Markus Brotschi, Bundeshausredaktor, und Inga Köster, Psychotherapeutin aus dem Berner Oberland, diskutieren den immer dramatischer werdenden Mangel an Therapieplätzen in der Schweiz. Köster teilt ihre persönlichen Erfahrungen und erzählt von den langen Wartezeiten, die selbst junge Menschen mit ADHS erdulden müssen. Sie beleuchten auch die Herausforderungen im Gesundheitssystem, den Tarifstreit zwischen Therapeuten und Krankenkassen sowie die wachsende psychische Belastung für betroffene Familien.
In der Schweiz gibt es einen akuten Mangel an Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche, was lange Wartezeiten zur Folge hat.
Psychotherapeuten wie Inga Köster erleben eine enorme Belastung durch hohe Anmeldezahlen, die ihre eigene Psychohygiene gefährdet.
Deep dives
Mangel an Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche
In der Schweiz gibt es einen signifikanten Mangel an Therapieplätzen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, die psychologische Hilfe benötigen. Viele Eltern berichten von langen Wartezeiten und schwierigen Anfahrtswegen zu Praxen, was die Situation zusätzlich belastet. So hat eine Mutter über zweieinhalb Jahre gesucht, um für ihren Sohn einen Therapieplatz zu finden, nachdem ihm ADHS diagnostiziert wurde. Diese Herausforderungen verdeutlichen den dringenden Bedarf an mehr Therapiemöglichkeiten für die junge Bevölkerung, die oft unter schwerwiegenden psychischen Problemen leidet.
Überlastung der Therapeuten
Psychotherapeut:innen wie Inga Köster erleben eine enorme Überlastung aufgrund der hohen Nachfrage nach Therapiesitzungen. Köster führt ihre Praxis in Interlaken und berichtet, dass sie täglich mindestens vier neue Anmeldungen erhält, obwohl sie schon bis zu elf Therapiesitzungen pro Tag hat. Diese große Belastung führt zu einem Gefühl der Erschöpfung und stellt die Psychohygiene der Therapeuten in Frage, da sie oft die Grenze ihrer eigenen Belastbarkeit überschreiten müssen, um Patienten zu helfen. Die Situation ist so gravierend, dass Köster befürchtet, dass sie bei einer weiteren Zuspitzung ihrer Arbeitsbelastung möglicherweise ihre Tätigkeit aufgeben muss.
Tarifdiskussion und finanzielle Unsicherheiten
Die recent Umstellung der psychologischen Psychotherapie in die Grundversicherung hat zu einer intensiven Diskussion über die Tarife geführt, die für die Therapie gezahlt werden. Es gibt Ängste unter den Therapeuten, dass eine Senkung der Tarife auf 140 Franken pro Stunde ihre Praxen unhaltbar machen könnte. Inga Köster erklärt, dass sie bei diesen niedrigeren Sätzen nicht in der Lage wäre, ihre Praxis nachhaltig zu führen, was bedeuten könnte, weniger Patienten zu behandeln oder sogar die Praxis zu schließen. Diese Unsicherheiten bringen die Therapeuten in eine prekäre Lage, während die Krankenkassen versuchen, die Kosten zu drücken, und gleichzeitig der Bedarf an psychologischer Unterstützung weiter wächst.
Inga Kösters Agenda ist voll. Die Überstunden häufen sich – und an Ferien ist kaum mehr zu denken. Die Psychotherapeutin betreibt gemeinsam mit ihrem Mann, einem Psychiater, eine Praxis im Berner Oberland. Und sagt, sie könne den vielen Anmeldungen von Jugendlichen, Kindern und ihren Eltern für einen Therapieplatz kaum mehr gerecht werden.
So wartete ein Junge mit schweren ADHS ein Jahr auf ein Erstgespräch. Er ist kein Einzelfall: In der Schweiz gibt es deutlich weniger freie Termine bei Psychotherapeutinnen und -therapeuten als junge Menschen, die eine Behandlung bräuchten.
Dieser Therapieplatzmangel spürt Inga Köster in ihrem Berufsalltag bereits seit Längerem. Nun könnte ein Streit zwischen dem Psychotherapeuten-Verband und den Krankenkassen die Situation weiter verschärfen. Es geht um die Frage, wie viel eine Therapiestunde kosten darf.
Was ist der Hintergrund dieses Tarifstreits? Welche Gründe führen zu fehlenden Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche? Und was bedeutet das für betroffene Familien? Darüber spricht Bundeshausredaktor Markus Brotschi in einer neuen Folge des täglichen Podcasts «Apropos».