Titus Blome, Kulturredakteur bei Zeit Online und Experte für digitale Kultur, diskutiert die Flüchtigkeit des Internets. Er erklärt, warum die Aussage, das Internet vergisst nichts, irreführend ist. Viele Inhalte verschwinden, wenn sie nicht rentabel sind. Blome thematisiert die Herausforderungen der Internetarchivierung und die Rolle der Nutzer bei der Auswahl wichtiger Inhalte. Zudem wird die Notwendigkeit von gesetzlichen Maßnahmen hervorgehoben, um den kulturellen Erhalt im digitalen Zeitalter zu sichern.
Die Vorstellung, dass das Internet alles speichert, ist irreführend, da viele Inhalte aufgrund finanzieller Entscheidungen tatsächlich verloren gehen.
Die Archivierung digitaler Kultur steht vor großen Herausforderungen, da rechtliche Probleme und fehlender politischer Wille den Erhalt gefährden.
Deep dives
Das Verschwinden digitaler Inhalte
Die Vorstellung, dass das Internet alles speichert und niemals vergisst, ist irreführend. Tatsächlich verschwinden Inhalte häufig von Plattformen, wenn sie nicht mehr profitabel sind oder wenn Betreiber von Streaming-Diensten entscheiden, weniger populäre Filme und Serien von ihren Angeboten zu entfernen. Eine Studie hat gezeigt, dass 38 Prozent aller Websites, die 2013 online waren, heute nicht mehr zugänglich sind, oft aufgrund von Geschäftsentscheidungen. Dies verdeutlicht, dass die Digitalisierung und die Vermietung von Kulturprodukten im Internet eine Illusion von dauerhafter Verfügbarkeit schaffen, während viele Inhalte tatsächlich verloren gehen.
Herausforderungen der Archivierung
Die Archive kämpfen auf mehreren Fronten mit der Archivierung von Inhalten. Das Internet Archive hat sich als eine zentrale Stelle etabliert, um digitale Inhalte zu bewahren, sieht sich jedoch zunehmend mit rechtlichen Problemen und den Blockaden von Websites konfrontiert, die ihre Inhalte vor Archiv-Crawlern schützen wollen. Bibliothekare und Archivare drücken ihre Besorgnis aus, dass der Erhalt von digitaler Kultur eine immer größere Herausforderung darstellt, insbesondere in einer Zeit, in der große Mengen an Inhalten online produziert werden. Technologische Lösungen zur Archivierung und der langfristige Erhalt digitaler Medien brauchen dringend politischen und rechtlichen Rückhalt.
Politische Dimension der digitalen Kultur
Ein wesentliches Problem des digitalen Mediensterbens ist der fehlende politische Wille zur gesetzgeberischen Regulierung und zum Schutz digitaler Kulturerzeugnisse. Es gibt Anzeichen für eine mögliche kulturelle Gentrifizierung des Internets, wo wertvolle digitale Inhalte einfach gelöscht werden, ohne dass dies jemanden interessiert. Es wird vorgeschlagen, dass mehr Menschen mit archivistischen Missionen Zugang zu geschützten Inhalten erhalten sollten, um das kulturelle Erbe aktiv zu bewahren. Letztlich erfordert die Archivierung und der Erhalt digitaler Kultur internationale Anstrengungen sowie Reformen im Urheberrecht, um die Vielfalt und Tiefe digitaler Inhalte für zukünftige Generationen zu sichern.
Der bekannte Satz, dass das Internet nichts vergisst, sei schlicht nicht wahr, sagt Titus Blome, Kulturredakteur bei „Zeit Online“. Denn: „Wenn Internetkultur nicht profitabel ist, dann verschwindet sie einfach“. Anders als im Zeitalter der analogen Kulturproduktion gehöre den Konsumenten digitaler Medien heute nichts mehr. Stattdessen schließe man Mietverträge, die von Konzernen wie Netflix oder Sony jederzeit aufgekündigt werden können. Heißt also: Wenn Filme oder Serien nicht laufen, fliegen sie von den Servern.
Aber es trifft auch andere Inhalte. So zeigt eine Studie des Pew Research Centers, dass 38 Prozent der Websites aus dem Jahr 2013 heute nicht mehr im Netz erreichbar sind. Und zuletzt kündigte das Online-Magazin „Telepolis“ an, dass es alle seine Inhalte, die vor 2021 veröffentlicht wurden, erst einmal offline nimmt.
Blome, der als Kulturredakteur bei „Zeit Online“ arbeitet, hat sich für seinen jüngsten Text mit dieser Flüchtigkeit des Netzes auseinandergesetzt – und mit den Akteuren, die dieser Dynamik etwas entgegenzuhalten versuchen. Im Gespräch mit Holger Klein geht es nun um die Frage, welche Inhalte eigentlich verschwinden, was man dagegen tun kann, und welche Herausforderungen das mit sich bringt. Und ob man nicht vielleicht einfach akzeptieren muss, dass Inhalte im Internet nicht für die Ewigkeit sind.
„Das würde mir persönlich das Herz brechen“, sagt Blome. „Gerade Plattformen wie Twitter haben einzigartige literarische Genres hervorgebracht, die es nirgendwo anders geben könnte. Wenn wir diese Kultur als flüchtig akzeptieren, kapitulieren wir vor den politökonomischen Umständen des Mediums.“