Martin Scheutz, ein Historiker mit Schwerpunkt auf Sozialgeschichte und der Geschichte des Wiener Hofes, spricht über die tief verwurzelten Glaubenssysteme im Mittelalter. Er erläutert, wie Aberglaube und Hexenverfolgung den Alltag beeinflussten und wie diese Ängste in Krisenzeiten ausbrachen. Zudem wird die Rolle von Folter im Kontext von Hexenprozessen thematisiert. Scheutz beleuchtet die Entwicklung von Hexenmythen und betont den Einfluss der Aufklärung, die irrationalen Glauben kritisch hinterfragte und die Darstellung von Hexen veränderte.
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurde Aberglaube als Erklärungsmodell für soziale und persönliche Krisen weit akzeptiert und praktiziert.
Die Hexenverfolgungen waren oft ein Resultat gesellschaftlicher Ängste und wirtschaftlicher Notlagen, die tief in den sozialen Strukturen verankert waren.
Deep dives
Die Entstehung des Aberglaubens
Im 16. Jahrhundert wurde Aberglaube als Begriff stark mit der Aufklärung in Verbindung gebracht, die als das Licht der Vernunft betrachtet wurde. Damals war der Glaube an das Übernatürliche weit verbreitet, und die Menschen sahen Gott und den Teufel als allgegenwärtige Einflüsse in ihrem Leben. Aberglaube wurde oft von den Aufklärern als irrational verurteilt, während die Bevölkerung auf magische Praktiken zurückgriff, um das Unbekannte zu erklären oder Hilfe in Notsituationen zu erbitten. Diese Kombination aus Glauben und sozialen Herausforderungen führte zu einer Akzeptanz von magischen Riten und Praktiken als Mittel zur Bewältigung von Ängsten und Unsicherheiten.
Hexerei und die Rolle der Kirche
Die Vorstellung, dass Hexerei hauptsächlich im Mittelalter verbreitet war, ist irreführend; die tatsächlichen Verfolgungen fanden vor allem in der frühen Neuzeit statt. Historische Schätzungen gehen von etwa 100.000 bis 150.000 Opfern, weit weniger als zuvor angenommen. Während oft die Kirche als Hauptverfolgerin dargestellt wird, lagen die tatsächlichen Verfolgungen in der Zuständigkeit weltlicher Gerichte, die Menschen wegen Ketzerei anklagten. Dieser Unterschied zeigt, wie gesellschaftliche und politische Kontexte die Wahrnehmung und Behandlung von Hexen beeinflussten.
Magische Praktiken und ihre Bedeutung
Magische Riten waren in der Gesellschaft tief verwurzelt und dienten vielen Menschen als Erklärung für persönliche und gesellschaftliche Probleme. Beispielsweise wurden alltägliche Sorgen, wie Krankheit oder Ernteausfälle, oft durch magische Handlungen adressiert; die Verwendung von Hostien zur Beschwörung von Reichtum ist ein bekanntes Beispiel. Solche Praktiken wurden nicht nur von Unterschichten ausgeführt, sondern fanden auch bei Adel und Bürgern Anwendung, was die breite gesellschaftliche Verankerung des Aberglaubens zeigt. Viele Riten, wie das Tragen von Amuletten oder religiösen Prozessionen, wurden als Wege gesehen, um göttlichen Beistand zu erbitten und sich vor bösen Einflüssen zu schützen.
Der Einfluss von Krisen auf Hexenprozesse
Hexenverfolgungen waren oft eng mit sozialen und klimatischen Krisen verbunden, die in der damaligen Gesellschaft herrschten. Die kleine Eiszeit, die ab den 1560er Jahren zu Ernteausfällen führte, machte die Bevölkerung anfälliger für Aberglauben und die Suche nach Sündenböcken. Frauen, die oft das Wissen um Heilpflanzen oder Geburtshilfe besaßen, wurden überproportional häufig angeklagt, was auf tief verwurzelte Ängste und Vorurteile hindeutet. Diese Verfolgungen dienten nicht nur dazu, vermeintlichen Unfug zu bekämpfen, sondern auch als Maßnahmen zur Beruhigung der unter Druck stehenden Gesellschaft durch Ablenkung von realen sozialen und wirtschaftlichen Problemen.
Die Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit lebten in einer Welt die vom Widerstreit Gottes mit seinem Widersacher, dem Teufel, völlig durchdrungen war. Zwischen diesen Fronten war der Glaube an unzählige Dämonen, Engel, Hexen, Untote, oder Wehrwölfe weit verbreitet und diente insbesondere in Krisenzeiten als Erklärung für erlittenes Übel. In den kosmischen Konflikt zwischen Gut und Böse fühlte sich jeder und jede damals unmittelbar involviert und erwarteten sich auch von staatlichen Autoritäten ein entschiedenes Vorgehen gegen angebliche Hexen und Hexenmeister. Erst mit dem entschiedenen Vorgehen der Aufklärung gegen den Aberglauben, wurde aus einer einst realen und bitterernsten Furcht, die ungezwungene und reizvolle Gruselunterhaltung von heute. Mariella Gittler unterhält sich mit dem Historiker Martin Scheutz über ein Thema, das unseren Kontinent über lange Zeit in Atem gehalten hat.
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