
NachDenkSeiten – Die kritische Website Bundeswehrsoldat zu Merz: „Ich gehe davon aus, dass ich nicht älter als 40 Jahre werde“ – Kanzler lässt Frage unbeantwortet
„Die Arena – ihre Fragen an Bundeskanzler Friedrich Merz“ – so lautete der Titel einer ARD-Sendung am Montagabend. In dem Format stellt auch ein Bundeswehrsoldat eine Frage. Der Kanzler verliert sich in Allgemeinplätzen, ohne die Frage zu beantworten. Der Soldat wollte von Merz wissen, wie er – der Kanzler – die Söhne und Töchter der Republik auf das Sterben im Krieg vorbereiten will. Eine Kurzanalyse von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Da sitzt in der ARD-Sendung „Die Arena“ ein Soldat, der eine Frage stellt, an der es einerseits sehr viel zu kritisieren gibt, die aber andererseits durchaus ihre Berechtigung hat – wenn sie kritisch eingebettet worden wäre. Und da ist ein Kanzler, der eine Antwort gibt, ohne die Frage zu beantworten. Aber der Reihe nach.
Der Berufssoldat, der seit zehn Jahren bei der Bundeswehr ist, sagt zu Merz:
„Ich gehe tatsächlich davon aus, dass ich nicht älter als 40 Jahre werde.“ Dann schiebt der Soldat hinterher „in der aktuellen Sicherheitslage“. Schließlich kommt er zu seiner Frage: „Wie wollen Sie junge Leute darauf vorbereiten?“
Da sitzt also ein Angehöriger der Bundeswehr, der öffentlich ausspricht, dass er in Anbetracht der gegenwärtigen „Sicherheitslage“ mit spätestens 40 Jahren tot sein wird. Anders gesagt: Da ist der große Krieg im Kopf bereits ausgemachte Sache. Der Krieg zwischen Russland und der NATO wird stattfinden, und er – genauso wie seine Kameraden – werden bald im Krieg sterben. Die Ausführungen implizieren das.
Man muss sich anschauen, wie der Soldat diese Frage stellt. Hier sitzt niemand, der die Politik kritisiert. Hier sitzt jemand, der geradezu etwas Ungeheuerliches auf eine Weise ausspricht und ihm begegnet, als würde es sich bei dem, was er zu kommen erwartet, um ein Naturgesetz handeln.
Was hätte dieser Soldat, der doch – wie alle anderen Soldaten auch – für das Konzept des „Bürgers in Uniform“ zu stehen hätte, an dieser Stelle alles sagen können! Nach all den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs sollte Deutschland doch eine Armee haben, deren Angehörige in der Lage sind, Politik kritisch zu hinterfragen und – bei aller Verpflichtung zum Gehorsam, die es auch heute noch gibt – jederzeit in der Lage sind, den eigenen Verstand auch im Hinblick auf die politischen Verhältnisse zu gebrauchen.
Im weiteren Verlauf wird das Problem noch deutlicher. Hier sitzt ein Soldat, der allem Anschein nach die politische Erzählung von der russischen Bedrohung als Realität betrachtet.
Was hätte der mündige Bürger in Uniform an dieser Stelle nicht nur alles sagen, sondern auch fragen können!
Warum, Herr Bundeskanzler, unterstützt ihre Politik einen Stellvertreterkrieg?
Warum setzen Sie die Politik der Konfrontation gegenüber Russland fort?
Warum erzählen Sie uns etwas von einer russischen Bedrohung?
Warum sollte Russland es wagen, die NATO-Staaten anzugreifen?
Was soll das Ziel eines solchen Angriffs sein?
Warum ist die Politik von anti-russischer Propaganda durchzogen?
Das sind nur einige Fragen, die auch ein Soldat hätte stellen dürfen.
Stattdessen erfolgt eine berechtigte Frage, deren kritisches Potenzial aber vom Fragesteller selbst beschnitten wird, indem er jene Politik, die eine solche Frage überhaupt erst notwendig macht, nicht dekonstruiert.
Bei Lichte betrachtet hat der Soldat vermutlich recht, wenn er sagt, unter der eingeschlagenen Marschrichtung sei er mit 40 nicht mehr am Leben. Und natürlich ist die Frage unter Beachtung der aktuellen Situation angebracht, vom Kanzler wissen zu wollen, wie er gegenüber den jungen Söhnen und Töchtern des Landes ihren möglicherweise bald erfolgenden Kriegstod kommuniziert.
Schließlich: Wenn ein Land die Losung „Kriegstüchtigkeit“ ausgibt und ständig davor gewarnt wird, bis spätestens 2030 könne es zu einem heißen Krieg mit Russland kommen, ist eine solche Frage angebracht.
Die Antwort des Kanzlers zeigt: Falsch gestellt, wird selbst eine solche Frage eher zu einer Steilvorlage für die Politik (ab Minute 3:00):
„Herr Seibel, warum bauen wir die Bundeswehr wieder auf? Und warum habe ich gesagt, Deutschland soll eines Tages die stärkste konventionelle Armee in Europa haben? Ganz einfach. Ich wiederhole immer wieder einen Satz: ‚Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nie verteidigen müssen.‘ [Applaus aus dem Publikum] Das ist der entscheidende Punkt. Das ist das, was wir in der Verteidigungspolitik jetzt machen, in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Welt um uns drum herum hat sich total verändert. Und zwar nicht nur in eine Himmelsrichtung, sondern in alle. Und insofern brauchen wir Streitkräfte, aber ich bin unverändert davon überzeugt: Wir haben jetzt 70 Jahre NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben die längste Zeit von Frieden und Freiheit in Europa, in diesem Teil, in dem wir leben. Ich möchte, dass meine Kinder und Enkelkinder und auch ihre Generation auch weiter in Frieden und in Freiheit lebt. Und dafür müssen wir uns verteidigen können.“
Angemerkt sei: Mehrmals ist bei den Ausführungen zu beobachten, wie der Soldat zustimmend nickt.
Auf der analytischen Ebene gilt es weiter anzumerken: Der Kanzler reagiert auf die Frage des Soldaten mit zwei eigenen, selbst gesetzten Fragen. Damit wählt Merz eine Vorgehensweise, die immer wieder in der Politik zu beobachten ist: Er beantwortet die überaus unangenehme Frage nicht direkt, sondern wählt einen langen Weg, um sich über selbstgestellte Fragen und die sich dann darauf anschließenden Ausführungen von der Frage wegzubewegen. Schon an dieser Stelle wäre es vonseiten der Moderation angebracht gewesen, sofort einzuhaken. Das blieb aus, und so kann Merz weiterreden. Die Aussage, er wolle die stärkste konventionelle Armee Europas, bleibt kritiklos im Raum stehen. Die Aussage bezüglich der Absicht, sich verteidigen zu können, um sich nicht verteidigen zu müssen, ist eine Phrase, der ebenfalls kritisch vonseiten der Moderation zu begegnen gewesen wäre. Die Aussage, dass sich die „Welt um uns herum“ „total verändert“ habe, verschleiert. Nicht „die Welt“ hat sich verändert, sondern eine Politik, die auf konkrete Entscheidungen und Weichenstellungen von konkret benennbaren Personen zurückzuführen ist, hat zu einer „Veränderung“ geführt.
In der gesamten „Antwort“ von Merz erfolgt nicht die Antwort auf die Frage: „Wie wollen Sie die jungen Leute darauf (auf den Kriegstod) vorbereiten?“
Merz verliert sich in Allgemeinplätzen und lenkt durch gefällige Antworten von der eigentlichen Frage ab.
Die Moderatorin fragt den Soldaten dann, ob ihm die Antwort ausreiche. Er antwortet darauf wie folgt:
Jein. Ich bin Berufssoldat. Mich muss man nicht überzeugen. Es geht mir eher darum (…), glauben Sie, dass die noch Jüngeren als ich, die jetzt nächstes Jahr in den Wehrdienst gehen (…), die sind ja auch überzeugt, aber glauben Sie, dass die, die nicht freiwillig kommen, dass die (…).
Merz antwortet und merkt an, dass man auf Freiwilligkeit setze, aber wenn der erstrebte „Aufwuchs“ der Bundeswehr nicht gelingt, man wieder „über Wehrpflicht reden“ müsse.
Das war es. An dieser Stelle schwenkt der Soldat dann selbst von seiner Frage weg, fokussiert auf die Wehrpflicht.
Folgendes kommt an dieser Stelle der Sendung zum Vorschein:
- Ein Angehöriger der Bundeswehr ist zu sehen, der mit erschreckender Naivität das Ungeheuerliche längst für sich akzeptiert zu haben scheint.
- Ein Kanzler, der eine immerhin klar gestellte Frage unbeantwortet lässt und um den heißen Brei herumredet.
- Eine Moderation, die dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, Politik kritisch zu hinterfragen, nicht nachkommt – aus welchen Gründen auch immer.
Titelbild: Screenshot tagesschau via YouTube
