderen Städten überholt – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie ein lokaler Katalysator eine nationale Bewegung auslösen und beweisen kann, dass das Modell skalierbar ist.
Doch während diese großen, zentralen Entwicklungen den Rahmen vorgaben, findet die wahre Revolution inzwischen dezentral und bürgernah statt.
Die Revolution auf dem Balkon: Wie Bürgerenergie die Wende beschleunigt
Stecker-Solargeräte, oft als „Balkonkraftwerke“ bezeichnet, sind weit mehr als eine technische Spielerei. Sie sind das Symbol für die Demokratisierung und Dezentralisierung der Energieerzeugung. Was als kleine Grassroots-Bewegung begann, hat sich zu einer gesellschaftlichen Massenbewegung entwickelt. Schätzungen gehen von bis zu drei Millionen installierten Systemen in Deutschland aus – eine schier unglaubliche Zahl, die die enorme gesellschaftliche Dynamik dieses Trends belegt.
Dabei hat sich ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Motivation der Nutzer vollzogen. Stand anfangs oft noch ein ideologischer Antrieb im Vordergrund, so rechnet sich die Anschaffung heute zunehmend auch wirtschaftlich. Faktoren wie die Einführung von Smart Metern und dynamischen Stromtarifen machen es für den „normalen“ Bürger attraktiv, eigenen Strom zu produzieren und zu verbrauchen. Es geht nicht mehr nur um die moralische Überzeugung, sondern um handfeste ökonomische Vorteile.
Diese Entwicklung hat einen wichtigen Nebeneffekt: Die direkte, sichtbare „Energieernte“ auf dem eigenen Balkon stärkt das Bewusstsein für Erzeugung und Verbrauch im Haushalt. Man erlebt den Zusammenhang zwischen Sonnenschein und verfügbarem Strom unmittelbar, ähnlich wie bei der Ernte im eigenen Garten. Dieser kulturelle Wandel fördert ein tieferes Verständnis für die Funktionsweise unseres Energiesystems.
Doch trotz dieser beeindruckenden Erfolge im Stromsektor stehen zwei weitere große Energieverbraucher – Wärme und Mobilität – noch vor einer gewaltigen Transformation.
Die ungelösten Rätsel der Energiewende: Wärme und Mobilität
Der Gesamterfolg der Energiewende hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, die Sektoren Wärme und Mobilität zu dekarbonisieren. Diese beiden Bereiche machen einen Großteil des Primärenergiebedarfs aus, doch der Anteil erneuerbarer Energien liegt hier noch immer deutlich unter 20%.
Die Herausforderung der Wärmewende
Für die Erzeugung klimaneutraler Wärme existieren verschiedene technologische Pfade. Die Solarthermie besticht durch einen sehr hohen Wirkungsgrad von rund 80% bei der Umwandlung von Sonnenlicht in Wärme. Ihre Schwäche liegt jedoch in der saisonalen Diskrepanz: Im Sommer, wenn der Ertrag am höchsten ist, wird kaum Heizwärme benötigt. Viele Anlagenbetreiber kennen das Problem, dass sie sich im Sommerurlaub Sorgen um ihre Anlage machen, die massive, ungenutzte Wärmeüberschüsse produziert.
Flexibler ist hier die Kombination aus Photovoltaik und Wärmepumpe. Der erzeugte Strom kann bedarfsgerecht zur Wärmeerzeugung genutzt oder für andere Zwecke im Haushalt verwendet werden. Als weitere wichtige, wenn auch standortabhängige Säule für die zukünftige Wärmeversorgung gilt die Geothermie, die konstante Wärme aus dem Erdinneren nutzt. Wegweisend sind intelligente und hocheffiziente Gebäudekonzepte wie die Plusenergiehäuser in Freiburgs Solarsiedlung. Diese vom Architekten Rolf Disch konzipierten Gebäude erzeugen über das Jahr gerechnet mehr Energie, als ihre Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom verbrauchen.
Die Elektrifizierung des Verkehrs
Die Elektromobilität hat die „Kinderschuhe“ verlassen und befindet sich gewissermaßen in der „Pubertät“: Sie ist bereits weit verbreitet, kämpft aber noch mit Akzeptanzhürden und hat weiteres Entwicklungspotenzial. Eine überraschende Entwicklung ist, dass nicht nur Pkws, sondern zunehmend auch Busse und Lkws elektrifiziert werden. Dies stellt frühere Prognosen in Frage, die für den Schwerlastverkehr lange Zeit auf andere Technologien setzten. Dass dieser Trend nicht nur in Strategiepapieren, sondern bereits auf der Straße angekommen ist, zeigen Phänomene wie YouTuber, die als Elektro-Lkw-Fahrer ihren Alltag dokumentieren und damit eine wachsende Community begeistern.
Im direkten Vergleich hat sich für Pkws der batterieelektrische Antrieb aufgrund seiner überlegenen Effizienz klar gegen den Wasserstoffantrieb durchgesetzt. Wasserstoff wird aufgrund der hohen Umwandlungsverluste bei seiner Herstellung (Elektrolyse) erst dann wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll, wenn ein massiver Überschuss an erneuerbarem Strom zur Verfügung steht, der andernfalls ungenutzt bliebe.
Die zentrale Herausforderung liegt nun darin, die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität intelligent zu koppeln und die schwankende Erzeugung von Sonne und Wind auszugleichen. Die Lösung für diese Aufgabe liegt in einem zentralen Baustein: der Speicherung.
Der Schlüssel zur Vollendung: Die Revolution der Energiespeicherung
Ohne den massiven Ausbau von Energiespeicherkapazitäten wird die Energiewende scheitern. Speicher sind das unverzichtbare Bindeglied, um die volatile Erzeugung von Sonne und Wind mit dem kontinuierlichen Verbrauch in Einklang zu bringen, das Netz zu stabilisieren und die Versorgungssicherheit zu jeder Zeit zu gewährleisten. Die technologischen Lösungen existieren bereits und lassen sich nach Anwendungsbereichen gliedern:
- Dezentrale Kleinspeicher: Intelligente Heimspeicher und mobile „Powerstations“, die oft in Kombination mit Balkonkraftwerken genutzt werden, ermöglichen es, den tagsüber erzeugten Solarstrom auch nachts zu verbrauchen. Dies erhöht die Eigenverbrauchsquote, senkt die Stromrechnung und entlastet das lokale Netz.
- Zentrale Großspeicher: Große Batteriespeicher im Netz sind notwendig, um Lastspitzen abzufedern und die Abschaltung von Windkraftanlagen bei Stromüberschuss zu verhindern – ein heute noch gängiges, aber volkswirtschaftlich fatales Vorgehen. Ein Vorbild für saisonale Speicherung ist Dänemark, wo riesige, gut isolierte thermische Wasserspeicher mit überschüssigem Windstrom aufgeheizt werden, um die Wärme im Winter für Fernwärmenetze zu nutzen.
- Der schlafende Riese – Mobile Speicher: Das größte und bisher kaum genutzte Potenzial liegt im bidirektionalen Laden von Elektrofahrzeugen. Die Akkus von Millionen von E-Autos könnten zu einem riesigen, virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet werden. Sie könnten bei Stromüberschuss günstig geladen und bei hoher Nachfrage gezielt Energie zurück ins Netz speisen, um es zu stabilisieren.
Für die breite Nutzung dieses „schlafenden Riesen“ müssen jedoch noch erhebliche regulatorische und technische Hürden überwunden werden. Dazu gehören steuerliche Fragen bei der Be- und Entladung ebenso wie Garantiezusagen der Fahrzeughersteller bezüglich der Batterielebensdauer. Die technologischen Lösungen sind vorhanden, doch ihre Implementierung hängt entscheidend vom politischen Willen und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab.
Vision und Wirklichkeit: Zwischen Solarpunk, Politik und Eigenverantwortung
Die Energiewende bewegt sich in einem permanenten Spannungsfeld zwischen technologischer Möglichkeit und politischer Realität. Politische Regulierung kann als entscheidender Beschleuniger wirken, wie die Förderung der Balkonkraftwerke zeigte, aber auch als Bremse, wenn veraltete Strukturen geschützt werden.
Eine große Herausforderung bleibt der Einfluss von Lobbygruppen. Untersuchungen zur Lobbyarbeit in Berlin zeigen eine massive Asymmetrie: Die finanzielle und personelle Macht der fossilen Industrie, gemessen an der Anzahl der Lobbyisten pro Politiker, übersteigt die der Erneuerbare-Energien-Branche um ein Vielfaches und beeinflusst politische Entscheidungsprozesse.
Gleichzeitig entwickelt sich eine positive gesellschaftliche Vision, die als „Solarpunk“ bezeichnet wird – ein Gegenentwurf zum dystopischen „Cyberpunk“. Diese Vision beschreibt eine Zukunft, die auf Dezentralisierung, lokaler Gemeinschaft, Resilienz und dem intelligenten, menschenfreundlichen Einsatz von Technologie basiert. Doch was bedeutet Resilienz wirklich? Eine persönliche Erfahrung von Rolf macht dies greifbar: Während eines mehrtägigen Stromausfalls in Spanien fühlte er sich mit seinem Elektroauto zunächst autark. Sein Solarmodul und eine Powerstation versorgten Laptop und Kocher. Doch die Freude schwand schnell, als er erkannte, dass ohne Strom auch die Wasserpumpe stillstand. Dies zeigt eindrücklich die Grenzen individueller Autarkie. Wahre Resilienz entsteht nicht durch isolierte Insellösungen, sondern durch robuste, vernetzte lokale Gemeinschaften, die lebenswichtige Systeme wie die Wasserversorgung gemeinsam sichern und sich gegenseitig unterstützen.
Dieser Gedanke löst auch die Debatte zwischen individuellem Verzicht und systemischer Veränderung auf. Die Bürgerenergie-Bewegung hat bewiesen, dass Graswurzelinitiativen von unten die Politik zum Handeln zwingen können. Gleichzeitig sind es die politischen Rahmenbedingungen von oben, die diesen Initiativen erst den nötigen Raum zur Entfaltung geben. Beides ist untrennbar miteinander verbunden.
Die Zukunft ist ein Prozess, kein Ziel
Die solare Zukunft ist kein statischer Endzustand, den wir eines Tages erreichen, sondern ein dynamischer und fortlaufender Transformationsprozess. Um die Eingangsfrage nuanciert zu beantworten: Im Stromsektor sind wir dieser Zukunft bereits sehr nah. Die technologische Reife und die gesellschaftliche Akzeptanz haben ein Niveau erreicht, das den Wandel unumkehrbar macht. In den Bereichen Wärme, Mobilität und vor allem bei der intelligenten Speicherung und Sektorenkopplung stehen die entscheidenden Schritte jedoch noch bevor.
Ein Lichtschein am Horizont: Das „Solarhaus Freiburg“, 1992 als erstes energieautarkes Haus Deutschlands ein visionäres und technisch aufwendiges Experiment, wird voraussichtlich von dem Verein „Solare Zukunft“ übernommen. Ziel ist es, das historische Gebäude mit der ausgereiften und kostengünstigen Technologie von heute zu revitalisieren und als Bildungsort neu zu beleben. Dieses Vorhaben ist ein Mikrokosmos der gesamten Energiewende: Es würdigt die visionäre Pionierarbeit der Vergangenheit und nutzt gleichzeitig die Werkzeuge der Gegenwart, um die Zukunft aktiv zu gestalten. Die technologischen Lösungen und gesellschaftlichen Visionen sind vorhanden; nun bedarf es eines gemeinsamen, konsequenten Handelns von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um diese Zukunft zu realisieren.






















