Zu Gast sind Karl-Heinz Leven, Arzt und Professor für Medizingeschichte, sowie Florian Werner, Literaturwissenschaftler und Autor von "Dunkle Materie. Die Geschichte der Scheiße". Sie diskutieren die faszinierenden Nutzungsmöglichkeiten von Fäkalien durch die Jahrhunderte. Von antiken Latrinen im Rom bis zur mittelalterlichen Dreck-Apotheke zeigt sich, wie sich der Umgang mit Exkrementen gewandelt hat. Auch moderne Themen wie die Nutzung von Fäkalien als Energiequelle und ihr Einfluss auf die Hygiene werden beleuchtet.
Im antiken Rom wurden Latrinen als soziale Begegnungsstätten angesehen, wo Hygiene und Gesellschaftlichkeit miteinander verwoben waren.
Im 19. Jahrhundert führte die Cholera-Epidemie zu grundlegenden Veränderungen in der städtischen Hygiene, die moderne Abwassersysteme und Hygieneprodukte einleiteten.
Deep dives
Die soziale Dimension der Latrinen
Im antiken Rom waren Latrinen Orte der Geselligkeit, an denen Menschen nebeneinander auf Steinbänken saßen und ihre Geschäfte erledigten, ohne irgendeine Form von Privatsphäre. Diese Gemeinschaftserlebnisse wurden als sozialer Austausch betrachtet, wobei Gespräche stattfanden, während die Wassermengen flossen, um die Hygiene zu sichern. Die Römer, die eine beeindruckende Klo-Kultur entwickelten, sahen in ihrer Sanitärtechnik nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch einen Ausdruck imperialer Macht und Reichtum. Diese Geschichte zeigt, wie sich die Einstellungen zu Ausscheidungsprodukten über die Jahrhunderte verändert haben und dass Hygiene tief in den gesellschaftlichen Praktiken verwurzelt ist, spiegelnd mehr als nur persönliche Gewohnheiten wider.
Hygiene und Macht im Römischen Reich
Die Römer führten eine ausgeklügelte Wasserversorgung ein, die durch beeindruckende Aquädukte realisiert wurde, welche fließendes Wasser in die Großstadt brachten und den Bau von Wasserklosetten und Badeanstalten ermöglichten. Der erste Aquädukt, der 312 v. Chr. eingeweiht wurde, ermöglichte es, Wasser über eine Distanz von 17 km nach Rom zu leiten. Diese technischen Meisterleistungen standen nicht nur für Hygiene und Sauberkeit, sondern auch für die Macht und den Reichtum des Römischen Reiches. So wurde die Fähigkeit, Marmorlatrinen zu bauen und Wasserumleitungen zu kontrollieren, zum Symbol für die Kontrolle über das Land und die Menschen.
Die Abfallentsorgung im Mittelalter
Mit dem Niedergang des Römischen Reiches verschlechterten sich die sanitären Bedingungen dramatisch und latrinenbasierte Abwassersysteme wurden weitgehend ignoriert, was das Stadtleben zu einem ständigen Kampf gegen Gestank und Krankheit machte. Im Mittelalter wurden Abwassergruben zur Hauptmethode der Abfallentsorgung, oft mit katastrophalen Folgen, wie etwa dem berühmten Erfurter Latrinensturz, bei dem zahlreiche Menschen in den Abfallgruben starben. Diese Bedingungen führten zu einer stark ausgeprägten Ekel- und Körperfeindlichkeit in der Gesellschaft, die durch Krankheitsausbrüche wie die Pest verstärkt wurden. Die Wahrnehmung von Hygiene war stark von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Faktoren beeinflusst und spiegelt die Herausforderungen der damaligen Zeit wider.
Fortschritte in der Hygiene des 19. Jahrhunderts
Im 19. Jahrhundert wurden bedeutende Fortschritte in der städtischen Hygiene erzielt, insbesondere nach der Cholera-Epidemie in London, die das Bewusstsein für die Bedeutung der Abwasserbeseitigung schärfte. Der Ingenieur Joseph Bazalgette entwarf ein neues System für die Abwasserentsorgung, das die Verschmutzung der Themse verringern sollte und die Grundlage für moderne Kläranlagen bildete. Gleichzeitig begann in der bürgerlichen Gesellschaft ein Umdenken in Bezug auf Hygiene, bei dem saubere Wassertragungen und Ablaufkanäle zunehmend als Zeichen von Wohlstand und Zivilisation angesehen wurden. Diese Entwicklungen führten zu einer verstärkten Kommerzialisierung und Standardisierung von Hygieneprodukten, einschließlich Toilettenpapier und Seife, die erstmals massenhaft produziert wurden.
Jeder muss mal, das war schon immer so. Was hinten rauskommt, wurde je nach Epoche als Schadstoff oder Rohstoff angesehen. Die alten Ägypter düngten damit ihre Felder, die Römer saßen auf Marmor-Klos, im Mittelalter schwor man auf die Dreck-Apotheke.
Das erwartet Euch in dieser Folge:
(01:08) Öffentliche Latrinen im alten Rom (06:15) Die Cloaca Maxima in Rom (08:33) Der Erfurter Latrinensturz 1184 (12:30) Biblische Vorschriften für den Toilettengang (15:08) Dreck-Apotheke im Mittelalter (16:09) „Kot-Bomben“ in Geschichte und Gegenwart (19:50) Cholera und „The Great Stink“ in London in den 1850er Jahren (26:48) Hygiene und Körperscham im 19. Jahrhundert (33:26) Die Erfindung des Toilettenpapiers 1857 (37:09) Fäkalien als Dünger
Unsere Gäste in dieser Folge:
Karl-Heinz Leven ist Arzt und Professor für Medizingeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Seuchengeschichte sowie antike und byzantinische Medizin.
Florian Werner ist Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. 2011 erschien von ihm „Dunkle Materie. Die Geschichte der Scheiße“ (Nagel & Kimche). Das Gespräch mit Florian Werner haben wir beim "Beats & Bones" Podcast-Festival im Naturkundemuseum Berlin aufgezeichnet.
Kalenderblatt über die letzte Cholera-Epidemie in Deutschland
Unser Podcast-Tipp in dieser Woche:
Frag Dich fit - mit Doc Esser, der jede Woche Gesundheitsfragen beantwortet
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