
SWR Kultur lesenswert - Literatur Schicksalsschlag in der Liebe: Urs Faes' „Sommerschatten"
Jul 18, 2025
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Urs Faes‘ neuer Roman „Sommerschatten“ handelt von einer tiefen Krise, von einer Erschütterung. Sein Held durchmisst darin diverse Gefühlszustände und Erinnerungsräume. Das Seltsame aber: Die Sprache selbst bleibt von dem geschilderten Schock und der daraus folgenden Verwirrung fast gänzlich unberührt.
Späte Liebe vor malerischer Kulisse
Aber der Reihe nach: Dem Ich-Erzähler, gerade von einer schweren Erkrankung genesen und nicht mehr in der Blüte seiner Jahre, hat sich in die jüngere Ina verliebt. Es ist eine überraschende, eine späte und nicht zuletzt auch eine verletzliche Liebe, die sich vor der Kulisse des malerischen und dunklen Schwarzwald ereignet. Der Erzähler hat seine Wohnung in Straßburg aufgegeben, ist in eine – wie er es nennt – „Klause“ gezogen, um näher bei seiner Geliebten zu sein. Dann ein Telefonanruf, der das Glück bedroht: Almut, eine enge Freundin Inas, überbringt eine furchtbare Nachricht:Sieht schlimm aus mit Ina. Ohne Bewusstsein aus dem Wasser geborgen. Gerettet. Wiederbelebungsversuche, presste sie noch heraus. Ihre Stimme zitterte, ging in einen unverständlichen Wortschwall über, der kein Nachfragen zuließ, bis sie in Tränen ausbrach und abbrach.Quelle: Urs Faes – Sommerschatten
Ein tragischer Unfall ändert alles
Ina, Cellistin von Beruf und leidenschaftliche Freitaucherin in ihrer Freizeit, verliert beim Training die Kontrolle. Mehr tot als lebendig wird sie aus dem Becken gezogen. Sie liegt auf der Intensivstation, versetzt in ein künstliches Koma. Für den Erzähler beginnt eine verstörende Zeit der Ungewissheit und der Angst. Er flieht in Erinnerungen, muss sich Ina in seinem Kopf neu zusammensetzen. Und sich eingestehen, dass sie vielleicht eine Seite hatte, die er nicht wahrnehmen wollte: Das Tauchen ist für sie nicht nur ein Sport gewesen, sondern etwas Existentielles. Sie wurde von der Tiefe angezogen, fasziniert von der gefährlichen Trance, die einen dort heimsuchen kann. Beim Betrachten von Gegenständen in Inas Wohnung, am Krankenbett ausharrend oder durch die Schwarzwald-Landschaft fahrend, kommen ihm nun immer wieder Bruchstücke ihrer gemeinsamen Zeit in den Sinn. Indem er sie für sich lebendig hält und Szenen des gemeinsamen Lebens heraufbeschwört, bringt er sie auch uns Lesern nahe. Und in dem, was er weglässt oder nur andeutet, kommt etwas an seiner Partnerin zum Vorschein, zu dem er keinen Zugang hatte.Kaum hatte ich das Handy losgelassen, fiel mir die Nachricht ein, die mich Tage zuvor erreicht hatte. Ich tippte an und las: ‚Liebster, der Nachtwind durchkämmt das Gras, greift ins Haar und vernebelt die Sicht. Alles hält ein, bleibt ohne Aussicht. Die Wege gehen zu, verlieren sich im Ungefähren. Und irgendetwas fragt: wie weiter? Überhaupt weiter?‘
Ich hatte diesen Worten auch deshalb zunächst wenig Beachtung geschenkt, weil mich dann und wann Nachrichten solcher Art erreichten, als gehörte ein wenig Daseinsüberdruss, der auch mir nicht fremd war, zu Inas gelegentlichen Gemütslagen.
Hatte ich überhört, was sie mir sagen wollte?“Quelle: Urs Faes – Sommerschatten
Flucht in die Vergangenheit
Das ist eine der Grübeleien, die den Erzähler umtreiben. Ihm bleibt so nichts anderes übrig, als sich in den Details des Vergangenen der Geliebten zu versichern. Sie kann nicht sprechen, sie kann sich nicht rühren. Also muss er das Sprechen übernehmen und die Wegstrecken in Gedanken alleine gehen, die sie zuvor zusammen zurückgelegt haben. Das hat etwas sehr Bedächtiges – manchmal ist es getragen von einem sensiblen Ton, manchmal durchdrungen von einer abgeklärten Trägheit.Ich schreibe über unsere Wege, über das, was wir gelebt haben, mir selber zu sagen, dass es wirklich gewesen ist. Und ich weiß dabei immer: Du würdest eine ganz andere Geschichte erzählen.Urs Faes‘ trauriger Held, ein Kulturjournalist im Übrigen, erscheint wie Orpheus, der seine Eurydike aus der Unterwelt zurückholen will. Er blickt sich dabei allerdings fortwährend um. Er ist auch eine männliche Scheherazade. Solange er erzählt, ihr am Bett wachend aus Büchern vorliest, mit seinen Worten in ihre komatöse Bewusstlosigkeit einzudringen sucht, solange wird er Ina am Leben halten.Quelle: Urs Faes – Sommerschatten
Erzählung als Rettungsanker
Es ist eine existentielle Haltlosigkeit, in die er unerwartet versetzt ist. Halt geben in diesem Moment nicht die medizinischen Gerätschaften, die Faes in nüchterner Form aufzählt. Sondern nur die ein leises Vertrauen heraufbeschwörenden Wörter. Und die Natur.Den Abend am See lesen; jenseits der Grenze Höriland – Wolkenstein, Hohenklingen, Schienerberg bis hin zum Bodanrück. Moorwiesen mit Seevögeln, Strandläufern und zum Ufer hin die Liebeshalde – das müsste unser Land sein. Du würdest unvermittelt auftauchen, wie an jenem Abend in der Kleinstadt im Harz: plötzlich da.Quelle: Urs Faes – Sommerschatten
