Er sei es so leid, ständig Joma Sison im Ohr zu haben. Das stöhnte Rodrigo Duterte im Jahr 2018. Damals war Duterte noch Präsident der Philippinen und genervt von einem Kommunisten namens José María Sison, Spitzname Joma. Der hatte die Philippinen schon 1987 verlassen, lebte seither im niederländischen Exil und würde bald 80 werden.
Ein alter Stratege, der aber online noch immer seine politischen Kommentare abgab. Damals besuchte ihn auch der philippinische Journalist Michael Beltran. Und hat darüber ein Buch geschrieben. Über Joma Sison und seine Frau.
Michael Beltran erzählt: „Ich wusste nicht, wie Joma und Julie als Menschen waren. Wie ihr Leben im Exil funktionierte. Wie ihr Sozialleben aussah. Die allermeisten Texte, die über sie als philippinische Revolutionäre geschrieben wurden, sind sehr didaktisch. Deswegen wollte ich sie persönlich kennenlernen und mit ihnen sprechen, um auch ein Gefühl für die Zwischenräume und Grauzonen in ihrem Leben zu bekommen.“
Ist die Ära des Kommunismus nicht längst vorbei?
An sich mangelt es nicht an Literatur über José María Sison. Sogar auf Deutsch gibt es einige Bücher über ihn, in den 80er und 90er Jahren geschrieben vom Politikwissenschaftler Rainer Werning. Michael Beltrans Buch gibt nun ein Update.
Es heißt „Der singende Gefangene und die Bibliothekarin mit nur einem Buch“. Darin zeichnet er ein geradezu privates Porträt des exilierten Paars. Ist die Ära des Kommunismus denn nicht längst vorbei, Michael Beltran?
„Die Philippinen gehören zu den wenigen Orten auf der Welt, an denen es noch immer einen bewaffneten Aufstand gibt. Eine anhaltende bewaffnete Rebellion. Erst kürzlich, während der Pandemie, sagten der Sprecher des Präsidenten und auch Präsident Duterte selbst, dass die Guerillas der Neuen Volksarmee eine viel größere Bedrohung für die Regierung darstellten als das Corona-Virus. In Europa ist der kommunistische Widerstand vielleicht ein Phänomen der Vergangenheit. Aber hier ist das anders.“
Empathisches Porträt eines alten Kommunistenpaars
1969 gründete Sison die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) und ihren bewaffneten Arm, die Neue Volksarmee (NPA). Unter Ferdinand Marcos wurden er und seine Frau Julie gefoltert. Sie saßen jahrelang in Einzelhaft, bevor sie 1987 in die Niederlande gehen konnten. Und von dort weiterwirkten.
Wie weit dieses Wirken ging, klärt Beltran nicht genau auf. Fakt ist, dass Sison 2007 in Utrecht für Beteiligung an dreifachem Mord auf den Philippinen festgenommen, ein Jahr später aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen wurde. Bis zu seinem Tod lebten er und seine Frau in Freiheit, wenn auch gewissermaßen gefangen im Exil.
Michael Beltran hat selbst in philippinischen Slums gearbeitet. Soziale Gerechtigkeit spielt in seiner journalistischen Arbeit eine große Rolle. Joma Sison und seiner Frau Julie de Lima begegnet er sehr empathisch. Das macht sein Buch stark und schwach zugleich.
Stark ist dieses Porträt eines alten Kommunistenpaars, weil es dem jungen Beltran offenkundig vertraut. Auch der sozialrevolutionäre Geist des Buches wirkt frisch und inspirierend. Beltrans Identifikation mit seinen Hauptfiguren schwächt sein Buch allerdings auch. Oft wirkt es, als übernähme er ihre Positionen einfach.
Joma Sisons teils bewaffneten Widerstand und seinen bis zuletzt hochgehaltenen Maoismus untersucht und diskutiert Beltran nicht genauer. Insofern ist sein Buch durchaus eindrücklich, aber es fehlt ihm auch an kritischer Distanz.