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Der Brennerbasistunnel - Rekordbaustelle unter den Alpen
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Quick takeaways
- Der Brennerbasistunnel wird die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt und entlastet den stark belasteten Verkehr auf der Brennerautobahn.
- Komplexe geologische Untersuchungen und präzise Vermessungstechniken sind entscheidend für den erfolgreichen Bau des Tunnels und seine Betriebssicherheit.
Deep dives
Der Brenner Basistunnel: Eine technische Meisterleistung
Der Brenner Basistunnel wird die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt sein und soll den Verkehr auf der stark belasteten Brennerautobahn entlasten. Der Tunnel ist in drei Röhren unterteilt und wird mit insgesamt 64 durchgehenden Kilometern eine komplexe Infrastruktur bieten, die die Verbindung zwischen Italien und Österreich verbessert. Die Bauarbeiten erforderten umfangreiche geologische Untersuchungen, darunter bis zu 40 Kilometer Probebohrungen, um die unterschiedlichen Gesteinsarten zu analysieren, durch die der Tunnel führt. Verschiedene Techniken, wie das Sprengen und der Einsatz von Tunnelbohrmaschinen, werden genutzt, um die Herausforderungen des variierenden Gesteins zu bewältigen und den Tunnel voranzutreiben, was die Dimensionen des Tunnelprojekts verdeutlicht.
Baufortschritt und Herausforderungen
Beim Bau des Brenner Basistunnels wird präzise Vermessungstechnik eingesetzt, um sicherzustellen, dass die Tunnelröhren genau in der geplanten Richtung verlaufen und zum Durchschlag zwischen den Abschnitten keine Abweichungen auftreten. Diese Genauigkeit wird durch optische Messgeräte und regelmäßige Kontrollen erreicht, um sicherzustellen, dass die Bautrupps sich in den unterirdischen Abschnitten genau treffen. Es werden auch enorme Mengen an Abraum erzeugt, die jährlich in Deponien gelagert werden, wobei die größte Erdaushubdeponie Europas im Padastertal entsteht. Die Bauphase ist komplex und anspruchsvoll, da trotz der Nutzung moderner Maschinen die Herausforderungen des Untergrunds und der Qualitätssicherung bestehen bleiben.
Zukunft des Schienenverkehrs und Verkehrsfluss
Nach der Fertigstellung des Brenner Basistunnels sollen Personenzüge mit Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h und Güterzüge mit bis zu 120 km/h verkehren, was die Reisezeiten erheblich verkürzt und den Schienenverkehr attraktiver macht. Es wird ein Mischbetrieb geplant, wobei 80 Prozent der Züge Güterzüge sind, was zu einem signifikanten Anstieg der Transportkapazitäten führen soll. Allerdings stehen noch Herausforderungen hinsichtlich des Ausbaus der Zulaufstrecken sowohl nördlich als auch südlich des Tunnels an, die für die optimale Auslastung erforderlich sind. Insbesondere auf der Nordseite in Deutschland gibt es Verzögerungen durch Widerstand gegen Neubaupläne, sodass die vollständige Nutzung des Tunnels voraussichtlich erst in den 2040er Jahren möglich sein wird.
Die Straßenverbindung über den Brenner ist völlig überlastet. Abhilfe soll der Brennerbasistunnel schaffen. Seit 2007 wird an der 64 km langen Eisenbahnstrecke unter den Alpen gebaut. Das Projekt ist allein schon durch seine Dimensionen eine Herausforderung. Von David Globig.
Credits
Autor dieser Folge: David Globig
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Rahel Comtesse, Clemens Nicol
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Andreas Ambrosi, Pressesprecher der BBT SE, der Projektgesellschaft für den Brennerbasistunnel
Romed Insam, Projektleiter
Geologe Kurosch Thuro, Lehrstuhl für Ingenieurgeologie an der Technischen Universität München
David Salameh, Tunnelbohr-Experte von der FLORA Tunneling GmbH
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN:
Der Brennerpass zwischen Österreich und Italien: einer der wichtigsten Alpenübergänge, die es gibt. Allein über den Brenner rollt mehr Verkehr, als über sämtliche Alpenpässe Frankreichs und der Schweiz zusammen.
ZSP 02 GERÄUSCH Sattelzug fährt vorbei, darüber:
ZSP 03 GERÄUSCH Sekundenzeiger, darüber:
SPRECHERIN:
Neben 14 Millionen PKW donnern jedes Jahr 2,5 Millionen LKW über die Brennerautobahn. Das sind etwa 7.000 pro Tag. Im Durchschnitt ein Sattelzug alle zwölf Sekunden.
ZSP 03 GERÄUSCH Sekundenzeiger kurz hoch, dann darüber:
ZSP 02 GERÄUSCH Sattelzug fährt vorbei, darüber:
SPRECHERIN:
Und die Zahl der Fahrzeuge steigt immer weiter. Um die baufällige Strecke zu entlasten - und gleichzeitig auch die anliegenden Ortschaften -, soll möglichst viel Verkehr auf die Schiene verlagert werden. Doch die alte Bahnstrecke hat ebenfalls die Grenzen ihrer Kapazität erreicht. Die Alternative: eine neue, schnellere Strecke - unter den Alpen hindurch - der Brennerbasistunnel. Wenn er fertig ist, wird er die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt sein.
MUSIK, darüber:
SPRECHERIN:
Der Weg zur Tunnelbaustelle bei Innsbruck führt erst einmal in den Umkleideraum des Baubüros. Andreas Ambrosi, Pressesprecher der BBT SE, der Projektgesellschaft für den Brennerbasistunnel, stellt die Ausrüstung zusammen.
ZSP 04 O-TON Ambrosi 1, Teil 1:
"Jetzt brauchen Sie Stiefel, Warnweste. Das wäre ein Tracker. Den muss jeder haben, damit der Leitstand hier orten kann, wie viele Personen drin sind bei einer Evakuierung, wo sie sind. Dann ein Helm."
SPRECHERIN:
Und eine Lampe. Zuletzt greift Andreas Ambrosi noch nach einem kleinen Rucksack in einem der Regale.
ZSP 05 O-TON Ambrosi 1, Teil 2:
"Und was wir noch mitnehmen, ist so ein Selbstretter."
SPRECHERIN:
Der enthält eine Sauerstoff-Flasche sowie Mundstück und Nasenklemme. Damit hat man für etwa 90 Minuten Atemluft, falls sich ein Tunnelabschnitt mit Rauch füllen sollte. Durch den Zufahrtstunnel Ahrental geht es dann mit dem Auto in den Berg hinein. Am Steuer sitzt Romed Insam, der Projektleiter für diesen Bauabschnitt. Nach rund 2,5 Kilometern kreuzt die unterirdische Straße eine andere Tunnelröhre – das, was später der eigentliche Brennerbasistunnel sein wird.
ZSP 06 O-TON Insam 15, Teil 1:
"Also, wir sind jetzt im Bereich der sogenannten Weströhre. Hier rechts geht's Richtung Italien. Und links Richtung Innsbruck."
SPRECHERIN:
Auf beiden Seiten blickt man jeweils in einen Tunnelabschnitt. Bis zur italienischen Grenze sind es von hier aus rund 25 Kilometer, bis zum Tunnelausgang in Südtirol etwa 50. Der Projektleiter lässt den Wagen ein Stück vorrollen.
ZSP 07 O-TON Insam 15, Teil 2:
"Jetzt hier, ziemlich genau unter uns, befindet sich der Erkundungsstollen, ca. 12 m tiefer. Wir fahren jetzt weiter und kommen in die sogenannte Oströhre."
SPRECHERIN:
Sie verläuft parallel zur Weströhre – in einem Abstand von etwa 70 Metern.
Weströhre, Erkundungsstollen, Oströhre: Der Brennerbasistunnel besteht aus insgesamt drei Tunnelröhren. Durch die Weströhre werden die Züge von Süden nach Norden fahren, also von Italien nach Österreich, durch die Oströhre in die Gegenrichtung. Hinzu kommen noch Querverbindungen zwischen den Hauptröhren; außerdem Zufahrtstunnel, drei unterirdische Nothaltestellen und noch einiges mehr, erklärt Romed Insam. <Er steht dabei in einem bereits weitgehend fertigen Tunnelteil.
ZSP 08 O-TON Insam "230 km":
"Die Anlage ist sehr, sehr komplex. Also insgesamt beinhaltet die Anlage ca. 230 km an Tunnelbauwerken."
SPRECHERIN:
Und ist damit von den Dimensionen her noch einmal deutlich größer als etwa der Gotthard-Basistunnel in den Schweizer Alpen. Entsprechend lange hat es gedauert, bis die Arbeiten beginnen konnten.
MUSIK, darüber:
SPRECHER:
Tunnel statt Pass - Eine alte Vision nimmt konkrete Formen an
MUSIK kurz hoch, dann unter den nächsten Worten weg
SPRECHERIN:
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hat man erstmals darüber nachgedacht, unter dem Brennerpass hindurch einen Eisenbahntunnel zu bauen. Die Bahnstrecke, die ab 1860 errichtet wurde, führte dann aber doch ganz normal über den Pass. Anfang der 1970er Jahre griff man die Tunnel-Idee allerdings wieder auf: Bis 1989 entstanden mehrere Machbarkeitsstudien. Im Jahr 2004 unterzeichneten Österreich und Italien schließlich einen Staatsvertrag über die Errichtung des Tunnels. Eines Tunnels, der nicht nur diese beiden Länder verbindet, sondern der eine wichtige Rolle für den Verkehr zwischen Nord- und Südeuropa insgesamt spielen soll. Relativ rasch folgten dann die nächsten Schritte.
ZSP 09 O-TON Insam "Bau ab 2009":
"Die Genehmigungsphase bzw. die Einreichphase hat zwischen 2005 und 2009 gedauert. Und ab 2009 ist hier auf der österreichischen Seite auch gebaut worden."
SPRECHERIN:
Nachdem man auf der italienischen Seite bereits 2007 begonnen hatte – gut ein Jahr nach dem symbolischen ersten Spatenstich. 55 Kilometer liegen zwischen dem Tunnelportal Innsbruck und dem Portal Franzensfeste/Fortezza in Südtirol. Außerdem wird der Tunnel unterirdisch an die bereits bestehende Eisenbahnumfahrung Innsbruck angeschlossen. Das ergibt insgesamt: 64 durchgehende Tunnel-Kilometer. Man ist mit dem Bau allerdings nicht ins Unbekannte gestartet. Das betont auch Pressesprecher Andreas Ambrosi. Den eigentlichen Tunnelbau-Arbeiten gingen umfangreiche Untersuchungen voraus.
ZSP 10 O-TON Ambrosi "Probebohrungen":
"Wenn ich das Gebirge durchfahre oder unterfahre – man weiß ja wirklich nicht, was auf einen zukommt. Daher wurde in diesem Projektgebiet bis zu 40 km an Probebohrungen geleistet. Diese Probebohrungen haben einen Durchmesser gehabt, das waren ca. z.T. drei bis vier Zentimeter. Das sind sogenannte Bohrkerne. Und anhand dieser Bohrkerne hat man dann gesehen, wie das Gestein ist. Ob hier Quarz drin ist, ob es andere Sedimente gibt."
SPRECHERIN:
Denn vom Gestein und seinen Eigenschaften hängt unter anderem ab, welche Tunnelbau-Techniken man einsetzen kann, und welche Maschinen geeignet sind, erklärt der Geologe Kurosch Thuro. Der Professor hat den Lehrstuhl für Ingenieurgeologie an der Technischen Universität München inne.
ZSP 11 O-TON Thuro "Festigkeit":
"Viele denken ja, wenn das Gebirge sehr fest ist, so eine hohe Festigkeit hat, und damit auch sehr stabil ist, dass das dann der günstigste Fall ist. Und dass, wenn die Steine eine geringe Festigkeit aufweisen, z.B. Ton, Schluff, Mergel, Sande, Kiese, dass das ganz schlecht ist für den Tunnelbau. Die Wahrheit ist, eigentlich sollte es, wenn es günstig sein soll, möglichst gleichmäßig sein."
SPRECHERIN:
Bauen kann man Tunnel jedenfalls sowohl durch festes als auch durch weniger festes Gestein. Und wechselnde Festigkeiten lassen sich ebenfalls bewältigen. Dabei legt das Gestein mit der höchsten Festigkeit fest, mit welcher Technik man sich vorarbeitet, bzw. mit welchen Maschinen. Und das Gestein mit der geringsten Festigkeit entscheidet darüber, wie hoch die Stabilität eines Tunnels ist. Ob also vielleicht zusätzliche Maßnahmen notwendig sind, um die Stabilität zu erhöhen. Auch der Brennerbasistunnel führt durch ganz unterschiedliches Gestein. Im Projektbüro zeigt Andreas Ambrosi ein paar Proben.
ZSP 12 O-TON Ambrosi "Gesteinsarten":
"Wir haben da verschiedene Gesteinsarten eben vor uns. Z.B. einmal den Bündnerschiefer. Das ist ein sehr weichblättriges Gestein. D.h. es zerbricht auch, wenn man es in die Hand nimmt und dran herunterreißt. Dann haben wir hier auch noch den Quarz-Phyllit, das ist dieses Gestein hier. Das ist ein bisschen fester, aber auch ziemlich brüchig. Zudem haben wir noch auf der italienischen Seite Granit und Gneis. Dieses Gestein ist sehr gut. Das heißt, da hält auch eben der Tunnel besser."
SPRECHERIN:
Auf der österreichischen Seite ist das Gestein hingegen herausfordernder.
ZSP 13 O-TON Ambrosi "Vortrieb":
"In Italien fahren z.B. in allen Tunnelabschnitten die Tunnelbohrmaschinen. Das ist auf österreichischer Seite nicht möglich. Sondern wir haben z.T. eben auch den Sprengzyklus dabei. Man kann sagen: Hälfte/Hälfte. Hälfte Tunnelbohrmaschinen und Hälfte mit dem Sprengzyklus."
SPRECHERIN:
Also dem schrittweisen Heraussprengen von Gestein.
MUSIK, unter den letzten Worten einblenden, kurz hoch, dann darüber:
SPRECHER:
Mit Explosionen und "Tunnelfabriken" – Wie man sich unterirdisch den Weg durch die Alpen bahnt.
MUSIK kurz hoch, dann unter den nächsten Worten weg
SPRECHERIN:
Um eine Tunnelröhre durch den Fels zu treiben, muss man das Gestein zerkleinern und abtransportieren. Viele Jahrhunderte lang geschah das mit Hammer, Meißel und Schaufel. Ein mühsames Unterfangen, bei dem es nur zentimeterweise voranging. Moderne Methoden machen heute ein sehr viel höheres Tempo möglich, sagt Romed Insam. Da wäre zum einen: das Sprengen. (24")
ZSP 14 O-TON Insam - "Sprengzyklus":
"Da werden Abschnitte in der Größenordnung von circa 1,3 bis 2,2 Meter vorgetrieben. Diese Abschnitte werden gesprengt. Und im Zuge dessen wird im Nachgang eine Spritzbeton-Sicherung aufgebracht." STIMME LEICHT OBEN – BITTE ABNEHMEN
SPRECHERIN:
Wobei rund viermal pro Tag gesprengt wird. Das macht im Durchschnitt knapp sieben Meter, die man hier weiterkommt.
Der Aufwand dafür ist groß, sagt Kurosch Thuro von der Technischen Universität München. Zuerst einmal braucht man viele Bohrlöcher im Gestein.
ZSP 15 GERÄUSCH Schlagbohrer Bergbau, darüber:
ZSP 16 O-TON Thuro – "Sprengen", Teil 1:
"Das muss man sich vorstellen wie mit der heimischen Schlagbohrmaschine. Nur der Durchmesser ist nicht ein paar Millimeter, sondern einige Zentimeter. Das sind ungefähr so 100 bis 120 Löcher. Die werden mit Sprengstoff besetzt und dann gesprengt, im Fachjargon 'geschossen'.
ZSP 17 GERÄUSCH Sprengung, darüber:
ZSP 18 O-TON Thuro – "Sprengen", Teil 2:
"Und dann das, was eben gesprengt wurde, wird dann herausgefahren, sprich 'geschuttert', das ist der Fachausdruck da dazu."
SPRECHERIN:
Indem man die Bohrlöcher geschickt anordnet und den Sprengstoff in genau festgelegten, winzigen Zeitabständen zündet, entsteht eine gleichmäßige Röhre.
Andere Abschnitte des Tunnels werden jedoch nicht aus dem Gestein herausgesprengt, erläutert Projektleiter Romed Insam.
ZSP 19 O-TON Insam - "Vortriebsmethoden", Teil 2:
"Sondern hier sind große Tunnelbohrmaschinen unterwegs. Das sind im Prinzip fahrende Fabriken mit einer Länge hier von bis zu 160 Metern. Und diese Maschine besteht zum einen aus einem Bohrkopf, aus einem rotierenden Bohrkopf, mit Meißeln bestückt. Und dieser Tunnelbohrmaschinen hier auf dieser Baustelle wickeln ca. zwölf bis 14 Meter an Vortriebs-Länge pro Tag ab."
ZSP 20 GERÄUSCH Tunnelbohrmaschine, darüber:
SPRECHERIN:
Dabei arbeiten sie eine Röhre mit über zehn Metern Durchmesser aus dem Gestein heraus. Die Maschinen bestehen aus Zehntausenden von Teilen – und haben ein Gewicht von mehreren tausend Tonnen. Insgesamt neun dieser riesigen Geräte sind seit Beginn der Bauarbeiten im Brennerbasistunnel zum Einsatz gekommen. Für ihren Aufbau hat man mitten im Fels Kavernen aus dem Gestein gesprengt: mit genügend Platz, um die Einzelteile zu montieren, die über Zufahrtstunnel angeliefert wurden. Mit einer normalen Bohrmaschine, wie man sie von zu Hause kennt, haben sie allerdings keine Ähnlichkeit, betont Tunnelbohr-Experte David Salameh von der FLORA Tunneling GmbH. Der eigentliche Bohrkopf ist nicht spitz und spiralförmig, sondern eine große, flache Stahlscheibe, auf der einzelne Schneidringe befestigt sind.
ZSP 21 O-TON Salameh TBM:
"Das heißt, wenn wir jetzt von einem Durchmesser, sage ich mal, von zehn Metern sprechen, dann sitzen da ca. 60 Schneidringe drauf oder Schneidrollen, welche sich in den Berg drücken. Und durch das Aufdrücken dieser Schneidrollen platzt das Gestein ab und fällt nach unten; und wird dann durch die Rotationsbewegung aufgenommen und nach hinten befördert."
ZSP 20 GERÄUSCH Tunnelbohrmaschine unter den letzten Worten einblenden, dann darüber:
SPRECHERIN:
Insgesamt fallen bei den Bauarbeiten für den Brennerbasistunnel rund 21 Millionen Kubikmeter Abraum an. Das entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von etwa 275 Metern. Ein paar Meter höher als das höchste Hochhaus Deutschlands, der Commerzbank Tower in Frankfurt am Main. Über ein kilometerlanges Förderbandsystem gelangt das Gestein ans Tageslicht. Um es zu lagern, hat man fünf Deponien angelegt, erklärt Andreas Ambrosi. Unter anderem im Padastertal.
ZSP 22 O-TON Ambrosi – "Padastertal":
"Das ist die größte Erdaushubdeponie Europas. Und hier wird ein ganzes Tal aufgeschüttet. Das kann man sich so vorstellen: Ein Tal, das zuerst eher V-mäßig war, also sehr schmal auch, wird verbreitert. Es wird circa bis zu 80 Meter aufgeschüttet und in einer Länge ca. 1,5 Kilometer."
SPRECHERIN:
Dadurch entsteht 80 Meter über dem ursprünglichen, schmalen Talgrund eine größere Fläche, die begrünt werden soll.
MUSIK, darüber:
SPRECHERIN:
Doch es wird nicht nur jede Menge Material aus dem Berg herausgeholt, sondern es kommt auch einiges wieder hinein.
MUSIK kurz hoch, dann darüber:
SPRECHER:
Ringe für die Röhre – Wie man einen Tunnel verkleidet
MUSIK kurz hoch, dann unter den nächsten Worten weg
SPRECHERIN:
"Tunnel-Fabrik" – diese Bezeichnung für Tunnelbohrmaschinen kommt nicht von ungefähr. Während sich die gigantischen Geräte vorne noch durch den nackten Fels arbeiten, rollt der hintere Bereich der Maschine, das sogenannte "Nachlauf-System", bereits durch einen rohbaufertigen Tunnel. Möglich machen das vorproduzierte Betonteile, sogenannte Tübbing-Steine. Sie werden kreisförmig aneinandergelegt - sechs von ihnen bilden zusammen den kompletten Ring. Im Brennerbasistunnel haben diese Ringe einen Innendurchmesser von gut acht Metern. Mehrmals am Tag kommt Nachschub mit einem kleinen Bauzug, der auf provisorischen Schienen durch den Tunnel fährt.
ZSP 23 GERÄUSCH Transportbahn fährt an, hupt kurz, darüber:
ZSP 24 O-TON Salameh – Tübbing-Segmente:
"Diese Tübbing-Segmente werden dann in den Bereich der Maschine gebracht, wo die einzelnen Segmente dann mit einem Kran aufgenommen werden, in den vorderen Teil der Maschine gefahren werden. Und werden dann durch einen speziellen Arm aufgenommen. Und dieser bringt sie dann in die entsprechende Position, <wo sie dann verbaut wird>."
SPRECHERIN:
<In der sie dann verbaut werden.> Für einen Teil der Röhren fertigt man die Tübbing-Steine in unmittelbarer Nähe der Tunnelbaustelle. Auf der Fläche vor den Produktionsgebäuden sind hunderte Ringsegmente aus Stahlbeton gestapelt. Jeder Bogen ca. zehn Tonnen schwer. Farbige Punkte auf dem Beton geben Auskunft darüber, ob die vorgegebenen Toleranzen eingehalten werden. Grün heißt: Der Tübbing-Stein entspricht den Anforderungen. Bei andersfarbigen Markierungen muss noch nachgearbeitet werden, erklärt Romed Insam.
ZSP 25 O-TON Romed Insam – "Tübbing-Steine Toleranz" (Stereo):
"<Also> jeder Stein wird millimetergenau hergestellt. Und wir haben sehr hohe Anforderungen an diese Betonfertigteile gestellt. Eben aufgrund dessen, dass diese Steine die künftige Hauptauskleidung des Tunnels dann sein werden." STIMME OBEN – BITTE ABNEHMEN
SPRECHERIN:
Eine Auskleidung, die die Tunnelröhre unter anderem gegen eindringendes Wasser abschirmt. Dazu verfügt jeder Tübbing-Stein über eine umlaufende Dichtung.
Mehr als 50.000 Beton-Elemente kommen alleine aus der Fabrik am Zufahrtstunnel Ahrental. Um mit ihnen auch Kurven folgen zu können, gibt es leicht unterschiedlich geformte Segmente. Sie müssen nicht nur sehr präzise gefertigt, sondern auch zentimetergenau eingepasst werden.
Tatsächlich ist Präzision beim Tunnelbau an vielen Stellen entscheidend.
MUSIK unter den letzten Worten einblenden, kurz hoch, dann darüber:
SPRECHER:
Immer wieder messen - Wie man sich zuverlässig im Fels trifft
MUSIK kurz hoch, dann darüber:
SPRECHERIN:
Wenn man einen Tunnel anlegt, genügt es nicht, dem geplanten Verlauf nur so halbwegs genau zu folgen. Dann würde man nämlich Gefahr laufen, z.B. an einer ganz anderen Stelle wieder ans Tageslicht kommen als vorgesehen. Noch haariger wird die Sache, wenn man – wie beim Brennerbasistunnel – ein System aus gleich drei Tunnelröhren hat; und sich Bautrupps von mehreren Startpunkten aus über viele Kilometer aufeinander zubewegen. Die Richtung der Tunnelröhren muss hier absolut genau stimmen. Und zwar nicht nur beim Start, sondern bei jedem Meter, den sich die Teams durch das Gestein sprengen oder bohren.
ZSP 26 O-TON Romed Insam – "Vermessung", Teil 1 (Mono):
"Hier wird täglich vermessen. Also, wir haben hier mehrere Vermesser vor Ort tätigt, die sogenannten Bauvermesser. Und die stecken die Trasse ab, zentimetergenau."
SPRECHERIN:
Im Berg haben sie allerdings keine Möglichkeit, auf Satelliten-Navigationssysteme zurückzugreifen. Deshalb müssen die Vermesser von Punkten außerhalb der Tunnelröhren ausgehen, deren Positionen genau bestimmt wurden. Auf diese Punkte beziehen sich dann die Messungen unter der Erde. Die Bauvermesser nutzen dabei Tachymeter, optische Messgeräte, mit denen sich Winkel und Entfernungen präzise erfassen lassen.
ZSP 27 O-TON Romed Insam – "Vermessung", Teil 2:
"Und zudem werden diese Messungen auch kontrolliert. Wir haben dann zusätzlich auch noch die Haupt-Kontrollmessungen, die zu Ostern oder zu Weihnachten durchgeführt werden. Also zu einer Zeit, wo nicht vorgetrieben wird." STIMME LEICHT OBEN – BITTE ABNEHMEN
SPRECHERIN:
Und deshalb z.B. kein Staub in der Luft liegt. Für die Kontrolle nutzt man Messgeräte, mit denen sich minimale Abweichungen von der vorgesehenen Richtung feststellen lassen. Den Verlauf der Röhren zu vermessen, genügt allerdings nicht: Man muss z.B. auch die Tunnelbohrmaschinen exakt steuern, sagt Dr. Gerhard Wehrmeyer. Er leitet Forschung und Entwicklung bei der Herrenknecht AG, einem der wichtigsten Hersteller von Tunnelbohrmaschinen. Wenn man die riesigen Geräte sich selbst überlässt, bewegen sie sich nämlich nicht geradeaus.
ZSP 28 O-TON Wehrmeyer "Kopflastigkeit":
"Unsere Maschinen bestehen aus sehr viel Stahl, die sind relativ schwer. Und vornedran hängt das Schneidrad mit dem Antrieb. D.h. die sind relativ kopflastig und wollen am liebsten immer zum Erdmittelpunkt. Und darum müssen wir von unten auch wieder mehr drücken. Und die Maschinen werden deshalb so gesteuert, dass sie immer möglichst nahe auf der Trasse sind."
SPRECHERIN:
Und diese Trasse steigt - von den beiden Portalen aus gesehen - im Brennerbasistunnel sogar ganz leicht bis zum Brenner an, erklärt Andreas Ambrosi. Der Grund dafür: Bergwasser, das sich im Tunnelsystem sammelt, soll selbständig zu den Portalen hin ablaufen.
ZSP 29 O-TON Ambrosi "Wasserscheide":
"Es geht hier auch um eine Wasserscheide, d.h. es gibt einen Scheitelpunkt am Brenner. Und hier ist dann der Punkt, wo quasi das italienische Wasser nach Italien abgeleitet wird, und das österreichische Wasser nach Österreich fließt."
SPRECHERIN:
Das ist zwar technisch herausfordernd – aber auch ein Politikum, das der Staatsvertrag zwischen den beiden Ländern entsprechend regelt. Wie präzise man bei der Vermessung und beim Vortrieb der Tunnelröhren gearbeitet hat, das zeigt sich beim sogenannten Durchschlag. Also dann z.B., wenn die letzten Zentimeter Gestein zwischen zwei Tunnelabschnitten durchstoßen werden.
ZSP 30 GERÄUSCH Durchschlag, darüber:
ZSP 31 O-TON Romed Insam – "Durchschlag" (Mono):
"Wir haben einige Durchschläge gehabt, hier am Brennerbasistunnel. Und wir hatten hier Abweichungen im Zentimeterbereich. Also beim Erkundungsstollen auf einer Länge von über 20 km hatten wir z.B. in der Lage eine Abweichung von ca. 3 bis 4 cm, in der Höhe von ca. 2 cm, also sehr, sehr genau."
SPRECHERIN:
Präzision war auch bei einer baulichen Besonderheit des Brennerbasistunnels gefragt.
MUSIK unter den letzten Worten einblenden, kurz hoch, dann darüber:
SPRECHER:
Auf dem Weg zum Zugbetrieb - Ein Tunnel sucht Anschluss
MUSIK kurz hoch, dann darüber:
SPRECHERIN:
Man könnte meinen, es sei ein Leichtes, die Zugtrassen der beiden Länder am Ende zu verbinden. Aber hier liegt eine weitere Herausforderung – eine historisch gewachsene: Anders als auf den österreichischen Strecken - und genauso auf den deutschen - herrscht in Italien bei der Bahn nämlich Linksverkehr. Für Züge, die in Innsbruck halten, ist das kein Problem. Wohl aber für Güterzüge, die ohne Stopp – und möglichst auch ohne die Geschwindigkeit deutlich zu verringern – durch den Umfahrungstunnel an der Stadt vorbeigeleitet werden.
ZSP 32 O-TON Ambrosi – "Seitenwechsel":
"Also für die Güterzüge ist es eben so, dass die im Bereich Innsbruck dann quasi von der linken Seite auf die rechte Seite dann wechseln. D.h. zuerst sind die Haupttunnelröhren parallel, laufen parallel. Und dann quasi führt eine Tunnelröhre über die andere. Und so kann man dann von dem Linksverkehr auf den Rechtsverkehr wechseln."
SPRECHERIN:
Für den Anschluss an die Eisenbahnumfahrung Innsbruck tauschen also die Röhren mitsamt den Gleisen die Seiten.Bis tatsächlich Züge durch den Brennerbasistunnel fahren, wird es aber noch eine Weile dauern.
ZSP 33 O-TON Ambrosi – Zeitplan:
"Also wir haben jetzt noch die Rohbauphase, <wie gesagt,> mit <drei> aktiven Baustellen. Diese werden dann im Jahre ca. 2028 dann abgeschlossen sein. Dann kann der Ausbau der Bahntechnik erfolgen oder der sogenannten Ausrüstung. Dann gibt es noch mehrere Monate so eine Art <Betriebs- oder> Probephase mit den Zügen. Und das sollte dann 2031 abgeschlossen sein. Also die ersten Züge werden dann 2032 fahren."
SPRECHERIN:
Deutlich später als gedacht. Ursprünglich war man hier von einem Termin in den 2020er Jahren ausgegangen. Personenzüge sollen 2032 dann mit einer Geschwindigkeit von bis zu 250 Kilometern pro Stunde durch den Tunnel rasen. Die Reisezeit wird sich dadurch erheblich verkürzen.
ZSP 34 O-TON Ambrosi – Fahrtzeit komplett:
"Also vom Portal Innsbruck, vom Hauptbahnhof bis zum Bahnhof Franzensfeste sind es dann ca. 20 bis 25 Min. mit dem Personenzug. <Da kann ich dann quasi wirklich diese Strecke in dieser Zeit durchfahren.> Jetzt braucht man ca. 80 Min. diese Strecke eben."
SPRECHERIN:
Güterzüge können immerhin mit bis zu Tempo 120 durch die Tunnelröhren fahren. Das Konzept sieht einen Mischbetrieb von 80 Prozent Güterzügen und 20 Prozent Personenzügen vor. Trotz der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sollen im besten Fall acht bis zehn Züge je Richtung gleichzeitig im Tunnel unterwegs sein können.
ZSP 35 O-TON Ambrosi – "Mischbetrieb und Zugzahl":
"<Das Konzept sieht vor, dass eben 80 % Güterzüge fahren und 20 % eben der schnelleren Personenzüge.> Insgesamt nimmt der Brennerbasistunnel dann bei die 260 Züge auf, pro Tag. Auf der Bestandsstrecke sind es dann ca. bei die 136. Also knapp 400 Züge könnten diese Strecke dann benützen."
SPRECHERIN:
Dadurch würden sich die Transportkapazitäten mit der Bahn deutlich erhöhen. Die wesentlich kürzeren Fahrtzeiten könnten tatsächlich ein Anreiz sein, mehr Güter auf der Schiene statt auf der Straße zu transportieren. Das alles gilt allerdings nur, wenn der Tunnel entsprechend angebunden ist.
ZSP 36 O-TON Ambrosi – Zulaufstrecken:
"Es benötigt natürlich dann auch noch die Zulaufstrecken im Norden und im Süden. Also die nördlichen Zulaufstrecken in Deutschland. Und auch die südlichen Zulaufstrecken Südtirol und Italien."
SPRECHERIN:
Um den Tunnel perfekt auslasten zu können, sollen diese Zulaufstrecken zwischen München und Verona ausgebaut werden. Und genau da dürfte es noch für eine lange Zeit haken – besonders auf der Nordseite des Tunnels. Während an der südlichen Zulaufstrecke teilweise bereits gebaut wird, haben sich die Planungen in Deutschland um Jahre bzw. Jahrzehnte verzögert. Unter anderem, weil es Widerstand gegen Neubaupläne zwischen München und Kufstein gibt. Vor Anfang der 2040er Jahre wird die nördliche Zulaufstrecke deshalb wohl nicht fertig werden. Also erst rund zehn Jahre nach der geplanten Eröffnung des Brennerbasistunnels. (38")
MUSIK, darüber:
SPRECHERIN:
Und wie sich bis dahin das Verkehrsaufkommen über den Brenner entwickelt hat, ist noch einmal eine ganz andere Frage.