Klimaschutz vs. Freihandel? Disput um Mercosur – #222
Aug 21, 2019
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In einem spannenden Diskurs treten Eva Dessewffy, Fachkraft für EU-Handelspolitik bei der Arbeiterkammer Wien, Igor Sekardi, Welthandelsexperte der Industriellenvereinigung, und Kurt Bayer, ehemaliger Direktor der Europäischen Entwicklungsbank, gegeneinander an. Sie diskutieren das kontroverse Freihandelsabkommen mit Mercosur und seine Auswirkungen auf Klima und Wirtschaft. Themen wie Umweltschutz, Herausforderungen im Lebensmittelstandard und die geopolitischen Implikationen stehen im Mittelpunkt. Ein interessanter Blick auf die Balance zwischen Handel und Nachhaltigkeit!
Das Mercosur-Abkommen wird von vielen österreichischen Parteien abgelehnt, da es Bedenken hinsichtlich Umweltstandards und Arbeitsbedingungen aufwirft.
Die langwierigen Verhandlungen und intransparenten Prozesse behindern den Fortschritt des Freihandelsabkommens und erwecken Misstrauen in der Bevölkerung.
Deep dives
Hintergründe des Mercosur-Abkommens
Das Mercosur-Abkommen soll den Handel zwischen der EU und vier südamerikanischen Ländern fördern, indem Zölle gesenkt werden und der Zugang zu Märkten erleichtert wird. Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay stehen im Mittelpunkt dieser Initiative, die mehr argentinisches und brasilianisches Rindfleisch nach Europa bringen soll, während europäische Autos in Lateinamerika gefördert werden. Trotz der grundsätzlichen Idee des Freihandels sind die Verhandlungen seit 20 Jahren im Gange, da jedes Produkt einzeln und detailliert besprochen wird, was den Prozess erheblich verlangsamt. Die Vielzahl an politischen und wirtschaftlichen Interessen führt zu Widerständen innerhalb der EU, insbesondere in Österreich, wo fast alle Parteien gegen das Abkommen sind, mit Ausnahme der NEOS.
Wirtschaftliche und Umweltbedenken
Die Auswirkungen des Freihandels auf die Wirtschaft stehen im Zentrum der Diskussionen, insbesondere in Bezug auf den Umweltverbrauch durch lange Transportwege. Es wird argumentiert, dass der Zollabbau und ein intensiverer Handel mit Sierra-Leone und Argentinien die bestehenden Umweltprobleme verstärken könnten, insbesondere weil der brasilianische Präsident Bolsonaro nicht als umweltfreundlich angesehen wird. Daher besteht die Sorge, dass durch den Freihandel umweltbelastende Praktiken zunehmen und die Klimaziele gefährdet werden. Um dem entgegenzuwirken, wird versucht, das Abkommen mit Bezug zum Pariser Klimaschutzabkommen anzureichern, was jedoch von vielen Experten als unzureichend erachtet wird.
Soziale Fragen und Arbeitsrechte
Ein zentraler Kritikpunkt des Mercosur-Abkommens sind die Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten, insbesondere in der Fleischindustrie, die stark von der EU importiert werden. Es gibt Berichte über prekäre Arbeitsverhältnisse und sogar Gewerkschaftsmorde, die in den Diskussionen um das Abkommen hervorgehoben werden. Die österreichische Arbeiterkammer weist darauf hin, dass es an verbindlichen und durchsetzbaren Regelungen mangelt, die sicherstellen, dass soziale und Umweltstandards tatsächlich eingehalten werden. Die Befürworter des Freihandels argumentieren, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen durch Exporte und ein freier Zugang zu internationalen Märkten die Wirtschaft stärken könne.
Politische Dynamiken und öffentliche Wahrnehmung
Die politische Landschaft rund um das Mercosur-Abkommen ist angespannt, da viele politische Akteure im Wahlkampf Bedenken gegen den Freihandel äußern. Diese Haltung reflektiert nicht nur wirtschaftliche Argumente, sondern auch eine Welle von Skepsis gegenüber internationalen Verträgen, die von der Bevölkerung als potenziell nachteilig angesehen werden. Kritiker bemängeln zudem, dass die Verhandlungen oft intransparent ablaufen und dass öffentliche Informationen über die Inhalte unzureichend sind, was zu einem Vertrauensverlust führt. Insbesondere die Angst vor Qualitätsverlusten bei importierten Lebensmitteln, wie dem 'Gammelfleisch'-Skandal, trägt zur negativen Wahrnehmung bei.
Ein geplantes Freihandelsabkommen der EU mit den vier Mercosur-Mitgliederstaaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay soll Lateinamerika und die EU näher zusammenbringen, indem beispielsweise Zölle gesenkt werden. Ende Juni kam es zur Einigung, nun müssen EU-Mitgliedsstaaten und EU-Parlament zustimmen.
Die Auseinandersetzung um Freihandel und dessen Bedeutung für Wirtschaft und Klima ist nun voll entbrannt. In Österreich sind fast alle Parteien, mit Ausnahme der Neos, dagegen.
Im FALTER Radio mit Raimund Löw wird die Debatte analysiert. Es diskutieren der Ökonom Kurt Bayer, Hanno Lorenz vom Thinktank Agenda Austria, Freihandelsexperte Igor Sekardi (Industriellenvereinigung) sowie Eva Dessewffy, Referentin mit Schwerpunkt EU-Handelspolitik der Arbeiterkammer Wien.