USA-Spezial (3/4) - Warum den Amerikanern das Waffenrecht heilig ist
Oct 10, 2024
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Dagmar Ellerbrock ist Professorin für Neuere Geschichte an der TU Dresden und erforscht zivilen Waffenkulturen. Jürgen Martschukat, Professor für Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt, beschäftigt sich mit Männlichkeit und Gewalt. Im Gespräch wird die Komplexität des Waffenrechts in den USA beleuchtet, die historische Wurzel und die soziale Debatte um Waffengewalt diskutiert sowie die Rolle der NRA analysiert. Zudem wird der Einfluss der weißen Identität auf die Waffenkultur und die Verbindung zwischen Männlichkeit und Waffenrecht thematisiert.
Das Recht auf Waffenbesitz in den USA wird als zentraler Bestandteil der nationalen Identität betrachtet, was historische und mythologische Erzählungen widerspiegelt.
Die National Rifle Association hat sich von einem Sportverein zu einer einflussreichen Lobbyorganisation entwickelt, die den politischen Diskurs über Waffenrechte maßgeblich prägt.
Deep dives
Der Colt als Wendepunkt der Waffentechnologie
Die Einführung des Revolvers von Samuel Colt in den 1830er Jahren revolutionierte die Waffentechnologie in den USA, indem er eine schnellere Schussfolge ohne Nachladen ermöglichte. Diese Neuheit sorgte dafür, dass Handfeuerwaffen weit verbreitet wurden, was zu einem Anstieg der Waffengewalt im Laufe des 19. Jahrhunderts führte. Historiker weisen darauf hin, dass mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Waffen auch Konflikte zwischen Bürgern häufiger wurden, die durch ihre Zugänglichkeit eskalierten. Modelle wie der 'Peacemaker' zeigen die paradoxen Effekte, da sie sowohl zur Selbstverteidigung als auch zur Verschärfung von Gewalt genutzt wurden.
Waffengesetze und gesellschaftliche Herausforderungen
Die Debatte über Waffengesetze in den USA ist von fortwährenden Massenschießereien geprägt, bei denen jährlich Zehntausende durch Schusswaffen ums Leben kommen. Die politischen Diskussionen darüber sind stark polarisiert; während Demokraten für schärfere Kontrollen plädieren, argumentieren Republikaner oft für die Notwendigkeit eines bewaffneten Bürgers zum Selbstschutz. Historisch gesehen gab es bereits frühere Regelungen zum Waffenbesitz, die jedoch durch Lobbygruppen wie die NRA zunehmend unter Druck geraten sind. Die wiederkehrenden Diskussionen über Waffenkontrolle werden oft erst nach dramatischen Vorfällen angestoßen, folgen dann aber häufig einem absehbaren Muster in der öffentlichen Wahrnehmung.
Mythen um das Recht auf Waffenbesitz
Das Recht auf Waffenbesitz in den USA wird von vielen als zentraler Bestandteil der nationalen Identität betrachtet, stark geprägt von mythologischen Erzählungen über die Westexpansion und den Kampf gegen Unterdrückung. Der zweite Verfassungszusatz wurde ursprünglich im Kontext der Notwendigkeit einer Miliz eingeführt, hat sich aber zeitweise in ein individuelles Recht auf Waffenbesitz entwickelt. Diese Transformation geschah durch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, die den amerikanischen Mythos vom 'guten Menschen mit einer Waffe' weiter verstärkten. Historiker betonen, dass diese Erzählungen oft von der wirklichen Geschichte abweichen und die Struktur des Waffenbesitzes in den USA komplexer ist als die legendenhaften Vorstellungen.
Die Rolle der NRA und des politischen Wandels
Die National Rifle Association (NRA) hat sich von einem ursprünglichen Sportclub zu einer mächtigen Lobbyorganisation entwickelt, die eng mit der konservativen Politik verknüpft ist. Die politische Landschaft hat sich zugunsten der NRA verändert, insbesondere seit den 1960er Jahren, als eine Verbindung zwischen waffenaffinen Ideologien und dem Widerstand gegen gesellschaftliche Reformen entstanden ist. In den letzten Jahren gibt es jedoch Anzeichen für einen Wandel, da sich auch einige demokratische Politiker für eine moderate Waffenpolitik aussprechen. Diese Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung und im politischen Diskurs könnten die Grundlage für zukünftige Regulierungen bilden, die die Diskussion über Waffenrechte neu beleben.
50.000 Menschen sterben in den USA im Jahr durch Schusswaffen. Für amerikanische Kinder sind Schussverletzungen Todesursache Nummer eins. Trotzdem halten die USA an ihrem historischen Waffenrecht fest. Spinnen die Amis? Teil drei unserer Serie.
Das erwartet Euch in dieser Folge:
(02:30) Waffen, Gewalt und Gesetze seit Ende des 19. Jahrhunderts (07:13) Waffengewalt heute: Schulmassaker und Amokläufe (10:40) Siedlungsgeschichte: Gründung von Jamestown 1607, Mayflower und die „American Frontier“ (15:15) Das Recht auf Waffenbesitz in der amerikanischen Verfassung (19:14) Supreme Court 2008: Schutz des individuellen Rechts auf Waffenbesitz (24:40) „White Backlash“ und Waffenrecht in der Reagan-Ära (27:13) Die Rolle der "National Rifle Association" NRA (33:37) Prohibition, Mafia und Waffen in den 1920er und 30er Jahren (42:06) Wandel im Umgang mit dem Waffenrecht
Unsere Gäste in dieser Folge:
Dagmar Ellerbrock ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Technischen Universität Dresden. Sie forscht unter anderem zu zivilen Waffenkulturen, Emotions- und Gewaltgeschichte.
Jürgen Martschukat ist Professor für Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt. Er forscht unter anderem zur Geschichte von Männlichkeit, Gewalt und Todesstrafe.
Die Macherinnen und Macher dieser Folge:
Host: Jörg Biesler Autorin: Anja Reinhardt Regie und Produktion: Carina Schroeder Musik: Robert Hauspurg Redaktion: Monika Dittrich
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