
SWR Kultur lesenswert - Literatur Annette Pehnt – Einen Vulkan besteigen
Sep 21, 2025
04:08
Welcher Gewinn kann im Verzicht liegen? Welche Möglichkeiten eröffnen sich durch radikale Beschränkung? Das erkundet Annette Pehnt in ihren neuen Erzählungen. Sie verzichtet darin auf vieles, was Literatur gemeinhin ausmacht: Metaphern, Vergleiche, Mehrdeutigkeiten und Sprachspiele.
Ihre Geschichten bestehen aus einfachen, kurzen Sätzen, die in der Regel in eine Zeile passen und nur eine Information enthalten. Es gibt keine Perspektivwechsel und keine Zeitsprünge. Annette Pehnt hat genau das gereizt.
„Die Sprache kann sich überhaupt nicht ausbreiten und eigentlich alles Pompöse oder alles Raumgreifende ist einfach in der Sprache nicht möglich. Und das hieß dann schon für mich, dass ich mir dann auch Szenen und Figuren überlegt habe, die so ein bisschen was Geringfügiges haben, das sonst nicht so gesehen wird“, erläutert die Autorin.
„Also in das Kleine zu gehen, in Szenen zu gehen, die vielleicht eigentlich sonst nicht literaturwürdig sind oder in Momentaufnahmen zu gehen, die vielleicht sonst eher in der Lyrik irgendwie erfasst würden. Und damit auch zu würdigen, was klein und was still ist.“
Es sind oft unspektakuläre, aber auch rätselhafte Alltagsszenen, die Annette Pehnt in den Blick nimmt:
Eine Mutter sehnt sich danach, dass die erwachsenen Kinder noch einmal klein sind und holt alte Spielsachen hervor. Ein Paar will endlich aufhören zu streiten und gerät doch wieder in gewohnte Routinen. Ein Arzt wird zu einer Frau gerufen, doch der fehlt nichts. Ein Familienvater baut das Haus zu einer Festung um, weil er überall Gefahren wittert. Ein Geschwisterpaar büxt aus und übernachtet in einer Höhle, die Eltern aber nehmen davon keine Notiz.
Eingerichtet in Lebenslügen
Annette Pehnt erzählt von verlorenen und unsicheren Menschen, von gestörten Beziehungen und misslingender Kommunikation. Ihre Charaktere sind gebeutelt vom Leben und versuchen, irgendwie zurecht zu kommen. Einige haben sich eingerichtet in Lebenslügen, manche flüchten in Fantasien, wieder andere haben längst resigniert. Eine Frau hat genug von ihrem tristen Leben. Sie zieht in den Wald und richtet sich auf einem Hochsitz ein.Mir wird nicht langweilig.Es spricht einiges dafür, dass die Ich-Erzählerin auf dem Hochsitz stirbt. In der Titelgeschichte bricht eine andere Frau zu einer gefährlichen Bergwanderung auf. Auch in ihrem Fall ist nicht klar, ob es einen Rückweg gibt. Die Protagonistinnen dieser Geschichten, meist sind es Frauen, manövrieren sich häufig in Sackgassen, aber es gibt auch Momente des Trostes.
Ich schlafe viel.
Dann esse ich ein paar Nüsse oder eine Scheibe Toastbrot.
In einem Joghurtbecher sammle ich Regenwasser.
Denn es regnet jetzt manchmal.
Das Dach über mir hält mich trocken.
Meistens.
Einmal kam der Regen schräg und erwischte mich.
Ich musste die Kleider ausziehen und mich nackt ins Laub legen.
Gut, dass ich so viel Laub hochgetragen habe.
Die Kleider trockneten langsam.
Bis sie trocken waren, fror ich.
Aber im Schlaf merkt man die Kälte nicht.Quelle: Annette Pehnt – Einen Vulkan besteigen
