Historiker Philipp Ther über das neue Europa - #895
Feb 25, 2023
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Philipp Ther, ein renommierter Historiker und Experte für Osteuropa, spricht über die Auswirkungen der russischen Invasion in die Ukraine auf die europäische Sicherheitsarchitektur. Er analysiert, wie historische Fehlannahmen und geopolitische Dynamiken zur aktuellen Krise führten. Zudem wird die Rolle der EU hervorgehoben und die Notwendigkeit von Reformen diskutiert. Ther behandelt auch wirtschaftliche Abwertungen und deren soziale Folgen, sowie die Herausforderungen von Korruption und Rechtsstaatlichkeit in Europa.
Die Invasion Russlands in die Ukraine hat die politische Geografie Europas nachhaltig verändert und verdeutlicht tiefere Spaltungen innerhalb der Gesellschaften.
Historiker Philipp Ther betont die Notwendigkeit einer strukturellen Reform der EU, um den östlichen Nachbarstaaten gerechter zu werden und Stabilität zu fördern.
Deep dives
Neues geopolitisches Machtspiel
Die Invasion Russlands in die Ukraine hat die europäische Sicherheitsarchitektur grundlegend erschüttert und führt zu einer Neubewertung der politischen Geografie in Europa. Historiker Philipp Thea thematisiert, wie der Konflikt zwischen Wladimir Putin und Volodymyr Zelensky die geopolitischen Spannungen neu entfacht hat und die Rolle der ehemaligen Sowjetstaaten in der globalen Ordnung verändert. Dieser Bruch ist nicht nur oberflächlicher Natur; er legt die tieferliegenden Spaltungen und Missverständnisse innerhalb Europas offen, die seit den demokratischen Revolutionen von 1989 bestehen. Die westliche Wahrnehmung Ost- und Mitteleuropas hat sich dabei als unzureichend erwiesen, da das Engagement und die Entwicklung in diesen Regionen nach der Wende oft vernachlässigt wurden.
Falsche Reaktionen auf Aggression
Thea kritisiert die Reaktionen des Westens auf die russische Aggression, insbesondere den Bau von Nord Stream 2, der die Abhängigkeit von Russland vertiefte und falsch interpretierte, dass wirtschaftliche Verflechtungen einen Krieg verhindern könnten. Er weist darauf hin, dass das Ignorieren der besorgniserregenden Entwicklungen im östlichen Europa und der naiven Hoffnung auf Stabilität nicht nur für die Ukraine, sondern für den gesamten europäischen Raum riskant war. Das Missverhältnis zwischen den realen politischen Risiken und den wirtschaftlichen Interessen hat zu einer fatalen Einseitigkeit geführt, die die demokratischen und liberale Errungenschaften der Region gefährdet hat. Diese Fehleinschätzungen haben nicht nur zu Krisen, sondern auch zu einem tiefen Riss im Vertrauen zwischen Ost und West geführt.
Erfahrungen der Transformation
Die Diskussion über die Transformationserfahrungen in Osteuropa zeigt, dass das offizielle Narrativ über den Erfolg der postkommunistischen Reformen oft von der Realität abweicht. Viele Menschen in Regionen wie Polen und der Ukraine erlebten während der Transformation wirtschaftliche Unsicherheit und soziale Entwurzelung. Diese unterschiedlichen Erfahrungen führten zu einem diffusen Ressentiment gegen den liberalen Westen, der oft als Verursacher der Misere betrachtet wird, während in den politischen Diskursen die tatsächlichen Probleme ignoriert werden. Thea hebt hervor, dass diese Erfahrungen eine Basis für antiliberale Bewegungen schaffen, die trotz wirtschaftlicher Erfolge weiterhin fordern, dass sich die Stimmen der Transformationserfahrenen in der Politik stärker bemerkbar machen.
Die Rolle der Europäischen Union
Die Europäische Union steht vor der Herausforderung, ihre Rolle als stabilisierende Kraft in Osteuropa zu definieren, insbesondere angesichts der Bedrohungen durch Russland. Thea betont die Notwendigkeit einer strukturellen Reform der EU, um den Spannungen und Erwartungen der östlichen Nachbarstaaten gerecht zu werden. Um eine Erweiterung der EU sinnvoll zu gestalten, sollte die Union konkrete Werte und Standards, wie beispielsweise die Bekämpfung der Korruption, rigoros implementieren, um eine stabile Mitgliedschaft zu gewährleisten. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integrationspolitik könnte darin liegen, nicht nur politische Fragebögen zu erfüllen, sondern sozial und wirtschaftlich inklusive Strukturen zu schaffen, die langfristige Stabilität in der Region garantieren.
Die politische Geografie des Kontinents verschiebt sich. Wie die Invasion Russlands in die Ukraine die Sicherheitsarchitektur der Post-1989er-Jahre zertrümmert analysiert Historiker Philipp Ther bei Journalist Robert Misik im Bruno Kreisky Forum.