

STARS DES ABSOLUTISMUS - Friedrich II. und die Seidenraupen
Friedrich der Große förderte nicht nur die Kartoffel, sondern auch den Seidenbau. Ausgerechnet im unwirtlichen Brandenburg. Dazu ließ er die Eier des Seidenspinners nach Preußen bringen, warb Fachkräfte aus dem Ausland an, ließ Waisenkinder im Seidehaspeln anlernen und machte sich damit herzlich unbeliebt. Von Katharina Hübel (BR 2020)
Credits
Autorin: Katharina Hübel
Regie: Axel Wostry
Es sprachen: Heiko Ruprecht, Katja Schild, Axel Wostry
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Susanne Evers, Dr. Silke Kamp
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Zitatorin:
„Leider haben sich die Würmer einigermaßen zu Krankheiten geneiget, welche darin bestehen, dass sie häufig auf den Rändern laufen, durch starke Bewegungen eine gewisse Angst äußern und sogar das frische Futter meiden. Einige fressen sehr gut, bleiben aber dessen ungeachtet klein und vertrocknen auch an den Schachteln, welches eine Art von Schwindsucht ist.“
Sprecher:
Das ist der Bericht von Anne Marie Baral, einer bemerkenswerten Frau. Ehemalige Tagelöhnerin. Witwe. Alleinerziehende Mutter. Eine von den Armen im Preußen des 18. Jahrhunderts. Sie hat eine steile Karriere gemacht und ist Angestellte von keinem Geringeren als von Friedrich dem Zweiten, dem preußischen König. Seinem Kommissar legt sie Rechenschaft ab:
Zitatorin:
„Die meisten dieser kranken Würmer sind blanke Würmer, welche zuletzt, nachdem sie an den Rändern gelaufen, platzen und auslaufen“
Sprecher:
„Die Würmer“, um die sie sich sorgt, sind: „Seidenwürmer“, also: Seidenraupen. Anne Marie Baral ist königliche Seidenbauerin im „Jägerhof“ zu Potsdam, einer so genannten „Seidenbau-Musteranstalt“, in der landesweit ausgebildet wird. Eine absolut privilegierte Position: Anne Marie Baral bekam ein jährliches Gehalt von 150 Reichstalern und war mit Abstand die bestbezahlte Seidenkultivateurin des Landes, zudem konnte sie mietfrei wohnen und erhielt Gewinnbeteiligung, mehr noch: die königlichen Behörden verpflichteten für sie Pflücker, die das Futter für die Seidenraupen besorgten und anlieferten. Baral musste nichts davon finanzieren, die Kosten trug Friedrich der Große. Auch für die sechs Waisenkinder, die ihr bei der Pflege und Aufzucht der Raupen halfen, bezahlte sie keinen Groschen: der König höchstpersönlich verpflichtete die Waisen und sah seinerseits ebenfalls davon ab, sie zu bezahlen – in seinen Augen erhielten sie genug Lohn in Form einer Gratis- Ausbildung. Anne Marie Barals Tochter Susette hingegen wurde vom König bezahlt mit vier Groschen Lohn pro Tag. Zudem erhielten die Barals 16 Lot Graines frei Haus.
Musik
„Graines“ - die Eier des Seidenspinners, aus dem die Raupen schlüpfen. Die fressen sich einen guten Monat lang groß und spinnen sich dann in einen Kokon ein, den Seidenkokon. Sofern sie solange überleben. Eine verwegene Vision Friedrichs des Großen: Ausgerechnet im klimatisch wechselhaften, unwirtlichen Brandenburg heimische Seide gewinnen zu wollen. Er versuchte es mit allen Mitteln: Anne Marie Baral hatte drei beheizbare Säle und bekam Holz fürs Befeuern geliefert. Doch all das reichte nicht.
Zitatorin:
„So beklagte ich mich wegen Mangel an Futter. Da nun dieses wohl daher kommt, weil die Arbeiter beym Schneiden zu nachlässig sind, und statt, wenn gutes Wetter ist, um acht Uhr aufhören könnten, so hören selbige schon um vier Uhr auf. Bitte demnach Euer Hochwohlgeboren denen Leuten scharf anzubefehlen, dass selbige fleißiger schneiden und ich mehr Futter bekomme, sofern die Würmer vor Mangel der Blätter umkommen müssen.“
Sprecher:
…berichtet Anne Maria Baral dem so genannten Seidenbaukommissar, der im Auftrag von Friedrich dem Zweiten alle Arbeiten rund um die Gewinnung preußischer Seide kontrollierte. Die Seidenraupen – normalerweise in wärmeren, asiatischen Gefilden heimisch – sind wählerisch: Sie fressen nur die Blätter des Maulbeerbaumes. Und da Friedrich der Große unbedingt mit eigener Seide glänzen wollte, griff er ein Jahr nach seiner Thronbesteigung per Dekret in die Flora Brandenburgs ein: Er ließ tausende Linden fällen und machte Platz für Maulbeerbäume. Samen wurden verteilt, für je 1.000 Stämme gab es eine Geldprämie von 50 Thalern. Manche der Maulbeerbäume stehen heute noch, gut 200 Jahre später, wie in Zernikow. Die Historikerin Dr. Silke Kamp hat dort die Dauerausstellung „Vom Maulbeerbaum zur Seide“ wissenschaftlich begleitet. Sie weiß: Der Pflanz-Befehl des absolutistischen Herrschers war nicht von heute auf morgen umsetzbar.
01 / OT Kamp
Diese Bäume müssen erstmal in Baumschulen, bevor sie ins Freiland gesetzt werden, müssen in den ersten Jahren auch noch sehr liebevoll gepflegt werden, damit sie nicht eingehen, nicht vertrocknen, auch regelmäßig beschnitten werden.
Musik
Sprecher:
Das Gedeihen der Maulbeerbäume im unwirtlichen Brandenburg war oberste Staatsaufgabe: Selbst die Akademie der Wissenschaften unter Leitung des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz beschäftigte sich damit. Auch die Königliche Realschule bildete aus, Plantagen-Inspektoren und Kreisgärtner schwärmten aus, um auf dem Land den Anbau zu überwachen. Friedrich der Große selbst unternahm Reisen ins Brandenburgische. Selten war er zufrieden. Er schreibt an die Kammer:
Zitator Friedrich
„...die Amtleute ernstlich zur Befolgung ihrer Pflicht anzuhalten. Es seindt Faule Esels“
Sprecher
Der König wurde zum Botaniker.
Zitator Friedrich
„Glaubwürdigen Berichten zufolge werden die meisten Maulbeerbaumplantagen nicht richtig kultiviert, sondern von Anfang an dadurch verdorben, dass die Baumwurzeln nicht ordentlich beschnitten werden“
Sprecher:
Friedrich war ungeduldig mit seinen Untertanen. Doch der Seidenbau erforderte enorme Fachkenntnis. Italien und Frankreich waren damals die führenden Nationen im Seidengewerbe – ihnen wollte Friedrich Konkurrenz machen. Die absolutistischen Herrscher standen im Wettkampf - um Gebiete, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Prestige. Doch das Geschäft mit der Seide war durchaus heikel und wirtschaftlich riskant. Wer sollte das wagen? Wie sollte die nötige Kenntnis nach Preußen kommen? Friedrich der Zweite warb kurzerhand Facharbeiter aus dem Ausland an. Silke Kamp:
02/ OT Kamp
Zum Teil hatte man sie durch das Edikt von Potsdam durch die Aufnahme der Hugenotten auch bereits im Land. Oder bereits Nachfahren dieser französischen Religionsflüchtlinge und konnte auf deren Wissen zurückgreifen.
Sprecher:
Wie auf das von Anne Marie Baral, eine der geschicktesten Seidenhasplerinnen, die Brandenburg wohl hatte, wenn man dem Obersten Seidenbauinspektor glauben mag. Sie war die Tochter von Hugenotten und lebte schon länger in Potsdam. Die Fertigkeit des Seidehaspelns – also des Abwickelns des Seidenfadens – hat sie von ihren Eltern gelernt. Know-How war für die Hugenotten die Chance, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Anne Marie Baral bildete auch Lehrlinge aus.
Musik
Der Arbeitsplatz einer Hasplerin sieht so aus,
03 / OT Kamp
dass vor ihr ein Behältnis mit heißem Wasser steht, in dem die Kokons eingeweicht werden. Die werden zu mehreren herausgefischt und (…) behutsam über eine Spule gelegt, die dann durch eine Kurbel angetrieben (…) den Faden langsam abwickeln vom Kokon. Und das erfordert dann sehr viel Geschick, dass man darauf achtet, dass sich diese Kokons nicht untereinander verheddern, daher das Wort verhaspeln.
Sprecher:
Auch die Seidenraupen selbst erforderten viel Sorgfalt. 30 bis 45.000 Raupen versorgte Anne Marie Baral pro Saison. Die Eier lagerte sie in kleinen Papierschachteln auf Holzregalen, die penibel reingehalten werden mussten, sortierte kranke und tote Raupen aus, versorgte die anderen bis zu fünf Mal täglich mit frischem Futter. 1.500 Kilogramm Maulbeerbaum-Blätter benötigte sie in der Saison, jeden Tag frisch angeliefert.
Sprecher:
Daher ordnete Friedrich der Große an, dass preußische Beamte und Pastoren auf ihren Grundstücken und Kirchhöfen Maulbeeren pflanzen und Seide kultivieren sollten. Daraufhin pflanzten Adlige Maulbeerbaum-Alleen bei ihren Schlössern. Doch vor allem niedere Stände trafen Zwangsmaßnahmen.
Die Bauern wurden ohne Nutzen für sich selbst verpflichtet – zu ihrem Leidwesen.
05 / OT Kamp
Der Baum selber bringt dann auch keinen Ertrag, wenn der Seidenbau (…) schiefläuft, weil die Raupen sich nicht entwickelt haben, weil sie durch Krankheit dahingerafft wurden, weil es Fäulnis gab. All diese Faktoren, die (…) oftmals zum Totalausfall führten. Das frustrierte die Bauern ungemein, denn sie waren darauf angewiesen, genau abzuwägen, was lukrativ ist, was Gewinn bringt und sie hätten die Bäume lieber umgehauen, um wenigstens Obstbäume zu pflanzen.
Sprecher:
Sie versuchten es zum Teil – und wurden rigoros bestraft. Die Bauern mussten gezwungen werden. Nicht die besten Voraussetzungen für Friedrichs Projekt.
06/ Kamp
Man muss verstehen, dass sich diese Seidenkultur nicht etabliert hat und auch nicht etablieren konnte, weil sie nicht über Jahrhunderte gewachsen ist wie in Italien oder Frankreich, in den Dörfern der Cevenne, wo jede Familie nebenbei auch noch Seide kultiviert. Hier muss sich diese Seidenkultur in die bestehende Landwirtschaft einordnen.
Sprecher:
Und sie will nicht so recht ins bäuerliche Jahr passen. Seidenraupen brauchen konstant Wärme – doch der Sommer kommt nicht in Frage – ab Juli ist Ernte in Brandenburg.
07/Kamp
Sie brauchen Wagen, auf denen das Laub transportiert werden muss. Das sind dann Fuhrwerke, die dann den Bauern eventuell fehlen in der Erntezeit, daher waren sie allein deswegen schon nicht besonders glücklich darüber, da so in die Pflicht genommen zu werden.
Sprecher:
Der Seidenbau wurde also vorgezogen – in den unwirtlichen, klimatisch wankelmütigen Mai. Ein Problem für die empfindlichen Seidenraupen. Von den 45.000 Eiern blieben Anne Marie Baral am Ende vielleicht 50 Kokons. Silke Kamp:
08 / OT Kamp
(…) Wenn es dort zu Temperaturschwankungen kommt, dann wird dieser Faden, der gesponnen wird von der Raupe, auch unterbrochen. (…) Der Faden erreichte nicht diese Länge wie von der italienischen oder französischen Seide von bis zu vier Kilometern.
Musik
Sprecher:
Für aufwändige Webarbeiten mit komplexen, mehrschichtigen Mustern, benötigen die Webstühle lange, stabile Fäden. Ein Faden, der reißt oder zu kurz ist, bewirkt Unebenheiten im Stoff. Auch beim Färben gibt es Probleme bei minderwertigen Seidenfäden. Und so war Friedrichs Landseide für die aufwändigen Seidenstoffe ungeeignet. Der Faden hatte keine besondere Qualität.
Wofür also der ganze Aufwand?
Friedrich der Zweite war es leid, seinen politischen Konkurrenten viel Geld zuzuschustern, indem er teure Rohseide oder auch fertige Seidengewebe importierte. Wirtschaftspolitische Maxime war der so genannte Merkantilismus. Die eigene Wirtschaft zu subventionieren und aufzubauen und gleichzeitig ausländische Güter auszubremsen durch Zölle oder Importstopps. Und Preußen brauchte viel Seide. Schon allein fürs Militär – für Seidenstrümpfe und seidene Haarbänder. Was manieriert klingt, war höchst funktional: Seide war damals die einzige reißfeste Faser. Doch Friedrich der Große wollte mehr als Strümpfe. Doktor Susanne Evers ist Kunsthistorikerin bei der Stiftung preußische Schlösser und Gärten und eine Kennerin der Seidenkunst unter Friedrich dem Großen.
09 / OT Evers
Es war ihm natürlich auch unglaublich wichtig zu zeigen, dass sein Land, das ja erst seit relativ kurzer Zeit zu den europäischen Größen gezählt werden konnte, dass eben in diesem Land diese hochwertige Kunst auch hergestellt werden konnte, dass man sich schmücken konnte mit Werken, die in eigenen, in heimischen Manufakturen gefertigt wurden. Das war damals ein ganz großer Prestigepunkt. Und Friedrich hatte es halt relativ nötig. Weil er eben ein Neuling war.
Musik
Sprecher:
Friedrich der Große wollte eine ganze Industrie aufbauen. Er investierte in Seidenmühlen, die den Zwirn herstellten und in königliche Manufakturen, Webereien, die Stoffe für Kleidung und Tapeten herstellten. Susanne Evers:
10 / OT Evers
Die Textilmanufakturen, die Fabrikation war eigentlich einer der führenden Wirtschaftszweige. Es waren unglaublich viele Menschen an der Herstellung von Textilien beteiligt. (…)
Dazu kommt noch, dass in diesem Bereich auch die Technologie gefordert war. Das heißt, man musste immer wieder neue Innovationen wagen, um die Webstühle auf den neuesten Stand zu bringen.
Musik
11/ OT Evers
Wie wird ein Webstuhl eingerichtet, damit man die komplizierten Muster tatsächlich fabrizieren kann? Das war im Land einfach nicht vorhanden. Deswegen hat Friedrich gleich nach seiner Thronbesteigung auch Edikte erlassen, dass aus den führenden Seidennationen, das war in erster Linie natürlich Frankreich, aber auch Italien und auch Holland, dass Musterzeichner, Färber und eben einfach auch Weber nach Preußen gelockt wurden, muss man sagen: mit Anreizen, mit Unterstützung von Ansiedlung und so weiter.
Sprecher:
Es waren Hugenotten, die bei der Einreise schon eine Generation vorher ganze Webstühle mitgebracht hatten, das Wissen, sie zu konstruieren und zu bedienen. Es waren Zeichner von Webmustern aus Italien und Holland, es waren so genannte „Liseurs“, diejenigen, die die Muster lesen und auf den Webstuhl übertragen konnten, es waren Ziehjungen, die halfen, den Webstuhl zu bedienen; Färber, die wussten, die Seide zu färben. Und jüdische Unternehmer, die das finanzielle Risiko wagten, um beruflich Fuß fassen zu können.
Anfangs brachten die preußischen Seidenmanufakturen trotzdem nur einfache Stoffe zustande. Aus Lyon, dem führenden Zentrum der Seidenkunst, kamen die kompliziertesten Motive für Seidentapeten her, dort wurden die fehlerfreisten Stoffe aus der hochwertigsten Seide gewebt. Dieses Niveau wollte Friedrich der Zweite erreichen.
11 / OT Evers
Was sich mit der Zeit entwickelte, waren dann mehrschichtige Muster, die ein Grundgewebe hatten, eine erste Musterebene und oft auch noch eine zweite. Und das ist technologisch sehr kompliziert.
Sprecher:
Beispielsweise ein Stoff mit Hintergrundmuster, auf das dann Blumen gewebt wurden, die sich plastisch in einem 3-D-Effekt abhoben. Die preußischen Webereien machten unter Friedrich dem Zweiten eine enorme technische Entwicklung durch und konnten nach einiger Zeit eben auch diese aufwändigen Stoffe herstellen, die sich mit der internationalen Konkurrenz messen ließen. Kunsthistorikerin Susanne Evers:
12 / OT Evers
Ein schönes Beispiel ist ein Brief von der Schwester Friedrichs des Zweiten. Er hat offensichtlich seiner Schwester einen schönen Stoff geschickt und sie schreibt zurück, dieser Stoff ist ja wundervoll. Sie ist völlig überrascht, dass der in Preußen hergestellt werden konnte. (…) Sie hätte sich einen großen Spaß daraus gemacht, all ihren Bekannten diesen Stoff zu zeigen. Und alle hätten gedacht, er wäre aus Frankreich.
Sprecher:
So sehr Friedrichs Zeitgenossen beeindruckt waren - für einen solch aufwändigen Stoff nahmen die preußischen Webereien keine heimische Seide her, bis zum Schluss nicht. Sie benötigten die besseren Seidenfäden aus dem Ausland. Friedrich der Große kam nicht ohne importierte Rohseide aus. Die in Brandenburg gewonnene so genannte Landseide war nach wie vor von minderer Qualität und reichte auch von der Menge her nicht aus. Dieser Makel blieb. Dennoch ist der Preußenkönig stolz auf die heimische Webkunst, er sucht eine Art „Showroom“ und findet ihn im „Neuen Palais“ in Sanssouci. Nach dem Siebenjährigen Krieg stattet er dieses repräsentative Gästeschloss aus, das sogar öffentliche Besuchszeiten für Untertanen hatte. Susanne Evers kennt dort jedes Detail.
13/ OT Evers
Es ist nirgends in einer Quelle geschrieben, dass das Neue Palais das Musterbuch der Seidenproduktion ist. Aber die Beobachtung legt das sehr nahe. (…) Es ist so, dass in diesem Haus wirklich alle Qualitäten der Seidentapetenkunst, die es damals gab, vorhanden sind. (…) Das ist außergewöhnlich.
Sprecher:
Seidentapeten waren damals tatsächlich die wertvollsten Kunstobjekte in den Schlössern. Das zeigt sich unter anderem daran, dass auch Friedrichs Schlösser im Siebenjährigen Krieg geplündert wurden – Seidenstoffe waren oft Kriegsbeute.
14 / OT Evers
Das fand ich auch spannend, das war lange gar nicht so bekannt. Offensichtlich war es so, dass man so einen hohen Preis zahlte für solche Seidenstoffe, dass es sich sogar lohnte, eher die Stoffe als zum Beispiel die Gemälde mitzunehmen. (...) stattdessen schnitt man tatsächlich rundum so einen Seidenpaneel aus der Wand aus. Auch von Stühlen und von Sesseln hat man den Bezug abgeschnitten.
Sprecher:
Friedrich der Zweite kam also 1763 aus dem Krieg wieder und musste seine Schlösser neu ausstaffieren. Und das bei leeren Staatskassen. Dennoch: die perfekte Gelegenheit für eine Leistungsschau der preußischen Seidenkunst.
15 / OT Evers
Da ist sicherlich vieles auch auf Pump gewesen. Er hat ja auch das Neue Palais selbst, eine Fanfaronade, also eine Angeberei genannt. Aber er wollte damit zeigen, wir sind wer. Wir sind jetzt unter den wichtigsten fünf in Europa. (…) Ich habe mal ausgerechnet nach dem, was in den Rechnungen überliefert ist, dass ein ganzer Raum mit einer allerhöchsten Qualität der reichen Seidenstoffe bis zu 8.400 Taler gekostet hat. Der Stoff für einen Raum mit ganz einfacher Seidenbespannung war dann nur knapp 2.000 Taler teuer. Was haben andere Dinge gekostet? Da kann man sagen, ein Gemälde von Antoine Pesne, das war damals der bekannteste Hofmaler, hat 200 Taler gekostet.
Sprecher:
Fast nichts im Vergleich zur Seide, die also ganz entscheidend zum Prunk, zur „Fanfaronade“, beigetragen hat.
Musik
Sprecher:
Seide als Teil einer universalen königlichen Raumkunst – für die Kunstgeschichte ein Gewinn. Doch für die Menschen damals?
18 / OT Evers
Es gibt sehr viele Reiseberichte, die wirklich sehr lobend über diese Ausstattung schreiben. Aber es ist nicht so, dass er eine große Nachfolge gehabt hat. Denn der Zweck war natürlich unter anderem auch, dass die Bestellungen in den Manufakturen sich stapeln. Dass die Menschen, die dahinkommen sagen: das will ich auch. Das hat nicht geklappt.
Sprecher:
Friedrich der Große kam zu spät. Die Mode war längst eine andere: Papiertapeten, auch fürs Bürgertum erschwinglich. Die Seidenmanufakturen überlebten noch einige Zeit dank königlicher Aufträge, die aber auch weniger wurden.
19 / OT Evers
Das ist so ein schleichender, schleichender Abschied gewesen.
Sprecher:
Doch Friedrich der Zweite hatte mit seiner Vision trotz aller Anstrengungen und Hindernisse auch etwas geschaffen, das blieb: Er hatte es geschafft, die Textilindustrie auszubauen, Technologie, Wissen und Fachkräfte ins Land zu holen und Arbeit für sozial ausgegrenzte Gruppen zu schaffen.
Musik
Und der Seidenbau? Millionen von Maulbeerbäumen prägten zwei Jahre vor Friedrichs Tod das Landschaftsbild und immerhin fünf Prozent der Seide konnte Preußen selbst produzieren. Doch bei all den Subventionen über fast 50 Jahre - ein wirtschaftspolitisches Desaster. Historikerin Silke Kamp:
20 / OT Kamp
Die Geschichtsschreibung hat sich sehr lange dagegengestemmt einzugestehen, dass der Seidenbau wirtschaftlich nicht erfolgreich war.
Sprecher:
Und den Untertanen einfach lästig. Nach dem Tod von Friedrich dem Zweiten, ab 1786, holzten viele die ungeliebten Maulbeerbäume einfach ab. Friedrich und die Seidenraupen – ein historisches Kapitel voller Widerstände, Mühen und Kuriositäten. Was so energisch begann, war letzten Endes dann doch nur eine sehr anstrengende Illusion.
Musik