
SWR Kultur lesenswert - Literatur Wang Xiaobo – Das goldene Zeitalter | Buchkritik
Feb 26, 2025
04:09
Der Horror des „Großen Sprungs nach vorn“ – eine verheerende Hungersnot mit Millionen Toten – war erst einige Jahre her, da setzte Mao den nächsten Schrecken in Gang: die Kulturrevolution. Mit fortgesetztem Klassenkampf, Personenkult und Roten Garden gegen die selbstverschuldete Krise.
Der Schriftsteller Wang Xiaobo, geboren 1952, wurde damals als Achtzehnjähriger zur Landarbeit in die chinesische Provinz verschickt. Das geschieht auch seinem Alter Ego, dem Studenten Wang Er, der bitter feststellt:
Ich bin einundzwanzig. Das Goldene Zeitalter meines Lebens. Ich hatte eine Menge extravaganter Träume, ich wollte lieben, ich wollte essen (…). Erst später wurde mir klar: Leben heißt, dass man in einem langen, qualvollen Prozess die Eier zertrümmert kriegt.Der Roman „Das goldene Zeitalter“ ist ein Aufbegehren gegen diese Kastrationsdrohung. Wenn Wang Er von der Zeit in der Produktionsbrigade berichtet, ist deshalb weniger von der Sklavenarbeit die Rede als von renitenten und drastisch erzählten Liebesfreuden. Seine Partnerin dafür ist die hübsche junge Ärztin Chen Qingyang.Quelle: Wang Xiaobo – Das goldene Zeitalter
Ein „ausgelatschter Schuh“
Zur Strafe für die Abweisung der Avancen eines Militärkaders hat man sie ebenfalls aufs Land geschickt und ihr den Ruf angeheftet, ein „ausgelatschter Schuh“ zu sein – eine Frau mit lockerer Sexualmoral. Wang Er, der Chen wegen seiner vom Reispflanzen verursachten Rückenschmerzen aufsucht, rät ihr ab, nun demütig in Sack und Asche zu gehen. Sie solle den schlechten Ruf stattdessen als Privileg nutzen. Empört gibt ihm Chen eine Ohrfeige, taucht aber bald wieder bei Wang auf, um gemeinsam den Schuh auszulatschen. Daraufhin hat das Paar bald die Rituale von öffentlicher Anprangerung und Beschimpfung, Selbstkritik und Umerziehung auszustehen. Wang wird verhaftet, er kann sich aber wieder freischreiben durch Schuldbekenntnisse – möglichst detaillierte Schilderungen der unehelichen sexuellen Aktivitäten, die die Parteibürokraten lesen wie einen erotischen Fortsetzungsroman.Eigentlich hätten wir für unsere furchtbaren Verbrechen standrechtlich erschossen werden müssen, und es war allein der großen Gnade der Kader zu verdanken, dass wir nur Geständnisse schreiben mussten. (…) Die Kader behaupteten immer, meine Geständnisse seien nicht gründlich genug, ich müsse noch mehr gestehen.Quelle: Wang Xiaobo – Das goldene Zeitalter
