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Brauchtum oder nackte Selbstjustiz? - Mit vermummten oder geschwärzten Gesichtern zogen Gruppen von jungen Männern nachts vor das Haus eines oder einer Beklagten. Dort trugen sie in Versform angebliche moralische Vergehen vor. Oft kam das "Haberfeldtreiben" einem Rufmord gleich. Im 18. und 19 Jahrhundert wurde es in Teilen Bayerns als folgenschwerer Rügebrauch praktiziert und von der Obrigkeit verfolgt. Autor: Herbert Becker (BR 2007)
Credits
Autor/in dieser Folge: Herbert Becker
Regie: Eva Demmelhuber
Es sprachen: Julia Fischer, Peter Weiß, Stephan Zinner, Andreas Borcherding, Alexander Duda
Redaktion: Hildegard Hartmann
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 01:55 – Der Ursprung der Haberer
TC 03:22 – Selbstjustiz mit Ziegenfell?
TC 04:43 – Ein Schwur zur Verschwiegenheit
TC 06:40 – Gericht mit Gedicht
TC 08:21 – Ein Treiben ohne Strafe…
TC 12:21 - … oder doch sündhafter Unfug?
TC 17:48 – Die Bayern habern heute noch
TC 19:13 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 0:15 - Intro
Atmo: Geschrei und Lärm. (Band G 619, Take Nr. 1 und/oder Take bei 6´00´)
Haberer
He, Bauer! Schick´s aussi, dei´ Hur´.
noch Atmo: Der Krach nimmt zu
Haberer
Schick´s aussi! Mir wollen ihrer ´s Haberfeld treiben!
Sprecherin:
Ein Haberfeldtreiben!
Vor einem Bauernhaus im bairischen Oberland haben sich zwanzig oder dreißig Männer versammelt: die Haberer. Wahrscheinlich sind es junge Burschen – ganz sicher sagen kann man es nicht, denn sie haben sich Bärte aus Rosshaar umgebunden und ihre Gesichter schwarz angemalt. Sie verlangen vom Bauern, dass er seine Tochter vor die Tür schickt. Sie soll sich unsittlich benommen haben.
Haberer
Aussi mit ihrer, sonst zünd´ ma dir an Hof oo!
Sprecherin:
Die Haberer machen einen Höllenlärm. Außer Ratschen und Trommeln kommen Kuhglocken und Trompeten zum Einsatz, es wird auf Bretter geschlagen, mit Peitschen geschnalzt, gejohlt und geklatscht. Kein Wunder, dass es ihr Opfer mit der Angst zu tun bekommt. Aber es nützt nichts. Der Bauer fürchtet um seinen Hof, und so muss die Ärmste aus dem Haus.
noch Atmo + Geschrei (Band G 619, Take bei 8´10´)
Sprecherin:
Jetzt gibt einer der Versammelten – der Habermeister - ein Zeichen (mit der Hand). Es wird ruhig.
Haberer
Handelts recht und bleibts dabei g´scheit
Des woll´n am Kaiser Karl vom Untersberg seine Leit.
1. Zuspielung (Ende)
Sprecherin:
Dass er sich auf den Kaiser Karl im Untersberg beruft, gehört zum Ritual. Aber der Ursprung dieser Anrufung ist ebenso unklar der des Haberfeldtreibens insgesamt.
TC 01:55 - Der Ursprung der Haberer
Sprecher:
Der zeitgeschichtliche Hintergrund legt gewisse Vermutungen nahe: Die ersten Haberfeldtreiben, von denen wir wissen, haben im frühen 18. Jahrhundert stattgefunden. In dieser Zeit überzog der so genannte Spanische Erbfolgekrieg ganz Europa. Bayern, das von kaiserlich-österreichischen Truppen besetzt war, hatte schwer zu leiden. Aufstände wurden blutig niedergeworfen und feindliche Söldner traten Recht und Gesetz mit Füßen.
Sprecherin:
Die Menschen waren verzweifelt - und flüchteten sich in die Erinnerung an bessere Zeiten. Die Wundergläubigkeit blühte und alte Mythen erwachten zu neuem Leben.
Sprecher:
Einer Sage zufolge residierte der "große Kaiser Karl des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation" mit seinen Getreuen im Untersberg und wartete darauf, den Unterdrückten als Retter und Befreier zu Hilfe zu kommen. Der Untersberg liegt im Berchtesgadener Land, ganz im Südosten Bayerns.
Sprecherin:
Es lässt sich ohne weiteres ausmalen, was in diesen Zeiten der äußersten Not, der Bedrängnis und Gesetzlosigkeit in den Herzen rechtschaffener, patriotischer Männer vorging.
Atmo: (Trompete auf Band G 619, Take Nr. 3)
Haberer:
Manner, so geht´s nimmer weiter. Mir derf ma ned dulden, dass´s bei uns a jeder Haderlump ostellt, was eahm grad gfoid, ohne, dass er dafür gstraft werd´. Mir miass ma uns auf d´ Hinterfiaß stellen! Und wenn uns sonst koaner huift, dann der Kaiser Karl im Unterschberg!
Zustimmendes Raunen.
Sprecherin:
Sie taten sich zusammen - zum so genannten Habererbund.
TC 03:22 – Selbstjustiz mit Ziegenfell?
Sprecher:
Woher die Begriffe "Haberer" und "Haberfeld" kommen, ist unklar. Als "Haber" bezeichnete man einst eine Ziege, mit "Feld" war vielleicht ein Fell gemeint. Das könnte bedeuten, dass bei den frühesten Treiben der Beschuldigte ein Ziegenfell übergezogen bekam.
Sprecherin:
Rätsel gibt auch der Habererbund auf.
Sprecher:
Es gibt Stimmen, denen zufolge er eine verschworene Gemeinschaft war, die zu ihrer Blütezeit rund 2000 Mitglieder zählte; andere neigen zu der Ansicht, dass er nie existierte.
Sprecherin:
In dem Fall hätte es sich bei den Teilnehmer an den Haberfeldtreiben um nichts anderes gehandelt, als um eine Zusammenrottung von ein paar Dutzend jungen Burschen, die sich einbildeten, die Bestrafung eines Übeltäters oder einer Übeltäterin selbst in die Hand nehmen zu können. Denn ein Gericht schalteten sie nicht ein – noch gaben sie ihrem Opfer die Möglichkeit, sich zu verteidigen.
Sprecher:
Etwas Neues wäre das nicht gewesen. So genannte Rügebräuche sind schon aus weit zurück liegenden Zeiten bekannt. Bei den Germanen sollen Ehebrecherinnen dadurch bestraft worden sein, dass man ihnen das Haar abschnitt und sie dann nackt und unter den Schmährufen der ganzen Sippe aus dem Haus jagte. In Bayern kam es vor, dass sexuelle Vergehen angeprangert wurden, indem man dem oder der Beschuldigen Sägespäne vor das Haus streute oder dieses gar mit Kot beschmierte.
Atmo: (Trompete auf Band G 619, Take Nr. 3)
TC 04:43 – Ein Schwur zur Moral
Sprecherin:
Auch bei den Haberfeldtreiben wurden oft sexuelle Vergehen bestraft. Was heißt Vergehen? Bestimmt sind die Treiben oft von Burschen angezettelt worden, die selber keine Gelegenheit gehabt hatten, den geahndeten Fehltritt zu begehen. Während aber das Sägespänestreuen oder das Kotverschmieren spontan erfolgen konnten, erforderte das Haberfeldtreiben eine gewisse Organisation. Egal, ob es den Habererbund gegeben hat oder nicht: Ehe ein Treiben stattfand, mussten sich die Mitwirkenden treffen, um ihr Opfer auszuwählen und einen Zeitpunkt für das Losschlagen festzulegen; sie wählten einen der ihren zum Habermeister und sie schworen die unbedingte Geheimhaltung ihrer Aktivitäten.
Haberer:
Manna, auf zum Schwur!
Sprecherin:
... sagt der Habermeister in Ulrich Ragers Erzählung "Aufstand der Haberer", die auf wahren Begebenheiten beruht. Dann liest er, zum Mitsprechen für die anderen, den Haberereid vor.
Haberer:
Ich schwöre bei meinem Leben unverbrüchliches Schweigen zu wahren über den Habererbund und über das heutige Treiben. Nicht List, nicht Gewalt, nicht Zuchthaus, nicht Tod soll mich bewegen, diesen Schwur zu brechen, so wahr mir Gott helfe. Amen.
Sprecher:
Nachdem sie diesen Eid abgelegt haben, marschieren die Haberer zum Treibplatz und stellen sich auf. Das Ziel des Treibens könnte ebenso ein betrügerischer Händler, ein meineidiger Bauer, ein bestechlicher Beamter oder ein Bierpantscher sein.
Sprecherin:
In unserem Fall ist die junge Frau mit der angeblich lockeren Moral aus dem Haus gekommen. Nach der Anrufung des Kaisers Karl steigt der Habermeister unter dem Johlen und Lärmen der anderen auf ein Fass oder einen Leiterwagen.
Atmo: (Geschrei auf Band G 619, Take bei 6´00´)
TC 06:40 – Zu Gericht durch ein Gedicht
Sprecher:
Das eigentliche Gericht beginnt. Es besteht im Wesentlichen aus dem Aufsagen oder Absingen von Versen. Sie sind alles andere als anspruchsvoll. Meistens stimmt das Versmaß nicht, dafür ist die Sprache umso derber.
Sprecherin:
Der Journalist und Brauchtumsforscher Georg Queri hat in seinem Buch "Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern" viele der Verse gesammelt. Sie gehen ungefähr so:
Zitator:
Der Fanni, der kimmt so guad wie a jeder recht,
ich glaub', dass die die ganze Woch Tag und Nacht immer möcht´,
Mit ihrane Burschen kennt sie si´ scho lang nimmer aus,
die liefern ihr das ganze Jahr stehende Mittel ins Haus.
Sprecher:
Nach jedem dieser Verse folgt das gleiche Frage- und Antwortspiel. Der Habermeister fragt:
Habermeister:
Is des wahr?
Atmo: (Geschrei auf Band G 619, Take bei 6´00´ und/oder Take Nr. 1)
Sprecher:
Woraufhin ihm die Haberer lauten Halses bestätigen, dass es wahr ist, und er sie auffordert:
Habermeister:
Dann treibts es gscheid!
Sprecher:
Jetzt machen die Haberfeldtreiber mit ihren Lärminstrumenten ordentlich Krach - so lange, bis der Haberermeister ein Handzeichen gibt und einen weiteren Vers vorträgt. Zum Schluss droht er damit, im nächsten Jahr wieder zu kommen, falls sich die - oder der - Angeklagte nicht bessert. Noch einmal wird Krawall geschlagen, dann ziehen sich die Haberer zurück. Der Spuk ist zu Ende.
Sprecherin:
Allerdings nicht unbedingt für die Person, der das Treiben gegolten hat. Gerade in kleineren Gemeinden ist diese Art der Volksjustiz schon fast eine soziale Hinrichtung. Zur Polizei oder zum Gericht zu gehen, weil man sich zu Unrecht angeschuldigt fühlt, kann man kaum.
TC 08:21 – Ein Treiben ohne Strafe
Sprecher:
Das erste Haberfeldtreiben, das amtlich beurkundet ist, fand 1716 in Vagen, einem Dorf im Mangfalltal, statt. Es galt einer jungen Frau. Ursula Steindl hieß sie, und ihr Vater wollte die Schmähung seiner Tochter auf gar keinen Fall auf sich sitzen lassen. Er zeigte siebzehn Vagener an, von denen er behauptete, sie hätten ...
Zitator:
...allerhand iniuriosen, gschray, schnalzen und stain werfen sambt anderen Romorereyen veriebet.
Sprecher:
Keiner der Haberer wurde bestraft - jedenfalls nicht wegen der Schädigung des Rufes von Ursula Steindl. In dem Protokoll ist ausdrücklich vermerkt, dass es sich beim Haberfeldtreiben um einen von Justiz und Geistlichkeit tolerierten Volksbrauch handle. Das bedeutet: Der Brauch war zu dieser Zeit in der Gegend zwischen Isar und Inn längst bekannt und verbreitet.
Sprecherin:
Dass trotzdem sechzehn Haberer zu je zwei und ein gewisser Georg Sauerlacher sogar zu vier Schillingen Strafe verurteilt worden ist, kam daher, dass bei dem Treiben der Schuppen der Steindls beschädigt worden ist.
Haberer:
Wegen dem bläden Schupfa! Wahrscheinlich wer´n s´ hoid ein paar Brettln braucht ham, zum Draufhauen, damit´s a bissl an Krach gibt.
Sprecher:
Nur wegen des Schadenersatzes findet sich in den Akten ein Vermerk. Wäre nichts zu Bruch gegangen, hätten wir von dem Treiben nie erfahren. Fünfzig Jahre später sah es schon ein wenig anders aus. Nach einem Treiben in Parsberg bei Miesbach im Jahr 1766 nämlich behandelte die Obrigkeit die Haberer weit weniger nachsichtig.
Haberer:
Ei´gsperrt ham s´ es! Eine soichane Gemeinheit!
Sprecher:
Ihr Beschwerdebrief ist erhalten.
Zitator:
Da des Sterzls Tochter sich fleischlich vergangen und ein Kind zur Welt geboren, ... so verfügten wir uns nach dem in hiesiger Gegend altherkömmlichen Brauch ... zu gedachtem Sterzl und verrichteten mit Pritschen, Kuhschellen und Ketten, dann Abschießung einiger Terzerolen die gewöhnliche Musik, ohne jedoch dem Sterzl nur den mindesten Schaden in dessen Zaun, Fenstern oder anderem zuzufügen, sondern begnügten uns lediglich mit dieser für junge Burschen ausgesehenen Lustbarkeit, worauf uns aber das löbliche Pfleggericht Miesbach sogleich bei Wasser und Brot ... in die tiefste Malefizkeuche warf, sodann öffentlich durch den Amtmann in dem Markt herumführen und einen jeden ... um neun Gulden hat abstrafen lassen.
Haberer:
Und dass eahna die ungerechten Strafgelder restituiert wer´n, da drum ham s´ bitt´. Aber nix war´s.
Sprecherin:
Die Regierung hat anscheinend gar nicht recht verstanden, was die 23 Bestraften überhaupt angestellt haben sollten. Jedenfalls hat sie von dem Miesbacher Gericht eine Erklärung verlangt.
Sprecher:
Die Antwort erfolgte in einer zwar altmodischen, aber sehr deutlichen Sprache. In dem mehrere Seiten langen Schreiben wurde zunächst der Ablauf eines Haberfeldtreibens geschildert, und sodann erläutert, warum es sich dabei um einen unbedingt strafwürdigen Akt handelt.
Haberer:
Ah, gäh, strafwürdig!
Zitator:
Villfältig geschieht es, daß einige von diesen Purschen die mit Schindl belegte häußer abdeckhen, die fenster einschlagen vnd die zäun zusammen reissen. iederzeit aber springen sye in einem Creiß herumb, vnd tretten dieweils nit anderst auf, als wan ein hexen tanz daselbst Vorbeygegangen were."
Haberer:
Is´ dees vielleicht verboten, dass man im Kreis rumspringt?
Sprecher:
Das Miesbacher Gericht jedenfalls sah in einem Treiben, bei dem sich die Mitwirkenden wie Räuber und Diebe vermummen, durchaus keine für junge Burschen geeignete Lustbarkeit. Und die Regierung befahl, alles zu tun, ...
Zitator:
... das derley unzulässige Mißbräuche gänzlich außgerottet ... werden.
Haberer:
Aber do ham sa si brennt! Es ist weitergehabert wor´n, da ham de ganzen Erlasse nix gnutzt. Bis die Obrigkeit wos von am Treiben erfahren hod, war´s sowieso scho lang vorbei. Und dass dene Hanswurschten vom Landg´richt oaner was verraten häd – gäh! Des häd si´ gor koaner traut.
TC 12:21 - …oder doch sündhafter Unfug?
Sprecher:
Also breitete sich die Sitte – oder Unsitte – des Haberfeldtreibens weiter aus. Nicht nur das: Die Zahl der Männer, die an den einzelnen Treiben teilnahmen, wurde immer größer und immer öfter waren sie mit Gewehren bewaffnet. Längst beschränkten sie sich nicht mehr darauf, jungen Frauen und kleinen Betrügern Angst einzujagen. Nicht selten wurden nun die Gehaberten verprügelt, und in zunehmendem Maß wurden die Träger von Ämtern und Würden zum Gegenstand der Anschuldigungen.
Sprecherin:
Einer der von Georg Queri zitierten Verse geht – in einigermaßen verständliches Bairisch übersetzt – so:
Atmo: (Geschrei auf Band G 619, Take bei 8´10´)
Haberer:
Weils halt der Pfarrer, der Stier, duad gar a so treibn,
so sind wir halt heut kemma zum Haberfeldtreibn.
Die oafältign Bauern dan si beklagn,
weil da Pfarra nach eahnerne Weiba duad jag´n;
wenn oane krank is, hat s´ Sorgen beim Beichten,
weil er ihr allwei duad zwischen d' Fiaß einigreifen.
Das is a Graus!
Moant er denn, es fahrt d' Seel zwischn de Fiass raus?
Is´s ned a Schand
für an Pfarrvorstand?
Sprecherin:
Diese Anwürfe hat 1841 der Pfarrer von Irschenberg über sich ergehen lassen müssen. Anscheinend beruhte das, was man gegen ihn vorbrachte, durchaus nicht auf Erfindungen, denn der gehaberte Pfarrer wurde tatsächlich seines Amtes enthoben.
Musik: Die Interpreten: "Schlegellied" (auf: "Stollen 4"; # 10)
Sprecher:
Aber nun hatten die Haberer nach der Staatsgewalt auch die Geistlichkeit gegen sich. Erzbischof Gregor von Scherr nannte das Haberfeldtreiben...
Zitator:
... einen Unfug, der den Ruhm, den sich die Bewohner des Bayrischen Hochlandes durch ihr entschiedenes Festhalten am heiligen Glauben und durch ihre treue Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland erworben haben, nicht wenig verdunkelt.
Sprecher:
Und er drohte, es sei...
Zitator:
...über alle Anstifter und Teilnehmer dieses als schwer sündhaft ... bezeichneten Unterfangens der größere Kirchenbann auszusprechen.
Sprecherin:
Die Haberer leisteten sich wirklich allerhand. Kurz nachdem die Polizei ein paar Burschen verhaftet hatte, die bei dem Treiben gegen den Pfarrer dabei gewesen sein sollen, ging beim Miesbacher Gericht ein anonymes Schreiben ein. Darin drohten die anderen Haberer mit dem Niederbrennen des Gerichtsgebäudes, ja sogar mit der Ermordung eines Gerichts-Assessors, für den Fall, dass man ihre Freunde nicht frei lasse.
Haberer:
Des war bloß a Drohung.
Sprecherin:
Aber eine, die man sehr Ernst nehmen musste. Zwar äscherten sie nicht das Miesbacher Gerichtsgebäude ein, dafür verübten sie in Rosenheim eine Brandstiftung.
Sprecher:
Nun reagierte der Staat mit Härte: In mehreren Dörfern, in denen es zu Treiben gekommen war, wurden Soldaten einquartiert.
Musik: Die Interpreten: "Peter Reindl" (auf: "Stollen 4"; # 14)
Sprecherin:
Und die Stationierung musste von den Bauern bezahlt werden! Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden versuchten alles Mögliche, um diese Last abzuwenden. Sie bemühten die Gerichte und wandten sich mit Eingaben und Bitten an die Behörden, ja sogar an den König. Derweil ging das Habern in anderen Gemeinden fröhlich weiter.
Sprecher:
Die Zahl der Treiben nahm sogar zu, und die Zahl derer, die daran mitwirkten, ebenfalls. Bis zu dreihundert Mann sollen es mitunter gewesen sein. Sie schossen scharf und sie zündeten Feuerwerkskörper. In einigen Fällen kam es zwischen den Haberern und der Polizei zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen.
Zitator:
Vergangene Nacht eineinhalbstündiger Kampf mit Haberfeldtreibern bei Rosenheim. Mehrere Verhaftungen worunter einige Leichtverwundete, ein Mann todt. Unsererseits kein Verlust.
Sprecher:
...heißt es in einem Telegramm des Bezirksamts von 1866.
Sprecherin:
Bei dem Gefecht hatten die Haberfeldtreiber nicht nur einen Mann verloren – sie büßten allmählich auch den Rückhalt bei der Bevölkerung ein. Nach und nach verkamen ihre Aktionen zu Besäufnissen mit Volksfestcharakter, bei denen es um alles Mögliche ging, aber gewiss nicht um die Aufrechterhaltung von Sitte und Moral.
Sprecher:
Dafür gewannen Polizei und Gericht an Ansehen. Das Verständnis für ihr Einschreiten wuchs.
Sprecherin:
Alte Haberer erzählten bereits voller Stolz von den großartigen Treiben in früheren Tagen, da entschloss sich in Miesbach eine Gruppe von Männern, an die alte Habererherrlichkeit anzuknüpfen. Ihren Anführer, den Daxer von Wall, bewunderte man dafür, dass er der Obrigkeit ab und zu eins auswischte. Leider war er von zweifelhaftem Charakter. Schon bei den Anklagen, die er in seinen Habererversen erhob, handelte es sich um reine Verleumdungen. Außerdem waren die Teilnehmer untereinander zerstritten; einer von ihnen verriet das Vorhaben, die Polizei schritt ein, es kam zu einer Schießerei.
Sprecher:
Das Haberfeldtreiben von Miesbach, in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 1893 gilt als das letzte von Bedeutung. Bereits am 12. Oktober verpflichtete die Königliche Regierung von Oberbayern die Gemeindebehörden, ...
Zitator:
... in Vorbereitung befindliche Haberfeldtreiben zu verhindern und die in der Ausführung begriffenen zu unterdrücken; ... sie stellen einen Landfriedensbruch dar, welcher an den Teilnehmern mit Gefängnisstrafe bis zu 5 Jahren und an den Rädelsführern mit Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren zu ahnden ist.
Sprecherin:
Die Bevölkerung zeigte Verständnis. Sie fühlte sich von den Staatsorganen besser vertreten als von den Rügerichtern, die offensichtlich in erster Linie Freude am Radau hatten.
TC 17:48 – Die Bayern habern heute noch
Sprecher:
Es kam noch zu ein paar kleineren Treiben, alles in allem aber schlief der Brauch ein...
Sprecherin:
... um später – viel später – wieder entdeckt zu werden.
Sprecher:
Von den Gegnern des Flughafens im Erdinger Moos zum Beispiel, die der bayerischen Staatsregierung und den Betreibern der Flughafengesellschaft die Leviten lasen, von Demonstranten, die vor dem Landwirtschaftsministerium aufmarschierten, um gegen die Genmanipulation zu protestieren.
Sprecherin:
Und von Vereinen wie "D´Haberer e.V." in Miesbach. Ein Haberer alten Schlages allerdings würde sich wundern, wenn er deren Satzung lesen könnte.
Zitator:
Die Haberer sehen es als ihre wichtigste Aufgabe an, daß sie das altbayerische bäuerliche Trachtenbrauchtum des Haberfeldtreibens bewahren. Deshalb wirkt man bei Faschingszügen oder beim Bürgerfest mit, wo man in gewohnter derber Weise Haberfeld treibt.
Haberer:
Beim Faschingszug? ... Wos san denn des für oa?
Zitator:
Die Miesbacher Haberer bieten Gewähr, daß es sich bei ihrer Vereinigung um eine lustige Gesellschaft entsprechend der Oberlandler Sitte, aber auch um einen bodenständigen Brauchtums-Erhaltungs-Verein mit dem notwendigen ernsten Hintergrund handelt.
Haberer:
Soso. Brauchtums-Erhaltungs-Verein. Ja mei. Es hod hoid ois sei Zeit. Und die von uns Haberer, die is scheint´s vorbei.
Musik: Die Interpreten: "Andachtsjodler" (auf: "Stollen 4"; # 4); (anfängliches Glockengeläut unter den vorangegangenen Text gelegt)
TC 19:13 – Outro